"Denk ja nicht daran einfach abzuhauen."
Happy new Year!
Ich hoffe, ihr seid alle gut ins neue Jahr gekommen und jetzt ready für ein neues Zitatekapitel. Wegen des Adventskalenders musste ich hier nämlich ein bisschen pausieren, das wäre sonst zu viel gewesen.
Viel Freude beim Lesen wünsche ich!
Zitat: „Denk ja nicht daran einfach abzuhauen."
Wörterzahl: 1096
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Okay, okay. Wo bin ich? Warum ist es hier so verdammt dunkel? Meine Augen brauchen einen Moment, um sich an das mich umgebende Schwarz zu gewöhnen. Ein leerer Gang oder langer Raum nehme ich an. Die Wände rechts und links von mir scheinen kahl und trostlos. Ich habe keinen blassen Schimmer, wie ich hierhergekommen bin. Mit zwei Fingern berühre ich die Wand, schlichter Beton. Keine Raufasertapete oder ähnliches.
Mach ja die Wand nicht dreckig. Am Ende muss ich das alles wieder sauber machen und sind wir mal ehrlich, wir wissen beide, wie beschissen Putzen ist.
Wow. Wer hat das gesagt? Erschrocken drehe ich mich um, hinter mir ist eine dunkle Gestalt aufgetaucht. Das heißt, die Kleidung ist dunkel, die Haare sind blond und der Hautton hell. Schritt für Schritt kommt die Person auf mich zu. Plötzlich bleibt sie vor mir stehen und es ist, als ob ich in einen Spiegel blicken würde. Außer, dass ich weiß trage und nicht schwarz.
Jetzt schau nicht so wie ein verwirrter Esel. Ich bin du und du bist ich. Tragisch, ich weiß.
„Hä?", ist das Einzige, was meinen Mund verlässt.
Sind wir wirklich ein und dieselbe Person? Entspann dich mal, noch nie deinem Alter-Ego gegenübergestanden? Ach nee, stimmt ja auch. Wobei mir der Begriff zweites Ich ja lieber ist. Ich bin schließlich genauso alt wie du. Nur mein Ego ist größter.
Sollte ich einfach weglaufen. Hektisch sehe ich mich um. Ich verstehe das alles nicht. Träume ich gerade? Dann ist das ein verdammt gruseliger und schlechter Traum. Da greifen zwei eiskalte Hände nach meinen Schultern und schütteln mich durch.
Denk ja nicht daran, einfach abzuhauen. Das bringt dir sowieso nichts. Ich muss nämlich mit dir reden. Logischerweise kriege ich ja mit, was da draußen alles passiert. Katastrophe. Pass auf, vielleicht kann ich dir helfen, wegen deines Problems.
Mein „Problem" heißt Mädchenclique, die mich Tag für Tag in der Schule mobben. Als scheiß Transe bezeichnen sie mich, akzeptieren mich nicht als eine von ihnen. Habe ich es nicht so schon schwer genug? Sie schubsen mich aus der Umkleide beim Sport oder schalten die Duschen an, wenn ich mich dort umziehe. Im Unterricht werfen sie mit Mäppchen, Papierkugeln und Stiften nach mir. Dabei wollte ich doch unbedingt auf eine Mädchenschule, weil ich dachte, die Akzeptanz wäre dort größer.
„Wie sollst du mir helfen? Ich habe Angst, das weißt du."
Genau das ist der Punkt, Mäuschen. Du hast Angst, ich nicht.
„Aber wie soll das gehen, ich meine, du bist ich."
Wobei das Ich vor mir doch anders wirkt. Ich weiß nicht ob es an den schwarzen Klamotten – zerrissene Jeans mit Netzstrumpfhose und schwarzem Shirt – oder an dem perfekt sitzendem schwarzen Lippenstift mit ebenso schwarzem Eyeliner liegt, aber dieses Ich wirkt weitaus böser und mutiger. Es schnippst vor meiner Nase.
Nicht träumen du Dulli. Ich will dir was erklären.
