KAPITEL 19
Liebes Tagebuch,
es geht mir gut. Zum ersten Mal seit über drei Monaten geht es mir wirklich gut.
Alles fühlt sich so normal und unbeschwert an, sogar das Lächeln. Es ist fast so, als würde ich träumen.
Aber ich bin definitiv wach.
Ich muss ehrlich gestehen: ich habe nicht gedacht, dass ich mich jemals wieder so fühlen werde. Ich hätte auch niemals gedacht oder auch nur erahnt, dass ich jemals mit Emmas Tod zurechtkommen würde. Aber zurzeit passiert einfach so viel, dass mir kaum noch Zeit bleibt an sie zu denken.
Irgendwie klingt diese Aussage so falsch, aber sie entspricht nun einmal der Wahrheit.
Emma würde es mit Sicherheit verstehen.
Auch wenn ich mich vielleicht nicht mehr täglich mit ihr beschäftige oder an sie denke, werde ich meine kleine Schwester für immer in meinem Herzen tragen. Emma ist nach wie vor ein fester Bestandteil von mir und wird es auch immer sein.
Sie würde an meiner Stelle genauso handeln, zumindest hoffe ich das.
Ich entfernte den Kugelschreiber von dem Blatt und las mir den Eintrag noch einmal durch, während ich mich am Hinterkropf kratzte und darüber nachdachte, die beschriebene Seite aus dem Buch zu reißen und wegzuwerfen.
Das Zwitschern der Vögel, das aus der Ferne erklang, zog meine Aufmerksamkeit auf sich und lenkte mich somit von meinem Vorhaben ab.
Mein Blick glitt neugierig über die unzähligen Bäume des Waldes, die sich um mich herum auftürmten. In der Nähe meines derzeitigen Standorts musste sich irgendwo die Lichtung befinden, auf der sich Louis vor zwei Tagen bei mir entschuldigt hatte.
Seufzend wandte ich mich wieder meinem Tagebucheintrag zu.
Heute ist schon der dritte und somit vorletzte Trainingstag in Hitchin.
Mir geht es zwar wie bereits erwähnt gut, aber irgendwie fühle ich mich komisch und obwohl ich zurzeit sehr gut mit Louis zurechtkomme, trete ich ihm jedes Mal mit gemischten Gefühlen entgegen, da ich Angst davor habe, dass er wieder eine seiner Stimmungsschwankungen hat und mich deswegen schlecht behandelt.
Es mag lächerlich klingen, aber es ist nun einmal eine Tatsache.
Manchmal denke ich sogar, dass er zwei Persönlichkeiten hat. Denn wie kann es möglich sein, dass sich ein Mensch von einem Tag auf den nächsten SO verändert?
Liegt es womöglich an seiner Familiensituation?
Oder steckt vielleicht doch etwas Anderes dahinter?
Ich kann es mir einfach nicht erklären und ich denke, dass Louis es wahrscheinlich nicht einmal selbst kann.
Und genau das jagt mir Angst ein.
Unsagbare Angst, in meinem beginnenden Höhenflug enttäuscht zu werden und wieder ganz tief zu fallen. Und diese Angst darf ich auf keinen Fall von meiner Freude und den ganzen anderen Emotionen überschatten lassen, ich muss sie immer im Hinterkopf behalten.
Ich hielt einen Moment inne, bevor ich letztendlich die Frage niederschrieb, die mir schon seit Louis' und meinem ersten Kuss auf der Zunge brannte.
Was ist das zwischen Louis und mir?
"Hier hast du dich also versteckt", raunte mir auf einmal jemand von hinten ins Ohr.
Erschrocken zuckte ich zusammen und klappte augenblicklich das Tagebuch mit einem klopfendem Herzen zu, damit er meinen Eintrag keinesfalls zu sehen bekam.
"Schreibst du immer noch Tagebuch?", wollte Louis neugierig von mir erfahren und ließ sich unmittelbar neben mir auf die hölzerne Bank fallen, deren grauer Lack bereits absplitterte.
"Möglicherweise", gab ich nervös von mir und umklammerte das Buch mit beiden Händen.
"Zeig mal", meinte der braunhaarige und schnappte sich das Tagebuch mit einem breiten Grinsen auf den Gesichtszügen.
Ich riss die Augen auf. "Hey, gib es mir wieder zurück!"
"Wow, darin scheinen ja ganz geheime Dinge geschrieben zu stehen. Zumindest lässt deine Reaktion darauf schließen", sprach er weiter und wollte sich gerade daran machen das Tagebuch aufzuschlagen.
Schnell versuchte ich danach zu greifen, doch Louis sprang auf und entfernte sich ein paar Schritte von mir. Im Eiltempo hechtete ich dem blauäugigen hinterher, der seine Augen bereits über eine der Seiten gleiten ließ.
"Louis, gib mir sofort mein Tagebuch zurück!", schimpfte ich wütend und packte das Büchlein am Einband, um es ihm aus der Hand zu reißen.
Ergeben ließ er das Buch los und hob abwehrend die Hände. "Entschuldigung, das hätte ich nicht machen dürfen."
Ich verdrehte die Augen.
"Nein, das hättest du wirklich nicht tun dürfen. Immerhin nennt es sich nicht umsonst Tagebuch. Das ist etwas sehr Privates", tadelte ich ihn.
"Ich weiß. Ich wollte dich nur ärgern", gab er kleinlaut zu und kam mir gerade so nahe, dass ich noch in seine himmelblauen Augen schauen konnte.
Bevor ich etwas erwidern konnte, hauchte er mir einen Kuss auf die Lippen. "Verzeihst du mir?"
Mit der linken Hand berührte ich seine Brust und drückte ihn sanft von mir weg, um ihm kurz darauf spielerisch gegen die Schulter zu boxen. "Du bist unmöglich, Louis."
Er grinste schelmisch. "Ich weiß."
Nachdenklich verschränkte ich unsere Finger miteinander, leckte mir über die Lippen und zog ihn zurück zu der Bank.
Dort verging eine Weile der Stille.
"Kann ich dir eine Frage stellen?", ergriff ich schließlich das Wort und sah ihn von der Seite an.
"Schieß los."
Ich dachte kurz nach, ehe ich zu sprechen begann. "Was ist das zwischen uns? Wir haben uns anfangs nur gestritten und jetzt ist auf einmal alles anders und ich weiß nicht, was ich davon halten oder darüber denken soll. Es fühlt sich beinahe so an, als würde ich mich selbst nicht mehr kennen."
Louis schaute auf seine Füße. "Ich weiß es nicht, Harry. Ich weiß nur, dass es mir genauso geht wie dir", flüsterte er und wandte sich dann in meine Richtung, sodass sich seine Augen mit meinen verbinden konnten. "Aber irgendwie fühlt es sich gut an."
Seine Stimme glich lediglich einem leisen Hauch, sie war kaum hörbar.
"Aber warum so plötzlich? Ich verstehe es einfach nicht", entgegnete ich.
Er lächelte resigniert und schaute mir für einen langen Moment in die Augen. "Niemand tut das. Zumindest habe ich bisher niemanden kennengelernt, der es tut. Manchmal geschehen einfach Dinge, die man sich nicht erklären kann", murmelte er und fing damit an, unsichtbare Muster auf meinen Handrücken zu zeichnen.
Eine Gänsehaut legte sich über meinen Körper, während ich mich leicht gegen ihn lehnte und in Gedanken nach einer passenden Antwort suchte.
"Dann muss ich wohl ins kalte Wasser springen, was?", murmelte ich mit einer deutlich hörbaren Unsicherheit in der Stimme und biss mir im Anschluss auf die Unterlippe, auf der ich schließlich sogleich zu kauen anfing.
"Sieht so aus."
Louis legte mir seine Hand auf meine Wange und zog mein Gesicht näher zu seinem heran, lehnte seine Stirn vorsichtig gegen meine.
