noch 11 Stunden
»Hallo Finn!« Ohne auch nur die geringste Reaktion auf die freudigen Worte sieht Finn seine Ex-Freundin Melanie an. Auch ihr strahlendes Lächeln kann ihn nicht dazu bringen, ihr die Tür weiter zu öffnen. Es ist halb drei. Eigentlich sollte er mit seinen Eltern im Wohnzimmer sitzen und den leckeren Kuchen genießen, den seine Mutter gemacht hat. Stattdessen traut er sich noch nicht mal in die Nähe des Wohnzimmers. Es ist nicht so, dass er an der Kaffeerunde nicht teilnehmen wollen würde, aber er will seiner Familie den Tag nicht noch zusätzlich versauen. Seit der Trennung von Melanie hat es keinen Tag gegeben an dem er behaupten konnte, er wäre glücklich gewesen.
»Was willst du?«, fragt er kühl.
»Ich dachte, wir könnten vielleicht reden.« Melanies breites Lächeln fällt in sich zusammen. Auf einmal sieht sie unheimlich mitgenommen und schuldbewusst aus. Es fällt Finn schwer den Kopf zu schütteln.
»Bitte Finn. Gib mir zumindest die Chance mich zu erklären.« Ihre Züge sind ihm zu vertraut, als dass er nicht erkennt, dass sie mehr als nur reden und sich erklären will. Trotzdem öffnet er die Tür. Er hat keine Ahnung wieso. Eigentlich hat er nicht vorgehabt, ihr zu verzeihen.
»Meine Eltern sind im Wohnzimmer.«, erklärt Finn ihr. Melanie nickt und steuert die Treppe an. Das ist eines der Dinge, die er an ihr liebt. Er braucht nicht groß erklären was er damit meint, sie versteht ihn auch so. Schon immer - seit der ersten Klasse - ist zwischen den beiden diese spezielle Bindung. Am Anfang ist es nur Freundschaft gewesen, aber in der neunten Klasse haben die beiden sich ineinander verliebt. Kurz darauf sind sie ein Paar geworden. Zwei Jahre lang - bis vor einem Monat - ist alles gut gelaufen. Klar, in ihrer Beziehung gab es hin und wieder ein paar Krisen, aber die haben die beiden immer wieder gemeistert. Vor einem Monat allerdings haben die beiden einen heftigen Streit gehabt, weil Finn vorgehabt hatte, seine letzten Tage mit seiner Familie bei seinen Großeltern in Nordirland zu verbringen. Melanie ist aufgelöst davongelaufen. Er kann verstehen, dass sie ihn in den letzten Tagen um sich haben wollte. Das wollte er ja ebenfalls. Aus diesem Grund hat er seine Eltern noch am selben Abend davon überzeugt, nicht zu fliegen, sondern in Deutschland zu bleiben. Am nächsten Tag hat er durch Cassandra erfahren, dass seine Freundin die Nacht mit Cassandras großem Bruder Connor verbracht hat. Die beiden seien ziemlich laut gewesen. Er weiß, dass Cassandra ihm das nur erzählt hat, weil sie genau wusste, dass Melanie es ihm nie erzählt hätte. Melanie hat es tatsächlich nicht angesprochen, auch wenn Finn ein paar Tage gewartet hat, bis er sie mit seinen Unterstellungen bombardiert hat. Dann ist sie zusammengebrochen. Finn hat mit ihr Schluss gemacht und es nur eine winzige Sekunde lang bereut.
Er weiß, dass Cassandra es ihm nicht mit böser Absicht erzählt hat, trotzdem hat er seine Wut an ihr ausgelassen. Er weiß noch genau, wie er sie angeschrien hat, bis Cassandra stumme Tränen über die Wangen liefen und sie sich stammelnd entschuldigt hat. Danach hat er es bereut und sich seinerseits entschuldigt. Sie hat zwar gesagt, es sei okay, aber Finn ist sich nicht sicher, ob sie das nur so daher gesagt oder wirklich ernst gemeint hat.
