18.
11:00
Christina
"Du solltest nach Hause gehen."
Ich schreckte aus meiner Trance hoch.
Gegen einen Baum gelehnt hatte ich dagesessen und einfach in die Leere gestarrt.
Wenn Nick mich nicht angesprochen hätte, wäre ich vermutlich jeden Moment eingeschlafen.
Hastig rappelte ich mich auf.
"Nein nein, mir geht es gut, keine Sorge."
"Ich meine das Ernst. Du bist total fertig und die ganze Situation hier tut deinen Nerven wohl kaum gut. Ich melde mich bei dir, wenn sich etwas tut, aber bitte ruf deine Eltern an und sag ihnen, dass sie dich abholen sollen."
"Aber..."
Doch Nick ließ mich gar nicht erst zu Wort kommen:"Wenn du willst kannst du ja auch bei Elle vorbeischauen, die würde sich sicher freuen", schlug er vor.
Ich dachte einen Moment darüber nach, dann traf ich die Entscheidung, die ich seit Stunden vor mir herschob.
Nick lächelte erleichtert, als ich mein Handy zückte und die Nummer von zu Hause wählte.
"Mama? Hi, ich bin's. Ich wollte fragen ob ihr mich vielleicht abholen... Nein es ist alles in Ordnung..."
Meine Mutter klang total besorgt, doch ich konnte sie beruhigen.
"Na gut, dein Vater und ich kommen dich gleich abholen. Sollen wir dir etwas zu Essen mitbringen?"
"Einfach ne Cola wäre perfekt", bat ich. "Ach ja, und bevor wir nach Hause fahren, können wir vielleicht noch im Krankenhaus vorbei? Ich würde gerne nach Elle sehen."
Ich hatte meinen Eltern eine Textnachricht über Elles Befreiung geschickt und sie auch ansonsten immer knapp auf dem Laufenden gehalten.
"Natürlich, gar kein Problem. Ich wollte mich sowieso noch mit ihren Eltern unterhalten. Wir fahren gleich los, bis dann."
"Bis dann. Sie holen mich ab und dann fahren wir Elle besuchen", erzählte ich Nick, nachdem ich aufgelegt hatte.
"War doch gar nicht so schwer, oder?", fragte er spöttisch.
Ich verdrehte nur die Augen und ging los, um meine wenigen Habseligkeiten aus dem Rettungswagen zu holen, wo ich sie hingelegt hatte.
Als ich die Jacke, die ich über meiner eigenen trug, zurückgeben wollte, winkte Nick ab. "Behalt sie. Wird keiner vermissen."
Ich bedankte mich für alles und ging dann bis zur Straße, an der meine Eltern mich abholen würden.
Mein Vater nahm mich erst mal fest in den Arm und verfrachtete mich dann ins Auto.
"Wir sind wirklich, wirklich stolz auf dich", sagte er, während meine Mutter sich wieder vom Straßenrand in den schwachen Verkehr einfädelte.
"Trotzdem, mach so was nie wieder", fügte keine Mutter warnend an und warf mir im Rückspiegel ein Lächeln zu.
Kaum hielt das Auto auf dem Parkplatz des Krankenhaus, da riss ich auch schon die Türe auf und sprang hinaus.
Meine Eltern hatten mich im Foyer eingeholt, wo ich mich bereits nach der betreffenden Zimmernummer erkundigt hatte.
Glücklicherweise lag Elle nicht auf irgendeiner besonderen Station, sodass uns ihr Aufenthaltsort schnell mitgeteilt werden durfte.
Meine Eltern nahmen den Aufzug, ich lief lieber über die Treppe in den 3. Stock. Mir waren diese Dinger nicht ganz geheuer.
Das Krankenhaus war gut ausgeschildert und das Zimmer somit leicht zu finden.
Ich klopfte und trat auf ein fragendes "Ja?" hin ein.
"Christina!", rief Elle erfreut. "Schön dass du hier bist."
"Schön, dass es dir besser geht", antwortete ich, umarmte sie und setzte mich am die Bettkante.
Elle sah blass aus, das konnte aber auch an dem weißen Bettbezug liegen. Ansonsten schien es ihr tatsächlich für zu gehen.
Meine Eltern waren hinter mir und Zimmer getreten und hatten sich in die Ecke des Raumes gestellt.
"Wie lange musst du noch hier bleiben?"
"Bis meine Eltern aus der Cafeteria zurückkommen."
Ich sah sie verwirrt an und Elle erklärte lachend:"Sie wollten sich nur schnell einen Kaffee holen, während ich noch mal durchgecheckt wurde. Der Arzt hat mir erlaubt zu gehen, allerdings müssen sie noch unterschreiben. Und da das Bett eine recht bequeme Alternative zu meinem letzten Langzeit-Aufenthaltsort ist - einem Klodeckel, um das anzumerken - bin ich liegen geblieben."
"Dir geht es definitiv wieder gut", war meine einzige Reaktion auf ihren Redeschwall.
In diesem Moment meldete sich ihr Bauch lautstark.
"Außer dem Hunger, ja. Gibt es was neues von Robyn?", fragte sie dann zögerlich, so als hätte sie Angst vor der Antwort.
"Leider nein", antwortete ich leise. "Aber ich konnte da nicht noch länger bleiben, wahrscheinlich wäre ich sonst irgendwann durchgedreht. Und ich werde benachrichtigt, sobald es irgendwelche Neuigkeiten gibt und..."
"Du musst dich nicht entschuldigen, ich verstehe das."
Dankbar lächelte ich sie an.
Meine Sorge um Robyn wurde tatsächlich fast von Schuldgefühlen überschattet, einfach gegangen zu sein.
In diesem Moment öffnete sich die Türe und Elles Eltern betraten den Raum.
Sie begrüßten uns und Elle erklärte ihnen, wie mir soeben, die Situation.
"Ihr habt nicht zufällig Lust auf ein ordentliches Mittagessen? Es ist immerhin gleich zwölf Uhr und ich denke, es würde uns alles gut tun", schlug Elles Vater vor.
Wir alle waren damit einverstanden. Glücklicherweise hatten meine Eltern für mich unter anderem Haarbürste und Deo mitgebracht, was Elle und ich nun ausgiebig nutzten.
Nachdem wir uns zumindest ansehnlich genug gemacht hatten, um uns in der Öffentlichkeit blicken lassen zu können, machten wir uns auf den Weg zu einem Italiener am Stadtrand.
Ich fuhr bei Elle im Auto mit und hatte so Zeit, sie auf den neusten Stand wegen der ganzen Robyn-Michael-Sache zu bringen.
Auch sie schien erst verwirrt, doch dann ging ihr ein Licht auf:"Der falsche Kinobesuch vor zwei Wochen? Die Übernachtung, die wir faken sollten? Alles nur deswegen?"
Beim Italiener angekommen bekamen wir einen Tisch im hinteren Bereich des Restaurants, wo wir relativ ungestört waren.
Unsere Eltern tauschten sich lange über die Erlebnisse der letzten Stunden aus und Anfangs trug auch ich ab und an etwas bei.
Elle saß die meiste Zeit nur schweigend daneben und auch ich verstummte nach einer Weile.
Es würde schwer werden, für mich, für sie und für alle anderen Betroffenen. Der heutige Tag würde sich nicht so leicht abschütteln lassen.
Das war etwas, das unsere Eltern niemals auf die gleiche Weise verstehen würden.
Für den Moment hatten wir nur einander - und die Hoffnung innerhalb der Angst, dass andere nicht so viel Glück hätten wie wir.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro