15.
08:00
Robyn
Irgendwann am frühen Morgen wachte ich auf.
Keine Ahnung, was mich geweckt hatte, im Nachhinein überlegt wohl das schlechte Gewissen.
Ich setzte mich aufrecht hin und blinzelte in das erstaunlich helle Licht, das durch die Fenster fiel.
Michael schien zu schlafen und erneut fragte ich mich, wieso er das hier eigentlich tat. Was nützte es ihm?
Letzte Woche noch...
Wir hatten einen ziemlich schlimmen Streit gehabt, bei dem ich ihm alle möglichen Sachen an dem Kopf geworfen hatte. Danach war ich mir nicht einmal mehr sicher gewesen, ob wir noch zusammen waren oder nicht.
Einen Moment zögerte ich, dann tippte ich an Michaels Schulter.
"Bist du wach?"
Beim dritten Mal öffnete er langsam die Augen.
"Jetzt bin ich auf jeden Fall wach", murmelte er und musste sich räuspern. "Was ist los? Blutet es wieder mehr?"
"Nein, alles in Ordnung."
Die Sorge in seiner Stimme tat mir fast physisch weh.
"Ich dachte nur, vielleicht...sollten wir reden. Oder eigentlich... Eigentlich wollte ich mich entschuldigen."
"Für was denn?", fragte er und setzte sich aufrecht mir gegenüber hin.
"Wegen letztem Samstag...", begann ich.
"Komm schon, das war doch nicht so schlimm, du musst dich nicht entsch..."
"Doch", unterbrach ich ihn, "das muss ich. Nur weil ich mal nen schlechten Tag habe, kann ich das noch lange nicht einfach an dir auslassen. Das war nicht fair und es tut mir leid. Da habe ich einfach Dinge gesagt, die so nicht richtig waren."
Bedrückt sah ich zu Boden.
Michael nahm meine Hand in seine und hielt sie fest.
"Aber mit manchen Sachen hattest du Recht."
Es war bereits dunkel, als wir das Kino verließen.
"Mein Dad kommt in zehn Minuten", sagte ich mit einem Blick auf mein Handy.
"Ich muss sowieso gleich los. Mir wem warst du heute im Kino?"
"Elle. Sie hat eine Ausrede parat und war tatsächlich in einem Film, aber zwei Stunden vor uns, das Alibi ist also wasserdicht."
"Aber sie weiß nicht von...von uns?", fragte Michael nach und runzelte die Stirn.
"Nein, natürlich nicht. Aber allzu lange werden die beiden das glaube ich nicht mehr hinnehmen. Sie fragen eh schon jedes mal wenn sie mich decken müssen, was ich eigentlich andauernd mache."
"Es wird nicht mehr lange so sein, okay?"
Nicht mehr lange.
Das sagte er bereits seit Wochen.
"Wirklich? Oder willst du mir das gleiche in zwei Monaten immer noch erzählen? Oder in drei?"
Es war vielleicht nicht fair ihn jetzt so anzufahren, aber mir reichte es einfach. Als er gesagt hatte, dass seine Eltern "erst mal" nichts davon erfahren durften, hatte ich nicht mit einem halben Jahr des Versteckspielens gerechnet.
"Ist alles in Ordnung?", fragte er.
"Es ist nicht alles in Ordnung!", fauchte ich zurück. "Ich meine, was soll das denn? Soll ich für immer dein scheiß Geheimnis bleiben oder wie? Ich belüge jeden, meine Eltern, meine besten Freundinnen, alle! Und dir ist es anscheinend egal, weil deine Eltern wissen ja wohl immer noch nicht, dass wir zusammen sind. Die wissen wahrscheinlich gar nicht wie ich aussehe, und wir sind seit 2 Jahren in einer Klasse!"
Er starrte mich fassungslos an, so als hätte kein aus ihn tatsächlich überrascht.
"Robyn, bitte..."
Ich zog meine Hand weg und trat einen Schritt zurück.
"Lass es einfach."
"Robyn, ich kann doch auch nichts dafür, dass meine Eltern so sind wie sie sind. Ich würde nichts lieber tun, als zu dir zu stehen, aber..."
"Ach wirklich? Davon zeigst du aber nicht allzu viel. Vielleicht willst du es ja gar nicht! Vielleicht hörst du endlich auf, alles deinen Eltern in die Schuhe zu schieben, und übernimmst stattdessen auch mal selbst die Verantwortung! Weil wenn das so weitergeht, dann...dann war's das."
"Willst du jetzt Schluss machen oder wie? Bitte, ich verspreche dir, dass ich meinen Eltern bald von uns erzähle. Aber es...es geht einfach nicht..."
