21. Türchen
Heute erwartet euch die Geschichte der Lieben @Senbon-Sakura
Viel Spaß beim Lesen!
Mein warmer Atem prallte gegen die eiskalte, rote Haut meiner zitternden Hände, was jedoch nicht viel brachte. Kleine Schneeflocken hatten sich längst überall in meinen braunen Haaren verfangen, außerdem war ich mir nicht mehr ganz sicher, ob meine Zehen noch existierten. Das Einzige positive an meiner Situation war der Ausblick auf die verschneite, blendend weiße Stadt vor mir. Und das Einzige warme an mir war wohl die kochende Wut auf meine Mutter, die mich ausgerechnet drei Tage vor Heilig Abend vor die Türe setzte, da sie genug von meiner Art vor mich hinzuleben hatte. Sie sagte, ich solle mir endlich eine Wohnung suchen, wenn ich ein Dach über dem Kopf haben wollte. Die Frau war doch verrückt, diese absurde Entscheidung ausgerechnet im tiefsten Winter zu treffen, anstatt mich bei moderaten Temperaturen vor die Türe zu setzen.
Der Schnee schien auch nicht vorzuhaben aufzuhören, was wohl weiße Weihnachten versprach, wobei dies das erste Jahr war, in welchem es mir lieber wäre, es würde nicht schneien. Doch die Welt hatte noch nie sonderlich viel auf meine Meinung und Wünsche gehalten, also konnte ich kaum erwarten, dass sich dies nun ändern würde.
„Sind Sie okay? Was machen Sie hier draußen?"
Die raue, fast schon beängstigend tiefe Stimme erklang direkt über mir, weshalb ich meinen Kopf hob und in ein besorgtes Gesicht blickte, welches Dank seiner weichen Züge und nicht Vorhandenseins eines Bartes kein Bisschen zu der eben ertönten Stimme passte. Vor lauter Verwunderung hatte ich ganz vergessen, dass der junge Mann mich eben angesprochen hatte und von mir eine Antwort erwartet wurde. Erst, als er erneut ansetzen wollte etwas zu sagen, erhob auch ich meine Stimme, die durch die in mich eingedrungene Kälte stark zitterte.
„Wurde Zuhause rausgeschmissen", gab ich wahrheitsgemäß von mir, nicht in der Absicht mich vor einem Fremden zu schämen, dessen Hobby es wohl war, Obdachlose anzusprechen.
„Es ist doch eiskalt", stellte er geschockt fest, was mir ein sarkastisches Schnauben entlockte. Das war mir gar nicht aufgefallen. Da ich nicht wie ein Arschloch wirken wollte, sprach ich meine Gedanken natürlich nicht aus, auch wenn es nur ein Fremder war.
Mit einem ungläubigen Blick starrte ich auf die große Hand, die mir plötzlich entgegen gestreckt wurde, nahm sie jedoch ohne groß darüber nachzudenken. Seine Hand war umschloss meine vergleichsweise kleine Hand – ich hatte schon immer kleine Hände für einen Jungen gehabt – und zog mich zu ihm nach oben. Die Wärme, die von seinem Körper ausging, schien von meiner Hand aus in meinen gesamten Körper zu dringen, sodass ich selbst meine Zehen wieder spürte – oder es mir zumindest einbildete.
„Ich bin Noah", ertönte die tiefe Bassstimme wieder, „und wie heißt du?"
„Marcelle", gab ich knapp von mir – ich war kein Mann langer Reden. Trotz meiner offensichtlich schlechten Laune fing Noah – jetzt hatte ich ja einen Namen zu dem Gesicht – an zu lächeln und zog mich ohne weitere Worte oder Fragen an meiner Hand – die er, aus welchem Grund auch immer, noch nicht losgelassen hatte – mit sich mit. Ich wollte mich nicht darüber beschweren, dass ich gerade wohl entführt wurde, da es in seinem Keller vermutlich wärmer war als hier auf der Straße, doch war ich schon daran interessiert wohin er mich brachte.
„Wo gehen wir hin?"
„Ich bringe dich zu mir. Du brauchst dringen ein Sofa, eine Decke und ganz viel Kakao", erklärte dieser auf meine Frage hin, ohne stehen zu bleiben.
„Mit Marshmallows?"
„Mit Marshmallows."
Zufrieden folgte ich ihm nun weiter, – unter anderem, weil ein Wohnzimmer noch besser klang als ein Keller – bis wird schließlich vor einem kleinen Mehrfamilienhaus ankamen, welches er kurzerhand aufschloss und mit mir bis in den dritten – mein Keuchen tat so, als wäre es der zehnte – Stock ging, um dort wiederum eine weiße Wohnungstüre aufzuschließen. Schließlich ließ er auch meine Hand los, wobei ich mittlerweile vergessen hatte, dass er sie noch hielt, und führte mich in ein gemütlich aussehendes Wohnzimmer, mit einer noch viel gemütlicher aussehenden Couch, die ich sofort beanspruchte, indem ich mich auf sie fallen ließ. Nur fürs Protokoll: Sie war verdammt gemütlich.
