22.
15:00
Dominik
Jedes Mal, wenn ich meine Augen öffnete, wurde mir schwindelig.
Ich wusste nicht wo ich war oder wieso
Ich wusste nicht, wie viel Uhr es war.
Ich wusste nur, dass ich mich nicht von hier weggbewegen durfte.
Mein Bauchgefühl sagte, dass das eine furchtbar schlechte Idee wäre, und mein Bauchgefühl hatte meistens Recht.
Irgendwann verstand ich, dass ich unter einem Tisch in einem Gang sitzen musste.
Sonne schien durch die Fenster, was mein Zeitgefühl nur noch mehr verwirrte.
Übelkeit kam in mir hoch und ich musste die Augen wieder schließen. Mein Kopf dröhnte.
Angestrengt dachte ich darüber nach, wie ich in diese Situation gelangt sein könnte.
Da war die Weihnachtsfeier in der Schule gewesen, zu der ich gegangen war.
Ich erinnerte mich an Schreie, Menschen, die wild durcheinanderliefen.
Von da an wurde meine Erinnerung zu einem einzigen großen Brei.
Etwas hatte mich am Kopf getroffen, Blackout. Irgendwann musste ich mich wohl unter diesen Tisch gekämpft haben, doch ich wusste nicht wann oder wie.
Das nächste, das ich wusste, war das erste Augenöffnen hier vor wenigen Minuten.
Oder war es bereits länger her?
Ich konnte es nicht mit Sicherheit sagen.
Wenn ich mich zu sehr konzentrierte begann meine Schläfe, unangenehm und vehemen zu pochen.
Doch mit der Zeit konnte ich mir tatsächlich noch weitere Dinge zurück ins Gedächtnis rufen.
So zum Beispiel, wie ein gutes Stück entfernt Menschen herumgeschlichen waren, irgendwo war ein helles Licht angegangen, doch inzwischen wieder verschwunden.
Das lag vermutlich daran, dass es hier durch die Sonne alleine hell genug war.
Doch auch die Menschen konnte ich nicht mehr hören.
Jedes mal, wenn ich meine Augen öffnete, wurde meine Sicht ein wenig klarer.
Doch noch immer reichte es kaum aus, um viel zu erkennen.
Plötzlich kam mir noch ein anderer Gedanke: Was, wenn ich gerade starb?
Fühlte es sich vielleicht tatsächlich so an?
Ich wollte nicht sterben. In meinem aktuellen Zustand konnte ich nicht sonderlich klar denken, doch das hier war mir absolut bewusst:
Ich wollte nicht so sterben, in einer kleinen Ecke im Schulgebäude, ganz alleine.
Noch immer empfand ich das unterbewusste Gefühl, in unmittelbarer Gefahr zu sein. Doch ich konnte es nicht zuordnen oder einfach abschalten.
Nirgends waren Schritte oder Stimmen zu hören, nicht ein einziges Geräusch.
War das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?
Mit einem mal erklang direkt neben mir ein lautes Geräusch - das Klingeln eines Handys.
Meine Augen brauchten einen Moment, um den Boden zu fokussieren, dann fanden sie das Smartphone, das nur wenige Meter entfernt unter einer Heizung lag.
Ich spannte meine Muskeln an, wollte mich irgendwie in die Richtung stemmen, als ich plötzlich Schritte hörte.
Ich krabbelte tiefer unter den Tisch und hielt die Luft an, die Augen zu Schlitzen zusammengekniffenen in dem Versuch, trotz meines unbrauchbaren Kopfes etwas zu erkennen.
Ein Paar Füße trat in mein Blickfeld, jemand bückte sich, um das Handy aufzuheben.
Ich kniff die Augen zusammen, man würde nich nicht sehen, man würde mich...
Ich wurde am Ärmel gepackt und unter dem Tisch hervorgezerrt.
"Hast versucht, dich zu verstecken, was?", fragte eine sanfte Mädchenstimme. "Hat nicht so gut funktioniert, oder?"
Ich blinzelte, erkannte die groben Umrisse einer Gestalt, ein Gesicht, das von blonden Haaren umrahmt wurde, dann musste ich die Augen wieder schließen.
"Da rüber", sagte sie und schubste mich.
Taumelnd lief ich in die Richtung und setzte mich schließlich mit dem Rücken an die Wand, als sie es mir befahl.
"Wehe du bewegst dich auch nur einen Millimeter", knurrte sie und ich spürte, wie etwas kaltes, metallisches an meinen Kiefer gedrückt wurde.
Sie band etwas um meine Hände, es fühlte sich an wie ein dünnes Seil.
Dann entfernten sich ihre Schritte ein wenig, doch sie schien den Gang nicht verlassen zu haben.
Von Zeit zu Zeit öffnete ich die Augen und bemerkte, dass meine Sicht weiterhin stetig besser wurde.
Mein Kopf jedoch dröhnte immer noch unerbittlich und ich spürte einen unangenehmen Druck an meiner Schläfe, wo ich zuvor geblutet hatte.
Das Mädchen ging nervös auf und ab, ich hörte ihre Schritte, die sich wieder und wieder durch den Raum bewegten, und sah ihren Schatten, der manchmal über mein Gesicht glitt.
Es musste bereits Nachmittag sein, sonst würde das Licht nicht so durch die kleinen Fenster an der Seitenwand scheinen.
Dennoch war es nicht zu hell, was wohl den zugezogenen Vorhängen geschuldet war.
Inzwischen konnte ich meine Augen für längere Zeit geöffnet halten, ohne dass mir sofort schwindelig oder gar schlecht wurde.
Doch je klarer meine Sicht wurde, desto mehr übernahmen meine Gefühle die Überhand über meinen Geist.
Wieso bedrohte dieses Mädchen mich?
Was hatte sie vor?
Was von meiner bruchstückhaften Erinnerung war gestern Abend tatsächlich passiert?
"Bin ich eine Geisel?", fragte ihn schließlich.
Meine Stimme war kaum mehr als ein Krächzen, doch sofort verstummten ihre Schritte.
"Du bist gar nichts", fauchte sie. "Ein niemand."
Für einen Moment herrschte Stille und ich beobachtete sie, wie sie zum Fenster ging und zwischen den Vorhängen hindurchblickte.
Dann lief sie plötzlich schnellen Schrittes auf mich zu und zog mich hoch. Das Seil, das sich inzwischen als Verpackungsschnur entpuppt hatte, Schnitt in meine Hände, die ich nutzlos vor dem Bauch hielt.
Sie schubste mich in Richtung der Aula, bog aber kurz davor in einen kleinen Gang ab, der zur Treppe oder auch zu einem kleinen Nebeneingang führte.
Einen Arm legte sie von hinten um meine Schultern, sodass ich nun halb unbeweglich völlig an sie gebunden war, in der anderen hielt sie die Waffe, die ich nur aus dem Augenwinkel sehen konnte.
Dann stieß sie die Türe auf und schob mich in die Eiseskälte. Ich kniff die Augen zusammen, weil das unerwartete Licht mich blendete.
Irgendwo weiter weg kamen aufgeregte Rufe auf, da wurde ich auch schon nach vorne geschoben.
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