thirtyeight
-Anja-
Die Luft um mich herum war rauchgeschwängert und flimmerte schier von der Hitze. Endlose hohe Flammen ließen die Nacht tageshell erscheinen. Ihre Nahrung war ein mehrstöckiges, breites Gebäude. Eine schaulustige Meute aus Alten, Frauen und Kinder hatte sich hinter mir auf der anderen Seite der Straße auf dem Gehweg versammelt. Andere rannten scheinbar orientierungslos umher, behinderten die Helfer und schrieen wild durcheinander. Zwei Löschfahrzeuge waren da und versuchten den Brand zu löschen. Einige Frauen versorgten die Verletzten. Das Bild, welches sich mir hier bot, war grausig. Dennoch störte mich etwas an der Szene. Mein Blick schweifte nachdenklich über die Menschen. Es war ihre Kleidungen und die Frisuren! Dieser Traum war keine Erinnerung an ein Erlebnis, dass erst vor kurzen passiert war. Es musste mindestens dreißig oder vierzig Jahre alt sein. Ich hielt Ausschau nach dem Träumenden. Es konnte jeder sein! Einer der Feuerwehrmänner, einer der Verletzten, einer der Schaulustigen. Ich wusste es nicht. Das einzige wobei ich mir sicher war, war dass es keines der Kinder sein konnte. Der Traum erschien mir zu klar, als das er seinen Ursprung in einer kindlichen Erinnerung haben könnte.
Langsam schritt ich durch die Menge und suchte nach dem Träumenden. Abhängig davon wie der Traum aufgebaut war und wovon er handelte, war dieses ein mehr oder weniger schweres Unterfangen. Dieses Mal schien es leichter zu sein, Die Menschen reagierten nicht in geringster Weise auf mich. Sie schienen in ihren Handlungen festgefroren. Dies bedeutete, dass ich lediglich den Menschen finden musste, der nicht einfach durch mich hindurch sah.
Selbst in dem Bewusstsein, dass es nur ein Traum war und dieser Vorfall um Jahre zurücklag, breitete sich Mitgefühl in mir aus. Es war eine Tragödie die ich keinen einzelnen Menschen je zu erleben wünschte. Die Verletzten stöhnten und waren zu allem Überfluss größtenteils Kinder. Es musste ein Waisenhaus sein, welches dem Flammen zum Opfer fiel. Selbst jetzt noch sah ich immer wieder wie ein Mann in der brennenden Eingangspforte erschien und den wartenden Helfern Kinder übergab. Aber nicht nur die Kinder litten unter schweren Hustenanfällen, welche vom Rauch hervor gerufen wurde, auch die Umstehenden und die Helfer konnten sich dem giftigen Gasen nicht entziehen.
Meine Instinkte drängten mich dazu in das Haus zu stürmen um die Kinder zu retten. Doch ich wusste es besser. Diese Kinder, die es nicht aus dem Haus geschafft hatten, waren schon vor Jahren gestorben. Wenn ich jetzt in das Haus stürmen würde, würde ich nur mich selbst gefährden ohne etwas an dem Ausgang der Geschichte ändern zu können. Ich verspürte Mitleid, für all jene die dies erleben mussten. Hilflos dabei zusehen zu müssen wie jemand verbrannte war grausam.
Nachdem ich einmal durch die Menschenmenge gelaufen war, begriff ich, dass der Träumende nicht anwesend war. Verdammt. Er oder sie musste sich in diesem Haus befinden. Vielleicht einer derjenigen, die die Kinder retteten oder doch eins der älteren Kinder, die in Decken gewickelt von weiteren Helfern betreut wurden. Sie waren so verstört, dass ich mir sicher war, dass sie nichts mitbekamen. Als ich zu ihnen lief, bestätigte sich mein Verdacht. Orientierungslos, teilweise trotz der Hintze zitternd, klammerten sie sich ängstlich aneinander.
Während mein Blick dabei zusah wie das Holz eines Fensterrahmens als großes brennendes Stück in den kleinen Vorgarten fiel und weiter brannte, fuhr ich mir durch die Haare. Sollte ich den Träumenden nicht helfen aus diesem Alptraum zu erwachen, konnte dieser Traum noch Stunden andauern und ich würde in ihm so lange gefangen sein.
Entschlossenen Schrittes ging ich auf das Heim zu und verfluchte dabei mein Schicksal. Wieso hatte ich diese Gabe bekommen? Wofür war sie nützlich? Um ein paar Mordfälle aufzuklären, den Menschen seelische Erleichterung zu schaffen? Ich wusste es nicht und ich war mir nicht sicher, ob ich je den wahren Grund meiner Gabe erkennen würde. Es hieß, dass jede unserer Gaben ihren Sinn hatte. Der Sinn meiner Gabe verschloss sich mir noch immer.
Die Hitze des Feuers war kaum erträglich und alles in mir sträubte sich dem näher zu kommen. Es gab keine sicherere Möglichkeit einen Unsterblichen umzubringen als Feuer. Nicht einmal die Hexen mit all ihren Schutzsauber waren gegen das Feuer gefeit.
„Hier, nimm das Mädchen und bring sie raus. Ich glaube oben sind noch mehr." Mein Herz stockte einen Moment ehe es schneller klopfte. Das war unmöglich. Konnte es tatsächlich sein...? Meine Neugier war übermächtig und fast hörte ich die Antwort nicht, die ihr Gesprächspartner gab. „Komm raus, Vita. Wir können nicht alle retten ehe das Feuer uns selbst tötet." Sie musste es sein. Die Stimme, der Name, da konnte keine Verwechslung vorliegen. Es gab keine Vernunft, die mich jetzt noch hätte abhalten können in dieses Haus zu gehen. Brennend oder nicht, ich musste es wissen. „Nur noch einmal." Hörte ich Vitas Stimme erneut.
„Pass auf dich auf! Ich bin gleich wieder da!" befahl eine Männerstimme. Die Hitze versenkte mir die Spitzen meiner dunklen Haare. Achtsam lief ich durch einen brennenden Flur, stieg über Feuerplatten und begegnete einem Mann, dem ich im normalen Leben ohne zu zögern umgebracht hätte. Doch hier war er nichts mehr als eine Person im Traum. Der dunkelhaarige Mann war ein Vampir. Er kam mir mit einem kleinen, bewusstlosen Mädchen über den Arm entgegen. Ich dachte, er würde mich ebenso wenig bemerken wie die anderen, doch dann hob er den Kopf von dem teilweise brennenden Boden und blieb trotz seiner Hast mit der er die verrauchten Räume und das Feuer hinter sich lassen wollte, stehen. „Was machst du hier? Du warst damals nicht dabei." Erschrocken taumelte ich einen Schritt zurück und zischte auf als ich mich an der Wand meinen rechten Arm verbrannte. Hastig beeilte ich mich die Flammen zu löschen und sah dann wieder zu dem Vampir. Mit großen Augen sah ich ihn an. Er war der Träumende. Was sollte dies? Wollte mein Karma mich bestrafen? Zwei Unsterbliche so kurz hintereinander. Erst Sebastian, der sich bewusst war, dass ich nicht in seinen Traum gehörte und dann der Vampir. Menschen machten nie solche Probleme, wenn sie mich bemerkten. Sie nahmen es hin und nutzten die Ablenkung, die meine Anwesenheit mit sich brachte. Wortlos stürmte ich an ihn vorbei und tat so als hätte dieses Gespräch nicht stattgefunden. Was sollte ich ihm auf diese Frage antworten?
Erleichtert stellte ich fest, dass er mir nicht folgte, sondern das Kind in Sicherheit brachte. Immer mehrere Stufen auf einmal nehmend, erreichte ich das oberste Stockwerk und sah mich suchend um. Das Prasseln des Feuers war so laut, dass es jedes normale Geräusch übertönte. Einzig und allein die Schreie der Menschen von draußen klangen noch zu mir durch. Immer wieder löschte ich Flamen an meiner Kleidung, während ich mir mühselig einen Weg vorwärts kämpfte. Der gesamte Rauch zog nach oben, sodass hier vom Boden bis zur Decke braungraue Nebelschwaden das Atmen und die Sicht nahezu unmöglich machten. Ich stolperte über einen am bodenliegenden, brennenden Gegenstand und schrie auf als ich mich auf dem brennenden Geländer, das die Treppe vom Rest der Etage trennte, zu fangen versuchte. Das gesamte Geländer stand in Flamen. Wild mit der Hand wedelnd um das Feuer zum Erlöschen zu bringen, wich ich zurück und stieß an eine Kommode. Es war grauenvoll. Es war so heiß, dass ich glaubte wegen der Temperatur meine Haut gleich schmelzen zu sehen, wenn ich nicht vorher in Flammen aufging. Tränen stand mir dank des beißenden Rauchs in den Augen und ich sah nur noch verschwommen meinen Umgebung, welche aus orange-gelben Flammen zu bestehen schien. In meinen Hals kratzte es fürchterlich. Es fiel mir schwer meinen Hustenreiz zu unterdrücken. Dies würde nur dazu führen, dass sich noch mehr von dem Gift auf meiner Lunge absetzte. Auf keinen Fall hätte ich dieses Haus betreten dürfen, erkannte ich. Es glich einer Falle. Ein Käfig aus Flammen, in dem ich meinen Tod finden würde, sollte ich nicht rechtzeitig herauskommen. Ich wusste, dass ich umdrehen und zu fliehen versuchen sollte, denn wenn nicht würde ich heute Nacht tatsächlich in einem Traum sterben. Etwas, dass ich nie wollte.
