
𝟻. 𝚟𝚘𝚗 𝚖𝚒𝚕𝚌𝚑𝚛𝚎𝚒𝚜 & 𝚑𝚊𝚛𝚝𝚎𝚗 𝚗𝚞𝚍𝚎𝚕𝚗
Es tiefste, dunkelste Nacht als ich die alten Sprossen der Leiter wieder hinabsteige.
Vielleicht nicht ganz so spät, aber mal ehrlich, so ein neues Kapitel zu beginnen, klingt schon verdammt gut
Und mit jeder Sprosse, der ich dem Boden näher komme, wird die triste Realität immer erschlagender.
Zeit ist Relativ.
Ich erbringe jedesmal den Beweis dazu, wenn ich diese Sprossen wieder hinabsteige und erkenne, wie lange ich eigentlich auf dem Dachboden gewesen bin. Seit der Mittagspause war ich dort oben und jetzt ist es wie spät? Einundzwanzig Uhr? Vielleicht aber auch schon halb zehn.
In dieser anderen Welt, jenseits der vorgetäuschten Jane Austen Realität, laufen die Uhren langsamer, als hier unten.
Albert Einstein war auch so ein Mensch der bewundernswertes leistete und für die Menschheit von ungeheurem Wert war. Ich glaube, jeder will irgendwann so ein Mensch sein, über dem Jahrzehnte nach dem Tod immer noch von großer Ehrfurcht gesprochen wird.
Das ist eben Teil des Menschen und seiner Arroganz. Von wegen Krone der Schöpfung und so.
Auf dem Wortwörtlichen Boden der Tatsachen angekommen, klopfe ich mir meine Handflächen an meiner verschmierten Jeans ab, um mögliche Splitter zu entfernen. Wobei ich mir weniger Sorgen um Splitter machen sollte, sondern lieber um meine Hose. Noch eine Jeans die ich völlig ruiniert habe. Die Farbe bekomme ich mit keinem Fleckenlöser der Welt wieder raus. Aber irgendwie erfüllt mich diese Tatsache auch mit einer tiefen Inneren Befriedigung.
Solange keiner diese Hose verbrennt oder in den Müllhexler steckt, habe ich etwas für die Ewigkeit erschaffen.
Ich meine, Da Vincis Mona Lisa würde schließlich auch keiner mit Fleckenlöser zu Leibe rücken.
Manchmal schaffe ich es doch noch wirklich, dass ich schockiert von mir selber bin. Ich beschwere mich über die Arroganz des Menschen, nicht vergessen werden zu wollen, vergleiche aber meine fleckige Hose mit einem der bedeutendsten Kunstwerke der Geschichte. Und täglich grüßt das Murmeltier.
Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zu Besserung. Mein heutiger Tag scheint wirklich von ersten Schritten geprägt zu sein. Erste Gruppenarbeit seit der Grundschule – frag mich nicht, wie ich es in den letzten acht Jahren geschafft habe, drum herum zu kommen – das erste Experiment seit der Mittelstufe, bei dem ich keinen Laborkittel abfackele und das erste Mal als Laborratte. Hui, ich bin ja so aufgeregt! Ich hoffe irgendjemand hat Sarkasmus und Ironie über Verhütung aufgeklärt!
Und jetzt erkenne ich sogar meine eigene, gelegentlich vorhandene Arroganz an.
Es reicht ein Blick auf meine Hände, um zu wissen, dass diese jetzt dreckiger sind als zuvor. Weiß, Violett, Grau und Schwarz sind meine Hände, Hose, Shirt und wie ich mich kenne auch Gesicht und Haare. Hast du mal versucht, dir beim nachdenken nicht ins Gesicht oder die Haare zu fassen? Es ist unmöglich!
Fraglich ist auch, wie der große rote Farbfleck auf meine Hose gekommen ist. Vor allem, weil ich doch gar kein rot verwendet habe.
Normalerweise würde ich mich jetzt zurück in mein Zimmer schleichen, beten das Adam – oder Bilbo, wie ich ihn mehr oder weniger liebevoll nenne – noch in seiner Lerngruppe ist oder wo auch immer er sich Abends noch rumtreibt und ich Zeit genug habe zu duschen und die Kleidung zu entsorgen, bevor er zurückkommt. Dazu muss ich erklären, dass ich nicht nur beim Notausgang und dem Schwänzen von Garveys Lateinstunde etwas illegal gehandelt habe, sondern auch jetzt auf dem schmalen Grad zwischen legal und illegal balanciere.
Normalerweise sind Verwaltunsgräume wie zum Beispiel Abstellkammern jeglicher Art, Lehrerbüros, Lehrerzimmer, Privaträume des Personals, Hausmeistergruft und so weiter für Schüler untersagt. Außer wir haben eine spezielle Erlaubnis, wie im Falle einer disziplinar Maßnahme bei Verstoß gegen eine der Schulordnungen und wir haben viele davon hier in Scottsdale.
Und da ein Dachboden normalerweise unter Abstellkammer jeglicher Art fällt, muss ich eben vorsichtig sein. Mal davon abgesehen, dass das was ich da oben mache Privat ist und keinen etwas angeht.
Allerdings vergesse ich nicht nur, dass da oben Zeit wirklich relativ ist, sondern auch, dass der menschliche Körper immer noch auf Nahrungszufuhr angewiesen ist, um funktionsfähig zu bleiben. Das wird mir aber, als ich die ersten Stufen in die unteren Stockwerke hinabsteige, durch das laute Knurren meines Magens wieder in Erinnerung gerufen. Das einzige was ich heute zu mir genommen hatte, war der Knoppers heute früh. Mein Mittagessen musste ich dank Ying und Yang ausfallen lassen. Also lege ich noch einen Schritt zu und laufe über den Flur, der mit einem ehemals Mintfarbenen Teppichläufer ausgelegt ist, jetzt ist es nur noch ein hässliches grau-grün mit einigen braunen Flecken, nicht identifizierbaren Ursprungs.
Nur zögernd öffne ich meine Zimmertür. Könnte ja sein, dass sich Adam jetzt gerade einen runterholt und da will ich weiß Gott wirklich nicht reinplatzen. Wo treibt der kleine Hobbit sich den ganzen Tag rum? Denn auch jetzt ist er nicht hier. Wahrscheinlich unterwegs nach Esgaroth oder dem Schicksalsberg.
Sofort verschwinde ich ins Bad, aber auch da hallt das Knurren meines Magens von den nackten Kacheln wieder. Es klingt, als hätte Smaug sich dazu entschieden, es sich in meinem Magen-Darm Trakt gemütlich zu machen. Also lasse ich die Dusche, Dusche sein und mache nur eine Katzenwäsche. Hände, Arme und Gesicht. Die dreckige Kleidung lasse ich vorerst unter meinem Bett verschwinden und ziehe mich auf die Boxershorts aus und ziehe nur ein frisches T-Shirt und eine Jogginghose ebenfalls unter dem Bett hervor.
Vielleicht sollte ich mir mal angewöhnen den Schrank zu benutzen... Adam hat auch schon mal was Ähnliches angedeutet.
Den kleinen Farbresten an meinen Fingernägeln muss ich mich später widmen, denn mittlerweile könnte ich einen ganzen Drachen verspeisen.
Okay, jetzt reicht es aber mit den Hobbit Analogien.
Immer noch barfuß mache ich mich wieder auf den Weg in die Gemeinschaftsküche mit den drei Kühlschränken. Ich liebe diese Küche und so lange sich keiner wieder an meiner Kühlschrankbox bedient hat, bekomme ich heute Abend auch noch etwas zu essen.
Zur Not muss eben eine andere Box daran glauben, falls sich doch einer bei mir bedient haben sollte. Aber an Adams gehe ich nicht ran. Alles was er auf seinem kostbaren Raum Kühlschrank hortet, ist der geschmacklose Natursojajoghurt und die veganen Brotaufstriche die nach vergorener Banane schmecken.
Wenn er sich an meinem Notvorrat an Nervennahrung bedient, verhält er sich wie ein Eichhörnchen auf Zuckerschock, aber sonst reagiert er auf alles allergisch. Und ich meine wirklich alles! Sein Pillenschrank ist besser ausgestattet als so mache Apotheke und er hat immer diese schreckliche Bauchtasche dabei in der er einen Notvorrat an Nasensprays, Pillen aller Art und Tropfen dabei hat. Als er hier frisch ankam, dachten einige der John Lennon-Reinkarnationen, dass der kleine Adam ihnen etwas von seinem Stoff verkaufen könnte. Aber da sich relativ bald rausstellte, dass man von Antiallergikern nicht high werden kann, hatte sich dieser kleine Nebenverdienst für Adam relativ schnell wieder erledigt.
Als ich die Küche betrete, muss ich leider feststellen, dass ich nicht allein bin mit meinem heißen Date dem Kühlschrank. Rhys sitzt am Küchentresen und ist scheinbar sehr vertieft in seine Lektüre. Er sitzt mit dem Rücken zu mir, sodass er mich allen Anscheins noch nicht bemerkt hat.
Ich kann es mir einfach nicht verkneifen, dass sich wieder dieses unverschämt breite Grinsen auf meine Lippen schleicht.
Anscheinend war die Partie Schach doch schneller zu Ende, als für beide Parteien Wünschenswert. Schachmatt, Milchrhys.
Das würde zumindest erklären, warum er hier alleine sitzt und sich nicht in seinem oder Hunters Zimmer sich ein wenig durch nudeln lässt.
»Hör auf zu grinsen, Kit.«
Was zur Hölle?!
Mein Grinsen fällt sofort in sich zusammen und ich starre Verständnislos auf den Zartitterlockenhinterkopf.
»Das Fenster.«, erklärt er ganz einfach und scheinbar immer noch nicht von seinem Buch aufblickend. Direkt gegenüber der Tür, in dessen Türrahmen ich jetzt immer noch lehne, liegt ein Schiebefenster. Draußen ist es bereits dunkel und hier drinnen ist es hell, fertig ist die Spiegelung.
»Wie war die Partie Schach?« Jetzt blickt Rhys doch auf und wirft mir über die Schulter einen fragenden Blick zu. »Muss ich das verstehen?«
Ach ja... Ich hatte Rhys ja gar nicht an meiner Theorie von Scotty der Schülerzeitung und Hunter dem Schachklub teilhaben lassen. »Hast du die Zeit einem Monolog, über die Theorie deines Dates in Bezug zu unserm Schulschachklub, zu lauschen?«
Rhys Augenbrauen ziehen sich irritiert zusammen und er sieht mich immer noch etwas verständnislos an. Herrgott noch mal! Spreche ich Chinesisch?!
»Ash? Wir haben gar keinen Schachklub.«, erklärt er mir nüchtern.
Ach kommt schon! Ist das euer Ernst?! Schülerzeitung ja, aber Schachklub nein?! Kann ich heute nicht wenigstens einmal richtig liegen?
Moment, das habe ich, auch wenn Charlotte und Rhys das nicht wahrhaben wollen. Meine Lippen zu zwei schmalen Strichen zusammengepresst, trete ich endlich aus dem Türrahmen heraus und besinne mich wieder des Grundes, warum ich eigentlich hier bin.
Essen, essen, essen.
Beinahe beiläufig schlendere ich auf den Kühlschrank zu. »Ich hoffe mein kleiner pre Coiutus Interruptus hat dir und deinem König nicht die Partie vermasselt.«
Ich höre ja beinahe schon die Augen in Rhys Schädel rollen. Es ist so ein hohles Geräusch, wie wenn Glasmurmeln über Holz rollen.
»Du bist definitiv zu selten in Latein, um solche Witze machen zu können.«, bekomme ich seine Antwort, als ich meinen Kopf schon in den Kühlschrank gesteckt habe und mich durch das darin vorhandene Zeug wühle.
Ich habe nicht die leiseste Ahnung wieso Rhys glaubt, beurteilen zu können, wie oft ich meinen Lateinkurs schwänze. »Ich soll dir übrigens liebe Grüße von Mister Garvey ausrichten und er habe so langsam die Schnauze voll.«
Überrascht unterbreche ich meinen Tauchgang durch den überquellenden Kühlschrank und ziehe irritiert die Augenbrauen zusammen. »Wir haben Latein zusammen?«
Bekomme ich eigentlich irgendwas davon mit, was in dieser verdammten Schule vorgeht?
Dieses Mal würdigt Rhys mich nicht einmal mehr mit einer Antwort, sondern schüttelt nur kurz ungläubig den Kopf und widmet sich dann wieder seiner Lektüre.
Blödmann.
Aber ich kann mich der Ironie nicht erwehren, als ich in der Kühlschrankbox mit dem Namensschildchen eines gewissen Winnslows, einen Becher Milchreis mit Schokosauce finde und entscheide mich letzten Endes für diesen, als mein verspätetes Mittagessen.
Wenn ich danach immer noch Hunger habe, koche ich mir zu Not danach noch ein Paar Nudeln. Und die werden immerhin al dente im Gegensatz zu den Nudeln von Rhys oder Hunter.
Vielleicht esse ich sie auch wie ein Mann einfach ungekocht!
Also so hart wie meine Nudel es werden kann, wenn der richtige genauso daran lutscht, so wie ich, wenn ich versuche, eine Nudel ungekocht zu essen!
Mit einem grimmigen Gesicht – ja, Milchrhys darf ruhig wissen, dass er ein Blödmann ist! – lehne ich mich ihm gegenüber an die Kochinsel, sodass ich jetzt das Fenster im Rücken habe und einen direkten Ausblick darauf das Rhys immer noch nicht in der Lage ist, sich Haarsträhnen aus der Stirn fern zu halten.
Bei mir finde ich das ja okay, denn bei mir sieht es verdammt sexy aus, wenn meine Haare leicht verwuschelt in die Stirn hängen, aber bei allen anderen nervt es mich gewaltig! Besonders bei Rhys.
Mit einem Löffel bewaffnet, den die Vögel in Rhys Haaren offensichtlich geschmissen haben, rühre ich, wie eine Hexe in ihrem Zauberkessel, in meinem Milchreis. Anschließend schiebe ich mir den Löffel in den Mund.
Wir schweigen.
Ich esse und er liest.
Er soll wissen, dass ich ihn ignoriere, aber wie soll das bitte gehen, wenn er mich ignoriert? Es scheint, als wäre es ihm vollkommen egal, dass ich hier stehe und versuche ihn mit der Macht zu erwürgen, als sei dieses Mal ich Darth Vader. Und wenn erwürgen nicht klappt, erdolche ich ihn mit einem Lichtschwert oder mit dem Löffel!
Dem Lö-ffel!
Ich will ihn ignorieren, aber dafür muss er aufhören mich zu ignorieren! »Was liest du da?«, frage ich daher beiläufig, während ich die Reste von Winnslows Milchreis aus dem Becher kratze. Rhys ist wahrscheinlich sogar so weit zurückgeblieben, dass er die Symbolik hinter diesem Becher Milchreis nicht versteht.
Ash isst den Milchreis und ist satt.
Ash vernichtet den Milchrhys und geht als glorreicher Sieger hervor.
Nein, ich hab immer noch Hunger.
Also doch die Nudeln?
»Das Bildnis des Dorian Gray. Hat mich an dich erinnert.« Ich beginne überlegen zu Grinsen, auch wenn Rhys mich bei seiner Antwort immer noch nicht angesehen hat.
»Weil ich dem Protagonisten so ähnlich bin?«
»Ich denke schon. Dorian Gray ist ein narzisstisches Arschloch, das sich für unwiderstehlich hält. Du hast nicht zufälligerweise in letzter Zeit eine junge Schauspielerin in den Selbstmord getrieben?«
Ich lecke ein letztes Mal über den Löffel, mit dem ich jetzt wirklich gerne Rhys Schädeldecke öffnen würde, und antworte erst dann. »Nicht das ich wüsste.«
Rhys schnaubt nur verächtlich und blickt wieder in sein Buch. Ich werde den Verdacht nicht los, dass er gar nicht liest, sondern nur auf die Seiten starrt um mich nicht anzustarren, was ich natürlich durchaus verstehen würde. Ich bin halt schon ein verdammt hübsches Kerlchen.
»Wusstest du, dass Oscar Wilde schwul war?«, frage ich deshalb gerade heraus. Ich will ihn provozieren. Ich will ihn so provozieren, damit ich ein paar pikante Infos darüber bekomme, ob ich den Coitus wirklich interruptus habe.
