TWENTYTHREE
-Corinne-
„Das ist alles nur ein Albtraum!" murmelte ich so leise vor mich hin, dass die Menschen um mich herum, mich nicht hörten. „Einfach nur ein Albtraum. In ein paar Minuten bin ich wieder wach und dann ist alles gut!" Vielleicht würde ich es irgendwann auch glauben, wenn ich es mir nur lange genug selbst einredete. Bis jetzt sah es aber leider noch nicht danach aus, dass würde das was ich vorhatte nämlich irgendwie leichter machen.
Nervös strich ich mir die mausbraunen Haare meiner Perücke zurück und wich einer hektischen vorbeieilenden Krankenschwester aus. Nicht zu langsam, aber auch nicht zu schnell, so hoffte ich zumindest, lief ich den Flur entlang. Ich konnte immer noch nicht glauben, was ich im Begriff war zu tun. Von überall kam der Geruch von Desinfektionsmitteln, Blut, menschlichen Exkrementen und Tod. Ich wusste warum ich Krankenhäuser mied. Ich hasste sie. Der Gestank jagte mir jedes Mal einen unangenehmen Schauer über den Rücken und ich hatte meine Mühe, meine Abscheu zu diesem Ort zu verbergen. Aber noch schlimmer war das Elend, welches ich jedes Mal hier sah. All das Leid ging mir zu nah and Herz.
Ein gebrechlicher, alter Mann nur in einem grünen Krankenhaushemd gekleidet mit einem Tropf und einen Ständer an dem dieser befestigt war, kam aus einem Zimmer geschlürfte und starrte mich an. Seine Haut war faltig und mit Altersflecken übersät, er wirkte abgemagert. Gezwungen nickte ich ihm zu und murmelte ein „Hallo.". Irgendwo an seinem Körper musste er eine eiternde Wunde haben, der bestialische Gestank war am stärksten als ich an ihm vorbeilief. Jetzt ja nicht in Tränen ausbrechen, Corinne, befahl ich mit selbst.
Am liebsten wäre ich einfach nur zu dem Raum gerannt, zu dem ich musste und dann aus dem nächsten Fenster gesprungen nur umso schnell wie möglich von hier wegzukommen. Doch alle hatten sie mir eingebläut, dass ich mich an den Plan halten musste, also würde ich das auch tun. Trotzdem konnte ich es nicht verhindern, dass sich alles in mir zusammen zog, während ich rechts und links das Leid der menschlichen Sterblichkeit und Verletzlichkeit mit erleben konnte. Ich kannte einige Lykae, die des Lebens überdrüssig waren und behaupteten, dass sie lieber ein Mensch wären. Aber ich war mir sicher, dass ein jeder von ihnen seine Meinung ändern würde, wenn er auch nur ein einziges Mal hier gewesen wäre.
Wie weit noch? Fragte ich gedanklich nach und wich erneut einer Schwester mit einem metallischen Wagen aus.
Du bist gleich da! Versicherte mir Toni, die mit einem kleinen Peilsender meinen Weg nachverfolgte. Sie hatte die Pläne des Krankenhaus irgendwoher bekommen und daher wussten wir wo sich unser Ziel befand. Rechts von dir müsste die Tür sein. Sagte sie keine zehn Sekunden später. Ich drehte mich um und tatsächlich war rechts von mir, besagte Tür mit der richtigen Zimmernummer, auf welcher stand: Kein Zutritt für Unbefugte. Nervös biss ich mir in die Innenseite meiner Wange. Ich war ohne Zweifel eine unbefugte Person. Auf was hatte ich mich hier nur eingelassen?
Sie ist mit einem Tastenfeld gesichert! Knurrte ich Toni gedanklich zu, während mein Blick den Flur entlang glitt. Ich sah in den kurzen Flur nur ein Mann mit einem Kind, der an einer Zimmertür klopfte, einen Blumenstrauß in der Hand. Sein Blick war angespannt auf die Tür gerichtete. Er bemerkte mich nicht. Gut so. Ganz anders sah das mit der Kamera da oben aus. Toni, hier ist eine Kamera. Panisch schrie ich es fast in ihren Gedanken.
Keine Sorge, ich habe mich darum gekümmert. Meldete sich nun auch Lucas zu Wort. Das hoffe ich für dich. Murrte ich ihn gereizt an, immer noch besorgt. Wenn hier irgendetwas schief ging, würde ich wahrscheinlich im Knast landen und das mehrere Jahre. Ganz abgesehen von der Erklärungsnot in die ich kommen würde. Außerdem war es seine behinderte Idee gewesen und leider hatte keiner von uns eine bessere gehabt.
Vor mir klickte die Tür leise und ich drückte leicht mit meiner Hand dagegen. Sie ging auf. Beeil dich. Befahl Zarek und schien mindestens genauso unruhig wie ich zu sein.
Was denkst du, was ich hier veranstalte? Ein Kaffeekränzchen?! Fauchte ich ihn an und huschte in den Raum. Zarek hatte an meiner Stelle gehen wollen, Manuel hatte sich genauso angeboten und natürlich auch Maxim. Selbst Lya hatte den Vorschlag gemacht, dass sie gehen würde. Doch unsere beiden Genies, Toni und Lucas, hatten genauso gut wie ich gewusst, dass ich die beste Wahl war. Zarek und Manuel waren Muskelprotze, wenn man es so sagen wollte, die ohne Zweifel mit ihrer großen massigen Gestalt und dem dunklen Teint aufgefallen wären. Maxim hätte zwar besser in das Bild hineingepasst, ein Arztkittel würde ihm sicherlich wahnsinnig gut stehen, doch auch er wäre jemand an den sich die Krankenschwestern mit Sicherheit erinnern würden. Das durfte nicht sein, außerdem hing an seinem Gesicht nicht nur seine eigene Existenz sondern auch die seines Bruders und dieser durfte keines Falls mit dem Diebstahl aus einem Krankenhaus in Verbindung gebracht werden. Lya hatte ganz locker erklärt, dass sie darin schon Übung hätte. Immerhin hatte sie damals nur so überleben können. Manuel war bei diesen Worten ausgeflippt und Lya hatte ihre liebe Müh den Lykae wieder zu beruhigen. Keine Ahnung was sie ihm zugeflüstert hatte, aber als wieder mehr als nur ein Knurren aus seinem Mund kam, hatte er erklärt, dass er Lya nur über seine Leiche diesen Job erledigen lassen würde.
Diese Aussage war es gewesen, die meinen Vampir auf hundertachtzig gebracht hatte. Maxim hatte Manuel einen Kinnhaken verpasst, bevor wir reagieren konnten und wütend gefaucht, als Zarek ihn zurückriss und ich ihn versuchte von Manuel abzulenken. „Aber meine Gefährtin soll sich in Gefahr begeben, oder wie? Das werde ich niemals zulassen, lieber verhungere ich!" hatte er getobt. Es war heute Mittag gewesen, zwei Tage nachdem wir gemeinsam Joggen gegangen waren. Lya und Maxim sah man den Nahrungsmangel deutlich an und auch die Stimmung der beiden war extrem launisch. Sie brauchten Blut und zwar schnell.
Bei Maxims Worten war mir das Herz aufgegangen. Er hatte mich als seine Gefährtin bezeichnet. Er hatte noch weiter schimpfen, toben und sich auf Manuel werfen wollen, doch ich hatte ihm einfach mit einem Kuss zum Schweigen gebracht. Eine verdammt gute Taktik wie ich herausgefunden hatte. Es hatte keine halbe Minute gedauert, da hatte er keinen Gedanken mehr an Manuel verschwendet und mich einfach nur noch an sich gepresst.
Toni war es dieses Mal gewesen, die uns unterbrochen hatte. Mittlerweile hielt ich es schon für Schicksal, dass wirklich jedes Mal irgendwer uns unterbrechen musste.
„Lya, kann das nicht machen. Sie sieht zu jung aus und ihr Aussehen sowie ihr Akzent ist zu prägnant." Damit war auch Lya zweifelsfrei aus dem Schneider und nur noch ich selbst kam infrage.
„Corinne sieht aus wie ein verdammtes Model, sie kann es also auch nicht machen." Hatte Maxim daraufhin todernst erwidert und mich auf seinen Schoß gezogen, die Arme schützend um mich geschlungen, als er sich wieder auf einen Stuhl fallen ließ. Ich gebe zu, es wäre sicherlich vernünftiger gewesen, sich bei dieser Diskussion mehr zu konzentrieren und mit einzubringen. Schließlich ging es da irgendwie um mich, aber mein Gehirn war dazu nicht in der Lage. Wie auch, wenn Maxim ein so eine süße Sache nach der anderen sagte? Erst die Sache mit der Gefährtin und dann dass er mich mit einem Model verglich. Das hieß doch, dass er mich schön fand, oder? Wäre das Thema nicht so ernst, wäre ich wahrscheinlich wie ein kleines Kind auf der Stelle gehüpft. Heimlich versteht sich, sonst wäre das echt peinlich.
„Aber an ihr kann man noch arbeiten. Eine Perücke, Kontaktlinsen, ein wenig Modellage mit dem Make-Up. Danach sieht sie nur noch entfernt sowie jetzt aus. Das einzige Problem ist ihre Größe, aber da die meisten Ärztinnen groß sind, fällt sie dort nicht so wie ein bunter Hund auf." Damit war mein Schicksal besiegelt gewesen. Maxim und Zarek hatten gewettert und diskutiert was das Zeug hielt, doch Tonis und Lucas Argumente waren gut durchdacht und nicht anfechtbar. Auf die Frage warum sie nicht selbst gingen, stand glasklar die Sache mit der Anzeige und dass sie die Computerexperten waren und hinter dem Rechner einfach nützlicher als irgendein anderer von uns.
Also stand ich nun, in dem kleinen Lagerraum, in denen sich in abgeschlossenen Vitrinen Medikamente und andere medizinische Utensilien stapelten. Nach einem letzten tiefen Atemzug ging ich auf den Kühlschrank zu und öffnete ihn. Wie erwartet wurden hier die Blutkonserven gelagert. Ich steckte von jeder Sorte einen in die Kühltasche, die ich in meiner Handtasche verbarg und schloss den Kühlschrank wieder.
Ich hab es. Erklärte ich und machte mich auf den Weg nach draußen. Gerade als ich dir Tür öffnen wollte witterte ich einen Geruch. Mensch. Männlich. Nah. Direkt vor der Tür. Scheiße. Da ist jemand. Meine Stimme zitterte genauso wie mein ganzer Körper. Ich war für so einen illegalen Unsinn einfach nicht geschaffen. Versteck dich. Zarek klang panisch, wahrscheinlich fühlte er sich genauso hilflos wie ich mich.
Die Türklinke ging runter. Verdammt was sollte ich jetzt machen? Wo sollte ich mich verstecken? Der Raum war klein und übersichtlich. Panisch sah ich mich um und presste mich dann an die Wand hinter der Tür. Die Tür öffnete sich. „Wer hat denn schon wieder das Licht angelassen?" hörte ich eine männliche Stimme nörgeln und hätte mich ohrfeigen können. Wie dämlich war ich eigentlich? Gab es dafür eine Urkunde? Ich hatte sie mit Sicherheit verdient.
Mit großen Schritten trat er in den Raum, mir jedoch nicht zugewandt eilte er auf eine der Vitrinen zu. Abschätzend sah ich zu ihm. Würde ich es unbemerkt aus der Tür schaffen? Gott verdammt, bei meinem Glück würde ich mit der Tasche noch an der Tür hängen bleiben und gegen einen der Schränke stolpern oder noch viel besser dem Arzt direkt in die Arme fallen. Nein, ich versuchte mich noch kleiner und schmaler zu machen, ohne einen Laut von mir zugeben. Ich würde abwarten und hoffen. Gedanklich suchte ich schon nach einer Ausrede, als ich beobachtete wie er nach kurzem Zögern zwei Tabletten herauspresste und sie trocken ohne einen Schluck Wasser hinterschluckte. Erleichtert seufzte er auf und drehte sich um. Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich ihm in seine. Er war genauso geschockt mich zu sehen, wie ich darüber das er hier war. Mein Körper reagierte noch bevor mein Verstand die Situation ganz erfasst hatte. Ich drückte mich von der Wand weg und trat ihm entschlossen entgegen. Glück im Unglück nannte man das.
Unter seinen Augen lagen dunkle Schatten, er wirkte abgezehrt und müde, aber das entscheidende waren seine Pupillen, die sich gerade eben von Sekunde zu Sekunde mehr weiteten. Der Arzt vor mir war abhängig. Medikamentenabhängig. Sollte das herauskommen würde er seinen Job und seine Zulassung verlieren. „Ich schlag dir einen Deal vor: Ich verrate nichts von deinem kleinen Geheimnis und du vergisst mich einfach."
„Warum sollte ich das tun?" presste er dann hervor und wollte nach mir greifen. Ohne Probleme fing ich seine Hand am Handgelenk ein und drückte zu. Auch wenn er ein Mann war, war er immer noch schwächer als ich. Schmerz verzehrte sein Gesicht. „Weil du sicherlich an deinem Job hängst." Flüsterte ich ihm mahnend zu und stieß ihn von mir. Die Fläschchen und Schachteln wackelten bedrohlich als er gegen den Schrank knallte. „Haben wir einen Deal?" fragte ich.
„Du kannst mir gar nichts." Wehrte er verzweifelt ab.
„Nein, aber ich bin mir sicher, dass ein Bluttest sehr aufschlussreich werde, oder sogar nur eine kleine Haarprobe?" ich entriss ihm ein paar der flachsblonden Strähnen. Er war einige Zentimeter kleiner als ich. "Was bekommt für eine Strafe bei Medikamentenmissbrauch? Ich meine abgesehen davon, dass du deinen arbeitslos bist und die Zulassung verlierst."
„Nein." Schrie er panisch auf.
„Also haben wir einen Deal?" erkundigte ich mich noch einmal.
„Ja, ja verdammt und jetzt verschwinde." Fauchte er.
„Ich wünsche ihnen noch einen schönen Abend, Doktor Andrew Cogen." Es war eine unterschwellige Drohung sich an unseren Deal zu halten. Er nickte mit leichenblassem Gesicht. Mit wesentlich besserer Laune und meiner blutigen Beute verließ ich das Krankenhaus auf den gleichen Weg wie ich herein gekommen war. Durch den Haupteingang.
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Irgendwie ist das Kapitel anders als üblich, oder?
Wie findet ihr es?
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