Als Noah mit einer dampfenden Tasse zurück aus der Küche kam, nahm ich mir das erste Mal Zeit, ihn genauer zu beobachten. Neben seinen weichen, beinahe weiblichen Gesichtszügen hatte er auch noch eine sehr helle Haut, aus der nur seine rosigen Lippen hervorstachen. Außerdem hatte er eisblaue Augen, die ein bisschen an einen halb zugefrorenen See erinnerten – was ein schöner Kontrast zu seinen tiefschwarzen Haaren war. Vermutlich war er ein wenig größer als ich, auch wenn er wesentlich Jünger aussah, was aber auch eine Illusion seines vorpubertären Gesichts sein könnte.
Er drückte mir den warmen Kakao in die Hand, an welchem ich erst zufrieden nippte, ehe ich ihn wieder ansah.
„Wie alt bist du?", sprach ich nun meine Frage aus, woraufhin er anfing zu grinsen.
„24" – Ein Jahr älter als ich.
Nachdem er sich interessiert nach dem genauen Grund erkundigt hatte, aus dem eine Mutter ihren Sohn im tiefsten Winter vor die Türe setzen würde, erklärte ich ihm, dass ich 23, arbeitslos und nicht in Ausbildung war, was Noah scheinbar äußerst amüsant fand, da er sich offensichtlich ein Kichern unterdrücken musste. Ich wusste zwar nicht, was daran sonderlich lustig sein sollte, doch ich schenkte ihm ein leichtes Lächeln, als er mich angrinste, um nicht unhöflich auszusehen.
„Ich denke, ich hatte wohl Glück was das angeht", meinte er aufgeregt, woraufhin ich ihm einen verwirrten Blick zuwarf.
„Immerhin muss ich jetzt Weihnachten nicht alleine feiern", klärte er mich auf, was ein warmes Gefühl in mir aufkommen ließ, da er mir gerade praktisch gesagt hatte, dass ich die nächsten Tage beim ihm bleiben dürfen würde. Mit einem breiten Lächeln ließ ich mich zurück fallen und lehnte mich gegen die weiche Polsterung des Sofas.
„Wo ist eigentlich die Decke, die du mir versprochen hast?", fragte ich, ehe ich wieder einen Schluck von meinem Kakao nahm.
Mit einem erheiterten Kichern – Noah kicherte überraschend viel – stand er auf und verschwand aus dem Zimmer, jedoch nicht ohne ein „Zu Befehl, Prinzessin Marcelle" zu trällern, woraufhin ich ihm eines der Kissen, die neben mir lagen, hinterherwarf.
Der 23. fiel dieses Jahr auf einen Samstag, an welchem Noah noch arbeiten musste. Als Dankeschön für das weiche Sofa und das leckere Essen – und vielleicht auch, weil ich den Schwarzhaarigen in den letzten zwei Tagen recht lieb gewonnen hatte – beschloss ich also, ihm, von dem bisschen Geld, welches mir meine Mutter mitgegeben hatte (Genau 30 Euro), ein Geschenk für Weihnachten zu kaufen.
In der Stadt angekommen fiel mir jedoch auf, dass ich nicht viele seiner Interessen kannte.
Kurz dachte ich nach, bis ich beschloss, auf die eine zurückzugreifen, die mir auf Anhieb einfiel – Das Zeldaposter in seinem Zimmer.
In einem Laden, der scheinbar sehr auf dieses mir eher unbekannte „Nerd-Zeug" ausgelegt war, fand ich ein Notizbuch, an dessen Preisschild stand, dass es in einem Zelda-Motiv war. Ich beschloss, dem Schild zu trauen und griff es mir aus dem Regal, um damit anschließend zur Kasse zu gehen und es zu bezahlen.
Zufrieden – und um 20 Euro ärmer – machte ich mich auf den Weg zurück zu Noahs Wohnung, zu der er mir glücklicherweise bereits einen Schlüssel gegeben hatte. Den restlichen Tag verbrachte ich mit dem, mehr schlechten als rechtem, Verpacken des Geschenks und diversen Folgen American Horror Story, bis ich schließlich hörte, dass Noah nach Hause kam. Schnell schob ich mein Geschenk unter die Couch und stoppte die Serie, um ihn zu begrüßen.
