15. Türchen
Heute erwarte euch der OS der Lieben @deadlyjoshler
Viel Spaß beim Lesen!
Der Regen, welcher Jano umgab, war ein Rauschen in seinen Ohren.
Er war später dran als sonst – wenn es nicht schon kurz vor fünf gewesen wäre, würde er jetzt nicht
rennen, und seine Kleidung wäre auch nicht nass.
Natürlich war es Sammys Schuld, sie hatte einfach nicht aufhören können, zu reden, und Jano konnte sie
nicht noch mehr vernachlässigen, als er es sowieso schon tat. Außerdem ging es ihr schlecht, Sammy ging
es immer schlecht, aber heute war es schlimmer gewesen als sonst. Nicht, dass sie irgendwann mal mit
Jano darüber sprach, sie redete lieber über andere Dinge. Sie redete viel.
Hoffentlich würde das als Grund für Janos Verspätung reichen. Es war dumm, klar, aber es war die
Wahrheit, immerhin.
Normalerweise bog er um kurz nach vier in den kleinen Feldweg ein, und um kurz nach vier kam er an
der Holzhütte ganz am Ende des Weges an, wo Nathan schon auf ihn wartete.
So war es bis jetzt immer gewesen, und Jano hasste sich selbst dafür, dass es heute eben nicht so war.
Aber Sammy hatte fast geweint, und er hatte schon das Treffen mit ihr letzte Woche Mittwoch abgesagt,
nur für Nathan.
Natürlich tat das einen Scheiß um seine Schuldgefühle zu mindern. Ganz im Gegenteil, jetzt fühlte er sich
noch schlechter, weil er wie verzweifelt nach einer Begründung für seine Verspätung suchte.
Immerhin war Nathan auf ihn angewiesen. Auf Jano. Und seine Geschichten.
Und Jano war auf Nathan angewiesen, irgendwie. Nur auf Nathan.
Jano stoppte vor der Tür der kleinen Holzhütte (es war ein Wunder, dass sie noch stand, wirklich; es war
ein Wunder, dass sie überhaupt stand) und atmete tief durch. Sein Herz schlug wie verrückt, sowohl von
seinem Mörder-Sprint als auch vor lauter Aufregung. Er sollte keine Angst vor Nathan haben, das wusste
er, und er hatte es auch nicht.
Der Regen prasselte noch immer erbarmungslos auf ihn herunter, es war ekelig, seine Kleidung klebte an
seiner Haut und plötzlich war sich Jano sicher, dass Nathan nicht nur wegen seiner Verspätung, sondern
auch wegen seines Auftretens das Gesicht verziehen würde – Nathan sprach nicht viel, aber sein
Gesichtsausdruck reichte oft als Antwort.
Trotzdem zwang sich Jano dazu, die Tür zu öffnen und in die Holzhütte zu schlüpfen.
Es war dunkel, wie immer. Nicht komplett, Jano konnte die Umrisse der vielen Decken und Kissen, die er
im Laufe der Zeit hierher gebracht hatte, erkennen, und den Stuhl. In der Ecke lag ein Strick auf dem
Boden. Den sah Jano nicht, er wusste einfach nur, dass er da war. Er hatte ihn ja selbst für Nathan
abgehangen und dort hingelegt.
Nathan stand in der anderen Ecke. Jano hasste es, das zu denken, aber er war noch übersehbarer als der
Stuhl. Manchmal, an schlechten Tagen, wirkte Nathan nur wie eine Silhouette.
»Hey«, sagte Jano leise und schloss die Tür hinter sich. Das laute Rauschen des Regens verstummte ein
wenig.
»Tut mir leid, ich wollte schon früher kommen... Sammy brauchte meine Hilfe.«
Nathan sprach nicht sofort. Er starrte Jano für einen Moment an, dann schüttelte er seinen Kopf und
senkte seinen Blick.
»Schon okay. Ich versteh das. Sie brauchte dich letzte Woche, und... jetzt brauchte sie dich wieder. Das
ist okay.«
Jano wusste, dass es nicht okay war. Jeder hätte das bemerkt. Manchmal glaubte er, dass Nathan verlernt
hatte, wie man seine Gefühle versteckte. Vielleicht redete er deshalb so wenig.
Jano seufzte und ging ein paar Schritte auf Nathan zu; nicht viele, die Hütte war klein.
»Aber... ich war letzte Woche trotzdem hier. Hab Sammy abgesagt, für dich, das weißt du«, erinnerte
Jano. Beide waren still, dann. Irgendwie hätte es sich falsch angefühlt, etwas zu sagen, also setzte sich
Jano auf eines der Kissen und Nathan setzte sich ihm gegenüber.
