
𝟐𝟑│𝑲𝒊𝒆𝒓𝒂
Kiera
Als Brautjungfer habe ich nicht die meisten Aufgaben zu geteilt bekommen und sicherlich auch nicht die wichtigsten. Dafür aber die zeitaufwendigsten und eine davon war es glücklicherweise, alle Allergien der Gäste zu sammeln und sie in einer Liste fein säuberlich zu bündeln. Ich konnte damals noch nicht ahnen, von was für einem großen Nutzen es sein würde zu wissen, dass der Bruder des Bräutigams eine Mandelallergie hat.
Was für ein Zufall also, dass ich gerade dabei bin, ein paar Mandelsplitter in Colins Schokomousse unterzurühren, als dieser auf Toilette ist.
Genüsslich versenke ich einen weiteren Löffel Mandeln in der dunklen Creme.
Mmhhhh. Ich hoffe, du erstickst, Colin Walker.
Pusteln im Gesicht wären auch klasse und mit einer angeschwollenen Zunge würde ich mich auch zufriedengeben. Dann quasselt er wenigstens keinen Müll mehr und muss mir das Reden überlassen.
Zum Glück sind die Anderen am Tisch gerade ausgeschwirrt, um sich über das Obstbuffet herzumachen und der Rest der Gäste ist viel zu sehr mit sich beschäftigt, als ob sie einen Blick zu unserem Tisch werfen würden, wo die wunderbare Kiera gerade heimlich giggelnd in Colins Dessert herumrührt als wäre es ein magischer zutiefst giftiger Zaubertrank.
Lecker, lecker, lecker.
Mein Blick schweift zeitgleich prüfend zum Ende des Saales und ich stelle vergnügt fest, dass Colin gerade im Anmarsch ist. Uhh, das ist gut. Das ist perfekt.
Ich drapiere das kleine Einmachgläschen auf dem Tisch noch ein wenig zurecht und nicke dann zufrieden. Das Minzblatt auf dem Mousse lenkt perfekt von den kleinen Mandelsplittern ab, die hier und da hellbraun aus der dunklen Creme hervorstechen. In meinen Gedanken sehe es schon von mir-Colin wie er aufbläht wie ein roter Luftballon. Herrlich.
Ich kann es kaum abwarten, sein wutverzerrtes Gesicht zu sehen, wenn es ihm dämmert, wer sein Dessert so lecker versüßt hat.
Und dann sagt mal jemand, Rache sei nicht süß. Diese ist es auf jeden Fall.
Ich streife den Stoff meines Kleides glatt und versuche eine gleichgültige Miene aufzusetzen, als er sich neben mir niederlässt. Mein immer noch trockener und höchst empfindlicher Mund erinnert mich an die Nachwirkungen seiner Rache und lässt mich nur noch mehr daran festhalten, dass diese Revanche nötig ist, um ihn endgültig einen Denkzettel zu verpassen. Und wenn das heißt, ihm den scheiß Löffel in den Mund zu schieben!
Unauffällig schiele ich im Augenwinkel zu ihm herüber. Seine braunen Augen fixieren gierig den kleinen Leckerhappen vor sich und er ist eine Haaresbreite davon in entfernt zum Löffel zu greifen, als hinter uns plötzlich Charles, der Hochzeitsplaner, auftaucht.
»Monsieur Ceulyn!«
Das kann doch wohl nicht wahr sein! Verpiss dich, Charles. Du zerstörst gerade meinen Racheakt!
Finster starre ich den kleinen Franzosen in dem hellblauen Smoking an, der theatralisch in die Hände klatscht und meinte, er müsse mir meine Retourkutsche jetzt versauen. Mann, der Hecht war kurz davor anzubeißen!
»Isch muss sie leider unterbreschen. Ihr Brüder, Jösh, hat misch angewiesen, Ihnen mitzuteilen, dass ihre Trauzeugenrede in Kürze gehalten werden kann. Allez! Kommen sie einfach vor, wenn sie fertisch sind«
Mit diesen Worten verschwindet er genauso schnell, wie er aufgetaucht ist und mir bleibt das Herz beinahe stehen. Ich habe zwar nicht viel verstanden, aber das Wort Trauzeugenrede ist ja wohl eindeutig.
Scheiße, Colin soll seine Trauzeugenrede halten? Jetzt?
Nein, nein, nein!
Das geht jetzt nicht! Ich bin doch gerade dabei, Colin einen allergischen Schock zu bereiten!
Plötzlich kommt mir das Bild von Colin mit aufgeblähtem Kopf doch nicht mehr so verlockend vor. Nein, ganz und gar nicht. Das wäre eine Katastrophe! Stellt euch mal vor, seine Zunge würde mitten in der Rede anschwellen oder er fällt plötzlich ohnmächtig von der Bühne!