Einen Moment zögerte ich, mit meiner Hand presste ich mir einen Fetzen meiner Kleidung vor Mund und Nase. Sollte ich durch den giftigen Rauch das Bewusstsein verlieren und nicht aufwachen bevor ich verbrannt war, würde auch dies mich töten.
Aus einem der Räume ertönte ein schweres Husten und ein gemurmeltes: „Scheiße!". Es war Vitas Stimme. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte zur Vernunft zu kommen. Es half nichts. Ich stürmte in den Raum und stand einer der schönsten Walküren gegenüber, die wohl je über diese Erde gewandelt waren.
„Vita!" murmelte ich. Doch sie reagierte nicht. Wie auch, denn der Vampir lenkte den Traum. Einen Traum, der auf seine Erinnerungen basierte. Also stand ich als stummer Beobachter neben der Walküre. Ihre Kleidung wie auch die darunter liegende Haut wies schlimme Brandstellen auf. Eine Hand war schwarz verkohlt und schien nicht mehr beweglich zu sein. Mit der anderen tastete Vita nach dem Puls eines Jungens, der vor ihr halb unter einem Bett versteckt lag.
Er musste Tod sein, denn sie ließ ihn liegen. Schnell lief sie zum nächsten Bett und sah darunter nach. „Bitte nicht auch noch Benny!" murmelte sie flehend und zog ein Kind, das nicht älter als vier sein konnte unter dem Bett hervor.
„Gott sei Dank." Murmelte sie und nahm den Jungen hoch. Seinen Kopf presste sie an ihre Schulter. Nur einen Augenblick zögerte sie, bevor sie sich abwandte und zur Treppe eilte. Ich folgte ihr. Wir mussten raus aus dieser Flammenhölle. Diese Erkenntnis hatte ich auch in Vitas Blick gesehen. Es glich einem Wunder, dass der Junge tatsächlich noch lebte.
Während ich mich fragte, wo der Vampir sich herumtrieb, betete ich zugleich, dass wir es lebend herausschafften. Ich wollte hier nicht sterben und hoffte, dass auch Vita es rechtzeitig herausgeschafft hatte. Als ich das unheilvolle Knacken hörte, riss ich den Kopf von den brennenden Stufen vor mir hoch und sah gerade noch wie unter Vita vier Treppenstufen wegbrachen und sie durch das Loch ein Stockwerk hinab fiel. Ein hilfloser Laut entfloh mir als meine Hände ins Leere griffen.
Liegend kam sie auf der Treppe, die sich direkt darunter befand auf, der Junge halb auf ihr halb auf der Treppe. Kurz zögernd sprang ich ihr hinterher und landete neben ihr auf dem brennenden Geländer. Für einen Moment hielt ich mich mit trotz der Flammen daran fest, dann sprang ich daneben zu Boden. Den Schmerz, den ich an allen meinen Gliedern verspürte, ignorierte ich.
Vitas Haare brannten und panisch kreischend klopfte sie das Feuer aus. „Vita." Der Vampir. Suchend sah nicht nur ich mich, sondern auch die andere Walküre um. Der Vampir lag unter einen mannshohen Schrank und einem brennenden Balken begraben. Sein einer Arm war gemeinsam mit seinem restlichen Körper darunter eingeklemmt. Mit dem anderen versuchte er mit schmerzverzerrtem Gesicht, das brennende Gut von sich zu heben. Er hatte keine Chance. Vita sprang auf. Den Jungen mit sich schleppend, dabei war ich mir nicht mehr sicher, ob er noch lebte. Er hatte den Sturz nicht gut überstanden, Blut rann über sein kindliches Gesicht und der Kopf schwang seltsam hin und her. Auch Vita hatte schwerere Verletzungen davon getragen. Sie humpelte und stützte mit einer Hand ihren Rücken. Sowie der Vampir zu Vita sah, mit diesen maßlosen Entsetzten und der Besorgnis im Blick wurde mir bewusst, dass die beiden mehr sein mussten. Sehr viel mehr. Denn ein Blick in Vitas Gesicht zeigte die gleichen Empfindungen. Hilflos musste ich dabei zu sehen, wie Vita sich abmühte erst den Balken anzuheben, während der Vampir ihr zu befehlen versuchte zu fliehen und sie zurück zulassen. Er musste sie wirklich lieben, um dass er ihr Leben über seines stellte. So etwas hatte ich noch nie bei den Blutsaugern erlebt.
Vita sparte sich eine Antwort auf seine Befehle und konzentrierte sich ihn zu befreien. Dabei bemerkte sie nicht wie ihr Kleid hinter ihr immer mehr zu brennen begann und sich bis zu ihrer Taille hoch fraß. Ich schlug mir die Hände vors Gesicht als ich begriff wie dieser Traum enden würde. „Nein!" murmelte ich und der Vampir legte den Kopf in den Nacken, um zu mir zusehen. „Nein, Vita. Renn raus, bitte. Verschwinde. Bring dich in Sicherheit." Flehte ich ohne, dass sie mich hörte. Ich sah es in dem Blick des Vampirs, dass ich recht hatte. Ich sah es in den Tränen, die in seinen Augen standen. „Komm." Forderte Vita den Vampir auf und zog ihn hoch. Gemeinsam mit ihm humpelte sie zur Tür. Beide stützten sich gegenseitig. Würden sie es doch noch gemeinsam schaffen? Kurz vor der Tür blieb Vita stehen. „Benny." Rief sie hustend aus, suchend sah sie sich um und entdeckte den Jungen. Er lag vergessen neben den Schrank. „Ich komme nach."
„Nein!" der Vampir versuchte sie mit sicher herauszuziehen. Jedoch war Vita stärker. Sie gab ihm einen Stoß, er taumelte zur Tür und fiel aus dem Gebäude raus. Von Innen sah ich wie mehrere Männer ihn packten und den sich wehrenden, aber entkräfteten Vampir von dem brennenden Gebäude fortschleiften.
Als ich meinen Kopf drehte, sah ich Vita. Sie kniete über den Jungen, Tränen liefen ihr über das Gesicht und trockneten bevor sie ihr Kinn erreichten dank der Feuersbrunst. Sie hatte begriffen, dass der Junge tot war. Ein Teil der Decke brach neben mir hinab und ich begriff, dass ich jetzt gehen musste. Ich konnte nicht länger bleiben! Schweren Herzens ließ ich die trauernde Walküre zurück in der Gewissheit, dass sie sterben würde. Kaum hatte ich drei Schritte gemacht, hörte ich ein unheilvolles Krachen. Ein Kreischen erscholl, welches meine Ohren zum Bluten brachte und ich wandte mich um. Mit Todesangst in den Augen lag Vita unter einem meterlangen, brennenden Deckenstück eingeklemmt. Sie kreischte voller Schmerzen und versuchte sich zu befreien. Das Schlimmste daran war, dass sie tatsächlich schon auf den Weg zur Tür gewesen sein musste. Aber es war zu spät. Ich konnte ihr nicht helfen. Bitterliche Tränen rannen mir in Sturzbächen ins Gesicht und trockneten wieder. Vitas Haare gingen in Flammen auf, ebenso wie ihre Hände und der Rest ihres Körpers. Es kostete mich alle Mühe mich umzudrehen und zu gehen. Sobald ich einige Meter von dem Haus entfernt stand, drehte ich mich um und sah dabei zu wie das Gebäude in sich zusammen fiel und eine meiner Schwestern unter sich begrub. Es war zu spät. Vita war Tod und das nicht erst seit heute.
__________________
Bitte gebt mir Feedback!
Wart ihr auch dort (gefühlsmäßig)? Habt ihr es euch gut vorstellen können?
Hat der ein oder andere schon einen Verdacht, was dieser Traum bedeuten könnte?
Hat es euch überhaupt gefallen?
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro