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Flüsternder Sand - Der Fluch der Versuchung (@RunaElven)

Die Sonne befand sich bereits auf dem Rückzug, als Tom Stresemann zum wiederholten Male aus der einfachen Unterkunft trat, in der die deutsche Delegation des archäologischen Instituts untergebracht war. Eine heftige Windböe blies ihm den Staub der verdorrten Ebene ins Gesicht und ließ das lange Gewand um seine hochgewachsene, hagere Gestalt flattern. Er zog sich das Tuch über Mund und Nase und beschattete mit der Hand seine Augen vor den letzten glühenden Strahlen. Die Luft war noch immer so heiß, dass sie die Aufwinde an den schroffen Felshängen des Talkessels von Deir el-Bahari regelrecht erzittern ließ. Angespannt sah Tom die verlassene Straße hinunter. Von den glutrot leuchtenden Bergen krochen lange Schatten heran. Zusehends schwand das Tageslicht und im gleichen Maße verlor er seine Zuversicht.

Ole hatte einem Treffen zugestimmt ‒ zurückhaltend. Die Zeit ihrer unbeschwerten Jugend gehörte längst der Vergangenheit an. Sie waren über die Jahre lose in Kontakt geblieben, doch welchen Bestand ihre Freundschaft aus Kindertagen noch hatte, konnte Tom schlecht einschätzen. Als er Ole vor einer Woche in einem Video unter den Aktivisten eines Vogelschutzcamps im oberen Niltal entdeckte, war es ihm erst wie ein Zeichen des Himmels erschienen. Mittlerweile befielen ihn immer mehr Zweifel.

Aber er brauchte dringend einen Verbündeten. Hier konnte er niemandem trauen.

Es kam ihm wie gestern vor, als er während eines Praktikumeinsatzes im ehemaligen Kloster St. Marien in das Büro seines Professors gestürmt war. Dabei lag das nun schon fünf Jahre zurück. Brockhorst! Er war ein Mentor gewesen, den er über alle Maßen vergöttert hatte und der sich jetzt als der deutsche Howard Carter feiern ließ. Mit Toms Entdeckung!

Wie hatte das alles so weit kommen können? Gedankenverloren blickte Tom in die Weite und versank in seiner Erinnerung. Nie wieder hatte er solch einen euphorischen Glücksmoment erlebt. Unversehens saß er wieder zu Hause in der Küche ...

»... und dann war da tatsächlich eine völlig in Vergessenheit geratene Grabstätte! Von einem Kreuzfahrer aus dem 12. Jahrhundert! Und ich habe sie entdeckt!«

»Ja, ja. Und drin waren alte Knochen und noch ältere Schriftrollen. Das hast du jetzt schon zig Mal erzählt!« Wiebke Stresemann rollte mit den Augen und widmete sich weiter dem Portionieren der Eiskugeln.

»Dir vielleicht. Aber Stella noch nicht. Außerdem muss ich euch unbedingt noch was zeigen.« Tom wartete, bis Wiebke die Sprühsahne verteilt hatte, und balancierte zwei der turmhohen Schleckerkreationen zu der zierlichen Blondine am Küchentisch.

»Hast du den ganzen Sand hier reingeschleppt?«, rief ihm seine Schwester schimpfend hinterher, während sie die Reste wieder im Tiefkühlschrank verstaute. »Tritt dir gefälligst die Schuhe draußen ab!«

»Das sind großartige Neuigkeiten. Ich freu' mich für dich, Tom, wirklich.« Mit einem abgrundtiefen Seufzer zog Stella den Eisbecher zu sich heran und versenkte ihren Löffel in der cremigen Masse.

Wiebkes beste Freundin wohnte nur drei Häuser weiter und gehörte seit Tom denken konnte praktisch zur Familie. Inzwischen war aus dem unscheinbaren Mädchen aus der Nachbarschaft eine echt heiße Schnecke geworden. Kein Wunder, dass seine Gedanken bei ihrem Anblick die geschwisterlichen Bahnen verließen und in gänzlich andere Gefilde abdrifteten. Es war schon erstaunlich, was ein Ortswechsel bewirken konnte. Während seine Schwester auf ihrem elterlichen Hof geblieben war und ewig ein unsensibles Trampeltier bleiben würde, hatte sich Stella in ihrer Zeit in Hamburg und Frankreich zu einer eleganten, stilvollen jungen Frau entwickelt.

Es wurmte ihn mächtig, dass sie seinen sensationellen Nachrichten nur mäßige Begeisterung entgegenbrachte.

»Lass Stella in Ruhe, sie hat jetzt andere Sorgen!« Wiebke drängte sich zu Toms Leidwesen zwischen sie und dekorierte Stellas kalte Köstlichkeit mit einer Herzwaffel und einer Handvoll Schokostreusel.

»Ole ist verhaftet worden«, flüsterte sie ihm über die Schulter zu und malte verstohlen ein Herzchen in die Luft.

»Ach nee.« Tom wurde hellhörig. Sein Kumpel aus dem Segelverein und Stella, so, so. Da war Ole ihm mal wieder eine Buglänge voraus. »Was hat er denn diesmal angestellt?

Rosen aus dem Pfarrgarten geklaut?«

Grinsend dachte Tom an ihre gemeinsamen Jugendstreiche. Die Bilder von der Hafennixe, welche sie mit der Unterwäsche der Frau Bürgermeisterin eingekleidet hatten, waren noch immer die Fotos mit den meisten Klicks, wenn man ihren Heimatort bei Google eingab. Die Bronzestatue war damals über Wochen der angesagteste Selfie-Treffpunkt sämtlicher Influencer der Umgebung.

»Der Idiot hat den alten Kutter von Hinnerk mitten in der Fahrrinne versenkt! Die Fischer hätten ihn beinahe gelyncht. Fast eine Woche lang ging überhaupt nichts! Kein Schiff rein in den Hafen und keines raus. Jetzt hat er zig Klagen am Hals.« Wiebke warf entrüstet ihre Arme in die Höhe. Stella seufzte wieder.

Tom lauschte mit offenem Mund und traute seinen Ohren nicht. »Hinnerks alten Kutter? Die schrottreife Schaluppe, für die wir jede freie Minute geopfert haben, um sie wieder seetüchtig zu machen? Ist Ole völlig durchgeknallt?«

Stella zuckte mit den Schultern, eine einzelne Träne kullerte über ihre blasse Wange. Halt suchend glitten ihre Finger zu dem Schutzanhänger aus Engelsflügel, Stern und Anker, den sie stets an einer zarten Silberkette um den Hals trug. Tom langte über den Tisch und ergriff ihre schlanke Hand. »Hey, das wird schon wieder. Vielleicht war es nur ein Unfall?«

»Pfff...« Mit einem abwertenden Schnauben zerstörte Wiebke seinen Beruhigungsversuch. Stella hingegen begann zu schluchzen und schüttelte vehement den Kopf.

»Ich habe ihm mehr als einmal gesagt, dass die Ideen dieser radikalen Ökos, mit denen er neuerdings abhängt, niemandem helfen. Am allerwenigsten unserer Umwelt oder dem Verständnis der Menschen dafür. Schon diese Aktion mit den toten Vögeln auf der Wäscheleine des Landtagsabgeordneten war grenzwertig. Aber jetzt ist er zu weit gegangen. Mit einem Straftäter will ich nichts zu tun haben.«

Tom klingelten die Ohren und er schielte verstohlen zur Decke. Genauüber ihnen befand sich sein Zimmer mit seinem Rucksack, in der Ecke hinter demWäscheschrank ...

»Ha! Wusste ich doch, dass Ole dahintergesteckt hat!« Wiebke schnippte mit den Fingern und Tom zuckte erschrocken zusammen.

»Halt' die Klappe!« Knurrend stieß er seiner Schwester den Ellbogen in die Rippen. Stella weinte inzwischen hemmungslos. Mit einem vernichtenden Blick in Richtung Wiebke erhob er sich und nahm an Stellas freier Seite Platz. Tröstend legte er ihr den Arm um die Schulter.

»Ich bin für dich da, wenn du jemanden brauchst. Ich habe die Assistenzstelle bei meinem Professor bekommen und bin jetzt wieder öfter zu Hause. Du kannst dich jederzeit bei mir ... bei uns melden«, ergänzte Tom, als er Wiebkes hochgezogene Augenbrauen bemerkte.

»Was wolltest du uns eigentlich so Wichtiges zeigen?«, fragte seine Schwester mit einem süffisanten Unterton, den Tom auf den Tod nicht ausstehen konnte. Trotzdem zwang er sich zu einem Lächeln und log mit überzeugender Unschuldsmiene.

»Ach, nichts von Belang.«

Wiebke war nicht seine Mutter. Von ihr würde er sich kein schlechtes Gewissen einreden lassen. Seinen Schatz brauchte vorerst keiner zu sehen.

Der gehörte nur ihm ganz allein.

Missmutig warf Tom einen letzten Blick zurück und kniff zweifelnd die Augen zusammen. Im flirrenden Licht am Horizont bewegte sich ein dunkler Schemen auf ihn zu. Toms Herzschlag beschleunigte sich. Doch er zwang sich zur Ruhe. Trügerische Luftspiegelungen waren in der Wüste keine Seltenheit. Dann vernahm er erste Motorengeräusche. Der Schemen wurde deutlicher und wenige Minuten später hielt ein staubbedeckter klappriger Rover vor ihm an.

Der blonde Fahrer kurbelte die Scheibe ein Stück herunter.

»Ahalan. German guys?«

Tom konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Mit seinem dunklen Bart, der tief sonnengebräunten Haut und der landestypischen weiten Kleidung mit Dschallabija und Chèche wurde er oft für einen Einheimischen gehalten. Mit hochgerecktem Daumen trat er an das Fahrzeug heran.

»Du hast verdammt lang gebraucht, Ole. Zwischendurch noch schnell die Welt gerettet?«

Sein Freund stutzte, senkte langsam den Kopf und ließ sich die Sonnenbrille auf die Nasenspitze rutschen. Über den oberen Rand fixierten Tom Augen, so strahlend blau wie ein wolkenloser Sommerhimmel am Meer.

»Tom? Ich glaub's nicht. Da halte ich Ausschau nach Indiana Jones und du bist zum Prince of Persia mutiert!« Ole Svenson stieß die Fahrertür auf. In den Scharnieren knirschte der Sand. Ächzend schob er seinen sehnigen Körper von dem zerschlissenen Ledersitz, streckte den Rücken durch und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Tom wurde leicht neidisch. Sein Freund war schon immer ein sportlicher Typ gewesen, jetzt zeichneten sich unter dem legeren Hemd beeindruckende Muskeln ab, während er selbst gefühlt immer dünner wurde.

