39
HOLLY
Als Jay am Abend nach Hause kommt und die Tür zufällt, höre ich nicht nur sein Gequatsche, sondern auch die Stimme von meinem Bruder.
Ich gehe nach vorne und begrüße die beiden, frage aber meinen Bruder, ob er sich verlaufen hat.
Er drückt die Wohnungstür zu und blickt mich an. „Nein, bin tatsächlich freiwillig hier", antwortet er und schneidet eine Grimasse. „Wo hast du Jackson gelassen?"
„Im Bett. Es ist kurz vor acht."
„Ach, der ist ein Kleinkind, voll vergessen", murmelt Sam.
Jay kommt zu mir und drückt mir einen Kuss auf den Mund und geht auf die Toilette.
„Wir wissen übrigens wieso du vorhin mit Voight geredet hast. Aber gute Neuigkeiten: Stillwill lässt Voight in Ruhe und verweilt wegen Mordes an Sheldon Jin bald im Knast."
„Warte", sage ich. „Stillwell hat Sheldon wirklich umgebracht. Warum?"
Sam nickt. „Jepp, er hat Sheldon zu seinem Spion gemacht, um etwas gegen Voight zu finden, hatte die Spielsucht seines Vaters als Drohung genutzt. Sheldon hat aber Informationen gegen Stillwell gesammelt. Man zählt eins und eins zusammen. Erin ist aber angepisst."
„Wieso das denn?"
„Voight hat damals einen Deal mit der Innenrevision gemacht, um seine Arbeit wieder zubekommen. Hätte ich genauso gemacht. Aber was soll's. Erin zickt deswegen herum, als sei sie untervögelt, oder so." Sam winkt das Gespräch mit einer Handbewegung ab. „Wir hatten heute einen sehr anstrengenden Arbeitstag."
„Und?"
Ich höre die Toilettenspülung und einen laufenden Wasserhahn.
„Du bist noch nicht in Schlafkleidung, ich würde auf Jackson aufpassen, während du und dein Verlobter ein bisschen die Gegend unsicher macht", schlägt Sam vor und lässt sich auf die Couch fallen.
„Äh, ich bin ebenfalls echt kaputt und hab eigentlich nur auf Jay gewartet..."
Die Badezimmertür geht auf und Jay hält mir sofort seinen ausgestreckten Zeigefinger entgegen.
„Keine Widerrede. Es ist Freitag, wir gehen aus, solange er noch freiwillig auf Jackson aufpassen will."
„Hey, hört sich so an, als sei Jackson ein Teufel. Der kleine Mann ist doch ein lieber Kerl."
„Er kann aber auch anders. Glaub mir", sagt Jay. Dann wendet er sich zu mir und tippt mir mehrmals in den Bauch. „Na komm, zieh dich um, fahren wir ins Molly's."
„Keine Widerrede, oder ich trete dich aus der Wohnung raus, Holly!", lässt Sam mich wissen und greift sich den Xbox-Controller.
„Ja, hab's verstanden. Ist okay", fluche ich und mache mich gegen meinen Willen fertig, auch wenn ich am liebsten ins Bett kriechen würde.
***
Nach einer halbstündigen Fahrt hält das Taxi vor dem Molly's, die Bar, die von Gabby, Herrmann und Otis von der Feuerwache 51 betrieben wird.
Ich bin dort ein paar mal gewesen- zur Eröffnung, als ich noch mit Kelly zusammen gewesen bin und andere Male. Aber das ist eine Ewigkeit her.
Es fühlt sich merkwürdig an, nach so langer Zeit diese Bar zu betreten, aber innerhalb von ein paar Sekunden fühle ich mich wohl- und das ist nicht allein der wunderschönen Deckenbeleuchtung aus einer unendlichen Lichterkette zu verdanken, sondern auch der Arm um meiner Hüfte, Jays Nähe und dieses wundervolle Parfüm von ihm.
Ich blicke zu Jay, wir beide sind fast gleich groß, da ich wieder zu meinem heißgeliebten Louboutin gegriffen habe.
„Wir übertreiben es aber nicht. Wir müssen morgen beide wieder arbeiten", antworte ich ihn auf die Frage, ob ich ein Cocktail haben möchte.
„Verstanden", grinst er, nimmt seinen Arm um meiner Hüfte weg, um nach meiner Hand zu greifen und mich dann vorsichtig zur Bar zu ziehen.
„Was sehen denn meine trüben Glotzkorken da?", ruft Herrmann, als wir uns an die Bar setzen. „Dich habe ich Ewigkeiten nicht mehr gesehen!"
Er kommt tatsächlich um die Bar herum, um mich stürmisch zu umarmen. Lachend erwidere ich die Umarmung. „Ach, Herrmann, wie geht's dir so?"
Er drückt sich von mir weg und legt seine Hände auf meine Schultern. „Kann mich nicht beschweren, wie's mir geht. Aber darüber, dass du dich mit deinem Sohn noch nie auf der Wache hast sehen lassen schon. Jackson muss doch schon beim Anblick der Polizeiautos kotzen!"
„Woher willst du das wissen?", unterbricht Jay ihn und dreht sich auf dem Hocker zu uns. „Jackson liebt Polizeiautos!"
Herrmann nimmt die Hände von mir und gestikuliert in Richtung Jay. „Das sagt er nur, um nicht die Gefühle seines alten Herren zu verletzen, Detective Sommersprossenvisage!"
Ich muss lachen und wende mich zu Jay, der eine Grimasse schneidet. „Hast gewonnen. Mir fällt kein Konter ein, der harmlos ist."
„Besser ist. Ich hätte noch so viel mehr im Petto, Halstead", verkündet Herrmann großmaulig und geht wieder hinter die Bar. „Ihr wollt doch sicherlich etwas trinken, hab ich Recht?"
Ich setze mich auf den anderen freien Hocker an die Bar, direkt neben Jay und lege meine kleine Handtasche auf die Theke.
„Oh, dachte schon, du fragst nie. Long Island Icetea für mich, Sex On The Beach für Holly!" Jay zeigt erst auf sich und dann auf mich.
„Das du dich nach all den Jahren von diesen Zeug noch nicht sattgesehen hast", kommentiert Herrmann in meine Richtung.
„Solange ich mich damit nicht an einem Abend übersaufe, werde ich es immer wieder trinken."
„Leck mich doch am Arsch!"
Jay und ich zucken gleichzeitig zusammen, als Herrmann abermals laut wird. Er hält mir die Hand hin und fordert ungeduldig meine auf.
„Seit wann seit ihr beiden denn verlobt?"
Jay muss nur lachen, als Herrmann meinen Ring inspiziert und als wertvoll und teuer einstuft.
„Seit dem 19ten März. Wir wollten eigentlich im P&P essen gehen, blieben aber im Fahrstuhl stecken. Dort hat er mich dann gefragt."
„Na dann herzlichen Glückwunsch euch beiden."
„Danke."
„Hm, danke, kriegen wir die Getränke umsonst?", hakt Jay nach. „Oder heute noch?"
Herrmann schnaubt. „Da hättet ihr beiden am 19ten März zu mir kommen müssen. Bin ja schon dabei, Detective Ungeduld. Otis! Sex On The Beach und Long Island Icetea! Pronto!"
Ein sichtlich genervter Otis schaut zu Herrmann, murmelt irgendwas vor sich hin, ehe er sich trotzdem an die Arbeit macht.
Als Herrmann sich anderen bezahlenden Gästen zu wendet, merke ich Jays Blick auf meinem Gesicht ruhen. Ich blicke zu ihm und verenge die Augen. „Suchst du Stress?"
Jay prustet los. „Nein, beim besten Willen nicht." Er hört auf zu lachen und versucht mich ernst anzublicken. „Hab eh keine Chance gegen dich", murmelt er und kann sich das Grinsen trotzdem nicht verkneifen. Offensichtlich glaubt er es selbst nicht.
Leise lachend schlage ich ihn auf den Oberarm. „Du bist ein Spinner. Ich kann es mit dir aufnehmen, wenn ich will, will ich aber nicht."
„Komm, wieso das denn nicht? Wieso würdest du es nicht mit mir aufnehmen wollen?"
„Ich würde mit unfairen Mitteln spielen", gestehe ich.
„Und diese wären?", fragt er herausfordernd und lehnt sich zu mir rüber.
Auch ich lehne mich zu ihm rüber und blicke ihn tief in die leuchtenden Augen. „Du kennst doch meine Zielgenauigkeit was Arschbohrer angeht?"
Jays verzieht die Schnute und weicht von mir zurück. „Jepp. Kenn ich. Hass ich. Bitte nicht." Flehend blickt er mich an. „Verschone mich."
„Dieser gottverdammte Hundeblick von dir", fluchte ich kopfschüttelnd.
„Den werde ich niemals ablegen. Gewohnheit."
„Ich werde meine Arschbohrer auch niemals ablegen. Gewohnheit!", ahme ich ihn nach um mir einen gespielt gereizten Blick einzufangen.
„Holly, du spinnst."
„Tja, Pech, Umtauschgarantie ist abgelaufen."
Jay seufzt. „Ich würde dich niemals umtauschen. Da kannst du mir auch noch so auf den Sack gehen, oder Arschbohrer kriegt jeder rufen und zur Tat schreiten." Er lehnt sich wieder nach vorne und mustert mein Gesicht. „Ehrlich. Sonst würdest du den da...", er deutet auf den glitzernden Verlobungsring an meinem Finger. „...nicht tragen, sonst hätte ich dir nicht schon vor dreizehn Jahren einen Antrag gemacht."
„Hm", mache ich, lehne mich ebenfalls nach vorne und presse meine Lippen auf seine.
Der kleine intensive Kuss, wird aber schnell wieder von einem angewiderten Otis unterbrochen. „Hier eure Getränke. Übertreibt es nicht. Hier sind noch andere Gäste."
Jay und ich weichen von einander zurück. „Ist nur ein Kuss gewesen, komm runter, Otis", lacht Jay leise und schiebt mir meinen Cocktail zu.
„Hm, klar und deine schlabbrige Zunge, die du notgeiler Cop...", Otis hört auf augenblicklich auf zu reden, als Jay ihn einen warnenden Blick zu wirft. Er hebt die Hand und geht von uns weg.
„Also, du notgeiler Cop, stoßen wir an?"
„Jetzt und hier und später in unserem zukünftigen Ehebett, wenn du verstehst..." grinsend wendet sich Jay mit seinem Cocktail-Glas zu mir.
„Ich verstehe, was du sagen willst, nur verstehe ich nicht, wieso du es sagst, Jay", unterbreche ich ihn, kann mir aber das Lachen nicht verkneifen.
„Auf uns und auf wilde und zarte Zustoßerei in unserem zukünftigen Ehebett!"
Jay kichert wie ein kleines Kind, als wir die Gläser gegeneinanderditschen. Sofort greife ich nach dem Strohhalm und trinke einen kräftigten Schluck.
Am liebsten würde ich sofort das ganze Glas leeren, weil ich keinen Alkohol schmecke, sondern nur die Säfte, aber das würde ich nur wieder bereuen.
„Ja, trink bitte vorsichtiger, ich will nicht, dass du wieder an die Karaokemaschine gehst und aufs Mikro kotzt." Jay schiebt meinen Cocktail zu sich.
„Passiert nicht noch einmal", versicherte ich ihn und ziehe das Glas zurück.
„Deshalb können wir uns nie wieder im Kathy's sehen lassen", erinnert er mich noch weiter daran.
„Ich weiß und du trink langsamer, bevor du wieder denkst du seist Channing Tatum in Magic Mike."
„Ey!", unterbricht Jay mich und hebt abwehrend die Hände. „Dir hat's doch gefallen, wir hatten danach Sex."
„Hey, Jay!"
Jay und ich schrecken zusammen und blicken neben uns. Alvin hat sich zu uns gesellt. „Hast du mal eine Minute für mich." Er dreht zwar seinen Kopf zu mir, blicke aber an mir vorbei. „Hey, Kleines."
Ich hebe mit einem kleinen „Hey", meine Hand und hoffe, dass Alvin das merkwürdige Gespräch zwischen Jay und mir nicht mitbekommen hat und auch Jay scheint das Gleiche zu denken, weil er mir einen leicht panischen Blick zu wirft.
Jay sammelt und räusperte sich. „Klar, hau raus."
„Unter vier Augen. Geht auch ganz schnell", bittet Alvin dringlich und blickt Jay irgendwie niedergeschlagen an.
„Dauert nicht lange", lässt Jay mich wissen, drückt mir einen Kuss auf die Wange und rutscht vom Hocker hinunter.
Er folgt Alvin, der sich abseits von den anderen Gästen stellt. Ich wende mich wieder meinem Getränk zu, von dem ich langsam trinke.
Das Gespräch mit Alvin hat nicht lange gedauert, denn dieser verlässt wieder das Molly's und Jay setzt sich neben mich, um sein ganzes Getränk hektisch auszutrinken.
„Wir sollten nach Hause", bemerkt er, als er den Rest untergeschluckt hat.
„Wir sind nicht mal eine Stunde hier", protestiere ich und verdrehe die Augen.
Jay blickt zu mir und scheint gar nicht gut drauf zu sein. Seine gute Laune von gerade ist wie verschwunden.
„Was ist los?", frage ich und greife nach seiner Hand die auf der Theke liegt. Ich mustere die Züge seines Gesichts und mit den Dreitagebart-Stoppeln.
„Ich habe heute einen Verdächtigen während eines Einsatzes erschossen, sonst hätte es Sam erwischt", fängt er an und sucht nach den passenden Worten. „Der Bruder, Oskar Bembenek war dabei... er hat 100.000$ Dollar auf mich ausgesetzt, weil ich seinen Bruder getötet habe."
„K-Kopfgeld?", stammle ich fassungslos.
Das ganze Prozedere kennen ich von damals. Dad hatte auch mit dem ein oder anderen Kopfgeld zu kämpfen.
Jay fährt sich verzweifelt mit der Hand durchs Gesicht und nickt. „Ja", flüstert er.
Entsetzt blicke ich Jay an. „Was machen wir denn jetzt?"
So verzweifelt habe ich Jay noch nie gesehen, den er zuckt mit den Schultern und scheint mindestens genauso Angst zu haben wie ich.
„Jackson und dir...", er lehnt sich zu mir nach vorne und legt eine Hand auf meinem Oberschenkel, was nach all der Zeit immer noch Herzklopfen und Adrenalinschübe in mir auslöst. „...wird nichts passieren. Dafür werde ich schon sorgen." Eindringlich blickt er mich an. „Das Kopfgeld ist nur auf mich ausgesetzt. Das kenne ich schon."
Mir bleibt ja nichts anderes übrig, als zu nicken. „Die Regel: keine Dienstwaffe zu Hause hat sich hiermit erledigt", flüstere ich. Moment. Jay hat da noch was gesagt. „Warte... du kennst das schon? Wie meinst du das?"
„Army-Zeit. Da stand das an der Tagesordnung", gesteht er und kratzt sich im Nacken. „Außerdem habe ich eine Zweitwaffe. Die ist Zuhause. Gut versteckt."
„Traurigerweise an der Tagesordnung und wow, gut zu wissen", verbessere ich.
Er nickt und blickt mich an. „Wir kriegen das hin", wiederholt Jay eindringlich. „Niemanden von uns wird etwas passieren. Dafür werde ich schon sorgen."
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