twentythree
-Anja-
Unruhig wippte meine Fußspitze auf und ab. Meine kleinen Fangzähne bohrten sich fast schmerzhaft fest in meine Unterlippe während ich innerlich einen Kampf austrug. Sollte ich es riskieren? Mein Blick fiel auf das einfache Wegwerfhandy vor mir. Jede von uns hatte es immer bei sich. Jedoch war noch kein einziger Anruf ein- oder ausgegangen seitdem ich es vor vielen Jahren gekauft hatte.
Eine gefühlte halbe Ewigkeit war vergangen und noch immer hatte ich nichts von Juliet gehört. Während ich meine Zeit mit Sebastian verbrachte, hatte ich das Thema größtenteils verdrängen können und mir einzureden versucht, dass Juliet wahrscheinlich gerade ihre neue Heimat suchte und deswegen nichts von sich hören ließ. Nur nachts, wenn ich ohnehin nicht schlief, hatte ich meine Suche im Netz betrieben. Es hatte mich nicht gewundert, dass sie erfolglos geblieben war und deshalb auch nicht weiter beunruhigt. Nur die Zeit, die sie sich nun schon nicht mehr gemeldet hatte und Isabellas Worte machten mir zu schaffen. Von dieser Sache her war es gut, dass Sebastian und ich gerade noch ein wenig auf Abstand gingen. Eigentlich sollte ich mich von ihm fernhalten, dass wusste ich selbst. Jedoch war der Gedanke, dass ich ihn nicht wieder sehen würde, dass ich ihn nicht einmal als einen Freund haben würde, als er Samstag verschwand und sich auch Sonntag nicht bei mir meldete, zu schmerzhaft. Er bedeutete mir einfach viel zu viel. Ich hatte regelrecht aufgeatmet am Montag als er mir die Sonnenblumen schenkte und die Karte dabei lag. Er hatte mich um Verzeihung gebeten, dabei gab es nichts zu verzeihen. Eigentlich hatte ich ihm am Nachmittag aufsuchen wollen. Ich weiß nicht, was ich hätte sagen wollen, aber ich hätte so ziemlich alles getan um ihn nicht zu verlieren. Das Schlimmste war, dass ich genau wusste wie dumm es war. Wie selbstzerstörerisch. Ich hatte meiner Mutter nie geglaubt, als sie mir dies als ich noch ein Kind war immer wieder predigte. Wie tödlich und zerstörend die Liebe war. Dabei hatte ich doch selbst gesehen wie sie daran zugrunde ging. Sie war dazu verflucht gewesen sich immer wieder in einen Menschen zu verlieben. Es war der Selbe, jedes einzelne Mal. Nahezu jedes zweite Jahrhundert wurde er geboren. In verschiedenen Positionen und Lebensumständen, doch sein Aussehen und Charakter blieb immer gleich. Aber er hatte keine Erinnerungen an seine vorherigen Leben. Etwas das mir sehr weh getan hatte und meine Mutter jedes Mal aufs Neue verletzte. Ich wusste nicht, ob meine Mutter in einer Schlacht gefallen war oder ob sie sich selbst das Leben genommen hatte, als er ein weiteres Mal starb. Letzteres war nicht einmal so aus der Luft gegriffen, da sie jedes Mal nach seinem Tod sehr apathisch gewesen war. Irgendwann hatte ich einfach nichts mehr von ihr gehört und da sie sich nicht einmal gemeldet hatte, als so viele von uns gefallen waren, nahm ich an das sie ebenfalls wie so viele nicht mehr unter uns weilte. Wahrscheinlich würde ich es meiner Mutter gleich tun. Wie Walküren tändelten für uns Leben gern, aber selten war es etwas Ernstes. Wir mieden es wie die Schatten das Licht. Denn wenn wir einmal richtig liebten war es für immer. Da gab es kein wenn und aber. Und auch wenn ich noch nie zuvor verliebt war, wusste ich, dass ich den verdammten Lykae so richtig liebte. Es würde mir also so oder so unweigerlich das Herz brechen. Warum sollte ich also die Zeit, die ich mit dem Lykae hatte nicht vorher genießen? Sobald die Sache mit Juliet aufgeklärt war, würde ich Sebastian aufsuchen und ihm sagen, dass ich ihm das mehr geben würde um was er mich bat. Vorbehaltlos und ohne noch irgendetwas von mir zurückzuhalten. Und dann würde ich beten, egal wie selbstsüchtig es sein mochte, dass seine Gefährtin möglichst lang auf sich warten lassen würde. Aber ehe es so weit war, hatte Juliet jetzt Vorzug. Mochte ich in Hinsicht auf mich auch unvernünftig sein, aber ich würde keine der anderen Walküren in irgendeiner Form verraten. Auch dann nicht, wenn ich Sebastian bedingungslos vertraute.
Samstag hatte ich damit begonnen mich unauffällig nach Juliet umzuhören. Doch so zurückgezogen wie wir lebten, ergab meine Suche auch da nichts. Genervt schnaubte ich. Es mochte ja ganz schön sein, dass unsere Mühen uns zu Verstecken so erfolgreich waren, dass wir selbst uns nicht einmal fanden. Aber gerade in diesen Momenten war es mehr als nur frustrierend. Ich hatte sogar schon mehrere Nachrichten an sie geschrieben, etwas das ich unter normalen Umständen nie tun würde, da es auffällig war. Doch sie hatte auf keine einzige reagiert. Dieser Umstand führte dazu, dass ich nun hier hockte. Innerlich unruhig und besorgt, ein reines Nervenbündel. Juliet hatte als Konditorin in einer kleinen Bäckerei gearbeitet. Als sie am letzten Arbeitstag gegangen war, hatte sie sich nicht anders verhalten als sonst, hatten ihre ehemaligen Arbeitskolleginnen gemeint. Wohin sie danach war, wusste niemand. Auch ich nicht. Juliet hatte nie festgelegt, wo sie als nächstes hinzog. Sie hatte sich immer treiben lassen und dann einfach das Beste daraus gemacht. Deswegen hatte ich auch nichts, wo ich mit meiner Suche ansetzen könnte, außer ihrer alten Heimat. Aber ich wusste nicht, ob sie dort oder erst nach ihrem Umzug verschwunden war.
Zögernd nahm ich das Handy in die Hand, wog sein Gewicht ab und legte es wieder zurück. Wie sollte ich vorgehen? Erst einmal anrufen oder lieber hinfahren? Zwei Walküren an einem Ort war gefährlich, ein Telefonat zweifachen zwei einfachen Wegwerfhandys war das Unauffälligste. Aber auch das wollte ich vermeiden.
Seufzend griff ich wieder danach und wählte die Nummer an, die ich unter Timo gespeichert hatte. Ein weiteres Zeichen unserer Paranoia. Es rief, das war schon einmal ein gutes Zeichen. Vielleicht war ja doch alles in Ordnung und die Sache war gleich mit einem kurzen Wortwechsel geklärt. Gespannt beugte ich mich vor. Meine Nägel trommelten einen schnellen Rhythmus auf der sauberen Tischplatte. "Hallo, Sandra Stockheim hier." Verdutzt sah ich das Telefon an. Das war zweifellos nicht Juliets Stimme. "Hallo?" Dieses Mal klang die Stimme fragend, aber energisch. Warum zur Hölle ging jemand anderes für Juliet ans Telefon?
"Hallo." Meldete ich mich hastig nach einem kurzen Moment des Überlegens. Ich wog ab, ob ich mit ihr sprechen sollte oder nicht. Aber sie war womöglich meine einzige Informationsquelle. "Mit wem spreche ich?" Fragte die falsche Stimme wieder. "Anna Müller. Ich wollte eine Freundin anrufen und bin bei Ihnen herausgekommen. Haben Sie diese Rufnummer schon seit längerem?"
"Nein, das ist nicht mein Handy." Mein Herz stockte einen Moment ehe es umso schneller weiter schlug. Das durfte nicht sein. Warum hatte Juliet das Handy nicht bei sich? Warum hatte es diese fremde Frau?
"Warum zum Teufel haben Sie das Handy meiner Freundin?" Fragte ich aufgebracht und bemühte mich nicht komplett die Beherrschung zu verlieren. "Beruhigen Sie sich bitte. Ich arbeite bei der Kriminalpolizei in Wien. Vor einer Woche haben wir dieses Handy in einem stehen gelassenen Wagen auf einen Waldparkplatz in der Umgebung gefunden." "Seit wann beschäftigt sich die Kriminalpolizei mit so etwas?" Fragte ich, in meinen Verstand breitete sich eine dunkle Vorahnung aus. "Ich will sie nicht beunruhigen, Frau Müller. Aber an dem Auto sind deutliche Spuren eines Gewaltaktes zu erkennen." Nein, verdammt, in was bist du hineingeraten, Juliet?
"Wissen Sie schon mehr?" Fragte ich und hörte wie sich Distanz in meiner Stimme aufbaute. Problem erkannt, Problem angehen, Problem lösen. Ruhe bewahren, Distanz aufbauen, nicht die Beherrschung verlieren.
"Nein, wir hoffen, dass sie uns weiterhelfen können, Frau Müller."
"Ich ... ich kann Ihnen da auch nicht weiterhelfen. Wir haben uns nur selten gesehen und jetzt wollte ich einmal hören wie es ihr geht." Irgendwie musste ich mich aus dieser Sache schnellst möglich zurückziehen. Ich wusste noch nicht einmal wie Juliet sich jetzt nannte oder irgendetwas. Die Polizisten würden zu schnell bemerken, wenn etwas faul wäre. Und bei uns war wohl oder übel alles faul. Unsere Pässe waren falsch. Die Geschichten unserer Kindheit und unser Bildungsweg frei erfunden. Wir lebten etwa zehn manchmal, aber sehr selten auch fünfzehn Jahre an einem Ort und dann ging unser Leben von Neuem los. Mit rasenden Herzen begriff ich, dass sie den Fall nicht weiter untersuchen durften. Ich wusste nicht, was und wie viel Juliet hinterlassen hatte. Aber es durften keine Spuren zu uns führen. Nicht zu Juliet und erst recht nicht zu dem Rest von uns. Wir Walküren mussten uns sowohl vor den Unsterblichen wie auch vor den Sterblichen verstecken. Wir hatten keine große Gemeinschaft, die uns auffangen könnte. Es gab gerade einmal noch etwas mehr als zwei Dutzend Walküren und diese waren alle über die gesamte Welt verstreut. Bei den Lykae sah das ganz anders aus. Überall lief man einem kleinen oder größeren Rudel über den Weg, ebenso wie die Vampire gab es nichts wo sie ihre Finger nicht mit im Spiel hatten. Sei es in der Politik, bei den Behörden oder Ämtern. Aber das brauchten sie auch. So viele Personen verschwinden und wieder neu auftauchen zulassen wie sie es waren, wäre sonst völlig unmöglich gewesen. "Sie sind die erste Person, die auf diesen Telefon anruft, Frau Müller." Sie hatten schon längst begriffen, dass etwas faul war. „Ich bitte Sie mir wenigstens ein paar Frau..."
Entschlossen legte ich auf und schaltete das Handy aus, wenn ich Glück hatte, hatten sie den Anruf noch nicht zurück verfolgt. Scheiße verdammte. In was hast du uns da rein geritten, Juliet? Fragte ich mich. Was war mit ihr passiert?
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#Habt ihr eine Vermutung was mit Juliet passiert sein könnte?
#Was Anja jetzt macht?
#Glaubt ihr an Wiedergeburt?
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