10. Türchen
Heute erwartet euch der OS der lieben @thesparkleinyoureyes
Viel Spaß beim Lesen!
Was Weihnachten Ist
Stegi hasste Weihnachten.
Stegi hasste den Winter und die Kälte.
Wie jeder hatte er es bald satt, auf den gefrorenen Straßen auszurutschen, sich mit schmerzenden Gliedern aufzurichten und zu hoffen, dass niemand seine Tollpatschigkeit zur Kenntnis genommen hatte. Außerdem mochte er es nicht, kratzige Pullover zu tragen und trotz Mantel, Schal und Mütze schrecklich zu frieren.
Stegi hasste die Geschenke.
Es stresste ihn, einkaufen zu gehen, sich durch die lauten Menschenmassen zu kämpfen und letztendlich doch allein kitschige Weihnachtsmänner und Rentiere zu finden. Dazu fand er es einfach nur furchtbar, jedes Jahr Socken von seiner Oma zu bekommen und so tun zu müssen, als würde er sich unwahrscheinlich darüber freuen.
Stegi hasste den Regen.
Es gefiel ihm ganz und gar nicht, sich weiße Weihnachten zu wünschen und trotzdem immer nur braunen Matsch zu erhalten. Darüber hinaus konnte es nicht leiden, von Kopf bis Fuß komplett durchnässt zu sein und seine neuen Schuhe dreckig zu machen.
Also hatte Stegi das ganze Jahr lang gehofft, Weihnachten würde dieses Mal ausfallen, aber, wie zu erwarten, war die Zeit trotzdem gekommen.
Der Junge hatte den Großteil des Dezembers in seinem Zimmer verbracht und sich dort mehr oder weniger erfolgreich vor allem weihnachtlichen versteckt. Anfang des Monats war seine Mutter mit einer Schneekugel und drei kleinen, glitzernden Sternen in sein Zimmer gekommen, um dieses zu dekorieren, was er ihr allerdings kompromisslos verboten hatte. Irgendwann hatte sein Vater vorgeschlagen, zusammen einen Weihnachtsbaum kaufen zu gehen, doch auch das hatte Stegi dankend abgelehnt. Während seine Freunde gemeinsam shoppen gegangen waren, war er zu Hause geblieben und hatte sich über Skype mit Tim über alles Mögliche unterhalten - außer Weihnachten.
Es schien beinahe, Stegi hätte Weihnachten dieses Jahr erfolgreich aus seinem Leben verdrängt.
Als er an diesem Morgen aufwachte, hätte er sich am liebsten seine Decke über den Kopf gezogen und weitergeschlafen.
Es war ein Tag vor Heiligabend.
Völlig demotiviert schlurfte Stegi in die Küche und begnügte sich mit einem Stück kalte Pizza von gestern als Frühstück. Missmutig sah er aus dem Fenster, starrte den grauen, wolkenverhangenen Himmel an und seufzte. Die Straßen waren verlassen und eine riesige, braune Pfütze befand sich direkt vor dem Nachbarhaus.
Stegi spielte mit dem Gedanken, sich tatsächlich wieder in seinem warmen Bett zu verstecken, doch dann klingelte es und, weil er alleine Zuhause war, musste er sich wohl oder übel aufraffen.
Gelangweilt öffnete er die Tür, riss aber, als er die Person im Treppenhaus erkannte, überrascht die Augen auf.
"Frohe Weihnachten!", die Lippen des Jungen zierte ein breites Lächeln und er trat einen Schritt auf Stegi zu: "Überraschung!"
Dieser erwachte aus seiner Starre und schloss den unerwarteten Besuch in seine Arme: "Tim!"
"Was machst du denn hier?", murmelte Stegi in den dicken Stoff von Tims Mantel.
Tim schob den Blonden von sich, ließ seine Hände aber auf dessen Schultern liegen: "Wonach sieht's denn aus? Ich besuche dich. Da kannst du dich bei deiner Mutter bedanken, die meinte, ich solle dir Weihnachten schmackhaft machen."
Tim grinste verschmitzt und imitierte die hohe Stimme von Stegis Mutter: "Der Junge kommt ja kaum noch aus seinem Zimmer, ich sag's dir, Tim. Ich weiß echt nicht mehr weiter."
Lachend verdrehte Stegi die Augen und ging dann ein Stück zur Seite, um Tim die Möglichkeit zu geben, einzutreten, doch der schüttelte nur den Kopf.
"Zieh dich warm an, ich zeig' dir jetzt, was Weihnachten ist. Ich bin doch nicht den ganzen Weg hierhergekommen, damit wir drinnen hocken", Tim gab Stegi einen Schubs in Richtung Garderobe.
Widerwillig tat dieser wie ihm geheißen, stand kurz darauf in Jacke, Mütze und Handschuhe gepackt neben Tim und schon befanden sich die beiden draußen in der eisigen Kälte.
"Wohin gehen wir?"
"Wirst du sehen", Tim verlangsamte seinen Gang, damit Stegi keine Schwierigkeiten hatte, mitzuhalten: "Ich hab' extra den ganzen Weg auf meinem Handy geplant. Hoffen wir nur, dass ich ihn nicht wieder vergesse..."
Sich angeregt unterhaltend wanderten die beiden die belebten Straßen entlang, fuhren ein Stück mit der U-Bahn, bis Tim vor einem großen Gebäude stehen blieb.
Verwirrt deutete Stegi auf das Geschäft: "Du willst shoppen gehen? Ernsthaft? Ohne mich, da mach' ich-."
Tim jedoch ließ ihn gar nicht erst ausreden, sondern nahm seine Hand und zog ihn energisch hinter sich her.
Drinnen wurden sie von einem angenehm warmen Schwall Luft empfangen. Zielstrebig suchte sich Tim seinen Weg durch die gestressten Menschen, achtete stets darauf, dass Stegi bei ihm blieb, und schien irgendwann dann endlich angekommen zu sein. Die Freunde standen vor einigen Kleiderständer, an denen massenhaft Pullover mit weihnachtlichen Motiven hingen.
"Da sind wir", Tim lächelte und ließ Stegis Hand, die er die ganze Zeit festgehalten hatte, los, um nach dem erstbesten Sweater zu greifen. Ein riesiger Schneemann war darauf abgebildet.
"Na, was meinst du?"
Heftig schüttelte Stegi den Kopf: "Auf gar keinen Fall! Lass uns einfach wieder nach Hause gehen."
Tim sah den Blonden aus seinen klugen braunen Augen ernst an, legte den Kopf leicht schief, als würde er angestrengt über etwas nachdenken und versuchen, es zu verstehen, und augenblicklich wusste Stegi, dass er keine Chance hatte.
"Na gut", seufzend wandte er sich den fürchterlich kitschigen Pullovern zu und kurze Zeit später machten die zwei sich auf den Weg zu den Umkleidekabinen.
Als erstes probierte Stegi einen roten Hoodie, auf dem ein Rentier und die Worte "Merry Christmas" gedruckt waren, an, den Tim für ihn ausgesucht hatte. Ein Blick in den Spiegel genügte und ihm war klar, dass er unglaublich lächerlich aussah, aber, als dann Tim aus seiner Umkleidekabine kam, war das plötzlich nicht mehr schlimm, denn auch der Braunhaarige schaute furchtbar an. Einen Moment starrten die beiden sich an, dann war es um sie geschehen und sie brachen in Lachen aus. Bald schmerzten Stegis Bauch und seine Wangen, während Tim vor Lachen beinahe zu weinen schien: "Du siehst echt scheiße aus."
Grinsend boxte Stegi seinen Freund gegen den Arm: "Kann ich nur zurück geben."
Auch über die nächsten Pullover, die die zwei anzogen, konnten sie nur lachen. Letztendlich endschied sich Stegi für einen Sweater, auf dem eine Katze mit einer Weihnachtsmütze abgebildet war, und Tim wählte einen schwarzen Hoodie mit einem geschmückten Weihnachtsbaum. Beide waren ganz schön kitschig, aber Tim bestand darauf, dass sie etwas kauften ("Du musst an Weihnachten doch was Gescheites zum Anziehen haben!") und außerdem bezahlte er sie, also fügte Stegi sich seinem Schicksal.
Schließlich verließen sie das Geschäft und spazierten nun wieder durch die Kälte.
Weil sie mittlerweile ziemlich hungrig waren, kauften sie sich auf dem Weg zwei Waffeln, die sie innerhalb von wenigen Minuten verschlangen.
"Wo geht's jetzt eigentlich hin?", wunderte sich Stegi.
Geheimnisvoll zuckte Tim mit den Schultern: "Wart's ab."
Eine Weile schwiegen sie, dann räusperte sich Stegi: "Ich find's übrigens schön, dass du da bist."
"Ich auch", Tim lächelte und seine Grübchen kamen zum Vorschein: "Irgendwie schade, dass wir uns nur so selten sehen."
"Ja", Stegi seufzte - die Entfernung zwischen ihnen war einfach zu weit, das war nicht fair.
Bevor die Stimmung der zwei jedoch schlecht werden konnte, deutete Tim auf die mit bunten Lichterketten geschmückte Straße vor ihnen: "Wir sind da!"
Kritisch betrachtete Stegi das Treiben in seinem Blickfeld: "Ist das der Weihnachtsmarkt? Da werd' ich garantiert nicht hingehen, Tim, das kannst du vergessen! Du weißt doch, was ich von all diesem weihnachtlichen Gedöns halte!"
Zwei Minuten später stand Stegi inmitten von Glühwein, Lebkuchen und Tannenbäumen. Er hatte keine Ahnung, wie Tim das geschafft hatte, aber er wusste, dass es irgendwas mit dessen klugen braunen Augen zu tun hatte, mit denen er Stegi stets aufmerksam beobachtete, und dessen sanfter, tiefer Stimme, der Stegi kaum widersprechen mochte. Lächerlich war das.
Tim schien mit seiner Arbeit bis jetzt ziemlich zufrieden zu sein und trug pausenlos dieses verschmitzte Lächeln auf seinen Lippen.
Gemütlich schlenderten die beiden von Bude zu Bude, besahen sich die in Massen vorhandene Weihnachtsdekoration und sogen den Duft von Zimt und Tannengrün in sich auf.
Anfangs gab Stegi hin und wieder sarkastische Kommentare zu dem ein oder anderen ab, doch nach einer Weile schien die friedliche, weihnachtliche Atmosphäre ihn anzustecken. Krampfhaft versuchte er immer wieder, sich daran zu erinnern, dass er Weihnachten hasste, aber dann stand da Tim neben ihm, der sich mit begeistert leuchtenden Augen einen winzigen handgefertigten Engel ansah und dessen Wangen und Nase wegen der Kälte gerötetet waren, und all der Hass schien so dumm und unnötig.
Denn Weihnachten ist nicht das Lametta, nicht "Last Christmas", nicht der Gänsebraten, nicht der Adventskranz.
Und vor allem ist Weihnachten kein Hass.
Weihnachten ist einzig und allein Liebe.
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