12.
05:00
Lt. Meyer
Gähnend öffnete ich die Türe des Cafés Author's Mug, das vor nicht allzu langer Zeit hier eröffnet hatte.
Es war nur wenige Straßen von der Schule entfernt und ein beliebter Treffpunkt, nicht nur für Schüler.
Ich selbst war schon oft mit Freunden hier gewesen und hatte mich, allein schon um der kleinen Auszeit Willen, bereiterklärt, Frühstück für mich und die anderen zu holen.
Für den gestrigen Abend war die Suppe und das Wasser zwar annehmbar gewesen, doch jetzt waren alle nur noch übermüdet und hungrig.
Rio, Kyle und Luar hatten mir also gesagt, was sie gerne hätten, und ich hatte mich auf den Weg gemacht.
Ich hatte mir angewöhnt, Leutnant Hernández bei seinem Vornamen zu nennen.
Eigentlich tat ich es nur, um das r in seinem Namen übertrieben zu rollen.
Aber wieso sollte ich auch nicht? Er war schließlich nicht nur mein Ausbilder, auch außerhalb der Arbeit verstanden wir uns gut.
Er hatte mich sogar eingeladen, Weihnachten mit ihm, seiner Frau und ihren beiden Kindern zu verbringen, doch ich hatte ablehnen müssen.
Aber das Essen, das ich eigentlich mit zwei alten Studienfreunden geplant hatte, schien wohl ins Wasser zu fallen.
Zumindest, wenn sich hier nicht endlich mal etwas tat.
Auch Rio und Kyle waren mir auf Anhieb sympatisch gewesen.
Wir hatten uns die halbe Nacht durch über vergangene Einsätze unterhalten.
Es war immer interessant, eine andere Sichtweise neben der eigenen zu bekommen.
Mein Magen meldete sich lautstark zu Wort.
Endlich erreichte ich das Ende der glücklicherweise kurzen Schlange.
"Guten Morgen!", begrüßte mich die junge Bedienung, Sarah, fröhlich. "So früh schon auf den Beinen?"
Dann fiel ihr Blick auch meine Uniform und ihr Gesichtsausdruck verfinsterte sich.
"Sie sind wohl wegen der Schule...?"
Ich nickte nur kurz.
"Mich wundert eher, dass sie so früh am Morgen schon geöffnet haben", gab ich zurück, in dem schwachen Versuch, das Thema zu wechseln.
"Wir hatten die ganze Nacht über offen", seufzte sie, und erst jetzt bemerkte ich, dass sie mindestens genauso abgerackert wirkte wie ich.
"Also, was darf's sein?"
"Vier XXL Kaffees, alle mit Zucker, zwei dazu noch mit Milch", begann ich meine Bestellung. "Dann bitte noch zwei Käse- und zwei Schinkensandwiches und vier Donuts. Keine Sorge, das werde ich nicht alles alleine essen", fügte ich lachend hinzu. "Aber ich habe ein paar hungrige Kollegen da drüben."
Sarah tippte die Bestellung fertig ein und bediente die Kaffeemaschine.
"Die Sandwiches warm?"
"Ja bitte."
Sie legte die Sandwiches in den kleinen Ofen und wandte sich zu der Essensauslage.
"Wir haben leider nur noch die rosanen Donuts", sagte sie und grinste frech. "Die sind allerdings eine Hello Kitty Sonderedition."
Ich warf einen kritischen Blick auf die mit rosanen Zuckerguss und kitschigen Streuseln bedeckten Donut und zog die Augenbrauen hoch.
"Doch, die nehme ich", beschloss ich dann. "Mein Kollege wird sich sicherlich darüber freuen."
"Das glaube ich gerne."
Sarah zwinkerte mir zu und packte die rosanen Donuts in eine Papiertüte.
Die Sandwiches wurden ebenfalls eingepackt und die Kaffeebecher kamen in einen dieser Kaffeehalter aus Pappe, wie man sie hauptsächlich aus amerikanischen Serien kannte.
"Wie ist denn die Situation?", fragte sie nebenher.
Einen Moment zögerte ich, doch ich wusste, dass ich ihr nichts sagen durfte.
"Es tut mir leid, aber ich stehe unter einer Art Schweigepflicht. Allerdings sieht es nicht so aus, als würde die Situation sich in nächster Zeit entspannen, ihre Schicht wird also noch eine ganze Weile andauern."