Nein, nein, nein!
So sehr ich vorhin wollte, dass er meine kleine Rache bekommt, so sehr will, nein, muss ich es jetzt verhindern.
Mein Blick fällt panisch auf das Gläschen in Colins Hand.
»Halt, das ist meins!«, wende ich ein und will ihm das Glas aus der Hand reißen, aber er ist schneller und zieht es mir vor meiner Nase wieder weg.
»Nein, das ist mein Dessert. Du hast deins schon gegessen«, entgegnet er mürrisch und deutet auf den leeren Becher auf meinem Platz. Ich schlucke, beobachte wie er zum Löffel greift und mir das Herz in die Hose rutscht.
»Ich will aber unbedingt den auch noch haben!«, beteuere ich inständig und lächle ihn bittend an.
Daraufhin rollt er mit den Augen. »Der Kellner bringt sicherlich noch welche, wenn du fragst.«
»Ich will aber DEN, Colin!«, sage ich bestimmend und zeige auf das Dessert in seiner Hand, aber er bleibt weiterhin stur und mir gehen langsam die Ideen aus.
»Bitte iss es nicht!«, wispere ich nur noch und sehe zu, wie er zielstrebig den Löffel in die dunklen Schokopaste tunkt und an seinen Mund führt. Meine Augen hängen gebahnt an seinen Lippen. Er darf es nicht essen, auch wenn ich es immer noch für eine gelungene Rache halte, darf er das Dessert unter keinen Umständen verzehren. Ich könnte es mir nie verzeihen, Kaitlyn die Hochzeit ruiniert zu haben, indem ich aus egoistischen Gründen Colin in einem nicht mehr zumutbaren Zustand auf die Bühne geschickt habe.
Keine Ahnung wie verzweifelt ich in diesem Moment aussehen muss, aber es hilft, um Colins ins Zögern zu bringen. Der Löffel stoppt in Zeitlupe direkt vor seinen Mund, was mich kurzweilig aufatmen lässt.
Als ich meinen Blick etwas höher wandern lasse, sehe ich, dass er mit sich hadern die Stirn in Falten gelegt hat. Misstrauisch fliegen seine Augen über mein Gesicht, taxieren aufmerksam jeden Zentimeter.
»Warum soll ich das nicht essen? Hast du etwa Gift reingemischt, oder was?«, fragt er sarkastisch und ehe ich zu einer Antwort ansetzen kann, verschwindet der Löffel samt Inhalt in seinem Mund.
Heilige Scheiße, ich habe Colin vergiftet!
Versteift sitze ich da, starre nur auf den Löffel in seiner Hand, der jetzt blitzeblank ist.
»Verdammt, Chiara, wieso guckst du so? Da war doch kein Gift drin, oder? ODER?«
Ich antworte nicht, was Colin dazu veranlasst das Gläschen hysterisch von sich zu schieben und mich mehr als panisch anzusehen.
»Kiera, sag, dass du kein Gift reingemacht hast!«, poltert er wütend.
Verzweifelt stütze ich den Kopf in meine linke Hand und beiße mir angestrengt auf die Lippen. »Also Gift war es nicht...«, antworte ich kleinlaut und versuche seinen dringenden Blick auszuweichen.
»ABER?«, hakt Colin nach.
Ich lächle zaghaft, obwohl mir nach Schreien zumute ist.
»Aber mir ist vielleicht aus Versehen ein Löffel mit Mandeln in deinem Dessert abhandengekommen?« Wieder lächle ich. Diesmal entschuldigend. Gleichzeitig analysiere ich jeden Quadratzentimeter seines Gesichtes genaustens und scanne es nach roten Pusteln, eitrigen Pickeln oder sonstigen Hautausschlägen ab. Bis jetzt ist nichts zu sehen.
»Du hast WAS gemacht?«
Wie ich schon vermutet hatte, entgleiten ihm seine Gesichtszüge gehörig, als ich ihm von meiner kleinen Offenbarung erzähle. Seine Augen lodern vor Wut nur so auf und ich bin mir ziemlich sicher, dass seine Gesichtsfarbe nicht wegen der Mandeln eine so plötzlich unnatürliche Röte annimmt.
»Sag mir bitte, dass du mich verarschst!«, fordert er und ich wünschte, ich könnte seiner Forderung dieses eine Mal wirklich nachgehen, aber das kann ich nicht. Ich bin schuldig und so fühle ich mich auch. So verdammt schuldig. Mein wahnsinniger Durst nach Rache kommt mir plötzlich so banal vor und die Idee mit den Mandeln so unglaublich leichtsinnig und dumm.
Wie konnte es nur so weit kommen? Wann bin ich an den Punkt gekommen, an dem ich dachte, zu solchen Mitteln zu greifen, wäre okay? Denn das ist es ganz und gar nicht. Scheiße, ich fühle mich so elendig und mein schlechtes Gewissen macht es nicht besser.
»Ich verarsche dich nicht, Colin.« Meine Stimme ist ganz dünn, fast ein Wimmern. »Es tut mir so leid! Hätte ich gewusst, dass du die Rede jetzt hältst, hätte ich niema-«
»Fuck«, bringt er nur heraus und fasst sich fieberhaft an den Bauch. Sofort gehen in meinen Kopf sämtliche Lämpchen blutrot an und schrillen wie verrückt.
»Scheiße, passiert jetzt etwas Schlimmes? Platzt dir gleich der Kopf oder wird dir schwindelig? Soll ich den Notarzt anrufen? Hast du vielleicht Tabletten?« Ich bin hysterisch. Mehr als hysterisch. Das war alles so nicht geplant! Ich habe das doch alles nie gewollt! Naja, nicht so gewollt. Gedanklich gehe ich alle mir noch bekannten Erste-Hilfe-Maßnahmen durch. Wörter wie stabile Seitenlage und Mund zu Mund Beatmung spucken plötzlich in meinem Kopf herum, wobei ich auf letzteres nicht wirklich scharf bin und das, obwohl ich mir sicher bin, dass mehr Schärfe in einem Mund nicht geht.
Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass man sich besser nicht von mir retten lassen sollte. Damals im Erstrettungs-Kurs ist meine Puppe bei der Prüfung kläglich erstickt.
Super, Kiera. Das sind super Voraussetzungen, falls Colin gleich vor deiner Nase verreckt.
Besagter Notfall-Patient ist seit einigen Sekunden auch unnormal schlaff in sich zusammengesunken. Seine Schultern hängen schlapp nach unten, indessen sein Blick glasig nach vorne gerichtet ist.
Oh Gott!
In meiner Panik beuge ich mich zu ihm nach vorne. Wie war das noch gleich? Atmung überprüfen oder so? Oder doch zuerst eine Backpfeife geben? Verdammt, ich habe keinen Schimmer, was ich tun soll!
»Colin?« Ich rüttele an seinen Schultern, bedacht darauf, meinen Kopf aus der Schusslinie vor seinen Mund zu halten, falls er gleich los reihert. Aber vielleicht wäre kotzen ja gut? Dann würde schließlich der Mageninhalt geleert werden und die Mandeln wären aus seinem Körper. Die Frage schwebt so unverhofft in meinen Kopf, aber schon allein davon, wird mir übel:
Soll ich ihm meinen Finger in den Mund stecken?
Igitt, das ist so...
...das ist wirklich die allerletzte Option.
»Sag mal, hast du rote Haare?«
Colins Finger umfassen plötzlich eine meiner braunen Strähnen, die mein Gesicht umrahmen und ungebändigt nach vorne fallen. Geschickt zwirbelt er sie um seinen Zeigefinger herum, bedeckt damit die schwarze Tintenranke, die sich um seinen Finger schlängelt. Ich sitze bloß da und kann nichts anderes tun, als seine Hand zu beobachten, die durch meine Haare gleitet. Das alles kommt mir so unwirklich vor.
»Doch, du hast rote Haare«, beharrt er und leiert seltsam mit den Augen. Das ist auch der Moment, wo ich mich von ihm losreißen kann und nicht lange fackele, sondern mich entschlossen zu meiner Tasche umdrehe, um nach meinem Handy zu suchen. »Colin, oh Gott, ich rufe einen Arzt!«
Er leiert mit den Augen. Er denkt, ich habe rote Haare. So wie ich das sehe, ist die Situation schlimm. Mehr als schlimm!
Hastig krame ich und krame, bekomme mein Handy endlich zu fassen und bin schon dabei die neun einzutippen, als ich an den Schultern herumgerissen werde und mir Colins lachende Fresse ins Auge springt.
»Ich mach doch nur Spaß! Entspann dich, Chiara. Da braucht es schon ein paar mehr Löffel, damit ich einen allergischen Schock erleide.«
»Du Arsch!« Unsanft stoße ich ihn zurück, was nur dazu führt, dass Colin noch mehr lacht. »Ich habe mir ernsthafte Sorgen gemacht!«, meckere ich und stopfe mein Telefon wieder zurück in die Tasche. Wie konnte er mir nur so einen Schreck einjagen! Jeder weiß doch, dass man über sowas keine Späße macht! Ich hatte eine Heidenangst. Er kann nur froh sein, dass ich den Plan mit den 'Finger in den Mund stecken' nicht sofort umgesetzt habe!
»Solltest du auch«, entgegnet er und zeigt schuldig auf mich. »Du wolltest mich vergiften!«
Obwohl ich immer noch wütend auf ihn bin, muss selbst ich mir eingestehen, dass er in diesem Punkt recht hat. Die Mandelaktion zählt nicht zu einer meiner Glanzstunden und ich habe daraus meine Lehre gezogen. Wiederholung ist nicht in Aussicht.
»Jetzt mal unter uns...«
Er beugt sich nach vorne, so weit, dass seine Lippen mein Ohr streifen und sein heißer Atem aufgeregt gegen meinen Hals schlägt. Unwillkürlich denke ich daran, wie er das schon mal gemacht hat. Heute. In der Kirche. Kurz danach bin ich gestürzt und das alles wegen ihm. Ich habe für einen winzigen Moment die Kontrolle über mich verloren, aber das wird mir dieses Mal nicht passieren. Entschieden ruhig und emotionslos bin ich also, als er mir neckend ins Ohr raunt. »Du bist die wohl schlimmste Verlobte ever.«
Spottend rücke ich von ihm ab und bringe wieder einige Zentimeter Abstand zwischen uns.
»Das liegt vielleicht daran, dass ich es gar nicht richtig bin, sondern genötigt wurde!«, blaffe ich zurück. Colin rollt mit den Augen.
»Mach mal halblang, Chiara. Ich bin gerade das Opfer hier. Musste ein beschissenes Herzchenhemd tragen, wurde in den See geworfen, kriege heimlich Mandeln eingetrichtert und muss nebenbei noch eine Rede halten.«
Oh, der arme, arme Colin.
»Ich hoffe für dich, dass du vorbereitet bist. Bist du doch?«, frage ich ihn und ärgere mich sofort darüber. Wieso stelle ich überhaupt diese Frage? Natürlich ist er nicht vorbereitet.
»Nein«, gibt er ehrlich zu.
Jetzt bin ich es, die mit den Augen rollt. Was ist er für ein beschissener Trauzeuge? Und obendrein auch noch der Bruder des Bräutigams! Ich kann nicht verstehen, wie ihm die Hochzeit seines Bruders nur so egal sein kann, dass er es noch nicht mal für nötig hält, eine angemessene Rede auszuarbeiten. Allgemein kann ich es nicht verstehen, wie man sich auf sowas nicht vorbereiten kann. Wäre ich die Trauzeugin von Kaitlyn hätte ich locker einen dreiseitigen Fließtext vorher ausgearbeitet und auswendig gelernt. Planung geht eben über alles. Improvisieren dagegen ist nicht mein Ding. So gar nicht.
»Bitte blamier mich nicht!«, flehe ich einfach nur, weil mir es mir noch mehr vor seinem Auftritt graut als vorher. Colin macht auf mich einfach einen viel zu gelassenen Eindruck, als dass er gleich auf die Bühne geht und einfach mal locker flockig aus dem Stehgreif vor mehr als 60 Leuten einen hervorragenden Trauzeugen abgibt. Ich würde mir wahrscheinlich in die Hose machen. Colin dagegen ist bester Laune, jetzt da er noch lebt nach meiner Mandelattacke. Grinsend erwidert er auf meine Bitte hin nur:
»Würde ich nie tun, Schatz.«
Er zwinkert mir zu und ich weiß nicht, wie ich dieses Zwinkern deuten soll. Ist es ein einfaches Colin Zwinkern? Ist es ein ehrliches Zwinkern? Oder ist es das Zwinkern, bevor eine bitterböse Rache folgt?
Das hier ist immer noch Krieg. Ein eiskalter Krieg, wohl gemerkt.
Und wie es aussieht, ist Colin jetzt wieder am Zug. Ich hoffe nur, dass er die Kriegsspiele nicht auf die Bühne ausweitet, denn dann sollte ich mir schleunigst eine Papiertücher zulegen, die ich im Fall der Fälle über meinen Kopf ziehen kann.
Angespannt sehe ich zu, wie Colin sich erhebt, sich den Weg auf die Bühne zu Charles bahnt, der ihm ein Mikrophon in die Hand drückt. Ich könnte schwören, dass seine Stimme leicht angespannt klingt, als er einmal ein tiefes »Test, Test« in das Mikro reinbrummt, woraufhin ein spitzer Ton durch den Saal rauscht und alle Gäste betroffen zusammenzucken lässt. Derweil sinke ich tiefer in den Stuhl, weil ich befürchte, dass die nächsten Minuten eventuell unangenehm werden könnten.
Mir graut Schlimmes.
Was glaubt ihr?
Wird Colin die Gunst der Stunde ausnutzen, um es Kiera heimzuzahlen?
Oder werden wir eine zutiefst emotionale, wunderschön kitschige Rede von unserem liebsten Colin hören?
Ich freue mich ungemein auf das nächste Kapitel und ich hoffe, ihr euch auch😉😄
Ciao Kakao!🥰
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