„Wie war dein Tag?", fragte er interessiert, während er sich aus den Schichten von Jacken und Pullovern schälte, die draußen nötig waren. Ich zuckte bloß mit den Schultern und streckte mich gähnend.
„Du warst lange weg. Gehen wir direkt schlafen?", murmelte ich, müde vom ganzen Fernsehen, was er lachend bejahte, ehe er sich verabschiedete und schlafen ging. Glücklich, da ich mich mehr als sonst auf Weihnachten freute, legte ich mich aufs Sofa und driftete langsam ins Land der Träume ab.
AM Weihnachtsmorgen weckte mich, zum ersten Mal seit Jahren, der Geruch von Lebkuchen, weshalb ich schon wenige Sekunden später, noch in meinem Pyjama – das aus einem Shirt und einer Boxer besteht – neben Noah in der Küche stand und gierig nach einem der frisch gebackenen Lebkuchensterne griff. Zufrieden aß ich ihn – wobei man anmerken muss, dass Noah ein besonderes Talent für das backen hatte – und setzte mich an den Tisch, wobei ein Paar blauer Augen mir belustigt folgten.
„Bekomme ich keine Begrüßung?"
„Morgn", nuschelte ich mit vollem Mund, seinen Blick erwidernd.
„ich hab' für Heute etwas geplant, was dir bestimmt Spaß machen wird", meinet er plötzlich begeistert und rannte ins Wohnzimmer, um anschließend mit einem Stapel an DVD's wiederzukommen.
Weihnachtsfilme.
Ein ganzer, voller Haufen an Weihnachtsfilmen, von „A Nightmare before Christmas" über „Eine Weihnachtsgeschichte" bis hin zu dem Weihnachtsfilm von Winnie Pooh war wirklich alles dabei. Und ich wollte ehrlich sein, ich konnte mir kein besseres Weihnachten vorstellen, als den ganzen Tag vor dem Fernseher zu sitzen und zu essen – da war es mir sogar recht, wenn wir Weihnachtsfilme ansahen. Besonders, weil Noah sehr begeistert von seiner Idee schien.
Umgeben von Kissen, Decken, lauter Krümeln – Ob von Keksen oder Lebkuchen – und halb kuschelnd lagen wir am Sofa, als gerade der fünfte oder sechste – Ich hatte vergessen mitzuzählen – Film sein Ende fand. Als die Credits begannen, befreite sich der Mann neben mir aus dem Gewirr von Bettwäsche und Körperteilen, um zu dem kleinen Weihnachtsbaum zu gehen, der bereits hier stand, als ich die Wohnung das erste Mal betreten hatte und zog ein kleines Paket hinter diesem hervor. Aufgeregt setzte ich mich auf, als er wieder zu mir kam und mir dieses Päckchen entgegen streckte. Grinsend nahm ich es entgegen und öffnete es, woraufhin ich ein kleines Notizbuch – ich musste fast lachen, das wir uns beide ein Notizbuch gekauft hatten – in den Händen hielt. Breit lächelnd strich ich über das schwarz-weiße Muster.
„Das ist wirklich hübsch", murmelte ich und sah glücklich zu Noah auf, der seltsamerweise sehr nervös schien.
„Ich will auch ein Geschenk, ja?", nuschelte er leise, weshalb ich kurz brauchte, um zu realisieren was er gesagt hatte. Grinsend nickte ich also und wollte mich gerade nach unten lehnen, um nach dem Geschenk unter der Couch zu greifen, als zwei starke Hände mich zurück in die Kissen drückten und sich zwei weiche, etwas rissige Lippen auf meine drückten. Ich brauchte eine Weile, um zu verstehen, was gerade passierte, ehe ich langsam seinen Kuss erwiderte. Lange konnte ich dies jedoch nicht, da er sich mit knallroten Wangen – was wirklich niedlich aussah – von mir löste und begann, vor sich hin zu stottern.
Als er endlich deutlicher wurde, konnte ich Dinge wie „Also, wenn du willst" oder „Nächstes Jahr wieder zusammen feiern" heraushören und musste mir ein Lachen unterdrücken.
„Ich mag dich auch wirklich gerne, Noah."
Meine Aussage ließ seine Wangen zwar noch roter werden, – was ich zuvor nicht für biologisch möglich gehalten hatte – doch zauberte ihm ein erleichtertes Lächeln aufs Gesicht.
Da meine Gedanken den Rest des Weihnachtsfestes kein anderes Ziel hatten, als den schwarzhaarigen Mann, der mir in unvorsichtigen Momenten immer kleine Küsschen auf die Lippen drückte, wunderte es mich über zwei Jahre später kaum, als er lachend in mein Zimmer kam und ein kleines Päckchen hochhielt, welches er wohl eben unter der Couch gefunden hatte.
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