Ich bezahlte mit einem entschuldigenden Blick und verließ das Café, nicht ohne Sarah noch zurufen:"Ich schicke meinen Kollegen vorbei, dann kann er sich persönlich bei ihnen für Hello Kitty bedanken."
Extra langsam machte ich mich auf den Weg zurück zum Einsatzort.
Es war noch ziemlich dunkel und Straßenlaternen beleuchteten die Stadt. Die gesamte Straße entlang waren Autos geparkt, die meisten von Rettungskräften, einige auch von Zivilisten.
Diese wurden, genau wie die Reporter, hinter einer Absperrung gehalten.
Als ich den Tumult sah, der sich an der Vorderseite und am Haupteingang der Schule gebildet hatte, war ich doch ganz froh um meinen Platz an der Rückseite des Gebäudes.
Es war noch nicht allzu lange her, da hatte ich selbst noch in einer Schule gesessen.
Naja, niemand hätte so etwas in einer Polizeischule abgezogen und meine normale Schulzeit war schon etwas länger um, aber dennoch... Der Gedanke, dass so etwas auch mir hätte passieren können, war tatsächlich ziemlich verstörend.
Immerhin war das Notfalllager inzwischen fast leer und ich wusste, dass die meisten Kinder wieder daheim bei ihren Familien waren.
Dennoch fühlte ich mich hilflos.
Weder konnte ich etwas für die Gesundheit der verbliebenen tun, noch konnte ich denen helfen, die im Gebäude waren.
Ich war weder Sanitäter, noch leitete ich den Einsatz oder hatte überhaupt irgendetwas zu sagen.
Die örtliche Polizei wäre für Prävention verantwortlich gewesen, damit das alles nie passiert wäre.
Es hätte nicht so weit kommen dürfen, doch das war es.
Und jetzt konnte ich nichts mehr tun, um es aufzuhalten.
Ärgerlich riss ich meinen Blick von dem kleinen Tumult los.
Meine Eltern hatten schon imner gesagt ich sei zu mitfühlend, hätte immer das Bedürfnis zu helfen.
Deshalb war ich auch zur Polizei gegangen, weil ich das Richtige tun und den Menschen helfen wollte.
Das durfte ich niemals aus den Augen verlieren.
Kaum war ich um die Ecke gebogen, da stürzten Luar und Kyle sich auch schon auf mich. Rio beobachtete die beiden nur lachend.
"Männer... Die waren die ganze Zeit über so, wenn du nicht bald wieder aufgetaucht wärst, dann hätten sie vermutlich mich gefressen."
Ich gab jedem sein Sandwich und den Kaffee, solange beides noch warm war, und sie stürzten sich darauf wie Verhungernde.
Luar warf einen Blick in die Tüte mit den Donuts und runzelte die Stirn. Er nahm einen heraus und betrachtete ihn kritisch, dann wandte er sich langsam mir zu.
"Ist das dein Ernst?"
Ich bemühte mich, mein Lachen zu unterdrücken. "Ja, schon."
"Die sind rosa."
"Ja, schon."
"Ich habe zwei kleine Töchter und den ganzen Tag nur rosa um den Kopf und da du hast nichts besseres zu tun, als hier pinke Donuts anzuschleppen? Mein einziges Essen seit Stunden soll ein glitzernder Hello Kitty Donut sein?!"
"Ja, schon."
Als ich seinen Blick sah nahm ich lieber die Beine in die Hand und verschwand aus seiner Reichweite.
Hinter mir hörte ich Rio und Kyle lachen.
Ich wusste genau, wie ich Luar ärgern musste, um ihn zum Ausrasten zu bringen.
Nach einigen Minuten traute ich mich wieder aus meinem Versteck hervor.
Luar saß, noch immer rot im Gesicht, auf einem der Klappstühle.
Mit etwas Sicherheitsabstand setzte ich mich ebenfalls und hatte gerade den ersten Bissen von meinem Sandwich abgebissen, als sich zwei Gestalten näherten.
Bei näherem Hinsehen erkannte ich Colbert, der zügig voranstapfte.
Ihm folgte der Direktor der Schule, er wirkte außer Atem und ebenso erschöpft wie alle anderen hier.
"Sie beide!", rief Colbert schon aus einiger Entfernung, "mitkommen!"
Er schlug eine scharfe Kurve ein und eilte zum nächsten Posten.
Der Direktor hatte seine liebe Mühe, ihm zu folgen.
Ich warf Luar einen verwirrten Blick zu, der zuckte nur mit den Schultern und folgte den beiden dann. Ich schnappte noch schnell mein Frühstück und eilte ihm hinterher.
Im Koordinationszelt war mindestens die Hälfte unseres Reviers versammelt.
Wir quetschten uns in eine Ecke und warteten darauf, dass jemand etwas sagte. Natürlich ließ Colbert nicht lange auf sich warten:
"Es gibt neue Erkenntnisse. Und keine guten."
Weder Applaus, noch sonst irgendeine Reaktion folgte, also sprach er weiter als hätte seine peinliche Kunstpause nie existiert:"Wir konnten inzwischen in Erfahrung bringen, wer der Attentäter ist. Oder genauer gesagt: Die Attentäterin!"
Darauf folgte zumindest kurzes Gemurmel, dann herrschte wieder Stille.
Luar und ich wechselten einen bedeutungsvollen Blick. Das könnte tatsächlich ein wichtiger Schritt sein - in die richtige Richtung.
"Es handelt sich um eine ehemalige Schülerin. Anscheinend will sie Rache für etwas..."
"Woher kommen diese Informationen?", fragte jemand aus der Menge.
"Von einem Mädchen, die seit Beginn dieser ganzen...Sache...in der Toilette eingesperrt ist. Sie verfügt über ein Mobiltelefon und steht mit einer der freiwilligen Helferinnen in regelmäßigem Kontakt. Sie konnte die Täterin fotografieren, ohne entdeckt zu werden."
"Was wollen sie nun unternehmen?"
"Mit diesen Neuigkeiten können wir erneut versuchen, Kontakt zu ihr aufzunehmen. In die Schule vorrücken ist wegen der automatischen Abriegelung und weiteren Ungewissheiten leider noch immer nicht möglich, doch wir kommen voran. Allerdings werden sie wohl noch eine Weile auf ihrem Posten bleiben müssen."
Allgemeines Gemurre kam auf und ehe ich mich versah hatte ich mich bereits durch die Menge bis fast nach vorne zu Lt Colbert und Herr Sieder durchgemogelt.
"Sie haben also immer noch keinen Plan, wie sie die Situation lösen könnten?"
Ich wäre am liebsten direkt wieder abgehauen, doch nun war es zu spät. Colbert fixierte mich bereits mit einem eiskalten Blick.
"Ich habe sehr wohl einen Plan. Wie kommen die überhaupt dazu..."
"So wie sie vorhin einen Plan hatten, als uns ein weiteres Vorrücken verboten wurde? So wie sie verhindert haben, dass die Türen verriegelt werden? So wie sie dieses Mädchen das vermutlich Todesangst leidet, aus der Toilettenkabine befreit haben, anstatt sie für ihren eigenen Nutzen dort verrotten zu lassen?!"
Colbert lief knallrot an.
Doch bevor er etwas sagen konnte, kam ich ihm erneut zuvor.
"Wir sind Polizisten. Wir wissen was wir zu tun haben, und wir werden nicht abziehen, bevor die Situation sich gelöst hat. Aber das bedeutet nicht, dass wir sie bedingungslos bei ihren selbstsüchtigen Aktionen unterstützen.
Wir machen unseren Job, nicht mehr und nicht weniger. Überlegen sie mal, was genau sie eigentlich tun."
Damit wandte ich mich um und verließ das Zelt. Zügigen Schrittes eilte ich zurück an meinen Posten.
Luar hatte mich auf halben Weg eingeholt.
"Colbert hasst dich jetzt."
Ich schnaubte nur. "Und wenn schon."
"Die meisten sind deiner Meinung. Und ich glaube nach der Aktion verzeihe ich dir sogar den rosanen Überfall."
Ich lächelte schwach. Nichts davon würde mich vor der vermutlich drohenden Degradierung bewahren, doch immerhin fühlte ich mich ein wenig besser.
Da fügte Luar noch hinzu:"Und sie arbeiten an einem Plan, wie wir das Mädchen befreien können."
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