noch 10 Stunden
Felix beobachtet den Himmel. Er kann nichts außer Wolken sehen, aber er hat trotzdem Angst den Moment zu verpassen, in dem der Asteroid als Punkt in weiter Ferne sichtbar wird. Seit er auf die Terrasse getreten und sich in den gemütlichen Gartenstuhl gelegt hat, hat er die Augen kein einziges Mal vom Himmel abgewandt. Er fragt sich, ob er etwas bereut, was er in seinem bisherigen Leben getan hat. Natürlich gibt es diese Kleinigkeiten, wie die Tatsache, dass er seinem Grundschullehrer ein Furzkissen unter den Hintern gelegt hatte. Dafür hat er einen ellenlangen Aufsatz schreiben müssen und sich geschworen, solche dummen Streiche nie wieder zu begehen.
In diesem Moment fragt sich Felix aber, ob er etwas Großes bereut. Er hat schon viele dumme Sachen getan. Sich hoffnungslos auf einer Party betrunken und mit dem nächstbesten Mädchen geschlafen. Anna verlassen. Anna auf ein Date eingeladen. Das Endspiel im Fußball verhauen. Und mit Sofie rumgemacht. Vermutlich sollte er das bereuen. Mit der Freundin seines besten Freundes rumzumachen ist nichts, worauf man stolz sein kann. Aber Felix bereut es nicht. Auch wenn es ihn die Freundschaft zu seinem besten Freund kosten würde, würde dieser es jemals herausfinden. Er hat nie ein Wort gesagt - weder zu ihr noch zu Josh- , aber mit jeder Sekunde, die er mit Sofie geredet hat, hat er sich mehr in sie verliebt. Ohne etwas dagegen tun zu können.
»Alter, was machst du hier draußen?« Joshua Moller, sein bester Freund, haut ihm freundschaftlich auf den Rücken und lässt sich in den Stuhl neben Felix fallen. »Ich dachte wir wollten alle zusammen auf den Tag anstoßen.«
»Anstoßen?«, fragt Felix »Auf was stoßen wir denn an? Unseren Tod?«
Josh zuckt mit den Schultern. »Nein. Ja. Vielleicht. Sei doch nicht immer so ein Pessimist. Wir sollten unser Leben glücklich enden lassen. Und nicht traurig in einer Ecke sitzen und uns die Seele aus dem Leib weinen. Wir können uns glücklich schätzen, zu wissen wann es soweit ist. Wir hatten Zeit um unsere Träume wahr werden zu lassen. « Felix erwidert nichts. Sein Traum ist keineswegs erfüllt. Ruckartig steht er auf. »Du hast recht.« Mit dieser knappen Antwort verschwindet er im Inneren des Hauses und sucht nach Sofie. Er findet sie gemeinsam mit Joshs Schwester im Wohnzimmer.
»Sofie, könnten wir uns vielleicht kurz unterhalten?«, fragt er, wartet ihre Antwort aber gar nicht ab, sondern spaziert in die Küche davon. Perplex folgt die Freundin seines besten Freundes ihm. Er schließt die Tür hinter ihr.
»Was ist denn los?« Ihre Augen sind rot und verquollen. Am liebsten hätte Felix sie in den Arm genommen, aber er unterdrückt den Instinkt.
»Ich muss dir etwas sagen.«, beginnt er. Vielleicht sollte er das Ganze langsamer angehen, aber er hat keine Zeit. »Ich liebe dich.« Es ist raus. All die Monate, in denen er voller Schmerz dabei zugesehen hat wie Josh und Sofie sich in den Armen liegen, einander küssen, all die Schmetterlinge, die er gefühlt hat, wenn sie ihn angelächelt oder die beiden sich miteinander unterhalten haben und all die Schuldgefühle, die er empfunden hat, wenn seine Gedanken zu ihr gewandert sind, während er seinem besten Freund vorgegaukelt hat, er dächte an eine andere. All das in drei einfachen Worten zusammengefasst.
»Du...Was?« Mit weit aufgerissenen Augen starrt Sofie ihn an. Ihr Mund ist zu einem überraschten »Oh« geformt.