Melanie und er kommen in seinem Zimmer an. Wie selbstverständlich setzt sie sich neben ihn auf sein Bett. »Es tut mir leid.«, beginnt sie ohne Umschweife. »Ich weiß, ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht.«
»Allerdings« Finn lacht hart auf. »Das hast du.«
»Wie gesagt, es tut mir leid. Ich war nur so fertig, als wir uns gestritten haben. Die Aussicht darauf, meine letzten Tage ohne dich zu verbringen, hat mich fertig gemacht. Ich brauchte dich und du hattest nichts anderes zu tun als mir zu verkünden, dass du die letzte Woche bei deinen Großeltern verbringen würdest.«
»Mich hat das auch mitgenommen.«, widerspricht Finn. »Ich habe dir gesagt, dass ich noch einmal mit meinen Eltern reden würde. Aber du hattest ja nichts Besseres zu tun als mit Connor in die Kiste zu springen.«
»Ich hatte eben Angst dich zu verlieren« Auch Melanies Stimme wird lauter. »da habe ich Ablenkung gesucht. Es hat mir nichts bedeutet. Das zwischen Connor und mir war rein körperlich.«
»Und wenn schon« Finn spürt wie sich die Wut in jede Pore seines Körpers ausbreitet. »So hast du mich doch auch verloren. Das hätte dir doch klar sein müssen.«
»Du hättest nichts davon erfahren.«, erklärt Melanie und hebt die Hand, als sie sieht, wie die angestaute Wut in Finn an die Oberfläche gelangen möchte. »Nicht, weil ich es dir nicht erzählen würde, wenn ich dich betrogen hätte. Sondern weil es sowieso egal ist. Wir sind am Ende unseres Lebens angelangt. Es zählt nicht mehr, wer wen betrogen hat oder ob eine Beziehung unter normalen Umständen funktioniert hätte, sieh dir doch Parker und Ted an. Die beiden haben sich immer wieder gegenseitig verletzt. Aber am Ende zählt für sie nur, dass sie sich lieben. Und das gilt auch für uns. Ich liebe dich, Finn und du mich auch.«
Finn schluckt und nickt. »Ja, aber - «
»Nichts aber.« Melanie legt eine Hand auf seinen Arm. »Wir lieben uns. Allein das zählt. Der Rest ist nicht wichtig.«
»Meinst du?«, fragt Finn leise. Fast hat sie ihn überzeugt.
»Ja, das meine ich. Ich brauche dich. Ich muss bei dir sein, wenn es vorbeigeht. Ich will noch einmal hören, dass du mich liebst. Dass du mich liebst, trotz allem, was ich getan habe.«
»Mel«, beginnt Finn, stockt kurz und redet dann weiter. »Ich weiß was du glaubst am Ende zähle nur die Liebe. Das gilt vielleicht für dich. Aber für mich nicht. Natürlich, ich liebe dich, sonst hätte mir dein Betrug überhaupt nichts ausgemacht.« Er holt einmal tief Luft. »Aber ich zähle auch. Meine Liebe zu mir selbst ist auch wichtig. Ich möchte mit mir im Reinen sein, wenn ich sterbe. Und das kann ich nicht, wenn ich dir verzeihe.«
Melanie sieht ihn mit einer so herzzerreißenden Miene an, dass er seine Entscheidung am liebsten zurückgezogen hätte. »Finn... « Ihre leise Stimme verliert sich im Raum.
Er schüttelt den Kopf. »Ich würde ja sagen, dass es mir leid, aber das tut es nicht, Mel. Ich habe unsere Beziehung nicht zerstört, das ist ganz allein deine Schuld.« Ohne ein weiteres Wort ist Melanie verschwunden. Er hört ihre Schritte und ihre Schluchzer auf der Treppe, aber er ruft ihr nicht hinterher.
Denn auch wenn er sie liebt, hat er für sich erkannt, dass es nicht zählt, wie sehr er andere liebt. Sondern wie sehr er sich am Ende liebt. Um ohne Reue sterben zu können, muss er sich selbst treu bleiben. Und genau das hat er gerade getan.
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