noch 3 Stunden
Das Erste was sie wahrnimmt als sie ihre Augen öffnet, ist der unverkennbare Geruch von Josh. Er liegt neben ihr, die Arme fest um sie gelegt. Sein Gesicht ist in ihren Haaren vergraben. Er atmet langsam und gleichmäßig.
Sofie richtet sich auf und sieht sich um. Sie und Josh liegen auf dem Teppich des Wohnzimmers der Jordans. Joshs Schwester Cecilia hat sich auf dem Sessel zusammengerollt und ist ganz offensichtlich auch eingeschlafen. Ihre Augen sind ähnlich rot und verquollen wie Sofies. Auch Cecilia hat Angst, Angst vor dem Ende. Trotzdem sieht sie in ihrem Schlaf aus, wie eine anmutige Prinzessin. Obwohl Cecilia zwei Jahre jünger als Sofie ist, hat diese immer zu ihr aufgeschaut. Cecilia ist schön, auf eine Weise, auf die es Sofies niemals sein kann. Cecilia ist nicht nur äußerlich schön, sondern auch innerlich. Sie ist so unschuldig, wie Sofie es sich nur wünschen könnte. Cecilias Familie ist perfekt. Sie hat einen Vater und eine Mutter, die sie über alles lieben und ihr fast jeden Wunsch erfüllen und einen wundervollen Bruder, der immer für sie da ist und sie vor jedem beschützt. Sofie hat sich oft einen großen Bruder gewünscht, der für sie da ist. Vielleicht ist das der Grund, weswegen sie sich in Josh verliebt hat.
Sie lässt ihren Blick weitergleiten. Felix liegt auf der Couch. Auch er schläft. Sie beobachtet ihn eine Weile. Seine Liebeserklärung hat sie verunsichert. Auch wenn er ihr versichert hat, es wäre alles in Ordnung zwischen ihnen, er würde nichts - erst recht keine Erwiderung seiner Gefühle - von ihr erwarten, fühlt sie sich schuldig, dass sie mit Josh zusammen ist. Sie liebt Josh - daran gibt es keinen Zweifel - aber seit dem Kuss mit Felix vor einem Jahr, ist sie zwiegespalten. Bisher hat sie ihre kleine Schwärmerei für Felix mit dem einfachen Gedanken, dass er ganz sicher nicht genauso empfindet, abtun können. Doch wie soll sie jetzt - nachdem Felix ihr von seinen Gefühlen erzählt hat - je wieder Josh küssen, ohne dabei an Felix zu denken. Klar, so oft wird sie Josh nicht mehr küssen können, immerhin ist es schon fast elf Uhr abends. In zweieinhalb Stunden soll der Asteroid auf die Erde treffen.
Vorsichtig befreit sich Sofie aus der Umarmung von Josh, steht auf und tritt auf die Terrasse. Mit dem Blick gen Himmel setzt sie sich in einen der Gartenstühle. Nach einer Weile hört sie Schritte hinter sich. Josh steht in der Tür und mustert sie mit einem so liebevollen Blick, dass Sofie warm ums Herz wird.
»Weißt du eigentlich wie schön du bist?«, fragt Josh in die Stille zwischen ihnen und kommt einige Schritte auf sie zu. »Ich habe solch ein Glück, dass du zu mir gehörst.«
Sofie lächelt, aber sie ist sich nicht sicher, ob sie dasselbe empfindet. Felix' »Ich liebe dich« schwirrt ihr im Kopf herum. Sein Gesicht schwebt wie eingebrannt vor ihrem inneren Auge.
»Ich habe Angst.«, sagt sie leise. »Ich habe Angst zu sterben.«
»Ich auch.«, gibt Josh zu und bedeutet ihr aufzustehen. Als sie steht, schiebt er sich an ihr vorbei, setzt sich auf den Gartenstuhl und zieht sie dann auf ihren Schoß. Sofie lehnt ihren Kopf an seine Schulter. »Was meinst du was nach dem Tod kommt? Glaubst du an den Himmel?« Ihre Eltern sind religiös, aber Sofie selbst hat nie viel mit dem Glauben an Gott anfangen können.
»Ich weiß es nicht«, erwidert Josh und vergräbt sein Gesicht an ihrem Hals. »Ich glaube nicht, dass wir einfach nicht mehr existieren. Ich glaube, unser Leben endet hier nicht, sondern geht in irgendeiner Form weiter. Und ich glaube daran, dass wir uns wiedersehen. Wo auch immer.«
»Glaubst du an die wahre Liebe?«, fragt Sofie vorsichtig nach. »Also, an die eine wahre Liebe? An Seelenverwandtschaft?«
Josh drückt ihr einen Kuss auf den Hals. »Wenn ich »Nein« sage, bist du dann eingeschnappt?«
»Nein, bin ich nicht.« Sofie lächelt leicht, als seine Lippen sich einen Weg bis zu ihrem Mund küssen.
»Glaubst du denn daran?«, fragt Josh.
»Natürlich. Das ist doch die romantischste Vorstellung schlechthin. Dass es den einen gibt, nur den einen. Und niemand anderen.« Sofie merkt selbst, dass ihre Stimme ein wenig zu hoch klingt, aber Josh scheint nichts zu bemerken.
»Bin ich es denn?«, fragt er und gibt Sofie einen langen, liebevollen Kuss, der sie förmlich dahinschmelzen lässt. »Der eine für dich, meine ich?«
Für einen Moment mustert sie ihren Freund. Josh, mit dem sie schon so viele Krisen gemeistert hat. Josh, der immer für sie da ist. Josh, der ein viel besserer Mensch als sie ist.
Dann taucht ein Bild von Felix vor ihrem inneren Auge auf.
»Das bist du.«, flüstert sie in die Dunkelheit und besiegelt ihre Worte mit einem weiteren langen Kuss. Während ihre und Joshs Zunge sich ineinanderschlingen und seine Hände unter ihr Shirt wandern, muss Sofie sich bemühen nicht in Tränen auszubrechen. Die Lüge, die sie ihrem Freund erzählt hat, lastet schwer auf ihr. Josh ist nicht der Eine. Vielleicht noch nicht mal der Richtige.
Aber das wird sie ihm nicht sagen. Sie belügt ihn, obwohl sie ganz genau weiß, dass er es nicht verdient hat. Er sollte nicht mit einer Lüge im Kopf sterben.
Aber sie sagt nichts. Sie behält ihre Gedanken für sich, obwohl sie weiß, dass es ein Fehler ist. Nicht ihr Erster.
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Am Ende dieses Kapitel sind es nur noch zwei Stunden, die die (meisten) Charaktere dieser Kurzgeschichte zu leben haben. Welchen der Charaktere mögt ihr bis jetzt am meisten? Welche Geschichte hat euch am besten gefallen / am meisten geschockt / berührt?
Über ein paar Kommentare würde ich mich sehr freuen. Natürlich nehme ich auch immer gerne Kritik zu meiner Kurzgeschichte an!
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