III) Folgen
Teil III) Folgen
Stufe. DO IT! Stufe. DO IT! Stufe. DO IT!
Immer und immer wieder das gleiche Mantra, Stufe für Stufe, Absatz für Absatz.
Bis ich mich schließlich keuchend und erschöpft vor einer verglasten Doppeltüre wiederfinde. Die neongrüne Anzeige postuliert zwei Buchstaben. EG.
Ich habe es geschafft. Stolz lasse ich meinen Blick nach oben gleiten. So viele Stockwerke, so viele Stufen über mir liegt meine Homebase. Es fühlt sich an wie eine Weltreise, dabei sind es nur einige hundert Meter Entfernung. Aber jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt.
Als ich mich ein wenig beruhigt habe, strecke ich meine Hand nach der Glastür aus. Für einen Rückzieher ist es zu spät. Ich weiß bereits, dass ich es tun werde.
Ich drücke gegen die Tür, aber sie bewegt sich keinen Millimeter. Verdammt, sie ist abgeschlossen, schießt es mir durch den Kopf. All die Mühe und Anstrengung umsonst.
Plötzlich reißt mich ein neues Geräusch aus meinen angestrengten Bemühungen die Tür zu öffnen. Schon wieder der Chip, denke ich, bis mir einfällt, dass ich mein Earpiece entfernt habe. Daher kann das erneute Piepsen nicht kommen. Trotzdem bleibe ich dieses Mal ruhig. Mein Blick wandert in dem Raum umher. Weißgrau marmorierte Fliesen. Ein paar schlichte schwarze Türen, alle verschlossen. Die Treppe! Das Geräusch kommt von oben. Jemand hat mich bemerkt und kommt mir nach. Wahrscheinlich ein Control- Bot. Jetzt klopft mein Herz doch schneller und ich schaue mich hektisch um. Hier kann ich nicht bleiben. Er würde mich sofort sehen. Direkt am Fuß der Treppe zweigt eine weitere Tür ab. Nein, die kann ich nicht nehmen. Ich müsste ein paar Schritte zurücklaufen und bestimmt ist sie auch verschlossen. So muss sich ein Tier in der Falle gefühlt haben. Kein Ausweg, wohin man auch schaut. Aber vielleicht dort drüben, an der gegenüberliegenden Seite. Dort ist ein Knopf und eine seltsame Einlassung in der Wand. Unter normalen Umständen würde ich es nicht riskieren, auf Knöpfe zu drücken, deren Funktion ich nicht kenne, aber wenn ich nichts tue, werde ich entdeckt. Ohne weiter darüber nachzudenken, welche Konsequenzen mich erwarten könnten, eile ich zu der Stelle und drücke den Knopf. Die metallische Einlassung fährt lautlos zur Seite und ich schlüpfe in die sich wundersamer Weise vor mir auftuende Kammer. Eine Geheimkammer zur rechten Zeit. Ich kann mein Glück kaum fassen. Auch hier befindet sich ein ähnlicher Knopf. Die Türen schließen sich ebenso leise wieder. Allerdings sitze ich jetzt erst recht im Käfig. Die Wände sind verspiegelt. Ich sehe mich vor mir, neben mir und selbst als ich nach oben schaue, blicke ich in mein eigenes Gesicht. Es ist mir seltsam vertraut und doch so fremd. Ich streiche über meinen kahlen Schädel, wie um zu überprüfen, ob ich es wirklich bin. Ich fühle mich an wie immer. Ich sehe aus wie immer. Aber alles um mich herum hat sich verändert und ich spüre, wie es mich verändert.
Das Piepsen wird lauter. Es muss jetzt draußen auf dem Gang sein. Ich halte die Luft an. Was wenn der Bot diese geheime Kammer kennt und den Knopf drückt? Was würde er mit mir tun? Wie würde ich bestraft werden? Kam so etwas schon einmal vor? Ob es wohl noch andere wie mich gibt? Was würde Levi sagen, wenn er mich jetzt sehen könnte?
Während ich noch nachdenke, wird das Geräusch leiser. Ich lausche an der Tür, bis es schließlich ganz verstummt. Ich warte noch eine Weile. Hier kann ich mich nicht für immer verstecken. Ich weiß nicht, was mich draußen erwartet, aber mir bleibt keine Wahl, als es herauszufinden und mich meinem Schicksal zu stellen. Ich drücke den Knopf und die geheime Tür fährt auf.
Alles verlassen. Keine Spur von einem Bot. Siegesgewiss eile ich auf die Ausgangstüre zu. Vielleicht gibt es auch hier einen versteckten Knopf, der sie öffnet? Aber so sehr ich mich umsehe, ich finde keinen. Trotzdem muss es einen Weg geben. So kurz vor meinem Ziel will ich micht nicht geschlagen geben.
Dann drücke und ziehe ich erneut an der Tür. Nichts. Aber ich bin noch nicht bereit aufzugeben.
Ich wende alle meine Kraft auf. Ziehe und zerre an der Tür, bis sie schließlich einen Spalt nachgibt. Sie ist nur blockiert. Wer weiß, wie lange niemand mehr hindurchgegangen ist? Die Drohnen benutzen keine Treppen. Die Schächte und Versorgungsrohre brauchen ebenfalls kein Treppenhaus. Es ist ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit, nutzlos geworden, wie das Steißbein der Menschen im Laufe der Evolution.
Mit roher Gewalt drücke ich gegen die Tür und mit einem lauten Ächzen öffnet sich mein Tor in die Freiheit. Ich triumphiere innerlich. Dass ich so viel Kraft habe, ist mir neu. Und so viel Mut. Aber in mir steckt mehr als man ahnt. Nicht nur Logik und Analytik, denke ich, auch Mut und Entschlossenheit, Kraft und Durchhaltevermögen sind wichtig. Lehrt uns das nicht auch die Geschichte in zahlreichen Beispielen?
Oder ist es mein Tor zur Hölle, das vor mir liegt und das zu durchschreiten ich gerade im Begriff bin? Ich kenne schließlich auch die düsteren Kapitel der Vergangenheit. Die vielen Fälle in denen Wagemut grauenvoll schief ging.
Ich zögere. Halte inne. Soll ich noch einmal nachdenken? Umkehren? Wie gefährlich ist es wirklich? Ich ziehe einen tiefen Zug frischer Luft in meine brennenden Lungenflügel. Verdammt, was tue ich hier? So muss sich ein Drogenrausch angefühlt haben. Dummheiten! Aber nein! Mit einer energischen Handbewegung verscheuche ich die Gedanken und trete entschlossen durch die geöffnete Tür. Ganz oder gar nicht. Ich bin bereit, die Folgen meines Handelns zu tragen. DO IT!
Ich mache einen Schritt nach vorne. Spüre zum ersten Mal die Strahlen der frühen Sonne auf meinem Gesicht. Höre zum ersten Mal das morgendliche Zwitschern der Vögel. Rieche die frische Feuchte der Morgenluft und spüre sie auf meiner Haut.
Und zum ersten Mal in meinem siebzehnjährigen Leben sehe ich die Morgenröte am Himmel. Kein Kunstwerk kann schöner sein, keine 4D- Simulation darstellen, wie wundervoll das Leben ist. Es ist ein Anblick zum Verlieben und die schiere Schönheit und Intensität der Farben überfordert meine Sinne. Und mir werden schlagartig zwei Dinge bewusst.
Erstens, ich habe mein ganzes Leben noch vor mir.
Zweitens, ich kenne zwar die Welt, aber ich habe sie noch nie gesehen. Nie ihre tiefe, wirkliche und wahre Schönheit live und in Farbe erlebt. Ich habe sie gesehen, aber noch nie wirklich begriffen.
Und in diesem Moment spüre ich, wie sich eine Hand auf meine Schulter legt.
Erschrocken zucke ich zusammen. Mein Herz macht einen Satz. Als ich den Kopf drehe, wie gelähmt von der unerwarteten und ungewohnten Berührung, fällt mein Blick auf ein mir bekanntes Augenpaar.
Augen, die sich nicht entscheiden können, ob sie grün oder braun sein wollen und ich höre eine mir ebenfalls vertraute Stimme sprechen. Nicht durch das Earpiece, sondern face to face.
Es ist ungewohnt und neu für mich. Ich stehe immer noch da wie zu einer Salzsäule erstarrt.
„Wer sagt denn, dass es keine echten Abenteuer mehr gibt? Deines hat gerade erst angefangen, Zora S - aude." Er spricht meinen Namen seltsam gedehnt aus. Ob das normal ist, wenn man richtig miteinander spricht?
"Sapere aude! Du hast genug historische Simulationen gesehen, um die geheime Bedeutung deines Familiennamens zu kennen. Und du hast dich heute würdig erwiesen ihn zu tragen."
(1199 Wörter)
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro