
❄︎ 𝟸 ❄︎
𝟸. 𝙳𝚎𝚣𝚎𝚖𝚋𝚎𝚛
❄︎ 𐬺𐬿𐬺𐬿𐬺 ❄︎ 𐬺𐬿𐬺𐬿𐬺 ❄︎ 𐬺𐬿𐬺𐬿𐬺 ❄︎ 𐬺𐬿𐬺𐬿𐬺 ❄︎
Oh, Mann was für ein Erlebnis. Noël fragte sich langsam, ob John mit seiner Bemerkung, seine Nachbarn wären etwas seltsam, nicht die Untertreibung des Jahrtausends gewählt hatte.
Zügig wollte er an der zweiten Tür vorbeihetzen und hatte sogar seine Hand wie eine Scheuklappe vor das Gesicht gehoben. Hauptsache sich nicht aufhalten lassen. Einfach ins oberste Stockwerk zu John. Was man nicht sieht, kann einen auch nicht stoppen. Oder schocken. Wie man's nimmt. Aber mit geschlossenen Augen die abgewetzten Stufen des Altbaus hochzutapsen – das schien ihm dann doch etwas übertrieben.
Fast wäre er an der dritten Tür angekommen, da schlich sich ein Dufthauch in seine Nase, Zog innen hinauf, umspielte seine Geruchsknospen – und ließ ihn innehalten. Eine betörende Mischung aus Anis, Kardamom, Vanille und seinem Lieblingsgewürz Zimt verbot es ihm, weiterzumarschieren. Im Gegenteil: Er verharrte auf der Stelle und drehte sich wie im Trance zu der Tür, die eindeutig die verlockende Quelle der weihnachtlichen Duftmelange war.
Eine Klappe, in einer Größe, dass man ein Skatspiel hätte hindurchstecken können, öffnete sich auf Hüfthöhe. Mit einem elektrischen Surren schob sich eine offene Schublade heraus, in der ein kunstvoller Spekulatius darauf wartete mit nur einem Happen verschlungen zu werden.
Wäre Noël nicht durch den Duft betört, und würde das winzige Kunstwerk in Form eines filigranen Nikolauses mit Rucksack und Rute nicht so verlockend lecker aussehen, dann hätte er sich vermutlich ernsthaft gefragt, ob es wirklich so schlau war, einen Keks aus dieser Schublade anzunehmen. So aber, nahm er das weihnachtliche Kleinod mit spitzen Fingern heraus, um es nicht zu beschädigen, wunderte sich nur kurz, wie jemand etwas so feinmodelliertes backen konnte – und steckte es sich in den Mund.
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„Jawohl! Er hat es geschluckt!", freudig kichernd und sich die Hände reibend drehte sich Eratius um. „Hast du das gesehen, Gabriel? Na? Hast du?"
Der kohleschwarze Kater machte sich jedoch nicht mal die Mühe, ihn auch nur eines Blickes zu würdigen. Erhobenen Schwanzes stromerte er durch den Flur. Unter dem handbreiten Transportband hindurch, das gerade die Keksschachtel aus dem Labor zur Tür transportiert hatte. Vorbei an dem Ständer mit dem roten, grünen und gelben Schirm hin zu seinem Napf. Auch dort endete ein ähnliches Förderband. Wie jeden Abend lag ein Leckerli bereit, dass der Professor extra für ihn produziert hatte. Leider nur eins pro Tag, aber man konnte nicht alles haben.
„Was bist du nur für ein ignoranter Kater! Könntest dich wenigstens bedanken", schimpfte der alte Herr, während er o-beinig hinterhermarschiert kam. „Ich habe dir heute ebenfalls einen Spekulatius gemacht. Natürlich nicht mit der Spezialmischung, die ich dem Versuchsobjekt verabreicht habe. Wir wollen ja nicht, dass du auch ... ach, egal. Du verstehst mich ja eh nicht."
Er hockte sich hin und strich sanft über das glänzend gepflegte Fell des Katers, während dieser knurpsend seinen eigenen Keks zerlegte.
„Die Mühle für unser Versuchsobjekt und der Nikolaus für ..." In diesem Moment stockte ihm der Atem. Sein bepelzter Mitbewohner verschlang gerade die Reste eines Mühlenflügels. Eindeutig.
„Oh, Mist. Habe ich etwa ...? Ich habe es doch extra in zwei unterschiedlichen Formen gedruckt. Die Mühle für das Experiment und den Nikolaus für dich."