Am liebsten würde Jano jetzt Nathans Hand nehmen. Er würde das wirklich gerne tun, mehr als alles
andere, so eine kleine Berührung wäre schon genug für ihn. Er dachte oft über so etwas nach, wenn er und Nathan schweigend in der Hütte saßen, oder wenn sie redeten, oder wenn Jano etwas vorlas und Nathan
ihm einfach nur zuhörte.
Aber es ging nicht. Niemals.
»Sie mag dich, echt«, sagte Nathan. Jano schnaubte.
»Woher willst du das wissen?«, fragte er sofort, woraufhin Nathan mit den Achseln zuckte.
»Von dem was du so erzählst, eben«, antwortete er. Er starrte auf den Boden. »Sie behandelt dich so wie
die Charaktere aus den Büchern, die du immer dabei hast.«
Janos Kehle zog sich zusammen.
»Wir sind Freunde«, murmelte er. Da war ein loser Faden an seiner Jeans, an welchem er vorsichtig zog.
»Ich weiß«, sagte Nathan. Dann legte er sich hin und blickte an die Decke.
Seine Augen waren ausdruckslos, aber Jano war trotzdem immer wieder überzeugt davon, etwas in ihnen
zu sehen. Er war sich zwar nie sicher, was genau es war, aber er wusste, dass es heute nichts Positives
sein konnte.
»Ich... hab ein neues Buch dabei«, sagte er zögerlich und öffnete seinen Rucksack. Nathan warf ihm einen
kurzen Blick zu, dann starrte er weiterhin die Decke an.
Er schien nicht begeistert zu sein, und würde Jano ihn nicht schon lange kennen, würde ihn Nathans
abweisendes Verhalten verunsichern. Aber Jano wusste es besser. Er wusste, dass Nathan es liebte, wenn
Jano ihm vorlas.
Nathan hatte mal erwähnt, dass, als er noch lebte, er fast nie gelesen hatte. Er war mehr der Filmmensch
gewesen.
Doch jetzt war er in dieser verdammten Holzhütte gefangen und Jano war sein einziger Kontakt zur
Außenwelt, Jano und seine Bücher. Also hatte er gelernt, seine Augen zu schließen und Jano zuzuhören
und sich vorzustellen, wie es wäre, selbst das Buch in die Hand nehmen zu können.
Er hatte schon fast vergessen, wie sich das anfühlte.
Er hatte schon fast vergessen, wie sich irgendwas anfühlte.
Wie es sich anfühlte, zu fühlen.
Nathan würde weinen, wenn er könnte, aber selbst das funktionierte nicht mehr.
Jano holte das Buch aus seiner Tasche und schlug es auf. Er warf Nathan einen flüchtigen Blick zu, dann
begann er zu lesen.
Und Nathan schloss die Augen. Janos Stimme war ein bisschen höher als das, was er von anderen Jungs
gewohnt war, aber nicht viel. Es war angenehm, ihm zuzuhören, es war eine Stimme, die Nathan niemals
vergessen würde, und das wollte er auch nicht. Auch wenn es unmöglich war, dass Jano mit ihm
zusammen alt werden würde, wollte Nathan für immer seiner Stimme zuhören.
Er war sich sicher, dass, wenn er fühlen könnte, er sich warm fühlen würde. Sein Herz schlüge schneller
und seine Hände würden schwitzen. Einfach nur, weil Janos Stimme so schön war.
Manchmal stellte Nathan sich vor, wie es wäre, Jano berühren zu können. Er fragte sich, ob Janos Hände
weich waren und ob er warm war, ob es angenehm war, ihn zu umarmen. Wie fühlte sich Janos Haut an?
Oder seine Lippen? Nathan dachte oft über seine Lippen nach. Über so etwas hatte er noch nie zuvor
nachgedacht, andere hatten ihn noch nie interessiert, es war ja nie jemand da gewesen.
Und jetzt war Jano hier, direkt vor ihm, bei ihm, und seine Stimme war so verdammt schön.
Wie wäre es gewesen, wenn sie sich getroffen hätten, als Nathan noch gelebt hatte? Was wäre passiert?
Wäre überhaupt etwas passiert?
Dieser Gedanke machte Nathan Angst, manchmal.
»Hörst du mir überhaupt zu?«
Nathans Kopf schoss nach links und sein Blick traf Janos.
»Ja, klar«, antwortete er. Jano zog die Augenbrauen hoch, und für einen Moment sah er vorwurfsvoll aus,
aber dann bemerkte Nathan das leichte Lächeln auf seinen Lippen.
»Oh«, machte Nathan.
»Was, 'Oh'?«, fragte Jano und legte den Kopf leicht schief.
Du bist schön, irgendwie. Ich weiß nicht so genau warum, aber ich möchte dich anfassen können.»Sind Sammys Hände weich?«
Jano zog seine Augenbrauen noch weiter hoch.
»Wie bitte?«, fragte er, »Wie kommst du darauf?«
Nathan zuckte mit den Achseln, dann drehte er seinen Kopf weg und starrte erneut an die Decke. »Weiß
nicht«, nuschelte er. Hätte er noch fließendes Blut in seinen Adern, würde es jetzt in sein Gesicht
schießen.
Dann war es still. Das passierte häufig, und es war so verdammt unangenehm – Nathan stellte seltsame
Fragen über Sammy oder über Jano und seinen Alltag und danach war es quälend ruhig.
Jano stieß einen Seufzer aus und klappte das Buch zu. »Ich nehme mal an, wir sind fertig hiermit«,
murmelte er und hob das Buch kurz an, dann ließ er es wieder in seinem Rucksack verschwinden.
Nathan sagte noch immer nichts, und nach kurzem Überlegen beschloss Jano, dass es wahrscheinlich das
beste wäre, zu gehen.
Wahrscheinlich.
»Wo gehst du hin?«, fragte Nathan sofort, nachdem Jano aufgestanden war.
»Nach Hause. Ist schon ziemlich spät«, meinte Jano nur. Er war kurz davor, es Nathan zu sagen. Wie
verletzend sein Schweigen war. Wie unglaublich gerne Jano bei ihm bleiben und mit ihm über alles reden
würde, aber es ging einfach nicht, weil Nathan irgendwie so fern war, obwohl er hier direkt vor Jano auf
dem Boden lag.
Es war doch nicht Janos Schuld, dass die Dinge so waren wie sie waren, er konnte nichts dafür, dass
Nathan hier gefangen war, scheiße, er konnte nichts dafür, dass sie sich nicht berühren konnten, dass
Nathans Hand einfach durch seinen Körper gehen würde, einfach so, Jano konnte es noch nicht einmal
erklären, und er konnte definitiv nichts dafür dass er sich nur bei Nathan in dieser dummen, kalten
Holzhütte wohlfühlte, scheiße, er konnte doch nichts dafür.
»Okay«, sagte Nathan nur, »Okay, wenn du das so möchtest.«
Ich möchte dich anfassen, dachte Jano.
»Ja«, sagte er, »Ja, gut.«
Es dauerte eine Weile, bis Jano wieder den altbekannten Weg langlief, um zur Hütte zu kommen.
Es dauerte so lange, dass die Sonne wieder schien. Jano fror trotzdem, fast noch mehr als an dem Tag, an
dem es so geregnet hatte.
Er klopfte, wartete aber nicht auf Nathans Antwort. Diesmal ignorierte er sogar das Kribbeln in seinem
Bauch, dass Zerren und das Drehen und die Gänsehaut auf seinen Armen.
Nathan saß hinten an der Wand und starrte auf den Boden mit den gleichen, leblosen Augen wie sonst
auch. Es brach Janos Herz ein bisschen, das tat es jedes Mal.
Nathan hatte das nicht verdient. Er sollte am Leben sein, er sollte Jano berühren und draußen rumlaufen
können.
»Hey«, sagte Jano und schloss die Tür. Er erwartete keine Antwort von Nathan.
Umso überraschter war er, als er eine bekam.
»Wo warst du so lange?«
Und für einen Moment dachte Jano, so etwas wie Sorge in Nathans Stimme hören zu können.
Konnte Nathan überhaupt fühlen?
Jano war sich nicht sicher.
Manchmal wünschte er sich, dass Nathan es nicht konnte. Einfach aus Angst, dass er nicht das Gleiche
wie Jano fühlte.»Ich hab dir was mitgebracht«, murmelte Jano und ignorierte Nathans Frage.
Stattdessen setzte er sich ihm gegenüber auf den Boden und rieb seine freie Hand an seinem Hosenbein –
verdammt, jetzt war er doch nervös geworden.
Nathan sagte wieder nichts, aber dafür sah er Jano aufmerksam an, was seine Aufregung nicht unbedingt
minderte.
»Okay, gut... Ich zeig es dir einfach«, sagte Jano dann noch leiser und senkte seinen Blick auf das Heft in
seinem Schoß. Seine Hand zitterte, als er es aufschlug.
Scheiß Gefühle, wirklich.
Nathans Blick war auf ihn gerichtet.
»Es ist nicht immer einfach, glaube ich, das wird es niemals sein, und ich würde lügen wenn ich sagen
würde, dass das nicht schlimm ist.
Es ist schrecklich, wirklich, und es ist verdammt unfair. Wieso du? Wieso ich? Keine Ahnung, aber so ist
es nun einmal. Wir hätten uns ja nicht zu einem 'Wir' zusammentun müssen, richtig? Manchmal will ich
es verstehen, wieso es ausgerechnet so sein muss, aber ich kann es nicht.
Also alles was mir bleibt ist die Dunkelheit und meine Träume, alles was ich machen kann ist meine
Augen fest zuzukneifen und mir vorzustellen, wie es wäre, deine Hand in meiner zu spüren. Und
manchmal fühlt es sich echt an, manchmal denke ich, du wärst wirklich da, und dein Daumen würde über
meinen Handrücken streichen, ganz sanft und fast unbemerkt.
Und manchmal stelle ich mir vor wie es wäre, dich dabei zu erwischen, wie du mich anstarrst, nicht weil
ich etwas Komisches gesagt habe, sondern einfach so, weil du nicht anders kannst. Weil du Angst hast,
dass ich mich in Luft auflöse, wenn du nicht lange genug starrst, dass deine Augen alles sind, was mich
noch hier hält, dass du etwas verpassen könntest, irgendeine kleine Bewegung, ein kleines Detail, weil du
alles sein und haben möchtest, was ich bin.
Kannst du dir das auch vorstellen? Wenn du einen Herzschlag hättest, glaubst du, er würde schneller
werden, wenn ich da wäre?
»Und wenn ich dann im Bett liege, im Dunklen, und über uns nachdenke, ja, ich denke über ein uns nach,
dann frage ich mich, was alles möglich wäre, wenn du einen hättest. Einen Herzschlag.
Vielleicht würdest du nicht nur meine Hand halten. Vielleicht würdest du deine Arme um meinen Rücken
schlingen und mich umarmen, und dann könnte ich deine Wärme spüren und deinen Duft riechen, und
vielleicht würde ich manchmal sogar weinen, einfach nur, weil es so schön wäre.
Denkst du auch manchmal darüber nach? Willst du das auch haben?
»Du würdest mich umarmen, und ich würde meine Stirn gegen deine lehnen, und deine Hände würden
versuchen, nach meiner Wärme zu greifen bis sie meine Wangen fänden, und vielleicht, vielleicht
würdest du dann lächeln. Du würdest mich anlächeln, weil ich alles bin, was du jemals wolltest, und ich
würde zurück lächeln, weil du so schön bist.
Und dann würdest du mich küssen. Stell dir das mal vor. Kannst du das? Verrückt, oder?
Das ist alles was ich möchte. Deine Wärme, deinen Körper spüren. Deine Lippen. Ich glaube, sie wären
ein bisschen rau, aber das ist okay. Meine sind weich, weißt du? Meine Hände sind klein und sanft, wie
Samt, sagt Sammy immer. Und mein Körper ist warm. Damit du es weißt.
Versuch dich daran zu erinnern, wie es sich anfühlt, wenn man an einem eiskalten Wintertag zurück nach
Hause kommt, ins Warme. Oder wenn die Sonne auf deine Haut scheint. Und jetzt stell dir vor, diese
Wärme bin ich. Jetzt stell dir meinen Atem auf deinem Gesicht vor und meine Hände in deinen und sag
mir, was du fühlen würdest, okay? Kannst du dir das vorstellen, Nathan?«
Jano hatte aufgehört zu zittern, als er das Heft wieder zuklappte.
Er konnte nicht aufsehen. Er konnte einfach nicht, nicht mit den Tränen, die in seinen Augen brannten,
und dem unglaublichen Schmerz in seiner Kehle, und dann dieser verdammten Leere in seinem Bauch.
Es war so unfair.
»Schau mich an«, flüsterte Nathan. Jano hob seinen Kopf langsam.
Als er das Glitzern in Nathans Augen und das Zittern seiner Unterlippe bemerkte, wusste er es.
Er wusste, dass Nathan es sich für den Moment vorstellen konnte.
Er wusste, dass Nathan es fühlen konnte, für einen Moment.
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