»Ich liebe dich«, wiederholt Felix. Mit einem Mal ist die Unsicherheit wieder da. Gründe, weswegen er das Gesagte zurücknehmen sollte, fliegen durch seinen Kopf.
»Du liebst mich?«, fragt Sofie. Die Überraschung und Überforderung ist ihr anzusehen. »Aber du - «
Felix unterbricht sie. »Ich weiß. Du bist mit Josh zusammen. Das weiß ich. Und das ist okay. Er liebt dich. Du liebst ihn. Das ist mir vollkommen klar. Und du empfindest für mich nicht dasselbe, was du für Josh empfindest. Deine Gefühle für mich sind rein freundschaftlich. Glaubst du das weiß ich nicht, Sofie« Seine Stimme wird immer lauter. Er bemüht sich leiser zu sprechen, als er fortfährt: »Ich weiß ganz genau, wie es zwischen uns sein sollte. Aber ich liebe dich. Und dagegen kann ich nichts tun. Ich habe mich solange gegen diese Gefühle gewehrt, aber das ist unser letzter Tag. Es musste einfach raus.«
»Felix, ich - «
Erneut unterbricht Felix sie. »Sag nichts, Sofie. Das wird mich nur verletzen. Ich wollte es dir einfach nur sagen. Geh raus und genieß die Zeit, die uns noch bleibt mit Josh.«
»Ich will dich aber nicht verletzten.«, bringt Sofie heraus. Tränen stehen in ihren braunen Augen. »Ich kann doch nicht einfach eiskalt mit Josh - «
Erneut unterbricht Felix sie. »Ich habe dir das nicht gesagt, damit du Schuldgefühle hast. Ich wollte das nur für mich tun. Wirklich. Geh raus und sei glücklich.« Die Worte »solange du noch kannst« schweben in der Luft, aber er spricht sie nicht aus. Sofie sieht ihn noch einmal an. »Okay«, murmelt sie dann und geht an ihm vorbei aus der Küche. Felix braucht einen Moment um sich zu sammeln, bevor er ihr zurück ins Wohnzimmer folgt. Auch Josh ist mittlerweile wieder nach drinnen gegangen. Seine Arme umfangen Sofie fast augenblicklich, als sie durch die Tür kommt. Er presst seine Lippen auf ihre und zieht sie dann auf seinen Schoß. Sofies Blick wandert zu Felix, der im Türrahmen steht und die beiden beobachtet. Sie wirkt bekümmert, verwirrt und ein wenig schuldig, als sie ihm für einen Moment in die Augen sieht. Felix lässt seinen Blick zu seinem besten Freund schweifen, der mit beiden Händen sein Mädchen umschlungen hält. Auch er erwidert Felix' Blick. Grinsend. Er ahnt nichts von dem Gespräch, dass Sofie und Felix zuvor geführt haben. »Auf die letzten zehn Stunden!« Mit diesen Worten hebt er sein Sektglas, dass auf dem Glastisch neben ihm steht und prostet in die Runde. Sofie und Xenia - Joshs Schwester - nehmen ebenfalls ihre Gläser vom Tisch und wiederholen Joshs Worte. Auch Felix greift nach einem Glas und spricht den anderen nach.
»Verdammt, ich liebe euch!«, ruft Josh, nachdem er einen kleinen Schluck getrunken hat und lächelt breit in die Runde. Sofies Augen treffen erneut auf Felix'. Sie sieht ihn unsicher an. Er mustert sie einen Moment, dann bilden sich seine Lippen zu einem Lächeln. Das erste Echte, das er zustande bringt, wenn er Josh und Sofie zusammen sieht. Erleichterung, Freude und pures Glück durchströmen seine Adern. Auch wenn es wehtut, seine große Liebe mit seinem besten Freund zusammen zu sehen, ist er mehr als glücklich, dass er endlich den Schritt gewagt hat und ehrlich zu sich selbst, ehrlich zu Sofie ist.
Jetzt gibt es nichts mehr, was er in seinem Leben bereut.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro