17.
10:00
Lt Hernández
Zum wer weiß wie vielten mal an diesem Tag wählte ich die Mobilnummer der Mutter eines der Kinder, die sich noch immer im Gebäude befanden.
Zum wer weiß wie vielten mal ging niemand dran.
Nervös Schritt ich auf und ab, Meyer folgte mir mit ihrem Blick.
"Hilft dir das? Weil wenn nicht solltest du damit aufhören, bevor es mich in dem Wahnsinn treibt", fragte sie schließlich genervt.
"Bei dir ist doch eh schon alles zu spät", witzelte ich, ließ mich aber in einen der Klappstühle fallen.
Bisher hatte niemand etwas über Meyers Aktion vorhin gesagt, allerdings würde auf jeden Fall noch etwas auf sie zukommen.
Allerdings hatten wir alle in den letzten Stunden auch mehr als genug zu tun gehabt:
Erst war gemeldet worden, dass wir Unterstützung von einer Terrorbekämpfungs-Einheit erhalten würden.
Von dieser war letztendlich nur eine kleine Gesandtschaft gekommen, die die Lage abgeschätzt, uns für solche Fälle genauer eingewiesen hatte und dann wieder abgezogen war.
Angeblich konnten sie hier auch nicht mehr tun als wir.
Das heilt ich für ziemlich unrealistisch, allerdings hatte unsere Regierung anscheinend etwas gegen diese Stadt und wollte uns verrotten lassen.
Ich verstand Meyers Frustration absolut:
Erst wurde uns so ein Vollidiot wie Colbert vorgesetzt, dann müssten wir hier stundenlang ausharren, ohne Schichtwechsel, und ohne Unterstützung von außerhalb.
Vom Versorgungstruck hatten wir schließlich noch ein kleines Frühstück bekommen, ein Witz gegen das vom Café, aber dennoch ein netter Snack für zwischendurch.
Rio und Kyle hatten sich im Sanitätswagen hingelegt, mit den Worten, wir sollen ihnen bei gravierend Veränderungen bescheid geben.
Nur zu gerne wäre ich nun an ihrer Stelle gewesen, doch Meyer und ich saßen noch immer vor dem Wagen auf dem Gehweg auf Klappstühlen.
Schließlich versuchte ich erneut, wie schon regelmäßig in den letzten Stunden, die Eltern der Mädchens zu erreichen.
Ich ließ es drei Mal klingeln, vier Mal...
"Lina DeLancey hier", meldete sich eine Frauenstimme.
Überrascht sah ich vom Boden auf, wo ich soeben noch Kieselsteinchen gezählt hatte.
Dann stand ich auf und entfernte mich ein paar Schritte.
"Miss DeLancey? Sie müssen Robyn DeLanceys Mutter sein, ist das korrekt?"
"Ja, das stimmt. Verzeihung, wer sind sie überhaupt?"
"Mein Name ist Luar Hernández, ich bin Polizist und aktuell an einem recht großen Einsatz...", begann ich meine Erklärung und gestikulierte aufgeregt zu Meyer, die sofort verstand.
"Oh mein Gott, ist Robyn etwas zugestoßen?", rief sie erschrocken. "Versucht deswegen seit Stunden eine unbekannte Nummer, mich zu erreichen?"
"Ist ihr Mann bei ihnen? Wenn ja, dann schälten sie bitte auf Lautsprecher, das hier betrifft auch ihn."
Ich bemühte mich um Professionalität, doch die Angst in der Stimme der Frau hielt mich beinahe davon ab.
Sie erinnerte mich an das, was ich seit Stunden versucht hatte, zu verdrängen: Was, wenn so etwas an der Grundschule meiner Kinder geschehen würde?
Ein Klicken erklang in der Leitung und ich begann mit den Worten, die ich mir schon vor dem ersten Anruf zurechtgelegt hatte:
"Wie sie vielleicht wissen fand am gestrigen Abend eine Weihnachtsfeier an der Schule ihrer Tochter statt, die diese besuchte. Während dieser Veranstaltung sind mehrere Schüsse gefallen..."
Durch das Telefon erklang ein erschrockenes Schnappen nach Luft.
"Der Grund, wieso wir seit Stunden bemüht sind, sie zu erreichen, ist der, dass ihre Tochter eine der wenigen ist, die sich noch immer im Gebäude befinden."
Die Mutter schluchzte laut auf.
"Wie können sie sich sicher sein?", fragte eine männliche Stimme, vermutlich der Vater des Mädchens.
"Ihre besten Freundinnen konnten bestätigen, dass sie zum Zeitpunkt des Vorfalls nicht bei ihnen war. Seitdem hat man nichts mehr von ihr gehört oder gesehen."
"Aber wieso haben sie sie denn nicht schon langst befreit?"
Die Stimme der Mutter klang schrill vor Panik und ich verstand ihre Gefühlslage nur zu gut.
"Die Situation hier ist leider zu kompliziert, um sie am Telefon genauer zu erläutern. Ich muss sie also bitten, schnellstmöglich hier her zu kommen."
"Wir machen uns gleich auf den Weg", bestätigte der Vater, der sich offensichtlich größte Mühe gab, gefasster zu klingen als die Mutter. Es gelang ihm nur im Ansatz.
"Sehr gut, wir erwarten sie. Überall im die Schule sind Beamte aufgestellt, die ihnen behilflich sind, sobald sie hier eintreffen. Wissen sie, wann das ungefähr sein wird?"
"Wenn wir nur schnell unsere Sachen zusammenpacken und dann direkt losfahren... In etwas über eine Stunde", beantwortete die Mutter noch immer schwer atmend, jedoch nun etwas ruhiger.
"In Ordnung, dann sehen wir uns in einer Stunde."
Die Mutter verabschiedete sich und legte dann auf.
Erleichtert legte ich das Telefon beiseite. Ich würde jetzt nicht in der Haut dieser Eltern stecken wollen.
Meyer trat zu mir und legte eine Hand auf meine Schulter.
"Alles in Ordnung?"
"Ja, natürlich... Die Eltern sind auf dem Weg, wir werden allerdings noch eine Weile warten müssen."
Meine Beine fühlten sich auf einmal an wie Wackelpudding und ich setzte mich.
"Dich trifft das ziemlich, oder?"
Meyer ließ sich auf dem Klappstuhl neben mir nieder.
"Es ist einfach unglaublich, dass so etwas passieren konnte. Wenn ich mir vorstelle, dass meine Töchter... Es ist zu furchtbar, um darüber nachzudenken."
"Ich verstehe dich. Aber wir müssen einfach unser Bestes geben, die Folgen so gut eindämmen wie möglich. Viel mehr bleibt uns nicht übrig."
Sie hatte recht, das war mir klar.
Die Zeit wollte einfach nicht vergehen.
Meine Frau rief an und fragte, wann ich endlich fertig wäre.Ehrlicherweise gab ich zu, dass ich selbst keine Ahnung hatte.
Sie wirkte enttäuscht, schien mein Dilemma jedoch zu verstehen.
Auf die Frage, ob sie vorbeikommen sollten sagte ich nur, dass es aktuell nicht sicher wäre, sie jedoch in ein paar Stunden erneut fragen könnten.
Ich sprach auch kurz mit meinen Kindern, wünschte ihnen frohe Weihnachten und versprach, bald heim zu kommen.
Es war schon nach elf Uhr, als ein Kollege zu uns trat, gefolgt von einer dunkelhaarigen Frau und einem hochgewachsenen Mann.
"Herr und Frau DeLancey?", begrüßte ich sie höflich. "Mein Name ist Leutnant Hernández, das hier ist meine Partnerin, Leutnant Meyer. Ich habe vorhin mit ihnen telefoniert."
Innerlich hatte ich mich bereits für dieses Gespräch gewappnet.
Dennoch war jede Minute eine Qual, in der ich denn Eltern erklären musste, dass ihre Tochter mit einer bewaffneten Attentäterin im gleichen Gebäude war, und wieso wir nichts unternahmen, um ihr zu helfen.
Geflissentlich verschwieg ich das Detail, das Gerüchte mir zu Ohren getragen hatten:
Nämlich dass der Junge, der zurückgelaufen war, um sie zu suchen, ihr fester Freund sein könnte.
In meiner Variante blieb er ein Klassenkamerad, für genauere Informationen dazu sollten sie sich bitte mit Robyns Freundinnen unterhalten, die sich inzwischen beide in Sicherheit befanden.
"Wie groß sind die Chancen prozentual, dass sie gesund und munter, vollkommen unbehelligt und in bester Ordnung ist?", fragte der Vater am ennde meines Vortrages.
"Gering."
Ich wusste nicht, was ich ansonsten darauf antworten sollte, also senkte ich stattdessen den Blick.
"Allerdings ist es natürlich nicht unmöglich!", fügte ich hinzu, um ihnen und auch mir selbst Hoffnung zu machen.
Der Kollege brachte die Eltern schließlich zum Versorgungstruck, da sie noch kein Frühstück gehabt hatten.
Dort könnten sie auch mit dem Direktor Herrn Sieder reden oder mit anderen Beamten.
Es war kalt und die Temperaturen schienen seit Stunden zu sinken, obwohl die Wintersonne inzwischen hoch am Himmel stand.
Seit Stunden waren wir bereits auf einem Einsatz, bei dem wir kaum etwas ausrichten konnten. Die Untätigkeit brachte mich fast um und doch mussten wir weiter hier ausharren.
Kyle und Rio gesellten sich wieder zu uns, doch auch die beiden wirkten wie erschlagen.
Irgendwo in dieser Schule befanden sich noch immer fünf oder sechs Schüler, soviel war sicher.
Über die meisten von ihnen hatte ich keine genaueren Informationen, da sie in einen anderen Autoritätsbereich verlegt worden waren.
Auch für Michael, den Junge, der sich anscheinend bei dem Mädchen befand, war ich nicht zuständig.
Dennoch hoffte ich für sie alle, dass sie wohlauf waren.
Ich fand keine Möglichkeit mehr, um mich von all dem abzulenken. So verbrachte ich eine lange Zeit damit, einfach in die Leere zu starten.
Keiner der anderen Anwesenden sprach mich an.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro