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Als ich die Treppe runter komme, tritt mir seine Mutter mit randvollgefüllten Einkaufstaschen entgegen. Sie blickt mich erstaunt an als ich den Ersatzschlüssel auf die Kommode knalle und aus der Haustür renne.
Nun habe ich keinen mehr. Meine Mutter verkriecht sich in ihr Arbeitszimmer, überhäuft sich selbst mit Arbeit und kommt nur dann raus, wenn Sie Essen kocht, duschen, schlafen und arbeiten geht. Und mein Vater? Ja, der ist als ich 6 war, einfach verschwunden und hat uns im Stich gelassen. Ich weis bis heute nicht, warum er weggegangen ist. Er war immer so glücklich und gut gelaunt. Die Pizzeria, in der er arbeitete, lief gut, die Ehe meiner Eltern lief gut...
Doch dann es war an einem Sonntag. Ich erwachte durch das Zwitschern der Vögel, anscheinend hat jemand das Fenster aufgemacht und die Vorhänge zugezogen. Es war noch angenehm kühl für einen Sommermorgen und ich stand auf. Ich wunderte mich, warum keiner mich geweckt hat und tapste mit meinen kleinen Füßchen leise durch den langen Flur in Richtung des Schlafzimmers meiner Eltern. Langsam und leise öffnete ich die Tür und sah sie da friedlich liegen. Ich kletterte auf das große Bett und rüttelt und tippte an meiner Mutter, doch sie murrte nur und ich versuchte mein Glück bei meinem Vater. Als er sich auch nicht rührte, ging ich Richtung Küche und machte so gut wie möglich Frühstück. Dann rannte ich wieder ins Schlafzimmer und sprang mit voller Wucht auf das Bett drauf. Dabei verrutschte die Decke auf der Seite meines Vaters und ich erkannte Kissen. Nun zog ich die Decke ganz weg und fand aber statt des Körpers meines Vaters weitere Kissen und Decken. Ich lachte und kletterte wieder runter, dann lief ich ins Bad, doch da war keiner. Weiter ging es mit dem Wohnzimmer. Schließlich ging ich wieder ins Schlafzimmer meiner Eltern und riss, voller Hoffnung ihn zu finden, die Kleiderschranktür auf. Doch da war auch keiner. Langsam kamen mir die Tränen in die Augen. Ich ging wieder zu meiner Mutter und rüttelte sie fester. Murrend drehte sie sich um und schaute mich aus verschlafenen Augen an. Langsam richtete sie sich auf und durchfuhr ihre Haare. Ich kletterte auf sie drauf und kuschelte mich an sie. Dann rollten mir auch schon die ersten Tränen über die Wangen. Sie schaute neben sich und ich merkte wie sie sich anspannte. Sie drückte mich an sich und schaute sich im Schlafzimmer um ...
Mittlerweile laufe ich wahllos umher und gelange in ein Viertel, das mir nicht ganz geheuer ist. Müll liegt an den Straßenseiten, laute Musik dröhnt aus dunklen Gassen und Schreie sind zu hören. es stinkt nach Abfällen, vergammelten und Fäkalien. Ich laufe immer weiter und plötzlich -das ist kein Scherz - sehe ich wie es am Ende der düsteren und unheimlichen Straße heller wird. Ich laufe schneller und entdecke einen Park. OK, OK das hört sich jetzt vielleicht unrealistisch an, aber es ist so. Vor mir erstreckt sich ein großer Park in mitten eines heruntergekommen Viertels, von dessen Existenz ich noch nie gehört beziehungsweise gewusst habe. Ich laufe weiter und komme an einen großen See. Ich setze mich auf eine Bank und schließe die Augen. So höre ich Langezeit den Enten und dem Geplätscher des Wassers zu, als ich eine raue Stimme neben mir höre. Seufzend gebe ich meine innere Meditation auf und öffnete die Augen...
»Warum sitzt so ein wunderschönes Mädchen hier allein im Park und bläst Trübsal?«
Ich drehe mich um und schaue in zwei apfelgrüne Augen. Kennt ihr diese knackig grünen Äpfel, die so sauer aber gleichzeitig auch süß sind? Genau so sind diese Augen. Lachfältchen zieren sie und die dunkel gebräunte Haut bringen sie noch besser zur Geltung. Ich wende meinen Blick ab und schaue einer Ente zu, die auf uns zu gewatschelt kommt. Sie schnattert aufgeregt und plustert sich kurz auf. Ich schmunzele und ein raues Lachen ertönte. Dieses Lachen kannte ich gut! Fast genauso hat mein Vater immer gelacht.
Ich schaue ihn genauer an, und er lachte wieder.
»Habe ich eine Warze im Gesicht oder sehe ich so gut aus«, sagt er und meine Wangen färben sich rot. Ich schaue verlegen weg und verdrehe innerlich die Augen.
»Bild dir bloß nichts darauf ein« , versuche ich es taff, aber man merkt, dass es mir peinlich ist.
»Ich bin Simon. Und mit wem habe ich das Vergnügen zu sprechen«, fragt er neugierig und zwinkerte mit verstohlen zu.
»Akilah«, sage ich und lächele.
»Und warum siehst Du so traurig aus«, fragt er weiter.
»Ich weiß nicht ob ich darüber reden will«, antworte ich vorsichtig und streiche mit eine lose Haarsträhne hinters Ohr. »Außerdem kenne ich Dich gar nicht. Ich kann doch nicht einfach mit einem Fremden über meine Probleme reden.«
»Akilah«, sagt er leise, aber trotzdem bestimmt, »Manchmal ist es besser mit jemanden neutralen und Fremden zu reden als mit jemanden der total voreingenommen ist. Vielleicht kann ich Dir ja doch helfen. Wir können aber auch einfach nebeneinander sitzen und so tun als ob wir noch nie miteinander geredet haben außer du sagst mir, dass ich gehen soll.«
Er macht Anstalten aufzustehen als ich nicht reagiere, doch ich halte ihn am Arm fest.
»Nebeneinander sitzen ist gut.«
»Okay, und wenn du doch reden willst dann fang einfach an und ich höre dir zu.«
»Danke.«
Und so sitzen wir auch noch nach fünfzehn Minuten schweigend da und schauen auf den See. Ab und zu watschelt eine Ente auf uns zu oder ein leichter Windhauch weht durch meine Haare, lässt leichte Wellen auf dem sonst ruhigen See schlagen, die Äste der Bäume wiegen oder abgefallene Blätter von ihrem Platz weiter vor sich her fegen.
Nach einer Weile scheint er zu überlegen, steht dann auf und streckt mir seine linke Hand entgegen.
»Komm mal mit, ich habe eine Idee.«
Ich zögere kurz, doch dann nehme ich seine warme und weiche Hand und er zieht mich hoch. Seine große Hand umschließt meine etwas Kleinere. So laufe ich mit einem fremden Jungen, Hand in Hand, durch einen mir bis vorhin unbekannten Park. Wir kommen an eine Art Baumforst und er führt mich hinein. Es ist kälter als auf der Bank am See und ich habe dünne Klamotten an. Eine Gänsehaut kriecht meinen Arm hinauf. Er bemerkte es, zieht seine Jacke aus und hängte sie mir über die Schulter. Ich sauge den Duft seiner Jacke ein und schließe kurz die Augen. Vanille und ein anderer Duft welchen ich nicht identifizieren kann. Dann sehe ich ihn dankend an und wir laufen weiter hinein.
Auch wenn es wahrscheinlich ziemlich unüberlegt und riskant ist mit einem Jungen welchen man erst vor zwanzig Minuten kennengelernt hat in eine „Wald" zu laufen spüre ich eine gewisse Verbundenheit und Vertrautheit zwischen uns. Etwas was mir sagt, dass ich ihm vertrauen kann und dass er gut ist. Der Forst verschlingt uns immer weiter und ich merke wie die Bäume immer älter und älter werden. Man kann schon fast sagen, dass sie künstlerisch verdreht sind. Vor einem besonders großem Baum bleiben wir stehen. Die Äste hängen schon so herunter, sodass es wie ein Zelt aussieht. Er hob ein paar Äste hoch und ich trete ein. Älteres Laub liegt auf dem Boden, sodass man sich bequem hinsetzen kann, ohne direkt in der Erde zu sitzen. Ich sehe mich um und scheine verwirrt auszusehen denn Simon fängt sofort an zu sprechen.
»Das ist mein Lieblingsplatz«, sagt er leise, »als mein Vater von ein bald neun Jahren an Krebs gestorben ist, hatte ich keinen mehr. Meine Mutter ist bei meiner Geburt gestorben und mein Vater hat mich allein aufgezogen und als ich älter war, war er dann öfter nicht da. Doch irgendwann, ich wurde gerade 18, blieb er dann zuhause. Später erfuhr ich auch warum. Er hatte Brustkrebs. Kurzdarauf ist er dann gestorben. Ich hatte schon mein Abi und bin dann direkt ins Studium gewechselt. Doch wenn ich allein sein und meine Ruhe haben möchte, gehe ich immer hier hin. Es ist so ruhig und kühl, dass man einfach abschalten kann.«
Ich hörte ihm bewegt zu. Als er fertig war, nahm ich ihn in den Arm und drückte ihn. Er erwiderte die Umarmung und ich erzählte ihm meine Geschichte. Von meiner Familie hin bis zu meinen Freunden. Ich merke wie mir die Tränen kommen und er reicht mir ein Taschentuch. Ich tupfte mir die Augen und auch er hatte Tränen in den Augen. Wir erzählten noch weiter und brachten uns gegenseitig zum Lachen.
Als es dann langsam Abend wird bietet er mir an mich nach Hause bringt und ich nehme dankbar an. Der Feierabendverkehr hat langsam abgedämmt und wir kommen zügig durch. Vor der Haustür parkt er und ich reiche ihm einen zusammengefalteten Zettel welchen ich noch schnell auf die Eile geschrieben habe. Dann verabschiede ich mich und schließe die Haustür auf.
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