Herr im Himmel, Garvey würde mich jetzt mit seinem heiligen Stowasser erschlagen!
Tja, für mein Latinum wird's wohl nicht mehr reichen. Ist das aber traurig. Es rappelt im Karton- ton ton ton ton... Ein lästiger Ohrwurm, aber jetzt will ich Eis.
Genervt schlägt Rhys endlich das Buch zu und funkelt mich überraschen verärgert aus seinen Schokoladenaugen an. Eine kleine süße Zornesfalte bildet sich dabei zwischen seinen Augenbrauen, aber ich glaube, dass er das gerade nicht wird hören wollen.
»Stell dir vor, das wusste ich! Na und?! Damals war das vielleicht ein Problem und verpönt, aber heutzutage ist das doch völlig legitim, wenn zwei gleichgeschlechtliche Partner sich zueinander hingezogen fühlen!«
Überrascht und etwas verblüfft ziehe ich meine Augenbrauen in die Höhe. Scheint so, als wäre unser weiblicher Feuermelder nicht die einzige, mit ordentlich Pfeffer im Arsch. Aber ich glaube die Frage, ob Charlotte auch ein paar dieser Pfeffer-Sommersprossen auf ihrem Hintern hat, die jetzt gerade in meinem Kopf aufgetaucht ist, wäre jetzt etwas unangebracht.
Anscheinend habe ich gerade einen empfindlichen Nerv bei Rhys getroffen. So wie vorhin in der Bibliothek auch schon. »Komm runter, Milchrhys. Treib es mit wem du willst. Ist mir doch egal.«
Die von Rhys zu Faust geballten Hand entspannt sich wieder, aber der komische Ausdruck in seinen Augen bleibt. »Entschuldige«
Habe ich mich eben verhört oder hat sich Siegmund gerade bei mir entschuldigt?! Aber ich kann seine Sorge doch ein wenig verstehen. Scottsdale ist ein Haufen Homophober Schweine, der eine andere Moral predigt. Eine Familie hat so und so auszusehen, eine Beziehung hat so und so auszusehen, unsere Leben sollen so und so verlaufen. Ich kann dir versichern, hätten wir hier keine Gleichstellungsbeauftragte Lehrkraft, dann würden die Mädchen Sticken, stricken, kochen und Kinder versorgen lernen, anstatt des normalen Unterrichts. Lehrer wie Preston lassen gerne ihre Kommentare über das untergeordnete Geschlecht fallen oder wie abartig Beziehungen außerhalb der, von ihnen anerkannten, Norm sind. Scottsdale könnte genauso gut eine Klosterschule sein. Und das öffentliche zur Schau stellen der Sexualität, sprich miteinander rummachen, öffentliches Küssen oder das abstatten nächtlicher Besuche, verstoßen gegen die Schulordnung.
Und wenn das, was Hunter und Rhys heute Nachmittag hinter der Schule gemacht haben, nicht das öffentliche zur Schau stellen ihrer Sexualität war, dann bin ich tatsächlich Dorian Gray, auch wenn ich das Buch nie gelesen habe.
»Ich soll dir das hier von Lotta geben. Mit den aller feindlichsten Grüßen und du hättest jetzt die Wahl zwischen Pest und Cholera.« Aus seiner Gesäßtasche zieht er ein sauber zusammen gefaltetes Blatt Papier und hält es mir hin.
Ich schmeiße den leeren Becher in den Mülleimer, aber den Löffel lasse ich griffbereit liegen – vielleicht entscheide ich mich doch noch spontan dazu, Rhys Schädeldecke zu öffnen – und greife dann über den Tresen hinweg nach dem Zettel.
»Die Liste?«
»Die Liste. Morgen geht es los.«
Angewidert verziehe ich das Gesicht und umfasse das Papier nur mit Daumen und Zeigefinger, als könne es mir gleich ins Gesicht springen.
»Jetzt guck nicht so, Knight Rider. Sie hat sich echt Mühe gegeben.« Es ist ein schwacher Versuch von Rhys mir diese Liste schön zu reden und schwach ist der Versuch deshalb, weil er mich schon wieder mit diesem dämlichen Spitznamen angesprochen hat.
