Kapitel 2
Die Sterne glitzerten am Himmel, der Mond tauchte den Strand in ein fahles Licht. Kleine Wellen plätscherten an den Strand, irgendwo am Horizont leuchtete das Licht eines Frachtschiffs in unregelmäßigem Abstand auf.
Leon liebte Nächte unter freiem Himmel, ganz besonders am Meer. An manchen Orten reichte sein Geld für eine Unterkunft, oder er arbeitete in einem Hotel und teilte sich eine Unterkunft mit anderen Angestellten. Doch auf dem Campingplatz gab es für ihn diesmal keine Möglichkeit, einen überdachten Schlafplatz zu bekommen. Doch wenn er ganz ehrlich war, übernachtete er sowieso lieber am Strand.
Der Ozean hatte ihn schon immer fasziniert, mit seiner unendlichen Weite, der schillernden Wasseroberfläche und den zahlreichen, einzigartigen Bewohnern, die er beherbergte. Das Meer war in jedem Zustand schön, ob ruhig und klar oder stürmisch und trüb.
Von allen Orten der Welt, die er besucht hatte, war es ihm nie so schön vorgekommen wie am Meer. Deswegen reiste Leon hauptsächlich an Orte an der Küste. Die See hatte eine unglaubliche Wirkung auf ihn, als würde man einmal komplett gereinigt werden und könnte danach wieder frei atmen.
In der Ferne hörte er das Kreischen von Jugendlichen, Gläserklirren und laute Jubelrufe. Sie schienen eine Party zu feiern und in Leon keimte ein Fünkchen Wehmut auf; er selbst hatte keine Freunde mehr. Als er zu seiner Reise aufgebrochen war, hatte er den Kontakt zu fast all seinen Freunden aufgegeben. Das Reisen war ihm immer mehr wert als alles andere gewesen, selbst mehr wert als seine besten Freunde. Diese hatten im versichert, sich zu melden, doch sein Handy fand nur selten eine Steckdose und irgendwann hatten sie aufgehört, ihm zu schreiben, so unregelmäßig, wie er sich gemeldet hatte. Er konnte es ihnen nicht verübeln, doch es machte ihn dennoch ab und an traurig.
Bis ihm einfiel, an welch wunderschöne Orte er schon gereist war und wie glücklich ihn all das machte. Und er war an keinem dieser Orte einsam. Er lernte überall neue Menschen aus verschiedensten Teilen der Welt kennen, kam mit ihnen ins Gespräch und hörte sich die unterschiedlichsten Geschichten an.
Und genauso hörten sie sich seine Geschichten an, bewunderten ihn für seinen Ehrgeiz und Mut und versicherten ihm, sich nicht um die Meinung seiner Eltern oder Freunde kümmern zu müssen. Gespräche mit diesen Menschen taten ihm gut, weil sie ihm zeigten, dass er mit seiner Ansicht und seiner Reiselust nicht allein war.
Gähnend zog er seinen Schlafsack aus dem Rucksack, ein Blick auf seine uralte Armbanduhr verriet ihm, dass es schon nach zwei Uhr morgens war und er wirklich bald schlafen sollte, wenn er morgen fit sein wollte, um Eis an Touristen zu verkaufen. Die letzten Tage hatte er am Rande der Wiese des Campingplatzes geschlafen, doch jetzt mitten am Strand zu liegen, im weichen Sand mit dem Rauschen des Meeres im Hintergrund kam ihm eindeutig wie die bessere Wahl vor.
Ein lautes Piepen riss ihn äußerst unsanft aus dem Schlaf. So hatte er sich das Aufwachen am Meer nicht vorgestellt. Stöhnend setzte er sich auf und brauchte einen Moment, um die Situation zu realisieren. Rechts von ihm stand eines dieser Gefährte, die den Sand frühmorgens, bevor die ersten Gäste kamen, wieder glätteten. Erschrocken sprang Leon auf, raffte seinen Schlafsack und seinen Rucksack zusammen und eilte unter den wüsten Beschimpfungen des Fahrers zurück zum Campingplatz.
Dort machte er sich verschlafen auf die Suche nach den Waschräumen, die Gott sei Dank um sechs Uhr morgens noch wie leer gefegt waren und nahm eine kalte Dusche, die er dringend brauchte, um nach gerade mal vier Stunden Schlaf einigermaßen wach zu werden.
Nachdem er sich angezogen hatte, blieben ihm noch gut zwei Stunden bis zu seinem Arbeitsbeginn an der Eisdiele. Leon wollte diese Zeit nutzen, um den Ort etwas genauer zu erkunden. Hinter dem Campingplatz gab es einen Weg, der direkt in das Zentum des Dorfes führte, was wie alles andere an diesem sehr frühen Sommermorgen noch in gelbgoldener Stille lag. Lediglich ein paar Möwen irrten herum, auf der Suche nach etwas essbarem zwischen den Pflastersteinen. Kleine Läden säumten den Platz, Imbissbuden und sogar ein Karussell waren für die Nacht abgedeckt worden und schienen nur auf ihren Einsatz zu warten. In kleinen Seitengassen waren Wäscheleinen zwischen den Häusern gespannt, bunte Fensterläden waren zugeklappt und vereinzelte Möwen kreisten auch über den Dächern der Häuser.
Leon gefiel dieser Ort. Es war, als hätte er eine ganz eigene Persönlichkeit, eine eigene Geschichte zu erzählen. Er glaubte, dass die meisten Orte eine Art Persönlichkeit hatten, die man nur verstehen musste. Dieser Ort versprühte Gemütlichkeit und passte perfekt auf die Beschreibung " klein, aber fein."
Als er sich auf den Rückweg machte, fiel ihm auf, dass das bunte Zentrum mit den verwinkelten Gassen nur eine Seite des Ortes zeigten. Das Wohnviertel um den Ortskern herum war nicht bunt, sondern eher grau und sah sehr ärmlich aus. Die Menschen, die hier lebten, verdienten ihren Lebensunterhalt mit dem, was Leon verdiente, um sich ein paar Wochen über Wasser zu halten. Nachdenklich ging er durch die Straßen, zurück zum Campingplatz, wo sich inzwischen die ersten Gäste auf den Weg zu den Duschen oder zum Bäcker am Straßenrand begaben und sich direkt bei Tagesanbruch über irgendetwas beschwerten. Leon seufzte. Das konnte ja heiter werden.
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