Jetzt bin ich aber gespannt. Mit diesen Ziegen ist wirklich nicht zu spaßen. Mir haben schon viele geraten, sie zu ignorieren oder zurückzuschlagen (natürlich verbal), aber das hat bisher alles nur noch schlimmer gemacht.
Lass uns tauschen. Das klingt vielleicht verrückt, aber es gibt die Möglichkeit, quasi die Rollen zu tauschen. Nicht durchgängig natürlich, es ist ziemlich langweilig die meiste Zeit nichts zu tun und unserem Gehirn befehle zu erteilen, die du sowieso nicht einhältst. Aber wenn du mich ranlässt, geben diese kleinen Schnepfen sicherlich Ruhe.
„Das klingt nicht nur verrückt, das ist verrückt. Grade du solltest doch wissen, dass das alles nichts gebracht hat. Die Gespräche, Eltern informieren und und und. Wenn wir das machen, was logisch betrachtet völlig unmöglich ist, dann bin ich tot. T O T. Kapierst du das? Nein."
Mäuschen, wir sprechen hier nicht von bloßem Reden. Wenn ich mit den Herzchen fertig bin, können sie froh sein, wenn sie hinterher noch ihre Kiefer auseinanderkriegen.
„Gewalt ist keine Lösung."
Nicht?
„Was bist du für ein Monster? Du kannst nicht Ich sein, das ist völlig unmöglich."
Ich wende mich mit einer Kehrtwende vom Alter-Ego ab und will gehen, doch da steht es plötzlich wieder vor mir. Ich stoße einen stupfen Schrei aus und es verzieht das Gesicht.
Mir scheint als würdest du nicht ganz kapieren, was es mit mir auf sich hat. Schau uns doch an. Du bist ganz in weiß, ich bin komplett schwarz gekleidet. Warum wohl? Gut und Böse. Ying und Yang. Klingelst da irgendwo in deinem Schädel? Engelchen und Teufelchen? Ein Mensch kann so engelsgleich sein wie man möchte, eine böse Seite gibt es immer. Sprich, es gibt immer einen Alter-Ego. Manche sind klein und halten die Fresse, andere hauen sich mindestens sechzig Mal die Hand an die Stirn, weil Ego sich dumm anstellt und wieder andere, so wie ich, haben grundsätzlich was zu meckern. Wir sind die Seelenbeschützer und wenn die Seele angegriffen wird, machen wir ganz schnell jeglichen Boxmeistern Konkurrenz. Manche Egos können ihre Seele selbst beschützen, entweder indem sie, wie schon erwähnt, engelsgleich sind oder eben eine starke Persönlichkeit haben. Aber wir Alter-Ego sind nicht weder schlecht noch in Wirklichkeit böse. Wir sind der Schutz und du hast ihn bitter nötig. Lass mich dir helfen und du wirst sehen, es wird dich weiterbringen. Bis du eines Tages vielleicht selbst deine Seele schützen kannst. Aber lass es zu. Es wird besser.
Es streckt die Hand nach mir aus, in diesen schwarzen Augen liegt auf einmal eine undefinierbare Wärme, die ich vorher noch nie verspürt habe. Aber ich habe Angst. Was ist, wenn etwas schief geht? Wenn ich doch recht behalte oder wir für immer die Rollen tauschen.
„Wird es weh tun?"
Nein, eher kribbeln. Der Körper wird sich nach kurzer Zeit daran gewöhnen. Vertrau mir, ich stecke so oder so in dir drin und ich weiß, dass wir gemeinsam stärker sind.
Zaghaft nicke ich, zitternd ergreife ich diese kalte blasse Hand vor mir. Ich erwidere den starren Blick und mit einem Mal durchzucken tausende Blitze meinen Körper. Alles schmerzt, meine Sicht dreht sich und mir ist schwindelig. Einen Moment glaube ich, mich übergeben zu müssen. So viel zu, es tut nicht weh. Aber dann weicht alles diesem kribbeligen Gefühl und ich fühle mich, als würde ich schweben. Alles ist mit einmal ganz leicht und der Alter-Ego hat für mich übernommen. In der Hoffnung, dass es klappt und ich endlich von dieser Qual befreit werde.
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