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HOLLY
Ein weiterer Tag und der zweite in Folge, in der mein Vater im Schwesternzimmer sitzt, Kaffee und Kekse futtert und zwischendurch mal einen prüfenden Blick auf mich wirft, während ich konzentriert meiner Arbeit nachgehe.
Als ich für Natalie eine Patientenakte aus dem Schwesternzimmer holen will, halte ich an der halb geöffneten Tür inne.
„Ich finde deine Annäherungsversuche ganz reizend, Maria...", brummt mein Dad, der eigentlich in Ruhe die Schokokekse verspeisen will, aber Marie lässt einfach nicht von ihm ab.
Sie steht hinter ihm, massiert ihm die Schultern.
„Ich heiße Marie", stellt sie klar. „...und ich kann deine Verspannungen lösen. Holly als Tochter zu haben und dazu dieser Job, ist doch anstrengend und nur um die angespannte Tochter-Vater-Beziehung zu retten, sitzen Sie in Ihrer kostbaren Freizeit hier und versuchen mich tatsächlich um den Finger zu wickeln!"
Dad legt den Keks auf den kleinen Teller von sich und klopft Marie sanft auf die Hände, damit sie diese von ihm weg nimmt. „Wie ich meine Freizeit gestalte, bleibt ja immer noch mir überlassen."
Freizeit. Stimmt. Die anderen wissen nichts von dem Kopfgeld, und das ist auch gut so, sonst würde Marie noch auf den Trichter kommen Jay umlegen zu wollen, damit sie 100.000$ bekommt.
„Und ich bitte Sie ein letztes Mal mich nicht anzufassen. Ich habe eine Fr..."
„Ihre Frau ist doch kein Hindernis für mich", unterbricht Marie scharf, greift nach den Armlehnen des Stuhls und dreht Dad in ihre Richtung. Sie lehnt sich so weit nach vorne, dass nicht mehr viel Platz zwischen deren Gesichtern bleibt.
Wie nötig muss man es eigentlich haben?
Aber Das reagiert schnell. Er fasst neben den Stuhl nach einem Hebel, zieht daran, sodass sich die Rückenlehne nach hinten verabschiedet. „Lassen Sie mich einfach in Ruhe!"
„Eben, lass meinen Dad in Ruhe. Musst du nicht arbeiten!", fuhr ich Marie an und trete in das Schwesternzimmer, um nach der Patientenakte zu suchen.
Marie hat sich zu mir gedreht und blinzelt mich wütend an. „Du ruinierst auch einfach alles", faucht sie mich an und verlässt zügig das Schwesternzimmer.
„Natürlich. Ist meine Schuld", flüstere ich und wende mich zu Dad.
Dieser atmet erleichtert aus und setzt sich gerade hin. „Danke."
„Hm-mm", mache ich. „Eine Freundin, also, Rebecca?"
„Ja, wir wohnen seit einem Monat in ihrem Apartment, läuft ganz gut. Wenn wir Kontakt miteinander hätten, würdest du es wissen."
„Ja", sage ich kleinlaut und nehme die gesuchte Akte an mich. Ich mustere Dad kurz. „Solange sie sich glücklich macht."
„Das tut sie", nickt er.
„Das ist gut", sage ich und trete aus dem Schwesternzimmer raus, um mich gleich wieder umzudrehen und reinzugehen. „Hat Tante Gloria noch das Ferienhaus am Lake Winnebago?"
„Das in Menasha, oder das in Highland Beach?"
„Warte... Sie hat zwei? Davon hat sie nichts erwähnt, als ich sie letztens anrief."
„Ja, wenn du zwei reiche fast tote Männer heiratest, dich beim ersten mal mit einem sauguten Ehevertrag scheiden lässt und der zweite verstirbt und vorher diese Häuser gekauft hast..."
„Fuck", lache ich. „Die Frau spinnt doch. Obwohl Harold noch nicht mal den Anschein gemacht hat, als sei er reich gewesen."
„Eine spinnende reiche Frau, die ihr Geld weiter investiert um noch mehr Geld zu machen. Wieso fragst du?"
„Wenn das hier vorbei sein sollte, also, du weißt schon und Jay nicht mehr das Problem hat...", Dad nickt. „...dann wollen wir beide für ein paar Tage aus der Stadt raus."
„Hast du oft Kontakt zu ihr? Du weißt, sie scheißt auf Familienmitglieder die sich nur melden, wenn die etwas von ihr haben wollen?"
„Das Tante Gloria auf Familienmitglieder scheißt... oder in deren Betten oder Motorhauben weiß ich, deshalb telefonieren wir einmal um Monat über Skype."
Dad nickt.
„Wenn du denkst, ich halte mir deine Schwester warm, weil sie Geld hat, irrst du dich. Sie war trotz wenigen Kontakt immer für Sam und mich da, auch als Mom und du..."
Dad nickt wieder. „Ja, ich hörte davon. Sie lässt es mich jedes mal wissen, dass meine Kinder die einzigen McGowan Nachfahren sind die sich bei ihr melden."
„Ohja, dass höre ich auch andauernd. Sie hat mich gefragt, wie sie am besten einen Haufen Exkremente an die Kinder deiner Geschwister schicken kann."
Dad lacht leise. „Die Frau spinnt und außerdem reden wir hier von deinen Cousinen und Cousins."
„Auf den Teil der Familie scheiß ich. Halten sich jedes mal für was Besseres und mir geht's gut ohne Tante Yara und ihre Ausgeburten der Hölle."
„Du redest hier immer noch über meine kleine Schwester und ihre Kinder."
„Deine Halbschwester und ihre Kinder. Ausgeburten der Hölle, Dad. Du weißt doch wie verzogen diese Gören sind."
„Die Gören verdienen mittlerweile alle ihr eigenes Geld."
„...sind aber trotzdem noch auf Almosen von Mama und Papa angewiesen, weil sie nicht mit den Geld umgehen können", unterbreche ich. „Tante Gloria weiß alles, auch wenn der Kontakt nicht sonderlich viel zu denen ist."
Dad schneidet eine Grimasse. „Du hältst dich wegen deiner Lästereien über deine Verwandtschaft von der Arbeit auf."
„Ich weiß", nicke ich. „Aufgezwungene Verwandtschaft, wenn ich bitten darf."
„Du hältst mich von Keksefuttern auf. Geh arbeiten, Holly." Dad kann sich kein Lachen verkneifen, als ich aus dem Schwesternzimmer eile und auch ich muss lachen.
Diese Konversationen mit ihm haben mir wirklich gefehlt und ich komme mir augenblicklich schlecht vor, dass ich ihn so gemieden habe, obwohl alles Mom's Schuld ist.
***
Nach Feierabend begleitet mich Dad in seinem Privatwagen zum Kindergarten, ich sammle Jackson ein und beschließe noch ein wenig Zeit mit meinem Dad verbringen zu wollen.
Bis Jay von der arbeit nach Hause kommen würde, würde eh noch dauern und auf dem nach Hause Weg, würde ich ihn etwas von seinem Lieblingsitaliener holen.
Ich schlage Dad vor, dass wir zu Jackson's Lieblingsspielplatz fahren, aber Dad besteht darauf uns zum Essen einzuladen.
„Wenn wir es noch schaffen, können wir Beca mit zum Essen... du weißt schon, wenn's dir recht ist", fängt er vorsichtig an.
„Können wir machen."
„Nicht unweit ihrer Arbeitsstelle in Downtown ist ein wundervolles Restaurant. Ich lade euch ein."
Wieder nicke ich zustimmend. Da wir aber nicht so viel Geld für Parktickets ausgeben wollen, stellen wir mein Auto vor unserer Wohnung ab und fahren mit Dads Auto in Richtung Norden.
Irgendwie bin ich aufgeregt, Dads Freundin kennenzulernen und rutsche auf dem Stuhl im Restaurant nervös hin und her.
Jackson sitzt zwischen Dad und mir (wir beide sitzen gegenüber) in einem Hochstuhl für ältere Kinder und lässt das Spielzeugauto, welches er unwissentlich aus dem Kindergarten mitgenommen hat über den Tisch fahren.
„Beca braucht immer ein bisschen. Ihre Arbeit ist nicht gerade ohne", lässt Dad mich wissen, als ich wieder an meinem Glas Sprudelwasser genippt habe und gleichzeitig auf meine Handyuhr blicke.
Ich stelle mein Glas wieder auf den Tisch. „Als was arbeitet Beca den..."
„Es tut mir so leid, dass ich mich verspätet habe!", unterbricht ihre schrille Stimme meine Frage.
Fürchterlich zucke ich zusammen. Ich habe ganz vergessen, wie hoch ihre Stimme ist und auch Jackson blickt irritiert auf und schielt zu mir hinüber.
Dad ist von deinem Stuhl aufgestanden und begrüßt die zierliche Beca mit einem Kuss auf den Mund, ehe er ihre Jacke abnimmt und über den Stuhl hängt.
„Wir haben uns ja schon gesehen. Beca", sagt sie an mich gewandt, setzt in ihrem völlig unnatürlichen und überschminkten Gesicht zu einem Lächeln an und hält mir die Hand zur Begrüßung hin.
„Holly", entgegne ich überfordert und haue meine Faust gegen ihre Hand, die eigentlich auf eine normale Handbegrüßung ausgelegt ist.
„Oh", kichert Beca nervös und hört sich dabei an, als sei sie Minnie Mouse auf Helium.
Die ballt ihre Hand genau in diesem Moment zur Faust als ich meine Hand für einen Handschlag öffne.
„Oh man", kommentiert Dad und Jackson ahmt ihn nach.
Beca lacht wieder so komisch, während ich am liebsten im Erdboden versunken wäre. Dann setzt sie sich neben meinem Dad und ich merke neben der Schminke, dem perfekt gestylten Haar Glitzer auf ihrem Dekolleté und die heftige Parfümwolke ihres Vanilleparfüms.
Das Parfüm hab ich auch mal gehabt. In der Highschool, vor etlichen Jahren und für Jay bin ich heute noch der menschliche Autoduftbaum- genauso künstlich riecht nämlich Becas Parfüm.
„Ziemlich spontan das Ganze", kommentiert sie und greift nach der Speisekarte. „Wie kommt's?"
„Äh, frag mich was einfaches", antwortet Dad nervös. „Du hast ja überall Glitzer!"
„Ob man es glaubt oder nicht, nicht nur die Mädchen stehen auf Glitzer, sondern auch die kleinen Jungs- kannst du das glauben?"
Bitte? Über was redet sie da bitte?
„Heute kam auch endlich die Lieferung Ping-Pong-Bälle an, nachdem die uns das letzte Mal Handbälle geschickt haben. Ich meine, die passen doch nicht in solch enge Löcher und diese zu weiten ist eine Herausforderung."
Mein Dad muss nur lachen, während ich fast auf dem Tisch kotze.
Glitzer, Männer stehen auch auf Glitzer, Ping-Pong-Bälle, ihr Auftreten mit der vielen Schminke, den knall pinken Fingernägeln mit dem sie Yoghurt löffeln könnte.
Oh mein Gott. Rebecca ist eine Stripperin.
Dad. Nein!
Ich wünsche mir gerade so sehr, dass die Flüssigkeit in meinem Glas, welches ich zügig leere, Bier ist, oder Tequila, oder sonst was hochprozentiges Alkoholisches.
Das kann doch alles nicht wahr sein.
Weiß Sam das Dads neue Flamme eine Stipperin ist? Fuck. Das muss ich ihn wissen lassen.
Dad merkt, dass mit mir etwas nicht stimmt und blickt mich stirnrunzelnd an, während ich am liebsten die Flucht ergreifen würde.
Beca ist in der Speisekarte vertieft und ich schaue zu Jackson, welcher noch immer mit den geklauten Auto spielt.
Ich ziehe mein Handy unauffällig aus der Jackentasche und lege es auf meinem Schoß.
Dad redet von seinem angeblichen stressigen Arbeitstag, erzählt irgendwas von einem heftigen Mordfall, lässt aber die Kleinigkeiten aus. Anscheinend weiß Beca nichts von dem Kopfgeld das auf meinen Verlobten ausgesetzt wurde. Ist auch gut so. Die beiden unterhalten sich und ich kann mich meinem Handy zu wenden.
Holly
SAM!! WUSSTEST DU DAS DADS NEUE EINE STRIPPERIN ODER SO IST!?
Ich schicke gleich die nächste Nachricht hinterher.
Holly
Es würde so passen. Ihr Kleidungsstil, ihre Haare, die viele Schminke. Sie sitzt gerade gegenüber von mir. Glitzert überall. Meinte irgendwas das auch die kleinen Jungs auf Glitzer stehen. Dann hat die von einer Ping-Pong-Lieferung geredet. Diese würden ja besser in die engen Löcher passen, als die vorher fälschlicherweise gelieferten Handbälle!
Holly
Sammy!! Dads neue Freundin ist eine Stripperin die sich vor anderen Leuten auszieht, nackt macht, ihre Möpse Schwungvoll im Takt der Musik umherwirbelt und Ping-Pong-Bälle aus einem gewissen Körperteil auf Männer schießt. NO WAY!
Holly
Es ist so peinlich. Ich würde am liebsten abhauen. Was mache ich denn jetzt? Was macht Dad hier? Der Typ findet sowas doch eigentlich ekelhaft und hat doch auch noch seine Würde. Du weißt, wie eifersüchtig Dad sein kann.
Holly
Ich bin überfordert. Soll ich sie darauf ansprechen? Was mache ich denn jetzt?
„Holly, es wird mit dir geredet!", mahnt mein Dad mich.
Als ich aufschaue, schlucke ich, fühle mich ertappt wie ein kleines Kind. „Hä?", frage ich.
Dad deutet an den Tisch, an dem der Kellner steht und mich fragend anblickt. „Wir warten alle auf deine Bestellung."
„Nudeln."
„Wir sind ein Griechisches Restaurant. Bedauerlicherweise haben wir keine Nudelgerichte."
Ich komme wieder zu mir. „Ja, oh, Entschuldigung. Ich nehme die Gyrosplatte. Bitte zwei Gabeln und ein Teller einzeln. Mein Sohn isst bei mir mit."
„Reis oder Pommes dazu?"
„Reis."
Der Kellner schreibt das auf, nickt und sagt uns, dass das Essen gleich kommen würde. Erst jetzt wird mir klar, dass die anderen beiden schon bestellt haben müssen.
Dad blickt mich mahnend an, während Beca sich nervös im Restaurant umschaut.
Ich stecke mein vibrierendes Handy weg. Auch wenn ich gerade etliche Nachrichten bekomme, vermutlich eine Nachricht auf meine, stecke ich das Handy in die Hosentasche, um Dad nicht weiter zu verärgern.
„Alles in Ordnung?", fragt Dad und legt die Stirn in Falten.
„Jaja, alles tutti", antworte ich und merke meinen plötzlich trockenen Mund. Sofort nehme ich einen Schluck kühles Wasser zu mir und räuspere mich. „Ist nur Jay."
„Ist bei ihm alles in Ordnung?", fragt Dad bohrender nach.
„Ja.. ja... hab ich doch gesagt. Alles in Ordnung bei ihm, bei mir, beim Papst. Bei dir alles in Ordnung?"
Beca und Dad blicken mich komisch an. „Holly Joleen McGowan!", brummt Dad und mindestens jetzt weiß ich, dass ich mich wieder normal benehmen muss, sonst wettert ein Donnerwetter nach dem anderen und da ist es egal, dass ich in ein paar Wochen meinen 28ten Geburtstag feiere.
Für Dad bin ich gerade seine kleine Tochter, die sich sichtlich merkwürdig verhält und das gefällt ihm nicht.
Selbst mir gefällt das kein bisschen.
In meinem Kopf stellen sich mehrere normalklingende und höfliche Sätze zusammen, die ich im Bezug auf Rebecca hätte los werden können, aber mein loses Mundwerk kommt mir zuvor: „Ich kann nicht glauben, dass du eine Stripperin vögelst!"
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