"Wieso nicht? Schämst du dich für mich oder was ist das Problem? Genüge ich deinem beschissenen Standard nicht?"
"Nein, Robyn, so ist das doch gar nicht..."
Ein Auto fuhr außerhalb des Kinoparkplatzes an den Gehweg heran.
"Ich muss los", sagte ich und ging einfach.
"Wer war das?", fragte mein Dad, als ich ins Auto stieg.
Ich warf einen Blick auf den sich in die andere Richtung entfernen Schatten und antwortete:"Nur ein Junge aus meiner Klasse. Er war im gleichen Film und hat mit mir gewartet, weil Elle schon los musste."
"Das ist aber nett. Und wie war der Film so?"
Ich erzählte meinem Dad eine notdürftig aufgebesserte Version von meinem Abend, doch in Gedanken war ich noch immer bei dem Streit.
"Ich hab mich wirklich scheiße verhalten, nicht wahr?"
"Ziemlich", stimmte ich zu. "Aber ich hätte dich an den Abend nicht so anfahren sollen..."
"Hör auf dich zu entschuldigen. Ich bin doch auch Schuld. Ich habe zu spät bemerkt...mir ist erst heute klar geworden, wie viel du mir wirklich bedeutest, und dass die Dinge, die du gesagt hast, eigentlich wahr waren. Ich habe dich für selbstverständlich gehalten und das war nicht in Ordnung."
Er nahm meine Hand und hielt sie an sein Herz.
"Du bist das aller-aller-wichtigste für mich. Und ich dachte, dass du das wüsstest, und habe es deshalb nicht für nötig gehalten, es dir extra zu sagen, dabei hätte ich genau das tun sollen. Und jetzt sind wir hier und ich weiß nicht... Ich weiß nicht was ich tun soll um das alles wieder gut zu machen..."
Bevor er weiterreden konnte beugte ich mich vor und küsste ihn. Das Gefühl seiner Lippen auf meinen war vertraut und beruhigend und für einen Moment vergaß ich alles um mich herum, es gab nur noch Michael und mich.
Der Kuss war viel zu schnell vorbei.
"Keine Geheimnisse mehr?", fragte ich und Michael nickte.
"Keine Geheimnisse. Aber um ehrlich zu sein... Es gibt da noch etwas, das ich dir erzählen muss..."
Verwirrt sah ich ihn an.
"Als ich zurück ins Gebäude gelaufen bin... Evan und Louis wissen jetzt von uns. Und Christina auch, sie stand daneben."
"Bitte was?"
Für einen Moment überwog der Schreck, dann grinste ich. "Was hast du gesagt?"
"Christina hat davon geredet, dass ihre Freundinnen noch drinnen seien und als dein Name gefallen ist habe ich Panik geschoben. Evan hat gesagt ich solle mich beruhigen und hat dich beleidigt. Ich hab gesagt, dass diese - hier beliebiges Schimpfwort einfügen - meine Freundin sei und bin abgehauen."
Ich verbarg mein Gesicht in den Händen. "Das hast du nicht."
"Doch", murmelte er zerknirscht.
"Naja, was soll's", seufzte ich. "Ob sie es seit gestern wissen oder erst morgen erfahren ist doch auch schon egal. Und Elle hat wahrscheinlich eh schon was vermutet."
"Stimmt. Louis wird nichts dagegen haben. Evan... Ach wo, ich scheiß drauf. Und meine Eltern genauso."
"Das ist sehr lieb aber du kannst dich jetzt wieder abregen", sagte ich lachend, als ich seinen überzeugt-wütenden Gesichtsausdruck sah.
"Tut mir leid, ich habe nur... Mir ist einiges klar geworden in den letzten Stunden."
"Apropos, wie viel Uhr ist es eigentlich?"
Draußen war die Sonne jetzt wohl endgültig aufgegangen und hatte den morgendlichen Nebel vertrieben und ich hatte gerade, so blöd das auch klang, eine ziemliche Erkenntnis gehabt.
Wir schauten beiden ein Richtung der Uhr, die an der Wand des Klassenzimmers hing.
"Fast neun Uhr, wieso?", beantwortete Michael meine Frage.
"Es ist Weihnachten", sgate ich lächelnd. "Heute ist heilig Abend."
"Und den wirst du auch feiern. Das verspreche ich dir."
Noch immer war meine Hoffnung bei weitem nicht so groß wie ich tat. Doch ich war nicht alleine und noch gab es Hoffnung, dass man uns fand.
Meine Schulter machte sich schmerzhaft bemerkbar und ich bisschen die Zähne zusammen.
Noch hatten wir eine Chance.
Hinter unserer Barrikade in der Ecke des Klassenzimmers harrten wir also weiter aus.
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