"Louis? Wird sich zwischen uns etwas ändern, sobald wir wieder in Brighton sind?", platzte ich mit der nächsten Frage heraus und fing an seine Nähe zu genießen.
Er beobachtete mich ein paar Sekunden aus seinen himmelblauen Augen. "Ich hoffe es nicht, Harry."
Ich atmete erleichtert aus und nickte vorsichtig.
"Okay. Wir sollten uns auf den Weg zum Training machen, sonst kommen wir zu spät", wisperte ich und versuchte das aufkeimende Kribbeln zu ignorieren.
Der Angesprochene nickte und brachte wieder einen Abstand zwischen uns, bevor er sich von der Bank erhob und mich auf die Füße zog. Ich schnappte mir mit einer Handbewegung meine Sporttasche, welche auf dem Boden neben der Holzbank stand und hängte sie mir über die Schulter.
Louis verschränkte unsere Finger miteinander und setzte sich im selben Atemzug in Bewegung.
Er wirkte auf einmal ein wenig abwesend und schien völlig in Gedanken versunken zu sein. Ich schluckte kräftig und hoffte inständig, dass es sich hierbei um keine seiner Stimmungsschwankungen handelte, denn es war ein schönes Gefühl neben ihm herzugehen und seine Hand zu halten.
"Was ist los?", wollte ich von dem blauäugigen erfahren.
Er seufzte.
"Ich musste gerade an meine Familie denken. Ich weiß, dass es momentan wahrscheinlich keinen Grund zur Sorge gibt, aber ich stelle mir trotzdem beinahe stündlich die Frage, ob es ihnen wirklich gut geht. Ob es meiner Mutter wirklich gut geht", bemerkte er.
"Geht es dir denn gut?"
Louis verlangsamte sein Schritttempo und warf mir einen Seitenblick zu, welchen ich erwiderte.
"Ich weiß es nicht, alles ist so verwirrend. Im einen Moment geht es mir gut und im nächsten erkenne ich wieder das Übel, das meiner Mutter nun schon zum zweiten Mal zugestoßen ist."
Er hielt einen Moment inne, ehe er weiterredete.
"Als mein leiblicher Vater damals gegangen ist und uns alleine zurückgelassen hat, wusste ich nicht, wie ich ihr helfen soll. Und jetzt wiederholt sich auf einmal alles. Nur, dass es diesmal noch viel schlimmer ist, weil dieses Arschloch mehrere Grenzen gleichzeitig überschritten und Hand an sie gelegt hat."
"Dafür wird er büßen. Und wenn es soweit ist, wird es dir besser gehen. Dann wird es euch allen wieder besser gehen", meinte ich, stellte mich vor Louis und nahm sein Gesicht in beide Hände, um ihn besser ansehen zu können.
In seinen Augen zeichneten sich mehrere Emotionen auf einmal ab, jedoch war es mir nicht möglich, auch nur eine davon zu deuten.
Louis Turner schien ein immer größer werdendes Mysterium zu werden.
Ein Mysterium, welches ich nur zu gerne gelöst hätte.
"Ich hoffe es", brachte er schließlich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und wandte seinen Blick von mir ab.
„Ich weiß es", nuschelte ich so leise, dass ich dachte, er hätte es überhört.
Doch dann spürte ich, wie er meine Hand für einen kurzen Moment sanft drückte, bevor wir unseren Weg fortsetzten, um zur heutigen Trainingsstation zu gelangen.
*
Als ich an diesem Abend in meinem Bett lag und in die Dunkelheit starrte, versuchte ich die schmerzenden Muskeln, die mir das harte Training der letzten Tage beschert hatte, krampfhaft zu ignorieren.
Ich war alleine, denn Finn hatte das Zimmer vor mehr als einer viertel Stunde verlassen, damit er draußen noch ein oder zwei Runden laufen konnte.
Seufzend setzte ich mich vorsichtig auf, schlug die Bettdecke zur Seite und warf einen Blick auf das Display meines Handys, dessen Uhr kurz nach zehn anzeigte.
Meine Gedanken glitten zu Louis, den ich das letzte Mal beim Abendessen vor zwei Stunden gesehen hatte.
Ich dachte an die vielen Worte, welche heute seinen Mund verlassen und mich über die Gefühle bezüglich seiner Familie aufgeklärt hatten.
Zudem kam mir Honey in den Sinn, die schon vor einer ganzen Weile behauptet hatte, dass er sich nur so verhielt, weil er tief in seinem Inneren verletzt war und nicht wusste, wie er damit umgehen sollte.
Da ich plötzlich das dringende Bedürfnis verspürte, mich mit dem braunhaarigen zu unterhalten und für ihn da zu sein, weil ich wusste, wie sich so etwas anfühlte, sprang ich aus dem Bett und zog mir eine bequeme Jogginghose über die Boxershorts. Im Anschluss schlüpfte ich in meine weißen Converse, ehe ich das Zimmer mit dem Schlüssel, den ich zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmt hatte, verließ.
Vielleicht wollte ich ihn aber auch einfach nur noch einmal sehen.
Ich biss mir auf die Unterlippe und versuchte meine Gedanken beiseite zu schieben.
Louis' und Peters Zimmer, dessen Standort mir der blauäugige vorhin mitgeteilt hatte, befand sich in der dritten Etage und somit genau einen Stock über Finns und meinem Zimmer.
Ich stolperte die Treppe nach oben und bog mit schnellen Schritten in einen der Gänge ab. Das Schild, welches an dessen gläserner Tür angebracht worden war, zeigte die Zimmernummern 300 bis 314.
Vor der Tür mit der Nummer 312 blieb ich letztlich stehen und klopfte gegen das dünne Holz.
Es dauerte nicht lange, bis ich in Louis' strahlendblaue Augen schaute, die bei meinem Anblick sofort zu funkeln begannen.
„Guten Abend", bemerkte ich, während sich auf meinen Lippen ein unwillkürliches Lächeln ausbreitete.
„Hi." Louis erwiderte mein Lächeln, ehe er zur Seite trat und mich mit einem Kopfnicken in das Zimmer einlud. Von Peter war weit und breit nichts zu sehen, was mir nur allzu recht war.
„Kannst du nicht schlafen?", fragte der braunhaarig, nachdem wir uns beide auf der Kante seines Bettes niedergelassen hatten.
Ich schüttelte den Kopf und zögerte im selben Atemzug für einen Augenblick, um meine Worte mit Bedacht zu wählen; schließlich konnte ich ihm keinesfalls mitteilen, dass es unter anderem die Sehnsucht nach der Farbe seiner Augen, seinem unwiderstehlichen Duft und der angenehmen Stimme gewesen war, die mich zu dieser späten Stunde geradewegs in sein Zimmer geführt hatte.
„Ich wollte dir einfach sagen, dass ich für dich da bin. Dass du immer mit mir reden kannst, wenn dich die derzeitige Situation mit deiner Familie überfordern sollte. Dass du nicht alleine bist und es auch niemals sein wirst..."
Meine Stimme wurde Wort für Wort immer leiser, bis ich letztendlich völlig verstummte.
In Louis' Augen hatte sich ein Glänzen ausgebreitet; es sah fast so aus, als würden ihm gleich die Tränen kommen.
Räuspernd ergriff ich erneut das Wort. „Tut mir leid, falls das ein wenig seicht klang... ich wollte es dich nur wissen lassen", stammelte ich und unterbrach unseren Blickkontakt.
Ich wollte meine Hand heben, um mich am Kopf zu kratzen. Doch Louis brachte mich von meinem Vorhaben ab, indem er auf einmal dicht neben mich rutschte, seine Finger mit meinen verschränkte und mit seiner freien Hand mein Kinn gerade so weit anhob, dass ich ihm wieder in die Augen schauen musste.