Lachend kam Ole auf Tom zu. »Scheiße, ich werde alt. Wie lange haben wir uns nicht gesehen? Da muss ich bis nach Afrika reisen, um dich mal zu treffen.«

»Hey, wer ist denn ins Watt verschwunden, um Haubenlerchen zu zählen?«

»Es waren Seeschwalben und ich war auf einer Hallig.« Ole boxte Tom freundschaftlich gegen die Schulter. »Daheim konnte ich mich ja nicht mehr sehen lassen. Dafür bist du zum berühmten Sohn der Stadt aufgestiegen. Erzähl mal. Was treibst du hier in diesem überdimensionalen Sandkasten? Und wie hältst du nur diese verdammte Hitze aus?«

»Mit Datteln, Salznüssen und viel süßem Tee.« Der wie früher unbeschwerte Charme seines Kumpels, ließ Tom innerlich aufatmen. »Komm rein, ich gebe dir was ab. Wir haben die Hütte für uns. Die anderen sind mit Brockhorst in Luxor. Er hält wieder mal eine wichtige Rede.«

»Uh, höre ich da einen Hauch von Unmut? Der Heiligenschein von deinem Professor strahlt nicht mehr überirdisch, hm?«

Damit traf Ole einen wunden Punkt. Schnaubend machte Tom seinem Ärger Luft.

»Ich hab die Schnauze gestrichen voll, das kann ich dir sagen! Wo wäre denn Dr. Karrieregeil ohne meine Entdeckung? Wer hat sich tage- und nächtelang mit den Funden aus dem Grab abgequält; sie gereinigt, restauriert, übersetzt und zugeordnet? Ich habe eine Landkarte mit der wahrscheinlichsten Reiseroute dieses Kreuzfahrers angefertigt und das aus den kaum entzifferbaren Fragmenten eines Tagebuchs! Diese Spur nach Ägypten haben alle belächelt - und jetzt? Wer erscheint bei Fernsehauftritten und gibt großspurige Interviews?«

Tom rang um seine Beherrschung. Schon viel zu lang schwelte der unterdrückte Zorn in ihm. Um die Stimmung nicht komplett zu ruinieren, lief er zum kleinen Kühlschrank in der Ecke, angelte ein gut gekühltes Sixpack heraus und reichte seinem Freund eine Dose Lager. Ein spritziges Zischen erklang, als Ole sie mit dem typischen Knacken öffnete und ihm zuprostete.

»Du warst auch in der Zeitung. Meine Mutter hat mir das Foto geschickt. Mit einem gutgemeinten Hinweis zu positiver Publicity.«

Tom hockte sich brummend neben Ole auf den buntgewebten Teppich. Für unnötige Möbelstücke wurde hier am Rande der Wüste kein Holz verschwendet. »Klar. Und was stand drunter? Spektakulärer Fund in Sankt Marien ‒ Bildmitte: Professor Ephraim Brockhorst im Kreis seiner Studenten. Mein Name wurde nicht ein einziges Mal erwähnt.«

»Aber die Assistenzstelle war doch dein Sechser im Lotto. Jedenfalls hast du es so überall gepostet.« Ole rollte mit den Schultern und schielte traurig in die leere Dose.

Tom warf ihm eine weitere Büchse Bier zu. »Als Student, ja. Mittlerweile habe ich als einer der Jahrgangsbesten promoviert und noch einen Bachelor in Ägyptologie drangehängt. Aber Brockhorst behandelt mich weiterhin wie seinen Laufburschen. Dieser Egomane heimst die ganzen Lorbeeren ein und ich werde immer nur vertröstet!«

»Warum bist du nicht mit nach Luxor? So ein Auftritt ist eine gute Gelegenheit zum Kontakteknüpfen, und ein wenig Rampenlicht fällt auch immer ab. Von heute auf morgen wirst du nicht in die renommierten Promikreise aufsteigen.«

Bedächtig wickelte sich Tom das Tuch vom Kopf. Dabei musterte er Ole eindringlich. Mit jedem Herzschlag stieg seine Aufregung und seine Augen begannen fiebrig zu glänzen. Endlich würde er jemanden in sein großes Geheimnis einweihen.

»Weil ich etwas viel Besseres vorhabe!«

Hastig sprang Tom auf, lief zum Türbehang am Eingang der Behausung und vergewisserte sich, dass sie noch immer allein waren. Dann zog er einen abgewetzten Rucksack unter einer einfachen Campingliege hervor. Mit größter Sorgfalt holte er ein verschnürtes Päckchen heraus und legte dieses behutsam vor Ole auf den Boden.

»Das wird mein Durchbruch!«

»Aha.« Ole blickte skeptisch auf das schmale Bündel.

Tom strich andächtig über die unscheinbare Hülle seines Schatzes.

»Ich habe es noch niemandem gezeigt.«

»Mhm.« Ole rückte näher und beugte sich erwartungsvoll vor.

Sofort legte Tom besitzergreifend die Hände auf die Lederrolle. »Du darfst aber nichts davon weitererzählen.« »Okay.«

Tom zögerte. Ein Wispern, wie das leise Rieseln von Sand, schlich sich in seine Ohren. Argwöhnisch blickte er sich um. Der Vorhang vor der offenen Tür wehte sacht im Abendwind. Tom spürte den heißen Atem der Wüste im Nacken, obwohl die Temperatur mit dem Untergang der Sonne abrupt gesunken war.

»Schwöre es!«, forderte er Ole nervös auf.

Kichernd hob Ole die rechte Hand. »Ich schwöre. Bei meiner tiefschwarzen Seele. Kein Wort wird meine Lippen verlassen.«

Noch immer hielt Tom das Päckchen fest umklammert. Alles in ihm sträubte sich gegen den Gedanken, seinen Schatz zu offenbaren. Als würde er etwas Heiliges entweihen. Das Wispern in seinem Kopf wurde stärker, raunte Worte, fremd und lang vergessen.

»Boah! Dann pack es halt wieder weg.« Ole verdrehte die Augen und lehnte sich auf die Unterarme gestützt zurück. »Ich bin dafür sowieso der Falsche. Ich habe keine Ahnung von diesem alten Gedöns und ehrlich gesagt interessiert es mich auch nicht. Ich mache mir mehr Gedanken um die Zukunft unserer Welt.«

Die Stimmen verstummten und Tom blickte auf. Lediglich das eintönige Surren des Dieselgenerators drang von draußen herein. Er schüttelte sich kurz.

»Nein, du bist genau der Richtige.« Oles Desinteresse war Toms Garantie dafür, nicht von ihm hintergangen zu werden. Entschlossen löste er die Verschnürungen. Aus dem Schutz der Lederhaut zog er geradezu liebevoll eine antike Papyrusrolle hervor.

Stille senkte sich über sie, als würde selbst die Zeit vor Ehrfurcht erstarren. Das Knistern des Dokumentes entfaltete die Präsenz einer uralten Macht. Unbewusst rückten die beiden jungen Männer enger zusammen und betrachteten die farbenfroh gestalteten Zeichen auf dem ausgebreiteten Papyrus, von denen ein geheimnisvolles inneres Strahlen auszugehen schien.

»Wow«, hauchte Ole. »Beeindruckend! Ich hoffe nur, du hast dir das nicht von so einem windigen Straßenverkäufer andrehen lassen.«

Beleidigt verzog Tom das Gesicht. »Hältst du mich für blöd? Das ist absolut echt! Die Rolle klemmte im Deckel des Steinsarges aus der Gruft in der Benediktinerabtei. Da ist sie glatt übersehen worden. Ich habe sie zufällig entdeckt und na ja ... «

Ole hob zweifelnd die Augenbrauen.

»Du hast sie einfach behalten? Ist das nicht Unterschlagung?«

»Quatsch! Ich habe nur vorübergehend vergessen sie abzugeben.« Tom wischte den Einwand mit einer abwertenden Handbewegung beiseite. »Mehr als zwei Jahre habe ich für die Restaurierung gebraucht. Ich habe sogar ein eigenes Verfahren zur Reinigung entwickelt. Allein dafür hätte ich den Archäologiepreis verdient. Bisher wird hauptsächlich an KI-Programmen gearbeitet, die eine Rekonstruktion der alten Texte ermöglichen. Aber ein Original in all seiner einstigen Schönheit wiederherzustellen, das hat noch niemand geschafft.«

Tom streckte seinen schlaksigen Körper und drückte die schmalen Schultern durch. Stolz schwang in seiner Stimme mit, als er selbstgefällig verkündete: »Und endlich habe ich auch die Übersetzung der Hieroglyphen beendet.«

Zu seinem Ärger brachte Ole der Bedeutung dieser Aussage keine angemessene Anerkennung entgegen, sondern frotzelte bloß: »Na dann erleuchte mich, oh großer Meister!«

Trotzdem begann Tom mit erhobener Stimme und geschlossenen Augen zu deklamieren.

»Höre die Worte, geflüstert vom ewigen Sand, den Tränen der Unvergänglichen des Himmels.

Der unermessliche Reichtum vergangener Herrscher, in den Tiefen der Wüste verborgen, wartet darauf, entdeckt zu werden. Doch mit Blut und Leid behaftet, trachtet er danach, die Unvorsichtigen ins Verderben zu locken. Nur, wer reinen Herzens handelt, und zurückgibt, was mit falschem Sinn genommen wurde, wird dem Fluch der Verlorenen entgehen.

Mit dem vierten Mond zieht ein Unheil herauf, das sich als düsterer Schleier über das Land am Nil legen wird. Du, der du diese Worte vernimmst, im Schatten von Nut wird dein Schicksal besiegelt. Die Dunkelheit wird versuchen, deine Seele zu trüben und Verrat lauert im Verborgenen. Schaue mit wachsamen Augen, so wirst du die Gefahr erkennen, bevor Seth die Sonne, das Land und alle Ungläubigen verschlingt.

Verzage nicht! Denn dem Wahren und Tapferen wird in den heiligen Hallen von Hathor ein Zeichen offenbart. Wähle deinen Weg mit Bedacht, denn Seth fordert ein Opfer, bevor du dem Leuchten des Sterns folgen kannst, der dein Glück bereithält.

Und so wird es geschehen ...«

Langsam öffnete Tom wieder die Augen und blickte erwartungsvoll zu seinem Freund. Ole starrte ihn zweifelnd an.

»Du willst mir doch nicht ernsthaft erzählen, dass die drei bunten Bildchen so einen Text beinhalten.«

»Hieroglyphen sind nicht einfach Wörter! Sie erzählen eine Geschichte und sie können mehrere Bedeutungen haben. Bei der Übersetzung muss man intuitiv vorgehen.« Grummelnd rollte Tom den Papyrus wieder zusammen. Diesem Banausen würde er keinen weiteren Blick darauf erlauben.

»Das hier könnte eine der Schriftrollen des Pharao Neptuchamun sein! Die sind mit ihren geheimnisvollen Prophezeiungen sowas wie der Heilige Gral für jeden Ägyptologen. Überall auf der Welt wurden schon welche gefunden. Ein ehemaliger Kommilitone von mir hat auf Pharos eine ganz ähnliche entdeckt.«

Kurz überlegte Tom, was eigentlich aus Pierre geworden war. Der Student verschwand damals völlig überstürzt von der Ausgrabungsstätte am ehemaligen Standort des Leuchtturms von Alexandria, einem der verlorengegangenen sieben Weltwunder der Antike. Doch schnell tat er die Überlegungen als unwichtig ab. »Das Wichtigste ist: Es gibt einen Schatz! Und in einem der Hathor-Tempel befindet sich ein weiterer Hinweis!« Mit zitternden Händen verstaute Tom die Schriftrolle in seinem Rucksack. »Meine nächste Entdeckung wird sich Brockhorst nicht unter den Nagel reißen!«

»Sag mal Tom, trinkst du genug? Und isst du auch regelmäßig?« Kopfschüttelnd verschränkte Ole die Arme vor der Brust. »Das mit dem Indiana Jones hatte ich scherzhaft gemeint. Glaubst du ernsthaft nach all der Zeit in einer Tempelruine eine Schatzkarte zu finden?«

Tom ließ sich nicht beirren. »Mein Gespür hat uns hierhergeführt. Wir haben unglaubliche Funde in diesem Tal und in Al Asasif gemacht. Es ist, als würde der Papyrus zu mir sprechen! Ich habe mir die Hathor-Kapelle drüben am Hatschepsut-Tempel angesehen. Die polnischen Kollegen der Universität Warschau sind dort seit Jahren aktiv und haben schon unglaublich viel restauriert. Aber nichts davon hat eine Vision in mir ausgelöst.« Frustriert ließ Tom die Schultern hängen. »Ich kann es nicht wirklich in Worte fassen. Es ist einfach da und dann wieder auch nicht.«

»Für mich klingt das, als warst du zu lang in der Sonne, aber okay. Wenn du an das Zeugs glaubst, was ist dann mit dem Rest? Flüche und Unheil und Opfer?« Ole zog eine theatralische Grimasse und vollführte seltsam verrenkte Bewegungen. »Denk nur an ‚Die Mumie'!«

Die Stichelei nervte Tom. Wie konnte ein sonst so idealistischer Mensch so abwertend auf diese wundervolle Botschaft einer antiken Hochkultur reagieren?

»Quatsch. So ein Fluch gehört einfach zum guten Ton dieser Texte. Das ist die Entsprechung von ‚Mit freundlichen Grüßen' vom Pharao.«

»Na, wenn du das sagst. Und wieso erzählst du ausgerechnet mir das alles?«

Tom kam ohne Umschweife zur Sache. Sein Plan brannte ihm unter den Nägeln. »Ich will zur Tempelanlage von Dendera und du bist mein Alibi! Wir sind alte Freunde und ich zeige dir ein paar Sehenswürdigkeiten.« Auch wenn niemand in der Nähe war, senkte er seine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. »Ich komme hier nicht weg, ohne dass die anderen misstrauisch werden. Du kannst dir nicht vorstellen, wie viel Neid und Missgunst in dieser Truppe herrschen. Alle hängen in einem Netz aus intrigantem Eigennutz, und Brockhorst ist die Spinne, an deren Fäden sämtliche Errungenschaften kleben bleiben.«

Da Ole noch immer keine Begeisterung zeigte, schob Tom ein weiteres Argument nach. »Wenn wir den Schatz gefunden haben, teilen wir fifty-fifty. Dann kannst du deine restlichen Schulden abstottern oder deinen Eltern was zurückgeben. Sie haben schließlich ihre Lebensversicherungen aufgelöst, um die Gerichtskosten und deinen Anwalt zu bezahlen. Sonst wärst du vielleicht nicht mit einer Bewährungsstrafe davongekommen.«

Bedrückende Stille breitete sich zwischen ihnen aus.

Oles Augen wurden schmal. »Du bist ja gut informiert. Aber danke. Ich habe keinen Bock darauf, wegen Grabräuberei in einem ägyptischen Gefängnis zu landen.«

»Wir kommen aus einer Kleinstadt. Da weiß jeder alles von jedem.« Tom zuckte geringschätzig mit den Achseln. Er konnte Oles Reserviertheit nicht nachvollziehen. Sein Angebot war mehr als großzügig. »Wenn du hier die richtigen Leute kennst, ist nahezu alles möglich. Ich habe bereits einen Investor, der mir für die Suche eine beträchtliche Summe zur Verfügung gestellt hat.«

Sein Handy vibrierte. Nach einem kurzen Blick auf den Absender löschte er die Textnachricht ungesehen. Wenn man vom Teufel sprach!

»Himmel! Tom! Mit wem hast du dich da eingelassen?

Bist du bescheuert? Verrät das nicht all deine Ideale?« Aufgebracht sprang Ole auf und tigerte durch den winzigen Raum.

