War
Louis P.o.V.
"Alle Mann an die Front, los jetzt!", schrillte ein Schrei durch das Lager, welches im Moment recht friedlich war. Die Soldaten lagen in ihren Zelten und ruhten sich aus, die Angestellten und Köche taten ihre Arbeit und Gefangene sangen traurige Lieder. Die Ruhe wurde aufgrund dieses Rufes jedoch zerstört. Wie ein Spiegel zerbarst sie und flog in tausende Richtungen davon. Keiner konnte mehr ein Stück davon auffangen, geschweige denn aufnehmen. Ich schlug die dünne Decke beiseite, die aus einzelnen Wollfetzen genäht war, und verzog genervt mein Gesicht. Ich wollte nicht mehr. Mein Herz schlug schon jetzt dreimal so schnell und ich hatte das Gefühl, dass heute etwas passieren würde. Kurz schweiften meine Gedanken ab zu Harry. In meiner Brust fing es an zu schmerzen und ich musste mich beherrschen, um nicht hier und jetzt loszuweinen. Die Tränen überschwemmten meine Sicht und so sah ich auch den Hauptgeneral nicht, wie er zu mir kam und mit verschränkten Armen vor mir stehen blieb. "Was ist los, Soldat?!", herrschte er mich an. Ich zuckte zusammen und ging mit gesenktem Blick zu dem Platz, auf dem sich gerade alle anderen sammelten. Die meisten waren blass, andere jedoch starrten betrübt auf den Boden und dachten vermutlich an ihre Familien. Ich hob den Blick, betrachtete die Aufstellungen und malte mir aus, welche Folgen diese Form haben würde. Vermutlich könnten unsere Feinde von links und rechts gleichzeitig angreifen, was schlecht für uns wäre. Der General stubste mich von der Seite an und raunte mir zu: "Sehen Sie etwas, Soldat?" Ich nickte. Er wartete. "Es müssen mehr Männer an die linke und rechte Flanke." Ich wusste, dass er darüber nachdachte. "Wieso das?" "Denken Sie weiter. Wo würde der Feind am Ehesten angreifen?" Als er mich dann endlich entließ, rannte ich zu Matt. Er stand etwas abseits von den anderen und bohrte Löcher in die Luft. Anscheinend sammelte er sich gerade, um nicht von Emotionen überwältigt zu werden, wenn er sterben würde. "Bereit?", sage er mit monotoner Stimme, ich nickte und zusammen machten wir uns auf den Weg zum Ausgangstor, welches bereits von Wachen belagert wurde. Unsere Schritte und Sätze gingen im Lärm der Kriegsvorbereitung unter. Messer wurden geschleift, Pistolen geladen und geölt, Rüstungen angelegt und Pferde für den Losritt gesattelt. Alle waren in Bewegung. Matt und ich waren die Einzigen, die schon alles erledigt hatten und bereit waren. "Wir greifen in zwei Stunden an!", gab der Officer durch. Ich seufzte, drehte mich zu Matt um und sagte: "Zum Zelt?" Er nickte und wir gingen zu meinem "Zuhause". Es war größtenteils ruhig, als wir ankamen und die Sonne schien fröhlich am Horizont. Mein bester Freund zu diesen Zeiten vergrub seinen Kopf in den Händen, während ich mich auf die Matratze fallen ließ und die Augen schloss. "Louis?", durchbrach er dann die Stille. Ich brummte nur als Antwort und drehte mich zu ihm. "Ich will nach Hause." Ich schnaubte und drehte mich mit geöffneten Augen auf den Rücken. Der Stoff des Zeltes ließ viel Sonne herein, man hatte hier kaum Privatsphäre. "Was denkst du denn? Ich bin hier schon seit fünf Jahren." Sein Blick wurde nachdenklich. Die braunen Augen blickten mich mitleidig an, doch Mitleid konnte ich in diesem Moment nicht gebrauchen. "Über was denkt man nach, wenn man fünf Jahre hier ist?" Matt kam erst vor zwei Jahren hierher, somit hatte ich nach drei Jahren einen Freund, mit dem ich reden konnte. Während ich ihm antwortete, setzte ich mich hin und stützte den Kopf in die Hände - wie Matt vorher. "Man denkt über das Leben nach. Über Freuden, Ängste und Sorgen. Man denkt darüber nach, welche Ziele man sich jemals setzen und was man im Leben erreichen wollte. Über Freunde und Bekannte denkt man weniger nach. Eher über Menschen, die man liebt." Ich stockte, zu groß war der Schmerz darüber, Harry nicht bei mir zu haben. "Hast du jemanden, den du liebst?", fragte Matt. Ich seufzte und erzählte weiter. "Ja. Einen Freund in Deutschland. Ich vermisse ihn so sehr. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute - ja, jede Sekunde denke ich an ihn. Und weißt du, wie sich das anfühlt? Zu wissen, dass man jederzeit von ihm getrennt werden kann? Es ist so, als würde man von innen heraus zerreißen und das jedes Mal, wenn man an diesen Menschen denkt. Und immer wünschst du dir, bei ihm zu sein. Ihn zu sehen, zu spüren. Ihm süße Dinge ins Ohr zu flüstern, die ihn glücklich machen. Am Meisten aber vermisse ich seine Liebe. Wie er mich jeden Morgen wachküsst, mit mir lacht und auch einmal einen Witz über mich reißt. Es tut einfach so weh. Ich vermisse ihn so sehr..." Tränen stauten sich in meinen Augen, ich fuhr mit meinem Handrücken darüber und wischte somit die meisten Tränen weg. Ich spürte Matt's Blick auf mir. "Würdest du alles für ihn tun?", fragte er plötzlich mit belegter Stimme. Heiser flüsterte ich: "Ja. Wirklich alles. Ich würde sogar für ihn sterben." Seine Augen wurden groß, sein Mund klappte auf. Ich fragte mich, warum er so reagierte. Es schmerzte, über Harry zu reden. Seine Lippen formten vor meinen Augen immer wieder die Worte "Ich liebe dich.". Wenn er doch nur hier wäre... "Ich schlafe jetzt noch ein bisschen, ja? Lange haben wir ja nicht mehr." Er nickte, ich legte mich hin und dämmerte langsam ins Reich der Träume. Bevor ich einschlief, hörte ich Matt noch flüstern: "Ich kenne das Gefühl. Ja, kenne ich." Dann schlief ich ein und wachte erst eineinhalb Stunden später auf, als er mich an der Schulter wachrüttelte. Stöhnend stand ich auf, zog mir in Windeseile meine Rüstung an und zu zweit gingen wir an den Versammlungsort, wo alle anderen warteten. Sie hatten bereits eine Formation aufgebaut, schnell stellte ich mich in die rechte vorderste Ecke und zückte mein Gewehr. Ich war an der Front. Also ganz vorne. Ich hatte keine Angst, irgendwas Falsches zu machen - das tat ich noch nie. Doch ich hatte Angst, zu sterben. Harry nicht mehr sehen zu können. Matt stand am anderen Ende der Formation und lächelte mir aufmunternd zu. "Feuer!", schrie der General von hinten, ich zückte mein Gewehr, zielte und schoss. Zehn, zwanzig, dreißig. Die Anzahl der von mir getöteten Männer bekam ich kaum noch mehr mit, zu sehr war ich im Kampfgetümmel versunken. Die Blicke von einem Feind und mir kreuzten sich. Links von mir pirschte sich ein Soldat an mich heran. Ich musste entscheiden, welches Risiko ich eingehen sollte. Ich entschied mich für links und dafür für den größten Fehler, den ich jemals machen konnte: ich war abgelenkt. Es waren bestimmt nur ein paar Sekunden, doch die reichten dem anderen Mann, um seine Waffe zu heben, zu zielen und zu schießen. Die darauf kommende Zeit verging wie in Zeitlupe. Als wäre jetzt ein Schalter in mir umgelegt worden, konnte ich mich nicht bewegen. Die Kugel kam auf mich zu, immer näher, immer schneller. Und als ich den Ruck und die Kraft dahinter spürte, wurde mir bewusst, dass ich verloren hatte. Ich hatte nicht gekämpft. Einfach aufgegeben. Ich spürte den Schmerz, der von meinem Herzen ausging. Langsam fiel ich auf die Knie, meine Arme hingen lasch an der Seite herab und eine immense Wärme ging von meiner Brust aus. Mein Oberkörper krachte nach hinten, alle Luft entwich meinen Lungen. Es kam mir vor, als wäre ich in einem Kessel, in dem es keinen Sauerstoff gab, dafür aber mehr Schmerz. Einerseits Körperlichen, der von meiner Brust ausging. Andererseits ein Seelischer, der von meinem Herzen kam. Hände waren plötzlich da, stützten mich und halfen mir hoch. Stoff wurde auf meine Brust gedrückt und Wiederbelebungsversuche durchgeführt. Ich sah Leute schreien, hörte es aber nicht. Bilder von Harry durchschossen mein Bewusstsein, ließen mich erschaudern. Sein Gesicht war meinem so nah. Ich wollte es berühren, hob die Hand und berührte zitternd seine Haut. Doch anstatt etwas zu spüren, war da nichts. Rein gar nichts, nur Luft. Meine Augen schlossen sich halb, meine Atmung verlangsamte sich. "Louis! Louis verdammt, amte! AMTE VERDAMMT NOCHMAL!" Ich wollte es so sehr, aber es war so, als würde mein Körper nicht mehr reagieren, als wäre ich nur noch eine Seele, die sich von dem Leichnahm löst. Ich öffnete ein letztes Mal dir Augen, sagte das letzte Mal in meinem Leben etwas. "Matt?", krächzte ich. Bei jedem Wort durchfuhr ein Schmerz meinen Brustkorb. "Ja?" Erschöpft hob ich die Hand. "S - sag Harry, d - dass ich ihn immer g - geliebt habe." Ich spürte noch, wie er mir einen Kuss auf die Stirn hauchte, bemerkte die heißen Tränen, die auf mein Gesicht tropften und wusste die Trauer Matt's zu schätzen. Mit einem einzigen Gedanken an Harry atmete ich meinen letzten Atemzug und schloss die Augen.
-And I will love you endlessly.
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