3.
20:00
Lt Hernández
13 Jahre.
So lange machte ich diesen Beruf jetzt schon.
Und noch nie, in meiner gesamten Laufbahn als Polizist, war mir so etwas untergekommen!
Als der Notruf im Polizeipräsidium reinkam, waren natürlich sofort alle verfügbaren Einheiten losgeschickt worden.
Als erstes fanden wir einen Haufen verstörter Jugendliche vor, die bereits von Rettungskräften versorgt wurden.
Man berichtete uns von der ungewissen Lage, dass man weder wisse, wer der Täter sei, noch, ob sich noch Leute im Gebäude befanden.
Nicht mal die Theorie von mehreren Schützen war vollkommen auszuschließen.
Wir wurden rund um die Schule aufgestellt, obwohl wir dafür eigentlich zu wenige waren.
Meine Partnerin, Katharina Meyer, war erst vor einem halben Jahr zu uns an die Wache gekommen. Sie und ich hatten mit zwei weiteren Kollegen und zwei Notfallsanitätern einen Standort an der Rückseite des Gebäudes zugewiesen bekommen.
Hier sollten wir also ausharren, bis wir weitere Anweisungen bekämen.
Diese kamen um halb acht.
Meyer und ich wurden von den Posten abgezogen, um bei einer Lagebesprechung teilzunehmen.
Uns wurde mitgeteilt, dass jeder Versuch, mit dem oder den Schützen Kontakt aufzunehmen, fehlgeschlagen waren.
Ein Mädchen sei vor kurzem aus dem Gebäude gekommen zu sein, allerdings war sie höchst verwirrt gewesen und habe von der ganzen Sache zuvor nichts mitbekommen.
Wegen der raren Informationen war das Stürmen der Schule eigentlich keine Option gewesen, allerdings wollte man nun doch einen kleinen Vorstoß wagen.
Meyer und ich waren der kleinen Einheit von ca 10 Leuten zugeteilt, die den vorderen Pausenhof und die Aula überprüfen und sichern sollten.
Ein weiteres Vordringen war untersagt worden.
Wir waren bereits an der Aula angekommen und ein Kollege öffnete die natürlich unverschlossene Türe.
Wir rückten vor.
Die Aula war übersichtlich und konnte somit schnell gesichert werden.
Auch die kurzen Gänge an den Seiten waren kein Problem. Wir verteilten uns also auf die Türen, die von der Aula, die so etwas wie der Mittelpunkt der Schule war, in die verschiedenen Gebäude führten. Dort warteten auf weitere Anweisungen.
Funkgeräte waren zu riskant, also hatte jeder zweite einen kleinen Ohrstöpsel bekommen.
Durch diesen hörte ich nun, da der vorgegebene Bereich gesichert war, auch den Leiter des Einsatzes, Lt Colbert:"Weiteres Vordringen wird untersagt, wir schicken ihnen Unterstützung rein!"
Ich persönlich hielt es für Schwachsinn, dass wir uns mit diesem kleinen Fleckchen zufrieden geben sollten, wo doch gerade eben ein perfekter Zeitpunkt wäre, das gesamte Erdgeschoss zurückzubekommen.
Die Schlinge zuziehen, so hätte es mein früherer Boss genannt.
Colbert war ein Schwachkopf: Gut im Pläne schmieden, katastrophal in der Ausführung und noch dazu eine besserwisserische Nervensäge und altmodisch bis zum geht nicht mehr.
Aber ich würde ja niemals etwas gegen meinen Vorgesetzten sagen.
Ich gab die Anweisungen an Meyer weiter, die keinen Ohrstöpsel hatte (die Dinger waren angeblich hochmodern und deshalb wahnsinnig teuer).
Diese verdrehte nur die Augen, weshalb ich fast Lachen musste.
Die Kleine war nicht verkehrt. Ein bisschen störrisch, aber immerhin hatte sie die richtigen Ansichten.
Die Verstärkung traf kurz darauf ein und wir sollten zurück zum Basislager gehen - oder eben dem kleinen Zelt, dass so genannt wurde, und in dem sich Colbert mit unter anderem dem Direktor befand. Von dort aus wurde der der komplette Einsatz geleitet.
"Ich bitte sie, Sir, das hier ist die Möglichkeit, vorzurücken und weiteren Boden gut zu machen!", gab ich nun doch meine Meinung zum besten.
"Leutnant Luar Hernández", knurrte Colbert bedrohlich, "verweigern sie etwa einen direkten Befehl?"
Also überließen wir den Kollegen das Feld und wollten gehen - als auf einmal das Licht ausging!
Sofort wurden von draußen Scheinwerfer-artige Lampen hereingebracht und auf die einzelnen Teams verteilt.
Zurück im Basislager machte uns der Direktor die Gewichtigkeit der neuen Situation klar: Es schien so, als wäre der Strom der kompletten Schule abgeschaltet worden.
Das bedeutete nicht nur, dass wir von nun an drinnen und draußen im Dunkeln agieren müssten, sondern auch, dass einige der Türen innerhalb der Schule nun verriegelt waren.
"Es handelt sich um besondere Feuerschutztüren!", erklärte der aufgelöste Herr Sieder. "Zusätzlich zu ihrer eigentlichen Funktion verriegeln sie sich bei einem Stromausfall automatisch, um unter anderem den Chemie- und Physiktrakt zu schützen!"
"Das heißt also, wir haben zu Teilen der Gebäude überhaupt keinen Zutritt mehr?", rief Colbert aufgebracht.
Der Direktor nickte geknickt.
"Was machen sie überhaupt noch hier?", fuhr Colbert nun Meyer und mich an. "Na los, zurück auf ihre Posten!"
Wir verließen das Zelt und gingen zurück auf unseren Platz, während Colbert vermutlich gerade endgültig der Kragen platzte.
"Wir hätten einfach vorrücken sollen", schloss Meyer ihre Schilderung der Ereignisse.
Die beiden Polizisten vom anderen Revier waren inzwischen abgezogen worden, doch die Sanitäter, sie sich uns als Kyle und Rio vorgestellt hatten, interessierte der hinter uns liegende Einsatz natürlich brennend.
"Und jetzt können wir wirklich nichts mehr tun, außer abzuwarten?", fragte Rio genervt. Sie war eine hübsche Frau Mitte 20 mit hawaiianischen Wurzeln, ihr Kollege ein etwas breiter gebauter junger Mann.
"Scheint so", sagte Meyer achselzuckend. "Wenn das so weitergeht, zieht sich das wohl noch ewig hin!"
Eine Weile herrschte Schweigen, jeder war in seine eigenen Gedanken versunken. Kyle rief zu Hause an und sagte, dass er nicht wisse, wann er nach Hause kommen könne.
Wir anderen taten es ihm gleich.
Eine lockere Unterhaltung entwickelte sich, in der ich erfuhr, dass Kyle mir seiner Frau und seinem kleinen Sohn auf dem Land wohnte, Rio in einer WG ganz hier in der Nähe.
Die beiden arbeiteten bereits seit mehreren Jahren zusammen.
Meyer erzählte von ihrer Ausbildung und dass das hier ihr erster wirklich großer Einsatz war, und ich ergänzte meine Rolle als ihr Mentor.
Irgendwann kamen ein paar Leute von der Vorderseite des Gebäudes und brachten etwas zu Essen. Bei so großen Einsätzen kam früher oder später immer ein Versorgungswagen.
Das Essen war höchstens annehmbar, allerdings konnte ich mich jetzt um kurz vor 9 wohl kaum mehr beschweren.
Uns wurde auch erzählt, dass man in dem Park, der auf der anderen Straßenseite neben der Schule lag, ein Notfalllager errichtet hatte. Dort waren Zelte aufgebaut, die unverletzten Kinder wurden versorgt bis man die abholte, die verletzten genauer untersucht und vorsorglich behandelt.
Dennoch sollten Rio und Kyle hier auf ihrem Posten bleiben, und ehrlich gesagt freute ich mich über ihre Gesellschaft.
Das Lager hatte einen anscheinend guten Standpunkt, war es doch von allen Seiten von Bäumen und Büschen umstellt. So waren die Kinder sowohl vor dem, was in der Schule vor sich ging, als auch vor den neugierigen Blicken von Reportern und Schaulustigen geschützt.
Als ich gerade mit dem Essen fertig war, hielt plötzlich ein Auto auf dem Gehweg und eine aufgelöste Frau öffnete die Beifahrertür.
Sie kam auf uns zugestürmt, der Fahrer, vermutlich ihr Mann, folgte ihr nicht minder hektisch.
"Bitte helfen sie mir, meine Tochter muss hier irgendwo sein!", rief sie und packte meinen Arm.
Da war ich noch froh gewesen, aus dem Tumult mit all den Eltern rausgekommen zu sein, und dann das.
"Bitte, Ma'am, beruhigen sie sich erst einmal. Wie ist denn der Name ihrer Tochter?", fragte ich ruhig und geleitete sie zu unserem Streifenwagen, in den sich mein Laptop befand.
Die Eltern folgten mir sofort, während meine wundervollen Kollegen das Szenario nur beobachteten.
Ich schaltete den Laptop an und rief die gesicherte Seite auf, auf der laufend geupdatet wurde, wo sich welcher Schüler befand.
Diese war direkt nach Eintreffen der Rettungskräfte erstellt worden.
Ansonsten hätte niemand einen Überblick über die fast 1500 Schüler behalten können, die die Schule normalerweise besuchten.
Die Kollegen hatten bereits angefangen, bei allen Eltern anrufen, um zu fragen, ob ihr Sohn oder ihre Tochter überhaupt auf der Schulfeier war.
Dazu waren uns natürlich die Datenbanken der Schule zur Verfügung gestellt worden, wo ich nun die Klassenlisten aufrief.
"Alicia...", stotterte die Frau.
"Alicia Brown, Klasse 7c", vervollständigte ihr Mann etwas gefasster.
Der Name war schnell gefunden und zu meiner Erleichterung befanden sich dahinter zwei grüne Haken.
Der erste bedeutete, dass sie sich außerhalb des Gebäudes befand, der zweite, dass es ihr - wohl den Umständen entsprechend - gut ging.
Ich gab die Information an die Eltern weiter und schickte sie auf die Seite des Gebäudes, wo sich das Lager befand - und somit auch die Schüler, die noch nicht abgeholt worden waren.
Als sie weg waren warf ich einen erneuten Blick auf die Listen: Nur wenige Namen waren mit einem grauen Kreuz versehen, das bedeutete, dass sie den Abend sicher Zuhause oder sonst wo verbracht hatten.
Viele waren mit mehreren grünen Haken versehen, und ich war erleichtert über die Tatsache, dass die meisten Kinder bereits wieder sicher bei ihren Eltern waren.
Doch es gab auch die roten Punkte bei der Gesundheit bei all jenen, die wegen körperlichen Verletzungen oder schwerwiegenden Schocks ins Krankenhaus gebracht werden mussten.
Doch am erschreckendsten waren die roten Punkte beim Aufenthaltsort: Es waren nur wenige, doch einige Schüler befanden sich nachgewiesenerweise noch immer in einem der Gebäude!
Ich dachte an ihre Familien und Freunde, die sorgenvoll auf ihre sichere Rückkehr warteten, die vielleicht nie kommen würde.
Und an die Angst, die diese Schüler gerade durchstehen mussten.
Meyer riss mich aus meinen Gedanken und bot mir noch ein Glas Wasser an.
Ich nahm es dankend an und warf noch einen letzten Blick auf den Bildschirm.
Beim Anblick des dritten grünen Hakens neben Alicia Brown aus der 7c wurde mein Herz ein bisschen leichter.
Wie ihr vielleicht bemerkt hat, gibt es zu jedem Kapitel einen passenden Song.
Ich werde diesen "Soundtrack" als eigenes Kapitel veröffentlichen, allerdings erst wenn die Geschichte beendet ist, da einige Songs den Inhalt des Kapitels spoilern könnten ;)
Schreibt doch gerne in die Kommentare, wie euch das Kapitel gefallen hat :)
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