„Das klang ganz und gar nicht seicht." Nun war es seine Stimme, die nicht mehr als einem Hauch glich. „Danke für deine Worte, Harry. Sie bedeuten mir wirklich viel."
Sanft führte er meine Hand zu seinen Lippen und platzierte einen vorsichtigen Kuss auf dem Handrücken. „Danke", wiederholte er seine vorherigen Worte noch einmal.
Die Gänsehaut legte sich wie eine dünne Decke auf sämtliche Stellen meines Körpers.
Louis entfernte sich wieder ein wenig von mir, hielt meine Hand dennoch weiterhin fest. „Ich habe nach dem Abendessen übrigens kurz mit meiner Mutter telefoniert. Ich wollte mich einfach noch einmal vergewissern, dass es ihr den Umständen entsprechend gut geht. Nach einer Weile hat sie mir eröffnet, dass sich dazu entschlossen hat, der Vergangenheit den Rücken zu kehren. Sie wird sich noch in dieser Woche auf die Suche nach einer neuen Wohnung machen, um so einen endgültigen Schlussstrich zu ziehen. Ist das nicht großartig?"
Auch wenn ich wusste, dass der Turner-Familie trotz allem noch ein langer und steiniger Weg bevorstand, konnte ich nicht anders als mich für Louis zu freuen. „Das ist der erste Schritt in die richtige Richtung", pflichtete ich ihm bei und drückte seine Finger einmal kurz zusammen.
In den nächsten Minuten saßen wir einfach nur da und schauten uns gegenseitig in die Augen.
So lange und so intensiv, dass sich meine Gänsehaut sogar noch verstärkte.
Zwischen uns herrschte eine so starke Anziehungskraft, dass diesmal ich derjenige war, der den Abstand verringerte. Dennoch lag es an dem braunhaarigen, dass sich kurze Zeit später unsere Lippen miteinander verbanden.
Der Kuss war so leidenschaftlich, dass ich mich fast von selbst nach hinten fallen ließ, sodass Louis mit einer Leichtigkeit über mich klettern konnte.
Als sich seine Finger in meinem T-Shirt verhedderten und er Anstalten machte, mir das Stück Stoff über den Kopf zu ziehen, griff ich nach seiner Hand.
„Nicht", gab ich leise von mir.
Der braunhaarige löste sich augenblicklich von mir und ließ sich mit einem dumpfen Geräusch zurück aufs Bett fallen. Seine blauen Augen, die von Angst und einem Funken Schreck besetzt waren, trafen sogleich auf meine. „Entschuldige. Ich wollte dir keinesfalls zu nahe treten!"
Ich setzte mich auf und griff wieder nach seiner Hand, die er beinahe ruckartig weggerissen hatte. „Bist du nicht. Ich möchte das alles nur langsam angehen und nichts überstürzen", flüsterte ich und beugte mich so weit nach vorne, dass ich meine Stirn gegen seine lehnen konnte.
„Okay", erwiderte er im Flüsterton und platzierte einen Kuss auf meiner Nasenspitze.
Ehe ich mich versehen konnte, löste er unsere enge Verbindung, um zu mir zu kriechen und sich so neben mir zu platzieren, dass er seinen Arm um mich schlingen konnte.
Ich spürte seinen warmen Atem in meinem Nacken, der mich so ruhig stimmte, dass ich schon bald ins Land der Träume abdriftete.
Irgendwann wurde diese angenehme Ruhe von zwei Stimmen durchbrochen, die sich zu streiten schienen. Zudem spürte ich einen kalten Luftzug in meinem Rücken, der wohl zu bedeuten hatte, dass Louis nicht mehr neben mir lag.
Ich versuchte mich zu konzentrieren und zu erkennen, von was das Gespräch handelte, aber mein Körper war einfach zu müde, sodass ich letztendlich nur einzelne Wortfetzen hören konnte.
"Ich muss es ihm sagen."
Louis. Seine Stimme würde ich immer erkennen.
"Louis... wenn du ihm davon erzählst, wird er dich hassen. Ihr habt euch doch gerade erst vertragen, möchtest du das wirklich aufs Spiel setzen?", erklang eine weitere Stimme, die ich nach einer kurzen Denkpause als Peters identifizieren konnte.
"Und wenn ich ihm nichts sage und er es dann von einem anderen erfährt, werde ich ihn für immer verlieren, Peter."
Ich hätte am liebsten meine Augen geöffnet, doch meine Lider waren einfach viel zu schwer. Es verlangte mir schon ziemlich viel Konzentration und Mühe ab, der Unterhaltung zu folgen.
"Das wirst du wohl oder übel in Kauf nehmen müssen. Es sollte Harrys Wohl zuliebe weiterhin im Verborgenen bleiben. So wie ich ihn kenne - und das tue ich schon sehr lange - wird er die Wahrheit nicht verkraften. Nicht, nachdem er derjenige gewesen ist, der seine Schwester im Badezimmer mit aufgeschlitzten Pulsadern gefunden hat", hörte ich Peter auf Louis einreden.
Auf einmal schien ich wieder hellwach zu sein; wurde noch hellhöriger als ich es sowieso schon gewesen war.
Louis' Stimme glich nur mehr einem Flüstern. "Du hättest hören sollen, wie er über sie gesprochen hat. Die beiden standen sich so nahe."
"Ich weiß. Jeder wusste es."
Ich hörte den blauäugigen seufzen. "Ich muss es ihm erzählen."
"Louis-"
"Nein, lass mich bitte ausreden", fiel Louis ihm ins Wort.
Er holte tief Luft und schien sich seine nächsten Worte sorgfältig zurechtzulegen. "I-ich muss es ihm sagen, w-weil... weil ich mich glaube ich in ihn verliebt habe. Ich weiß nicht, wie das passieren konnte und wann es geschehen ist - i-ich hätte damit niemals gerechnet - a-aber es ist nun einmal so. So surreal es sich auch anhören mag, aber ich glaube, dass diese Emotionen schon länger in mir schlummern. Und ich kann diese Gefühle nicht einfach abschalten, es geht nicht. Egal wie verwirrend sie auch sein mögen, sie sind da."
Mein Atem stockte, Tränen begannen in meinen müden Augen zu brennen. Kräftig schluckend wiederholte ich seine Worte noch einmal in Gedanken.
Ich wusste nicht, wie mir geschah.
Ich musste träumen, denn im realen Leben hätte Louis Turner so etwas niemals gesagt.
Meine leicht geöffneten Lippen zitterten stark und auch meine Finger, deren Nägel ich wenige Sekunden später in meine Haut rammte, um zu testen, ob ich träumte oder nicht, konnte ich nicht mehr ruhig halten.
"Ich würde dir gerne irgendeinen sinnvollen Ratschlag geben, aber mir fällt leider keiner ein, der dir in dieser Situation helfen könnte. Ich kann nur so viel beitragen: du kennst meine Meinung dazu und ich denke nach wie vor, dass es der beste Weg ist, wenn keiner davon Wind bekommt; erst recht nicht Harry. Wie du dich am Ende jedoch entscheidest, liegt alleine bei dir. Das kann dir keiner abnehmen, Louis."
Ich spürte die unsägliche Angst vor dem Fall, die mir in diesem Moment so nahe zu sein schien, wie noch nie zuvor.
In meinem Nacken stellten sich die Haare auf, während ich erneut die Luft anhielt.
„Kannst du bitte ein wenig leiser reden? Du weckst ihn sonst noch auf!", zischte Louis.
„Für mich ist das Gespräch an dieser Stelle sowieso beendet, weil es für mich nichts mehr zu sagen gibt. Ich habe dir meine Meinung zu der ganzen Sache mitgeteilt und jetzt musst du entscheiden, was du tun wirst. Ich gehe jetzt zu Derek. Gute Nacht, Louis."
Im Anschluss vernahm ich das Geräusch der zufallenden Tür und ein verzweifeltes Grummeln, das aus Louis' Mund drang.
Vorsichtig kletterte er zurück auf das Bett, weswegen ich alarmiert die Augen zusammenkniff und so tat als würde ich nach wie vor tief und fest schlafen.
Plötzlich spürte ich Louis Hand, die sanft durch meine Haare fuhr, bevor er mir einen Kuss auf den Scheitel gab und seinen Arm erneut um meinen Körper schlang, der unter der Berührung ein wenig erzitterte. Glücklicherweise blieb diese Reaktion von dem braunhaarigen unbemerkt.
„Es tut mir so leid, Harry", flüsterte Louis hinter mir und drückte mich noch ein wenig fester an sich. „Ich habe dich und dein großes Herz nicht verdient."
Seine Worte trieben mir erneut die Tränen in die Augen; meine Nase bitzelte unangenehm.
Warum sagte er so etwas? Worum war es in dem Gespräch gegangen? Hatte ich das alles doch nur geträumt? War es ein Albtraum gewesen?
So viele Fragen und so wenige Antworten.
In dieser Nacht schlief ich trotz der Nähe zu Louis unglaublich schlecht. Ich wachte immer wieder auf und ließ die Gesprächsfetzen Revue passieren; stellte mir daraufhin erneut die vielen Fragen, die mir auf der Zunge brannten und erhielt nach wie vor keine Antworten.
Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus, löste mich vorsichtig aus Louis' Griff und verließ den Raum so leise wie möglich.
Je weiter ich mich von Louis' Zimmer entfernte, desto mehr Tränen versammelten sich in meinen Augen.
An den Treppen stütze ich mich für einen Moment an dem Geländer ab, ehe ich die Stufen nach unten stürzte und mit einer Handbewegung mein Zimmer aufschloss.
Finn lag schnarchend in seinem Bett.
Mein Herz pochte wild, während ich den Schlüssel auf der Tischplatte ablegte und mich auf mein im Anschluss auf mein Bett warf.
Die wirren Gedanken schwirrten in meinem Kopf umher, in mir herrschte ein heilloses Durcheinander. Mein Gehirn drohte zu explodieren, während die Angst langsam aber sicher meinen ganzen Körper lähmte.
Ich fühlte mich irgendwie betrogen, obwohl ich nicht einmal den Hauch einer Ahnung hatte, worum es bei dem Gespräch zwischen Peter und Louis gegangen war.
Trotzdem wusste und spürte ich eines: es hatte sich mit Sicherheit um nichts Gutes gehandelt, wenn Peter um mein Wohlergehen besorgt war, falls ich davon erfahren würde.
Ich wälzte mich auf die rechte Seite und kniff angestrengt die Augen zusammen, über deren Winkel, in denen sich erneut dicke Tränen versammelt hatten, ich nach einer Weile mehrere Male wischte. Unterdessen unterdrückte ich hin und wieder ein leises Schluchzen.
Ich fühlte mich hilf- und schutzlos, der Ungewissheit ausgeliefert und alleine gelassen.
Fast sekündlich hoffte ich darauf, dass meine Schwester durch die Tür kommen und mich in die Arme nehmen und sagen würde, dass alles in Ordnung kommen und gut werden würde. Aber sie würde nicht kommen, weswegen ich die Decke bis zum Hals zog und versuchte in den Schlaf zu flüchten.
Heute Morgen hatte ich mich noch quicklebendig gefühlt, doch auf einmal schien all dies wieder vorbei zu sein; das Märchen schien viel zu schnell von der Realität verschluckt worden zu sein.
Bevor ich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich in den herbeigesehnten, erlösenden Schlaf fiel, stellte ich mir noch eine letzte Frage: würde ich den morgigen Tag heil überstehen oder meinen inneren Dämonen zum Opfer fallen?
Und dann wurde mein kleiner Körper von der gewissenlosen Schwärze verschlungen.
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