20. Türchen
Heute erwartet euch der OS der lieben @Elleight
Viel Spaß beim Lesen!
Stegi
Es war mal wieder so weit: draußen lag Schnee, die Luft war kühl und bereits der Nachmittag wurde zur Nacht. In den Geschäften war alles voll, da jedem noch mindestens ein Geschenk fehlte und überall gab es Adventskalender und -kränze. Der Duft von Plätzchen und Tannen hing in der Luft und in jedem Ort gab es ein oder zwei Weihnachtsmärkte.
Es war Dezember, und Weihnachten stand kurz vor der Tür. Die Zeit der Liebe, das tollste Familienfest. Jeder liebte die Stimmung, die Musik, das Fest.
Alle, bis auf ich.
Ich saß, wie jeden Tag, alleine in meiner kleinen, unordentlichen Wohnung. Es gab nichts hier drin, was auf Weihnachten hinweisen könnte, nicht mal der kleine Tischkalender, den man jeden Tag umblättern musste. Das vorderste Blatt zeigte stur den 27. August.
Wieso sollte ich Weihnachten auch feiern? Ich konnte weder kochen, noch backen. Und Zeit fürs Familienessen, welches jedes Jahr stattfand, wollte ich nicht verschwenden. Es lief jedes Jahr aufs gleiche hinaus, und jedes mal war das Geschrei groß. Entweder jemandem gefielen seine Geschenke nicht, es gab zu wenig Essen oder das Essen brannte an und keinem schmeckte es. Außerdem hasste ich den Geruch von Plätzchen, da er sich zu häufig mit Zimt mischte, und nie fand jemand das richtige Geschenk für mich. Was wollte ich schon mit Socken, wenn ich schon zum Geburtstag gefühlt tausende von ihnen bekam?
Meine Mutter hatte zwar versucht, mich zu überreden, vorbei zu kommen, doch hatte ich einfach keinen Bock auf den ganzen Stress. Ebenfalls sah ich es nicht ein, ihr den Gefallen zu tun. Sie hatte sich zuletzt am 1. Januar gemeldet, um mir kurz ein frohes Neues zu wünschen. Den Rest des Jahres kam nichts. Kein Anruf, kein Brief, nicht mal eine verdammte Nachricht übers Handy.
Mein Leben war schon ziemlich einsam, und dadurch auch doppelt so langweilig. Täglich saß ich hier, am Fenster, starrte raus auf die Menschen oder hoch zum Sternenhimmel. Doch leider sah man gerade weder Sterne, noch Himmel. Dieser wurde viel zu sehr von der ganzen weihnachtlichen Beleuchtung verdeckt.
Müde stand ich auf. Mein einsames, langweiliges Leben hatte ich mir selbst zu zu schreiben. Ich bemühte mich nicht darum, Freunde zu finden. Auf der Arbeit verbrachte ich meine Zeit ebenfalls alleine und versuchte auch nicht, irgendwie Kontakt zu meinen Kollegen aufzubauen. Die einzigen Worte, die wir wechselten, waren zur Begrüßung ein müdes "Hallo" und zum Abschied ein gelangweiltes "Bis morgen".
Mir waren die meisten Leute einfach suspekt. Ich hatte in der Vergangenheit genug Enttäuschungen miterleben dürfen, um zu wissen, dass Freundschaft nicht alles war. Immerhin waren es immer nur Freunde gewesen, die mich enttäuscht hatten, und nicht die Leute, die ich verabscheute. Die Menschen heutzutage waren einfach nicht treu, und ihr einziges können war es, andere zu ersetzen. Zu oft hatte ich dies schon miterleben dürfen.
Trotzig ging ich zum Kühlschrank. Er war so gut wie leer, außer einer bereits abgelaufenen Milch, einer Packung Butter und einer verschrumpelten, alten Zitrone. Auch der Brotkasten daneben war nur noch voller Krümel. Wann hatte ich zuletzt etwas gegessen? Gestern Abend, aber auch nur eine Pizza, die ich mir im Ofen warm gemacht hatte. Ich riss das Gefrierfach auf und musste feststellen, dass dies wohl auch die Letzte gewesen war, die sich in meiner Wohnung befunden hatte.
Da mein Bauch langsam Geräusche von sich gab, und mir somit das Zeichen gab, dass ich wohl oder übel Hunger hatte, beschloss ich, kurz zum Supermarkt um die Ecke zu gehen. Es würde wohl wieder auf Pizza hinaus laufen. Ein kurzer Blick auf die Uhr meines immer noch vollgeladenem Handys verriet mir, dass es erst kurz nach 18 Uhr waren. Also zog ich kurzentschlossen meine etwas kaputten Schuhe an und hing mir meinen grünen Parker um, bevor ich auch schon die Wohnung verließ.
Jedoch hatte ich das Wetter etwas unterschätzt. Es war kälter, als ich erwartet hatte, und somit wurden aus den fünf Minuten, die ich bis zum Supermarkt brauchte, zu fünf Minuten, in denen ich zitternd durch die vollen Straßen lief. Trotz der vielen Menschen wurde keine Wärme gespendet, was mich ein wenig wunderte.
Als ich den Supermarkt endlich erreichte, musste ich feststellen, dass dieser geschlossen war. Genervt schaute ich rüber zu den Öffnungszeiten, und sah, dass er am 24.12 nur bis 17 Uhr geöffnet hatte.
Komische Zeit für einen Supermarkt, dachte ich genervt und überlegte, was ich nun machen sollte. Ich brauchte was zu essen, immerhin gab mein Magen immer lautere Geräusche von sich. Ein bisschen verloren drehte ich mich um. Also hieß es nun für mich, dass ich die Kälte noch länger ertragen müsste. Schlecht gelaunt verstaute ich meine Hände in meinen Manteltaschen und versuchte, so gut wie es eben möglich war, auch mein Kinn ein wenig vor dem eiskalten Wind zu schützen. Zu meinem Glück fing es jetzt auch noch an, zu schneien, und die eisigen Schneeflocken flogen nicht nur wie Pfeilspitzen in mein Gesicht, nein, sie versperrten mich natürlich gleichzeitig noch die Sicht. Also zog ich meine rechte Hand wieder aus der Jackentasche raus und hielt sie mir so an die Stirn, dass mir so wenige Schneeflocken wie möglich ins Gesicht fliegen konnten.
Als ich den nächstbesten Weihnachtsmarkt erreichte, betrat ich diesen, in der Hoffnung, irgendwo einen Essensstand zu finden. Am meisten hoffte ich auf etwas wie Bratwurst, doch fand ich nur Schokofrüchte, Süßigkeiten und Glühwein. Erst am Ende sah ich einen Stand mit Fritten und anderem Kram. Ich bestellte mir eine Portion Fritten mit Currysauce und Currywurst. Nicht gerade das weihnachtlichste Essen, doch sowas wollte ich auch gar nicht. Ich suchte mir den Weg zu einer Bank in dem relativ leeren Zelt. Sonst war es hier immer rappelvoll gewesen, doch dadurch, dass es Heilig Abend war, und wahrscheinlich alle zu Hause mit der Familie im Warmen saßen, war hier nichts los. Nur noch zwei anderen saßen hier. Zufrieden fing ich an, in meinem Essen herum zu stochern und es herunter zu schlingen, als sich der Eingang erneut verdunkelte und eine dritte, bzw. vierte Person ins Zelt schob. Er hielt ebenfalls ein Schälchen Fritten in der Hand und schaute sich um. Er schien etwas gefunden zu haben, als er sich wieder in Bewegung setzte und sich an den Tisch gegenüber niederließ. Sein Gang war erhoben, er hatte ein breites Kreuz. Seine Haare waren dunkel, und trotz des dunkles Lichts hier drinnen, war zu erkennen, dass sie Schnee bedeckt waren. Er trug nur einen Pullover, einen etwas zu großen, und eine Jeans, dennoch schien er nicht zu frieren.
Durch den Schnee, der an seinem Rücken hing, wirkte er leicht ästhetisch. Sein Unterkiefer schob er beim kauen stark nach vorne, sein Adamsapfel war deutlich, aber nicht zu sehr erkennbar.
Als er seinen Blick hob und mich anschaute, blickte ich erschrocken auf mein Essen. Ich hatte wohl etwas zu sehr geguckt und analysiert. Immer noch bemerkte ich seinen Blick auf mir, bis ich plötzlich eine Bewegung wahrnahm. Diesmal hob ich meinen Kopf und sah, wie der braunhaarige emotionslos aufstand und sich nun auf mich zu bewegte. Etwas nervös erkannte ich, dass er wohl vorhatte, sich zu mir zu setzen, und als er dies dann auch wirklich tat, konnte ich ihn nur unbeholfen anlächeln.
Wie der größte Idiot eben.
"Abend", meinte er und aß dann weiter. Verwirrt nickte ich und schaute auf mein, fast leeres Essen. "Ich finde, an so einem Abend sollte man nicht alleine sein.", fuhr er dann fort. Seine Stimme war rau, als würde er rauchen, seine Zähne und Fingernägel schienen aber keine Anzeichen zu geben, also konnte ich nicht genau sagen, ob er rauchte, oder es irgendwann einmal getan hatte.
"Wieso bist du dann hier?", fragte ich nachdenklich und aß den Rest meines Essens.
Er grinste. Sein Grinsen ging über sein ganzes Gesicht. "Damit Leute wie du nicht alleine sind", meinte er dann nach längerem überlegen. "Ich bin übrigens Tim", sagte er daraufhin und streckte mir lächelnd seine Hand entgegen, bevor er sie jedoch wieder schnell wegzog.
"Was bist du an solch einem beliebten Tag alleine auf 'nem Weihnachtsmarkt?" Wir hatten aufgegessen und dann zusammen das Zelt verlassen. Nun gingen wir einfach durch die Straßen der Stadt, ich hatte längst vergessen, wo wir schon alles abgebogen waren. Ich hatte meine Hände wieder tief in meinen Manteltaschen verstaut, mein Kinn schob ich in meine Jacke, sodass kein Wind hindurch kam. "Wo sollte ich sonst sein?", stellte ich die Gegenfrage, und blickte kurz zu dem Braunhaarigen hoch. "Na ja, vielleicht bei deiner Familie?" Er grinste. Ich jedoch schaute nur zu Boden und murmelte: "Da bin ich lieber alleine.." Tim merkte wohl, dass mir das Thema Familie nicht gefiel, denn er blickte kurz nachdenklich zu mir, bevor er dann das Thema wechselte.
"Magst du Weihnachten?" - "Nein, nicht wirklich"
Tim verstaute seine Hände nun auch in seinen Pullovertaschen. Es hatte aufgehört zu schneien, und während er den Schnee von seinen Schultern klopfte, sagte er: "Ich hab Weihnachten eigentlich immer gemocht. Geschenke, Familie, Schnee. Aber Zeiten ändern sich."
"Darf ich fragen was genau sich geändert hat?", warf ich die Frage auf die kalten, glatten Straßen. Er senkte seinen Kopf leicht und räusperte sich kurz, bevor er knapp antwortete: "Einfach viel zu vieles." Nun begann er auch, den Schnee von seinen Haaren zu fegen. Der Schnee auf meinem Kopf wurde von mir stur ignoriert.
"Ist dir nicht kalt?", fragte ich ihn daraufhin. Verwirrt und stirnrunzelnd blickte er mich an und meinte ebenso verwirrt: "Sollte mir kalt sein?" - "Na ja, ich meine ja nur", sagte ich und deutete auf den Schnee. "Kälte macht mir ebenso wenig aus, wie Hitze. Ich fühle nichts mehr" Seine Worte verwirrten mich zwar, dennoch harkte ich nicht weiter nach. Immerhin kannte ich ihn nicht, wieso sollte ich dann so Dinge über ihn wissen wollen? Trotzdem, irgendwo hatte er meine Aufmerksamkeit und Interesse getroffen und hervor gehoben.
"Weißt du was?", fragte Tim dann wie aus dem Nichts, woraufhin ich nur den Kopf schüttelte und zu ihm hinauf schaute. "Du magst kein Weihnachten, ich mag kein Weihnachten mehr. Aber es ist ein offizieller Feiertag, an dem jeder das Recht haben sollte, glücklich zu sein. Ich wette, hätte ich mich nicht zu dir gesetzt, wärst du zu Hause ins Bett gegangen, hättest deine Zeit mit Serien, Filmen oder zocken verbracht. Hättest du mich nicht mit deinen Augen zu dir gerufen, wäre ich gar nicht erst erschienen. Vielleicht sollten wir uns treffen, wer weiß? Wie auch immer, es ist egal. Jedenfalls denke ich, wenn wir schon hier sind, dass wir wenigstens glücklich sein sollten. Wie wär's, hast du Lust, ein tolles Weihnachtsfest mit mir zu verbringen?"
In seinen Worten versunken, war ich zunächst kurz erschrocken, als wieder Stille die Macht zwischen uns übernahm. Seine Stimme klang so toll, das Geräusch der weit entfernten Autos, und der von Weihnachtsmärkten kommenden Musik war demnach das genaue Gegenteil.
Ohne lange überlegen zu müssen, nickte ich. Tim grinste und freute sich offensichtlich. "Ich habe seit Jahrhunderten kein Weihnachten mehr gefeiert!" Er wirkte wie ein kleines Kind, welches gerade sein langersehntes Geschenk geöffnet hatte. "Jahrhunderte scheint mir etwas zu übertrieben", meinte ich leicht lachend. Tim schob fragend eine Augenbraue nach oben, bis er verstand und schnell "gefühlte Jahrhunderte natürlich" hinzufügte.
Ich lächelte ihn an, bevor er los ging, und mich hinter sich her winkte. Natürlich folgte ich ihm, und er führte mich auf einen weiteren Weihnachtsmarkt, welcher jedoch deutlich kleiner war, als der, auf dem wir aufeinander gestoßen waren.
Wir kauften gebrannte Mandeln, Schokofrüchte und heißen Kakao. Als wir die leere Tasse zurück zu der 'Bar' brachten, und die Früchte aufgegessen hatten, gingen wir zu dem großen, dezent geschmückten Weihnachtsbaum der Stadt und setzten uns zusammen davor. Still aßen wir die Mandeln und blickten auf den leuchtenden Baum.
Als ich plötzlich müde wurde, und meine Augen letztendlich nicht mehr aufhalten konnte, fielen sie endgültig zu und ich knickte ein. Wie dies bei dieser Kälte möglich war, fragte ich mich auch, als ich später wieder aufwachte. Fragen wie "Wieso war ich so müde gewesen?" oder "Wie lange hatte ich hier nun im sitzen mit Schlafen verbracht?" stellten sich mir, und als ich mich umdrehte, um zu schauen, was mit Tim war, war niemand mehr zu sehen. Sofort hellwach drehte ich mich um und suchte den Platz nach ihm ab, doch keine Spur von irgendwem. Die Lichter des Weihnachtmarkts waren inzwischen aus, nur noch der Baum vor mir erhellte die dunkle Nacht. Jedoch brachte mir diese Erleuchtung rein gar nichts.
Die Menschen bewiesen mir immer wieder aufs neue, dass es nichts mehr an ihnen gab, woran man glauben könnte. Immer wieder verrieten sie mich, ließen mich im Stich.
Mein Handy hatte ich natürlich nicht dabei, weswegen ich nicht mal wusste, was die jetzige Uhrzeit war. Enttäuscht, und auch ein bisschen voll Wut, stieg ich auf und tastete meine Jackentasche nach meinem Wohnungsschlüssel ab, welchen ich auch direkt kalt an meinen Fingern spürte. Danach suchte ich mir meinen Weg nach Hause, jedoch hatte ich keine Ahnung, wo ich war, und wohin ich musste. Sentimental, wie ich nun mal war, kamen mir langsam die Tränen, welche mir nun heiß über die kalten Wangen rannen. Ich hatte mir nach Tims Worten ein wirklich schönes Weihnachtsfest vorgestellt, und nun endete die Nacht so, wie jede meiner Nächte - erneut ertrank ich an meinen eigenen Tränen. Mein Mund füllte sich langsam mit dem Geschmack von Salz.
Was ich jedoch nicht wusste, war, dass mich Tim gar nicht verraten hatte. Er hatte wirklich versucht, mir das schönste Fest zu bereiten, er hatte mir die Sachen gekauft, mich abgelenkt. Doch eigentlich, war er nie wirklich auf der Erde gewesen. Er war nicht real. Hätte ich gewusst, dass er bloße Einbildung gewesen war, die durch meine Schuld wieder verschwunden war, würde es mir jetzt wohl besser gehen. Oder auch doch nicht?
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