8. Türchen
Heute erwartet euch der OS der Lieben @frozenola
Viel Spaß beim Lesen!
Das Geräusch von klimperndem Geld riss mich aus meinen Träumen. Kaum öffnete ich die Augen, sah ich meinen Atem in der Luft und spürte, wie meine Augen vor Kälte begannen, zu tränen.
Ich blickte in die Richtung, aus der das Klimpern kam und sah drei große Jungs, wie sie sich gegenseitig einen Pappbecher hin und her schossen. Es war mein Pappbecher.
"Hey, lasst das", sagte ich und erschrak mich, als ich meine Stimme hörte. Sie war viel leiser und gebrochener als zuvor.
Die Jungs lachten, kickten den Becher weiter umher, sammelten das herausgefallene Geld auf, und schossen den nun leeren Becher zu mir.
"Bitte, Opa!", schrie Einer. Sie lachten.
Schniefend stellte ich den Becher wieder richtig hin und beobachtete die Menschen, die an mir vorbei gingen. Es machte mich wütend und traurig, dass all diese Menschen zugesehen hatten, wie die Jungs mein gesammeltes Geld klauten, damit abhauten, und kein Einziger etwas tat oder zumindest etwas sagte. Es schien in Ordnung zu sein, schließlich war ich ja bloß ein einfacher Obdachloser, der das Geld ja gar nicht nötig hätte, schließlich werde ich ja vom Staat unterstützt und bin nicht darauf angewiesen, zu betteln.
Ich seufzte. "Sieht man ja, dass ich es nicht nötig hab..", hauchte ich mir selbst zu und senkte meinen Blick.
Ich hatte gehofft, die Kälte und die Weihnachtszeit würde die Menschen etwas warmherziger, großzügiger und gütiger machen, doch ich irrte mich. Alle hatten die Hände voll zu tun, mit dem Kauf von Weihnachtsgeschenken. Lego und Puppen für die Kinder, eine Uhr für den Bruder, eine Mütze für den Vater und eine schöne Jacke für die Mutter. Alle hatten Geld bei sich, schließlich könnten sie doch sonst gar keine Geschenke kaufen. Natürlich verlangte ich nicht, dass sie einem wildfremden Mann auf der Straße etwas schenken, aber wenn wenigstens jeder Zweite auch nur zehn Cent in meinen Pappbecher werfen würde, wäre mein Leben um einiges leichter. Nun, scheinbar ist den Menschen sogar zehn Cent zu viel.
Lächelnd grüßte ich einige Passanten, die an mir vorbei kamen, um auf mich aufmerksam zu machen. Die meisten Menschen gingen weiter, als hätten sie mich gar nicht gehört, nur Wenige hielten kurz an und gaben mir etwas Geld. Noch weniger Menschen lächelten mich an oder grüßten zurück. Es machte mich traurig.
Plötzlich tippte mich jemand von hinten an. Schnell drehte ich meinen Kopf und sah eine junge Frau vor mir stehen. Sie hatte zwei große Stücke Pappe in der Hand und lächelte mich warmherzig an.
Ohne zu zögern, zückte sie einen schwarzen Edding und beschrieb dir erste Pappe. Auf die Zweite setzte sie sich rauf, direkt neben mich. Ihr Lächeln wuchs, als sie meinen verwunderten Blick auf sich spürte.
Sie zeigte mir die Pappe, welche sie beschrieben hatte, und fragte: "Ist das so in Ordnung?"
"Wenn Sie für ihre Liebsten ein Geschenk für über 100€ kaufen können, können Sie diesem Mann doch sicherlich auch ein Brötchen für 17 Cent kaufen.", las ich und lächelte breit. Ich nickte unsicher.
"Prima", grinste die Frau. Sie rückte ihre Mütze zurecht, räusperte sich, und holte aus dem Rucksack, welchen sie bei sich trug, eine Geige. Ohne zu zögern begann sie zu spielen. Es war ein Weihnachtslied nach dem Anderen und ein Fußgänger nach dem Anderen, welcher bei uns stehen blieb, einen Moment zuhörte, die Pappe laß, und einige Cent Stücke in den Pappbecher warf.
Während die blonde Frau makellos ihren Bogen über die Saiten ihrer Geige strich, bedankte ich mich freundlich bei jedem, der uns etwas Geld gab.