»Ich hoffe du weißt, dass ich euch jetzt schon für alles hasse was auf dieser Liste steht.« Es ist mein bitterer Ernst, aber alles was Rhys tut, ist zu lachen.
»Oh keine Sorge, das wissen wir. Oder Lotta weiß es. Ich hab keine Ahnung was sie alles drauf geschrieben hat. Ich wasche meine Hände in Unschuld.« Ich verabscheue ihn.
Ich verabscheue ihn wirklich. Menschen wie Rhys Welsh sind mir zuwider.
Sie sehen das Leben durch eine rosarote Sonnenbrille und verschließen die Augen, wenn es hässlich wird. Sie gehen durch das Leben, als sei es ein Feld mit Sonnenblumen und im Hintergrund läuft All you need is love von den Beatles. Und dann glauben sie die Menschen, die den bitteren Ernst der Wahrheit erkennen, bekehren zu können. Haben Rhys und Charlotte bisher auch nur einmal daran gedacht mich einfach zu fragen, wieso ich meine Meinung so wenig ändern will? Natürlich nicht. Wirklich Gelegenheit hatten sie dazu zwar auch nicht, aber ich bezweifle, dass sie es je tun werden.
»Ich verabscheue dich.«, gebe ich ungerührt von mir und sehe Rhys direkt in die Augen.
Normalerweise schüchtert dieser Blick die Menschen so ein, dass ich sehen kann, wie schwer sie schlucken müssen. Es ist diese Kälte in dem unendlichen Grau meiner Augen. Aber Rhys? Er zuckt nicht mal mit der Wimper, sondern zieht wieder die Mundwinkel hoch zu diesen irren Grübchen Lächeln, das er mir schon in der Bibliothek zeigte.
Entweder ist er der Psychopath oder ich bin es. So genau lässt sich das gar nicht sagen.
»Man sieht sich, Kit.« Rhys wirft mir zum Abschied einen Luftkuss zu und erhebt sich von dem Barhocker.
»Das kannst du bei deinem Hunter machen, aber nicht bei mir.«, sage ich und gemeint ist dieser Luftkuss.
Rhys bleibt im Türrahmen stehen. Genau an derselben Stelle wo ich eben noch gestanden habe. »Ist mir schon klar, auch wenn es nicht mein Hunter ist. Und du bist eh nicht ganz mein Typ.«
Autsch.
Das war mein Ego.
Jetzt ist er derjenige mit einem unverschämten Grinsen im Gesicht. »Hör auf zu grinsen, Milchrhys.« Ich betone den Spitznamen einmal mehr, aber der scheint seine Wirkung bei Rhys vollkommen zu verfehlen. »Denk dir mal was neues aus.«, schnaubt er belustigt und wendet sich schon wieder zum gehen.
»Dein Buch.« rufe ich ihm hinterher, da das Buch, das er zuvor so aufmerksam gelesen hat immer noch auf dem Tresen liegt und er anscheinend vergessen hat mitzunehmen.
Aber Rhys zuckt nur beiläufig mit den Schultern. »Ist nicht meins.« Und damit lässt er mich stehen.
Es ist schon das zweite Mal an diesem Tag, dass ich von diesem Typen stehen gelassen werde und das gefällt mir nicht. Neugierig nehme ich das Buch in die Hand.
Das Bildnis des Dorian Gray von Oscar Wilde.
Aus einem Impuls heraus blättere ich durch die Seiten. Es ist in keinem guten Zustand. Der Einband abgenutzt und die Hälfte der Seiten gewellt, wie bei einem Wasserschaden. Zudem sind an die Ränder Notizen gekritzelt. Wer hat dieses Buch nur so misshandelt? Im Einband steht in derselben Schrift, in der auch die Notizen verfasst sind, kaum leserlich der Name Winnslow.
Schmunzelnd schüttele ich den Kopf. Der liebe Winnslow, hat heute echt einen ganz miesen Tag erwischt. Einmal wird ihm von einer völlig unbekannten Person sein letzter Becher Milchreis geklaut und dann auch noch sein Buch!
Sachen gibt's...
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