
𝟏𝟔│𝑲𝒊𝒆𝒓𝒂
Kiera
Mein Abgang war phänomenal, einfach fantastisch. Colins Gesicht zu sehen eine einzige Genugtuung. Obwohl ich weiß, dass ich damit die Spiele offiziell eröffnet habe, bereue ich es kein Stück weit. Er hat es verdient, dieser Arsch, nachdem er mich mit Finn allein zurückgelassen hat. Und die Gelegenheit ihn auf diese Weise eins reinzuwürgen, bezeichne ich als puren Zufall und Wink des Schicksals.
Anscheinend ist Colin seine Wunden lecken, denn ich sehe ihn den ganzen Nachmittag nicht, weder an der Bar noch im Saal. Kaitlyn, die mich nach einiger Zeit besorgt aufsucht, um sich sowohl nach ihm als auch nach ihrem Bruder erkundigt, lüge ich wissentlich an. Ich nuschle irgendetwas von Besorgungen und versuche meine schlechten Lügenkünste mit einem Lächeln zu überspielen.
Sie ist erst etwas skeptisch, hakt dann aber, Gott sei Dank, nicht weiter nach. Natürlich habe ich keine Ahnung, wo Colin sein Unwesen treibt, ob er gekränkt in der Ecke liegt, sich immer noch peinlich berührt vor seinem Cousin versteckt oder bereits dabei ist, einen Gegenanschlag auf mich zu planen. Was ich aber weiß ist, dass Finn laut schnarchend in meinem Auto liegt und das wird wahrscheinlich auch die nächsten Stunden erstmal so bleiben. Hoffentlich ist er zum Abendessen halbwegs einsatzfähig, sonst gibt Kaitlyn doch noch eine Vermisstenanzeige auf und setzt einen Suchtrupp auf ihn an.
Dass niemand von Colins und Finns Saufattacke bis jetzt erfahren hat, habe ich allein Christian zu verdanken. Er hat mir geholfen Finn bis zum Auto zu tragen.
Erst war es mir unglaublich peinlich, als er mich gesehen hat, wie ich gerade dabei war, Finn an seinen Schultern über den Boden zu schleifen. Allein nach einem Meter war ich schon durchgeschwitzt und atemlos. Als Christian dann plötzlich um die Ecke kam, stand er erst einmal ein paar Sekunden reglos da, hat dann aber, ohne weiter nachzufragen, einfach stumm mit angepackt.
Ich habe mich bestimmt zehntausend Mal bei ihm bedankt und ihm beteuert, dass er was bei mir guthat, woraufhin er nur freundlich abgewunken hat und etwas von »Freundschaftsdienst« gemurmelt hat.
Langsam lasse ich meinen Blick zu einen der runden Tische gleiten, an dem ich jetzt eigentlich wie die anderen sitzen sollte und allerlei Kuchenstückchen und anderweitige Törtchen in mich reinstopfen müsste. Doch stattdessen stehe ich lieber etwas abseits neben der Bar. Das hat mehrere Gründe: Zum einen hat man von hier aus einen verdammt guten Überblick auf den Saal und die Gäste. Alle mampfen munter ihren Kuchen, schlürfen Kaffee oder machen sich erneut auf den Weg zum Kuchenbuffet, welches Kaitlyn und Josh vor einer guten halben Stunde gemeinsam eröffnet haben. Dieser Platz ist auch optimal um in Alarmbereitschaft zu sein, sich zu wappnen vor feindlichen Angriffen aus dem Hinterhalt unter der Anführung Colins.
Außerdem habe ich keine Lust mich zu den anderen zu gesellen. Und mit anderen meine ich hier meine verrückte Tante Josie, die sobald du sie etwas fragst, nie wieder den Mund schließt und dich volltextet bis du dich entschließt, dem ein Ende zu setzen, indem du dich mit Alkohol bis obenhin volllaufen lässt. Dann wäre da noch Onkel Jeff, ihr Ehemann. Mathelehrer, mehr brauche ich dazu nicht zu sagen.
Er hat mir mal bei dem Geburtstag von Tante May ganze 34 Nachkommastellen von Pi vorgesagt, sich zwischendurch viermal vertan, sodass er immer wieder neu anfangen musste und ich nur eine Haaresbreite davon entfernt war, mein Weinglas nach ihm zu werfen.
Neben ihm sitzt Harvey. Ein schräger Typ mit blonder verstrubbelter Mähne, Rotze, die ihm die Nase schon rausläuft und einem schäbigen blauen Anzug, der an manchen Stellen Löcher hat. Angeblich ist er ein alter Studienfreund von Josh. Ich jedoch bezweifle stark, dass dieser Typ auch nur ansatzweise im Leben eine Universität betreten hat.
Gleich darauf folgen drei leere Stühle. Einen für mich, meine Mum und wie mir der Hochzeitsplaner vorhin mitgeteilt hat, habe er aufgrund der »besonderen, nicht geahnten Umstände« nochmal die Tischordnung kurzzeitig umgeplant, sodass jetzt niemand geringeres als der Erzfeind aka mein Verlobter höchstpersönlich seinen Arsch neben mich schwingen darf.
Über diese Neuigkeiten wird er sich bestimmt freuen...
Der Gedanke daran lässt meine Mundwinkel unwillkürlich nach oben wandern. Gleichzeitig nehme ich wahr, wie neben mir jemand an die Bar tritt und seine Bestellung aufgibt. Als ich meinen Kopf nach rechts drehe, traue ich kaum meinen Augen.
Das glaube ich jetzt nicht.
Weniger Orangensaft, mehr Alkohol, weist die Person mit einem lüsternen Grinsen, was mich zutiefst verstört, den jungen Kellner an, während der ihr den Cocktail mixt.
Missmutig verschränke ich die Arme.
»Seit wann trinkst du wieder? Ich dachte, du hättest dem Alkohol abgeschworen?«, frage ich vorwurfsvoll.
War sie nicht diejenige, die mir meine ganze Jugend über gepredigt hat, Alkohol schade dem geistlichen Verstand und verpeste zudem unsere Aura?
Sie war die Frau, weswegen ich immer von all meinen Freunden als Fahrer auserkoren wurde und extrem nüchtern in der Ecke rumgehockt habe, indessen alle anderen besoffen auf den Tischen getanzt haben.
Ertappt sieht mich meine Mutter an.
Auf die Erklärung bin ich jetzt mal gespannt.
»Du weißt, dass ich nicht trinke, aber diese Hochzeit kann man nur mit einem Promille-Intus über 1,0 überstehen«, weicht sie aus und nickt in Richtung unseres Tisches. »Unser Tisch ist die Hölle, Kiera. Ich saß keine zwei Sekunden, da hat Jeff, der alte Sack, angefangen mir irgendwelche Zahlen aufzuzählen. Ich verstehe nichts, was mit Mathe zu tun hat und der Typ rechnet mir da den Hund vor!«
Ich lächle. Was habe ich gesagt? Onkel Jeff wie er leibt und lebt.
»Sag mal, hast du diese Mandy Bar gesehen? Grässlich. Die Kinder sollen Gemüse essen und nicht noch fetter werden.«
Mandy Bar? Verwirrt sehe ich sie an, woraufhin sie in Richtung Kuchen-Buffet zu einem kleinen Stand zeigt, an dem jede Menge Süßigkeiten zusammengetragen worden sind. Über Bonbons, Smarties, einen riesigen Schokoladen-Brunnen bis hin zu Gummibärchen und irgendwelchen sauren Bändern scheint alles dabei zu sein.
Achsoooo.
»Du meinst die Candy Bar«, verbessere ich meine Mum, die daraufhin nur nickt und einen großen Schluck von ihrem Getränk nimmt. Wir müssen korrigieren: Mathe und Englisch sind nicht ihr Ding.
»Ja, die Mandy Bar. Als keiner gelinst hat, habe ich mir schnell ein paar Smarties in den Mund gestopft, nur um im nächsten Moment festzustellen, dass ich gerade meine Nichte und ihren Mann gegessen habe!«, erzählt sie und schaut mich mit weit aufgerissenen Augen an. »Die haben sich ihre Gesichter auf die Dinger drucken lassen! Ihre Gesichter, Kiera! Ist das nicht krank? Ich habe meine Nichte gegessen! Meine Nichte! Und eins sage ich dir, die war sauer wie im echten Leben auch.«
Daraufhin brechen wir beide in Gelächter aus und mir fällt auf, wie gut es mir tut meine Mutter wieder bei mir zu haben und mit ihr gemeinsam zu lachen. Anschließend erzählt sie mir noch von ihren letzten Reisen und wir plaudern noch eine Weile über meine Patisserie, bis meine Mum mich plötzlich an meiner Schulter packt und den Blick senkt.
»Gut, du entschuldigst mich, Schätzchen« Ihre blauen Augen schielen an mir vorbei, visieren etwas im Hintergrund und als ich mich umdrehe, sehe ich den jungen Kellner an, der sich am Kühlautomaten zu schaffen macht und ebenfalls unauffällig zu uns rüber schaut.
Woah, was geht hier ab?
»Er hat gerade die Eiswürfel aufgefüllt. Das ist das Zeichen«, flüstert meine Mum mir nur verschwörerisch zu, aber ich verstehe nur Bahnhof.
»Was? Was für ein Zeichen?«, wispere ich und beäuge den Kellner etwas genauer. Er ist vielleicht ein Jahr älter als ich, vielleicht auch zwei.
»Na, um seine Eiswürfel auftauen zu lassen!«, erklärt meine Mum und kichert. Ich verziehe angewidert das Gesicht.
»Eww, Mum! Bitte, sowas will ich nicht wissen!«
»Jajaja.«
Sie schnappt sich ihren Cocktail, zwinkert ihm nochmal heimlich zu und macht dann auf dem Absatz kehrt. Keine zwei Sekunden später folgt der Kellner ihr. Igitt.
Gleichzeitig seufze ich laut, weil es unheimlich deprimierend ist, wenn deine 41-jährige Mutter ein intakteres Sexleben hat als du selbst mit 24. Das ist wirklich sehr deprimierend.
Nach einer kurzweiligen Ekelattacke raffe ich mich wieder auf. Ganz sicher werde ich mich nicht an den Horror-Tisch setzen, aber zum Buffet will ich auch nicht, weil ich überhaupt keinen Hunger habe. Stattdessen entschließe ich mich, einen kurzen Abstecher in Richtung Toilette zu machen.
Ich laufe los, bahne mir meinen Weg, weiche einzelnen Gästen aus, die versuchen mit einer Hand ihr Kuchenstück auf dem Teller sicher an ihren Platz zu balancieren. Schließlich erreiche ich den Gang zu den Toilette und marschiere schon entschlossen auf das Schild mit der kleinen Frau zu, als mich jemand bremst. Eine Hand legt sich um meinen Arm und bringt mich zum Stehen. Gleichzeitig werde ich gezwungen in das Gesicht meines Gegenübers zu schauen.
Obwohl es mir völlig fremd ist, ist da gleich diese angenehme Vertrautheit. Vielleicht liegt das an den moosgrünen Augen des Mannes, die denen von Josh so ähnlich sehen. Vielleicht liegt es aber auch an dem schiefen Lächeln, das in manchen Momenten dem von Colin gleicht.
Ich schlucke, weil ich plötzlich ganz genau weiß, wer da vor mir steht.
Mein Schwiegerpapa.
Uii, was Colins Dad wohl von Kiera will?
Und wie nett von Christian, dass er Kiera geholfen hat oder???😌😏
Die Hochzeit nimmt langsam, aber sicher Fahrt auf...und ich hoffe, dass wir uns bald wieder lesen💗😄
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