Als sie das drittes Lied beendet hatte, traute ich mich endlich, sie anzusprechen.
"Wieso sitzen Sie eigentlich hier bei mir in der Kälte, anstatt bei Ihnen zu Hause eingekuschelt im warmen Bett?" Meine Stimme war noch immer leise und gebrochen, und ich hatte das Gefühl, sie wurde von Sekunde zu Sekunde leiser.
Sie zuckte die Schultern: "Was soll ich denn zu Hause? Hier bin ich doch viel nützlicher!"
Ich nickte und lächelte vorsichtig: "Das ist wirklich.. Wirklich nett von Ihnen, vielen Dank."
Ihr Lächeln wuchs. Sie legte die Geige in ihren Schoß und streckte mir ihre Hand hin. "Kate", lächelte sie: "Und.. Wem helfe ich gerade beim Geldverdienen?"
Vorsichtig ergriff ich ihre Hand und schüttelte diese leicht: "Mein Name ist Mike."
Sie nickte im Takt unserer Hände: "Schöner Name", sie ließ meine Hand los und widmete sich wieder ihrer Geige, "Mein Bruder heißt auch Mike."
Ich nickte verständnisvoll. Als Kate erneut begann, Lieder auf ihrer Geige zu spielen, begrüßte ich wieder freundlich all die Fußgänger, die an uns vorbei kamen.
"Was machen Sie beruflich?", wollte ich wissen.
"Ich bin Grundschullehrerin.", erwiderte Kate, "Ich unterrichte Deutsch und Musik."
Ein lächeln schmückte meine kalten Lippen: "Klingt gut."
"Das ist es auch, aber manchmal ist es wirklich anstrengend." Kate schenkte mir einen flüchtigen, freundlichen Blick, ehe sie sich wieder auf ihre Geige konzentrierte.
Kate saß noch viele Stunden bei mir. Wir redeten, verdienten Geld und unterhielten uns teilweise sogar mit den Fußgängern. Einige Male ließ Kate mich kurz alleine, um uns einen heißen Kakao zu besorgen. Ich fühlte mich wohl und vergaß die Kälte, vergaß, dass die Pappe unter mir mein Zuhause war.
Es war dunkel. Wäre es nicht so kalt gewesen, hätte es geregnet. Aber nein, es schneite. Unsere Pappe war beinahe komplett durchnässt, mindestens genauso sehr wie Kates Mütze und ihre langen, blonden Haare.
Sie lächelte mich zitternd an und packte ihre Geige ein: "Es tut mir wirklich leid, aber.. Ich gehe langsam mal Heim. Mein Mann macht sich sicherlich schon Sorgen."
Ich nickte und beobachtete sie, wie sie aufstand und ihren Rucksack aufsetzte. Möglichst lautlos kippte ich den Pappbecher aus und zählte das Geld.
Ich stockte. So viel Geld hatte ich noch nie an einem einzigen Tag zusammen bekommen, nicht einmal halb so viel.
"Wow, d-das.. das...", stotterte ich. Kate lachte: "Keine Ursache."
Ich nahm etwas mehr als die Hälfte des Geldes in meine kalte Hand und streckte es Kate entgegen.
"Was? Nein, um Gottes Willen!", sie drückte meine Hand zurück zu meinem Körper, "Behalten Sie das Geld, ich brauche es nicht. Ich habe eine kleine, schnuckelige zwei Zimmer Wohnung und genügend Essen im Kühlschrank. Es geht mir gut, Mike. Behalten Sie es, ich habe es gerne getan." Sie lächelte mich aufmunternd an und steckte ihre Hände in ihre Jackentaschen.
"Danke.", hauchte ich und sah fassungslos auf meine Hand, in welcher sich das Geld befand, "Vielen Dank.."
"Wie gesagt, ich habe es gerne getan und werde Ihnen jeder Zeit wieder helfen. Vielleicht haben Sie ja Lust, sich mit mir und meinem Mann am ersten Weihnachtstag zu treffen. Wir gehen am Vormittag in die Kirche, danach können wir Sie gerne mit zu uns nehmen und gemeinsam essen.", ihr Lächeln wuchs, "Also nur, wenn Sie wollen."
Ich nickte lächelnd: "Ich werde da sein."
"Frohe Weihnachten, Mike."
"Frohe Weihnachten, Kate."
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