»Wieso? Die Artefakte bleiben im Land und ich bekomme die Unterstützung, die ich brauche, um es Brockhorst mal so richtig zu zeigen.« Trotzig verzog Tom den Mund. »Ich weiß genau, was ich tue.« Sein Blick glitt zu seinem Handy und vorsorglich schaltete er das Gerät komplett aus. Sicher war sicher. Wer weiß, welche Abhörmethoden es bereits gab. »Außerdem hast du selbst immer gesagt, dass man für eine gute Sache auch mal ein Risiko eingehen muss!«

Mitten in seiner Bewegung verharrte Ole und starrte Tom entgeistert an. Dann setzte er sich ihm gegenüber und fuhr sich mit den Händen übers Gesicht.

»Also gut, ich mache mit.« Seine tiefblauen Augen blitzten entschlossen. »Einer muss ja auf dich aufpassen!«

Tom strahlte und klatschte begeistert in die Hände. »Ja! Du wirst es nicht bereuen. Mann, das wird ein saucooles Abenteuer!«

»Hast du noch ein Bier?«, fragte Ole schicksalsergeben. »Ich sollte echt was gegen mein Helfersyndrom unternehmen.«

***

Im blassen Licht des erwachenden Morgens brachen die Freunde nur wenige Stunden später auf. Während Ole seinen Schlafsack und einige zusätzliche Wasserflaschen verstaute, ließ Tom den Blick prüfend durchs Tal schweifen. Noch störten weder tuckernde Touristenbusse noch Scharen von emsigen Forschern die schläfrige Ruhe. Neben einer niedrigen Mauer döste ein dürrer gelber Straßenköter und irgendwo flatterte eine Plane im Wind. Tom rieb sich über die Arme. Der allgegenwärtige Sand kroch ihm buchstäblich unter die Haut. Das ständige Kratzen machte ihn noch wahnsinnig. Ein weiteres Mal drehte er sich um die eigene Achse. Der friedliche Eindruck beruhigte ihn nur mäßig. Er wurde das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden.

Ein Pfiff ließ Tom zusammenzucken. Ole winkte aus dem Rover. »Jetzt komm, bevor ich es mir anders überlege. Und vergiss deine Wünschelrute nicht.«

Den Rucksack mit seinem Schatz fest an sich gepresst, lief Tom entschlossen zum Wagen. »Hahaha, noch nie was von Luftbildarchäologie gehört? Der Zauberstab heißt LIDAR. Dreidimensionales Laserscanning, mit dem man Strukturen auf der Bodenoberfläche sichtbar machen kann. Vereinfacht für den Laien erklärt. Ich brauche nur die passenden Koordinaten für die Suche.«

***

Die gut sechzig Kilometer nach Dendera verliefen schweigsam. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Ein wenig vermisste Tom die Ungezwungenheit, mit der sie am gestrigen Abend über die alten Zeiten geplaudert hatten. Doch nun fieberte er ihrem Ziel entgegen. Die Abbildungen der wundervollen Tempelanlage, die er kannte, ersetzten nicht die Atmosphäre, die gut erhaltenen Reliefdarstellungen mit eigenen Augen zu sehen. Bisher war ihm immer etwas dazwischengekommen. An der letzten Exkursion ihrer Delegation hierher konnte er nicht teilnehmen, da Professor Wichtig ihn zur Terminabklärung seiner Auftritte im Ägyptischen Museum abkommandiert hatte. Mit Absicht! Da war sich Tom sicher. Und jetzt hielt Ole schon wieder an, um diese dämlichen Vogelschwärme zu fotografieren, die aus den fruchtbaren Niederungen des Nilbogens aufstiegen! Hatten sich den alle gegen ihn verschworen?

Als sie sich endlich der imposanten Tempelfassade mit ihren sechs hathorischen Säulen näherten, herrschte natürlich bereits reger Andrang. Eine große Gruppe Touristen mit erstaunlich umfangreicher Fotoausrüstung diskutierte aufgeregt mit einem Mitarbeiter des Antikendienstes. Tom schenkte ihnen keine Beachtung und schlug einen Bogen, um das Gesamtbild auf sich wirken zu lassen. Die Luft flimmerte und für einen Moment erblickte er die ursprünglichen farbenprächtigen Bemalungen des Eingangsbereiches, so wie sie auf einem Gemälde zur Zeit der Ausgrabung dieses Heiligtums zu sehen waren.

»No entry! No entry!« Der kleine uniformierte Beamte stellte sich ihnen wild gestikulierend in den Weg. Eine unbändige Wut schoss durch Toms Adern. Seine goldbraunen Augen verfärbten sich schwarz und richteten sich auf den sichtlich überforderten Sicherheitsmann. Wie konnte dieser Mensch es wagen, ihn bei seiner Mission zu behindern?

Der Ägypter wurde bleich und wich zurück. Tom vergaß ihn augenblicklich und versank im Anblick der sich vor ihm öffnenden Säulenhalle. Nur am Rande nahm er wahr, wie Ole den erregten Mann beiseite nahm und mit seinem nervigen Gute-Laune-Lächeln leise auf ihn einredete.

»Musst du aufs Dach?«, fragte Ole zwischen zwei beschwichtigenden Sätzen. Tom schüttelte verneinend den Kopf. Diese Kleingeister würden ihn nicht aufhalten. Ihn zog es unwiderstehlich ins Innere des Tempels.

»Mach dich mal locker!«, knurrte Ole ungehalten wenige Minuten später. »Du hast ausgesehen, als wolltest du den armen Kerl erdolchen. Der Mann macht auch nur seinen Job.«

»Hä?« Unfähig, sich von den detailreichen Abbildungen loszureißen, schwelgte Tom im Rausch der Verzückung. Endlich, endlich stand er hier, direkt unter den fantastischen astronomischen Abbildungen an der Decke des Pronaos. Tom verschlugen die komplexen Darstellungen von nächtlichen Sternenbildern, Mondphasen und tagesstündlichen Sonnenphasen den Atem. Er war der Auserwählte! Ihm, nur ihm offenbarten die Götter ihr geheimes Wissen.

»Stell dir vor, da hat irgendein geschäftstüchtiger Betrüger im Internet Lizenzen für Fotoshooting-Plätze auf dem Dach des Gebäudes vertickt. Die Leute sind alles Hobbyfotografen, die einen Haufen Geld sozusagen in den Sand gesetzt haben.« Ole räusperte sich. »Heute Nacht ist ein Supervollmond angesagt. Sie hatten schon zum letzten Blue Moon einen überdurchschnittlichen Ansturm, deshalb wurde das Dach vorsorglich gesperrt.«

»Es ist großartig«, flüsterte Tom ehrfurchtsvoll. Er hatte keine Zeit für belangloses Geschwafel. Alles um sich herum ausblendend, lief er von einem Ende der Halle zum anderen und konnte sich nicht sattsehen. Jede einzelne Nuance saugte sein Geist auf. »Sieh dir das an! Ich kann es fühlen, ich kann es hören! Die Himmelsgöttin ist mir wohlgesonnen.«

»Vielleicht sollte ich mir eine Krone aufsetzen, damit du mir zuhörst! Blue Moon! Das bedeutet, jetzt ist der vierte Vollmond in dieser Jahreszeit. Schon ein seltsamer Zufall, oder?«

Tom blickte irritiert zu seinem Freund. Der vierte Mond? Natürlich! Die Prophezeiung! »Genau! Verrat lauert im Verborgenen.« Nervös schaute er sich um. »Brockhorst hat überall seine Spione. Hoffentlich hat mich niemand erkannt.«

Hastig kramte er sein iPad aus dem Rucksack. Stifte, Sonnencreme, ein Erdnussriegel, seine Geldbörse und anderer Kram purzelten zu Boden. Ohne darauf zu achten, begann Tom, sich Notizen zu den kosmischen Abbildungen über ihnen zu machen. Ein irres Kichern kam ihm dabei über die Lippen. »Von wegen keine Schatzkarte. Es ist alles da! Die Sternenkonstellationen sind der letzte Schlüssel!«

»Verdammt noch mal, Tom! Komm mir jetzt nicht mit ‚Der Weltraum ‒ unendliche Weiten'.« Fluchend hockte sich Ole hin und begann die Habseligkeiten seines Freundes einzusammeln. »Langsam mache ich mir ernsthaft Sorgen um dich. Hat dich in letzter Zeit was gestochen oder wirfst du irgendwas ein?«

»Blödsinn! Kannst du dich an unseren Schulausflug nach Haithabu erinnern? Du warst doch so stolz auf deine nordischen Vorfahren. Und wie haben die Wikinger auf ihren Fahrten navigiert? Mithilfe von Sonnenstein und nächtlichen Sternbildern. Das hier ist nichts anderes.« Wie im Fieberwahn flogen Toms Finger über das Tablet. »Ich muss nur in die entsprechende Zeit zurückgehen und dann weiß ich genau, wo wir suchen müssen. Wir könnten sofort weiter und...«

Oles Schweigen ließ ihn stutzen. Sein Freund kniete am Boden. Durch seine Finger glitt eine dünne Silberkette, die im schwachen Licht glänzte. Ein einfallender Sonnenstrahl traf auf die Anhänger aus Stern, Engelsflügel und Anker. Tom erstarrte. Das Glitzern lenkte seine Gedanken zu der Frau, die sie beide umworben hatten und brachte ihn ins Hier und Jetzt zurück.

Mist! Dieses problematische Thema hätte er gern vermieden.

»Ähm, wir haben uns vor drei Jahren verlobt«, druckste er unbehaglich hervor.

»Ich weiß«, antwortete Ole. »Wie du schon sagtest, wir kommen aus einer Kleinstadt.«

»Ich habe sie dir nicht weggenommen, Ole. Das hast du dir selber zuzuschreiben.«

»Ja. Das ist eines der Dinge, die ich echt bedauere. Machst du dir keine Sorgen? Du bist doch nie zu Hause. Stella ist eine tolle Frau. Sie könnte sich für jemand anderen entscheiden.«

Tom grinste selbstsicher. »Wenn man sich auf etwas verlassen kann, dann ist das Stellas Wort. Sie würde nie unsere Verbindung lösen, nur weil mein Job viel Reisetätigkeit erfordert. Sie hat mir sogar ihren Glücksbringer mitgegeben. Mensch, ihr Vater ist lebenslang zur See gefahren. Wie oft war der alte Seebär daheim? Zu ihrer Taufe, zur Einschulung und zum Abiball?«

»Richtig. Deshalb war sie ständig bei euch. Stella wollte immer ein richtiges Familienleben und ein Heim voller Kinder.«

Machte Ole ihm hier Vorhaltungen? Tom entriss ihm seinen Rucksack und überprüfte, ob die Papyrusrolle unversehrt in ihrer Hülle war. Dabei erwiderte er trocken: »Hat sie jetzt ja. Sie bietet zusammen mit meiner Schwester Therapiereiten für benachteiligte Kinder an.« Sein Blick verklärte sich. »Die Medien lieben solche Hintergrundstorys. Meine zukünftige Frau mit ihrem sozialen Engagement. Das macht sich super, wenn ich erst meinen sensationellen Fund der Öffentlichkeit präsentiere.«

Ole schob die geschlossene Faust in die Hosentasche. »Du hast dich ganz schön verändert, Stresemann. Früher hast du nicht nur dich selbst im Sinn gehabt.«

Erneut spürte Tom Ärger in sich aufwallen. »Du bist doch nur neidisch auf meinen Erfolg! Weil die Leute zu mir aufblicken, während sie bei dir nur den Kopf schütteln. Birdguard! Werde langsam erwachsen und mach was aus dir.«

»Gut, dass wir das geklärt haben. Übrigens bin ich Nationalpark-Ranger. Das Vogelschutzcamp unterstütze ich in meinem Urlaub ehrenamtlich.« Mit Nachdruck schob Ole Tom in Richtung Ausgang und deutete auf einen milchig gelben Himmel. »Vergleiche du deine Koordinaten mal mit der Unwetterwarnung, die seit gestern gemeldet wird. Ich habe mir lang überlegt, ob ich die Fahrt zu dir in Kauf nehme. Eine völlig überstürzte Expedition in eine gottverlassene Ecke der Wüste werde ich ganz sicher nicht unternehmen und du solltest endlich dein schlaues Hirn benutzen und diese ganze Sache in Ruhe überdenken.«

Tom wehrte sich vehement, aber vergeblich gegen die rüde Behandlung. Über den Tempelvorplatz wirbelte eine Plastikverpackung. Er blinzelte verunsichert. Der Himmel sah wirklich seltsam aus. In einer Staubwolke meinte er Stellas trauriges Lächeln zu erkennen. Seine Augen brannten. Tom biss sich auf die Unterlippe. Eventuell hatte Ole nicht ganz Unrecht.

Ein fernes Raunen säuselte von glänzendem Ruhm. So nah! Er war so nah dran! Das bisschen Sand in der Luft war doch völlig normal. Daheim in den Dünen war es nichts anderes. Entschlossen wandte er sich aus Oles festem Griff.

»Versteh doch! Ich kann nicht abwarten. Dieser Vorsprung ist eine einmalige Chance! Wir haben doch alles dabei ...«

Fluchend entfernte sich Ole in Richtung des Parkplatzes. »Vergiss es! Wir unterhalten uns weiter, wenn du vernünftig geworden bist!«

Tom sah ihm nach und trat frustriert gegen einen Stein, der holpernd davonrollte. Von der Wand des Gebäudes löste sich ein Schatten. Tom stöhnte verhalten und knirschte mit den Zähnen. Der hatte ihm gerade noch gefehlt!

Ein Klischee von einem Men in Black schlenderte heran.

»Mister Stresemann. Haben Sie unsere Abmachung vergessen?«

»Ich hätte mich schon noch gemeldet«, zischte Tom. »Sie können Yasseen ausrichten, dass ich alle notwendigen Informationen habe.«

»Das wird meinen Chef freuen. Er lässt seine Investitionen nur ungern aus den Augen.«

Der Typ rückte für Toms Geschmack viel zu nah an ihn heran. Er trat einen Schritt nach vorn. »Nur mit dem Fahrer läuft es eher suboptimal. Ich muss nochmal mit ihm reden ...«

»Moment!« Der Mann nahm Tom am Arm und sprach leise und schnell in ein Headset. Dann dirigierte er ihn zum Palmengarten an der Seite des Tempels.

»Das ist kein Problem. In zehn Minuten ist ein Wagen verfügbar.«

Tom zögerte nur kurz. »Aber es bleibt dabei! Ich werde den Schatz als Entdecker der Öffentlichkeit präsentieren!«

Die Miene seines neuen Begleiters blieb vollkommen ausdruckslos. »Selbstverständlich, Mister Stresemann. Selbstverständlich.«

***

Ole sah über seinen dickbäuchigen, schnarchenden Sitznachbar hinweg nur einen schmalen Streifen des kleinen Kabinenfensters. Heftige Luftturbulenzen ließen das Flugzeug erzittern. Die schwarzgelbe Wolkenwand, die bereits den größten Teil des Landes unter ihnen verschlungen hatte, war bedrohlich nahegekommen. Kein Gold der Welt war es wert, sich in diese Hölle aus wütendem Sand zu wagen.

»Tut mir leid, alter Freund«, murmelte Ole und schaute auf die silbernen Kettenanhänger, die warm in seiner Hand lagen. »Du hattest deine Chance. Dein Misstrauen war schon gerechtfertigt, aber dein Ehrgeiz hat dich blind gemacht. Ich kann zwar keine Botschaften aus uralten Schriftzeichen entschlüsseln, dafür aber die Satellitenkarte des Wetterberichts lesen. Und mein Schatz ist da, wo auch mein Herz ist.«

Von: RunaElven


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