Ruckartig erhob sich der Professor und trat einen raschen Schritt zurück.
„Nein, nein, nein. Das ist nicht gut. Wenn du die Mühle gegessen hast, dann ... dann ... keine Ahnung. Aber gut ist das nicht." Panik schwang in seiner Stimme mit.
Wovon redete der Alte nur, fragte sich Gabriel. Leckerli war Leckerli. Das hier war auch nicht besser oder schlechter als das die Abende davor. Gesättigt hockte er sich hin und beobachtete, wie der Mensch ihn mit aufgerissenen Augen anstarrte und langsam zurückwich.
„Nicht, gut. Gar nicht gut", stotterte dieser vor sich hin. Drehte sich ruckartig um und floh in sein Labor, das früher einmal ein gemütliches Wohnzimmer gewesen war.
Und jetzt? Mehr Leckerlis waren offenbar nicht im Angebot. Das Zweite hatte der Alte ja an seinen Opfermenschen vor der Tür verschwendet. Vermutlich hätte das besser geschmeckt, so ein Brimborium wie er darum gemacht hatte. Aber vielleicht produzierte er ja noch eines. Neugierig trottete er dem Zausel hinterher, drückte sich durch die Tür zum Labor, die seit der letzten größeren Explosion nicht mehr richtig schloss, und sah sich um.
Der Professor hockte mit gebeugtem Rücken wie immer vor seinen vier Monitoren. Das Vorbeirasen glühender Zahlenkolonnen sowie sich drehende Zeichnungen mit Molekülen und Atomen ließen dessen wirren Haarschopf aufglühen. Gabriel hatte schon grob verstanden, worum es bei den Experimenten ging. Der Alte wollte die menschliche Evolution »auf die nächste Stufe« heben. Pah! Als wenn diese einfältigen Futtersklaven eine echte Zukunft hatten. Daran würden ein paar Kekse aus dem 3-D-Drucker in der Ecke des Raumes auch nichts ändern. Aber wer weiß, vielleicht würde da ja gleich ein neuer herausfallen...
„Stopp!", kam ein Aufschrei, der ihn herumzucken ließ und das Fell sträubte. „Raus hier! Kusch, kusch ... sssch ..."
Der Alte kam mit dem Armen wedelnd auf ihn zu. Was sollte das werden? Flugübungen? Und warum ... Hey! Was sollte das? Er musste einem Hausschuh ausweichen, der in seine Richtung flog. War der Zausel durchgeknallt? So ein Verhalten gehörte sich nicht für einen Sklaven. Aber gut ... ehe noch etwas bei den umherfliegenden Schuhen zu Bruch ging, verzog er sich eben. Der Keks würde dann ja eh irgendwann auf einem der Förderbänder vorbeirattern.
Mit einem kurzen Sprung brachte er sich vor dem nächsten heranfliegenden Schuhobjekt in Sicherheit und spazierte betont gelassen zur Tür. Wäre ja auch noch schöner, wenn er sich von einem Menschen herumkommandieren ließe.
Auf dem Flur verharrte er einen Augenblick, wurde aber offenbar nicht weiter verfolgt. Die Labortür schloss sich und ein Schaben kündete von einem schweren Gegenstand, der davor gerückt wurde. Na, dann ... er streckte sich ausgiebig und trottete ins Schlafzimmer, wo er es sich auf der zerknautschten Bettdecke bequem machte. Die Ohren blieben jedoch gespitzt, damit er nicht das Rattern verpasste, das ein neues Leckerli ankündigen würde.
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Hände griffen in sein Fell. Seine Ohren wurden gezogen und ein grelles Licht blendete ihn in die Augen. Was zum ...? Beinahe hätte er dem Störenfried die Krallen ins Leder gerammt. Es war nur der Professor. Vermutlich war er zwischenzeitlich doch noch eingedöst. Aber hey! Angenehme Fellpflege durch seinen Hauptsklaven ging anders. Statt ihn ausführlich zu schmusen, wurde er begrapscht, gepikst und gezogen.
„Hm ... keine körperliche Veränderung, soweit ich das sehe. Seltsam. Es müsste auch bei dir wirken." Für einen Moment ließ der Alte von ihm ab und starrte Löcher in die Luft.
„Wenn ich in deiner Evolution fünftausend Jahre überspringe, Gabriel, da muss sich doch irgendwas verändert haben, oder nicht?"
Was sollte sich denn bitteschön verändern? Die heutigen Katzen waren der Gipfel der Evolution – und wären es auch in zehntausend Jahren noch. Was für ein Einfaltspinsel. Natürlich hatte sich nichts getan. Bei einem Menschen wäre das sicherlich anders. Dort hatte die Fortentwicklung gigantisches Potenzial.
Nur war es leider nicht besonders wahrscheinlich, dass die einfältigen Zweibeiner das erleben würden. Schon heute pumpten sie die Atmosphäre mit ihrem Gift voll. Wenn es nach ihm ginge, könnte man sie auch alle ausrotten. Irgendwer musste einen jedoch mit Leckerlis versorgen.
Der Professor streichelte ihm – diesmal deutlich sanfter – das Fell und murmelte vor sich hin: „Vermutlich hat es nicht gewirkt. Seltsam, aber so wird es sein. Ich muss die Formel nochmals genau unter die Lupe nehmen ..."
Mit diesen Worten trollte der Alte sich endlich. Während Gabriel seinen Schwanz um den Körper schlang und das Haupt darauf bettete, ging ihm das Gesagte nicht aus dem Kopf: Fünftausend Jahre Evolution übersprungen.
Hatte er sich verändert? Spontan merkte er so wenig einen Unterschied wie der Professor. Sein Geist war scharf und klar wie eh und je. Er konnte sich an all die Gespräche und Experimente aus den letzten Jahren erinnern. Sogar, als er dem Alten heimlich geholfen hatte, eine komplexe Formel am PC zu knacken. Die Tasten mit den Pfoten zu treffen, war nicht so einfach gewesen. Nein, geistig hatte sich nichts verändert. Aber würde er selbst das überhaupt merken? Ein Irrer, wie der Professor, merkte ja ebenfalls nicht, dass er verrückt war.
Nachdenklich kratzte sich Gabriel mit dem Daumen hinter dem Ohr ...
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Noël bemerkte nichts von der spontanen Evolution, die sich unbemerkt hinter der weißen Tür abspielte und das verfrühte Ende der Menschheit einläutete.
Was er jedoch schmeckte, war mehr als gruselig. Ein fauliges, pelziges Aroma breitete sich in seinem Mund aus. Gerade noch rechtzeitig, bevor er die Pampe herunterschluckte, spuckte er sie hustend aus.
In einem weiten Schauer klatschten die Brocken gegen die reinweiße Tür und bedeckten sie mit durchgekauten, braunen Sprenkeln.
„Bah, wie eklig", entfuhr es ihm und er wunderte sich, warum er überhaupt so ein Zeug im Mund hatte.
Und ... oh, Mist. Er hatte die komplette Tür eingesaut. Wie peinlich. Sein Gesicht glühte auf wie Rudis Nase. Aber es hatte ja keiner gesehen, oder? Sollte er einfach ...? Nein. Was auch immer er da aufgestoßen hatte, natürlich musste er die Sauerei entfernen.
Also raffte er sich zusammen und drückte den Klingelknopf. Kein Geräusch war zu hören. Kein Schellen. Keine Schritte. Nichts. Das zweite Klingeln war ebenfalls vergebens. Und jetzt? Es mit dem Ärmel wegwischen, wäre nicht so clever. Nun gut, er würde John gleich um Hilfe bitten. Es war ja kein großes Drama.
Damit drehte Noël sich um und machte sich wieder auf den Weg.
❄︎ 𐬺𐬿𐬺𐬿𐬺 ❄︎ 𐬺𐬿𐬺𐬿𐬺 ❄︎ 𐬺𐬿𐬺𐬿𐬺 ❄︎ 𐬺𐬿𐬺𐬿𐬺 ❄︎
𝙸𝚗 𝚍𝚎𝚛 𝚆𝚎𝚒𝚑𝚗𝚊𝚌𝚑𝚝𝚜𝚍𝚛𝚞𝚌𝚔𝚎𝚛𝚎𝚒 𝚟𝚘𝚗 AllanRexword
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𝙽𝚘𝚌𝚑 𝚎𝚒𝚗𝚎 𝚜𝚌𝚑𝚘̈𝚗𝚎 𝙰𝚍𝚟𝚎𝚗𝚝𝚜𝚣𝚎𝚒𝚝
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