Kapitel 4
• 𝐈𝐬𝐚𝐛𝐞𝐥𝐥𝐞 𝐒𝐧𝐚𝐩𝐞 •
Manchmal hat man das Gefühl, dass einem die Luft zum atmen wegbleibt, obwohl man die ganze Zeit ganz normal atmet. Doch es fühlt sich nicht so an, als würde ich atmen.
Eher so, als würde ich gleich an der Luft, die mich umgab ersticken.
Den Geräuschen nach zu urteilen, waren unsere Gäste wieder gegangen. Doch ich weigerte mich mein Zimmer zu verlassen.
Ich konnte unmöglich nach unten gehen und so tun, als wäre nichts passiert. Ich würde es nicht über mich bringen, meinem Vater ins Gesicht zu schauen. Nicht nach dem, was er getan hat.
Nicht, nachdem er mich die ganze Zeit über belogen hat.
Todesser.
Wie ein Mantra lief dieses Wort in Dauerschleife durch meinen Kopf. Wer hätte gedacht, dass ein einziges Wort alles zerstören konnte?
Ein Wort und schon hatte ich das Gefühl, dass mein Leben gerade den Bach runter ging.
Als würde mein Leben von dieser einzigen Sache abhängig sein, was es, laut Bellatrix, auch war.
Wie würde es für mich jetzt weitergehen? Hätte Dad mir noch gesagt, dass ich ab sofort dazu verdammt worden war eine Todesserin zu werden? Bestimmt hätte er mich einfach zu Lord Voldemort persönlich mitgenommen, damit er mir das dunkle Mal einbrennen konnte.
Allein bei der Vorstellung, Trägerin des dunklen Males zu sein, lief es mir kalt den Rücken runter.
Ob ich dann auch Menschen foltern und ermorden müsste?
Vielleicht könnte ich mich weigern. Ich wollte nie einem Menschen schaden und habe nie verstanden, wie Todesser so kaltherzig sein können.
Ich will kein kaltherziger Mensch werden.
Ich will keine Marionette vom Dunkeln Lord sein.
Ich will einfach nur ich sein und ein normales Leben leben.
War das schon zu viel verlangt von dieser Welt?
Ein gequälter Laut verließ meine Lippen. Ich wollte wütend auf Dad sein. Und wie ich das wollte. Immerhin stehe ich dank ihm jetzt unter Schock und habe überhaupt keine Ahnung, wie es mit mir weitergehen soll.
Aber gleichzeitig konnte ich es nicht. Er wollte mich doch nur beschützen, oder?
Hätte ich als Mutter im Prinzip nicht genau das selbe getan, um mein Kind zu beschützen?
Trotzdem war lügen keine Lösung. Das war es noch nie gewesen.
Ich wollte weinen, schreien; einfach alles vergessen. Wie sehr wünschte ich mir jetzt Pansy oder Theodore bei mir zu haben? Die beiden würden mich immerhin verstehen.
Aber würden sie es immer noch tun, wenn sie wüssten, wie meine Zukunft nun aussehen wird? Würden sie weiterhin mit mir befreundet sein wollen, oder sich komplett von mir abwenden?
Dann hätte ich wirklich niemanden mehr. Und wem hatte ich das zu verdanken?
Dem Schicksal, das es offenbar nicht gut mit mir gemeint hat.
»Isabelle? Du kannst jetzt rauskommen.«, drang die Stimme meines Vaters durch die Tür hindurch.
Du kannst jetzt rauskommen.
Als hätten wir Verstecken gespielt und Dad mich nun gefunden hat. Schön wär's, wenn das Leben nur ein harmloses Versteckspiel wäre. Dann wäre ich jetzt einfach irgendwo untergetaucht und niemand hätte mich gefunden. Ich hätte dann meine Ruhe.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte er besorgt, nachdem ich nicht geantwortet habe.
Erneut antwortete ich nicht.
Ich wollte irgendwas sagen, wie 'Ja, Dad. Es ist alles bestens.'
Etwas, das meine Wut zum Ausdruck bringen konnte, doch ich konnte nicht.
Ich schaffte es nicht, einen Laut über meine Lippen zu bringen.
Nach ungefähr zwei Minuten öffnete sich schließlich die Tür und Dad trat herein. Eine Falte zierte seine Stirn. Die hatte er immer, wenn er besorgt war.
»Was ist los?«, fragte Dad, während er auf mich zukam und sich an das Fußende des Bettes setzte.
»Es ist nichts.«, antwortete ich und versuchte ihm dabei möglichst nicht in die Augen zu schauen.
Immer, wenn ich bei einem ernsten Gespräch Dad in die Augen sah, verspürte ich das Bedürfnis zu weinen. Sein besorgter und zugleich auch strenger Blick löste immer etwas in mir aus, was ich nicht beschreiben konnte.
»Lüg mich nicht an, Isabelle. Du weißt, dass lügen zwecklos ist.«, sagte er und ich hätte am liebsten laut aufgelacht. Dad wollte mir nicht allen ernstes gerade sagen, dass lügen keine Lösung war.
»Du bist doch derjenige, der die ganze Zeit hier lügt, nicht ich.«, erwiderte ich und sah ihn zum ersten Mal, seitdem er das Zimmer betreten hat in die Augen.
Jeglicher Glanz war aus ihnen gewichen und er wurde augenblicklich blass.
»Was hast du da gerade gesagt?«, fragte er mit brüchiger Stimme.
»Ich weiß es, Dad. Ich weiß, was du mir schon die ganze Zeit über verschwiegen hast.«, gab ich selbstsicher zu.
»Wie?«, war das einzige was er dazu sagte.
»Denkst du wirklich, ich wäre so naiv zu glauben, dass Narzissa hergekommen ist, um mit dir fröhlich zu plaudern? Und dann noch in Begleitung von Bellatrix Lestrange? So dumm bin ich nun wirklich nicht, Dad.«, erwiderte ich.
Wenn Dad wirklich gedacht hat, dass ich so naiv und leichtsinnig zugleich bin, dann hat er sich getäuscht.
Schließlich war er doch immer derjenige gewesen, der mir über die Jahre erklärt hat, wie wichtig es ist, nicht alles zu glauben was einem erzählt wird.
Ich hätte gedacht, dass Dad etwas erwidern würde oder sich über meine Tonwahl beschwert, doch es kam nichts. Er sah mich einfach nur an, abwartend ob ich noch etwas sagen wollte.
»Warum hast du es mir nicht gesagt?«, fragte ich enttäuscht.
»Um dich zu schützen.«, antwortete er leise.
»Indem du mich belügst? Es hat keinen Sinn, Dad. So oder so ist mein Leben jetzt schon bestimmt. Da kannst du jetzt auch nicht so viel daran ändern. Ich hätte wenigstens von dir erwartet, dass du mir beistehst, anstatt mich zu belügen.«, sagte ich und versuchte meine Tränen zurück zu halten.
Nicht weinen. Bloß nicht weinen. Nicht vor Dad, vor Niemandem.
»Isabelle, lass es mich dir erklären-«, versuchte Dad verzweifelt zu erklären, doch ich ließ ihn nicht ausreden.
»Nein, Dad, da gibt es nichts mehr zu erklären. Ich muss eine Todesserin werden. Gut, dann ist das wohl meine Bestimmung. Kannst du jetzt bitte gehen? Ich möchte allein sein.«
Tränen bahnten sich in meinen Augen an. Schnell drehte ich mich weg von ihm und versuchte sie aufzuhalten.
Dad legte mir verzweifelt eine Hand auf die Schulter, doch ich schüttelte sie ab.
»Lass mich allein, bitte.«, bat ich erneut. Ich konnte ihm nicht länger in die Augen sehen. Ich wolle einfach nur allein sein.
Nach weiteren Versuchen mit mir zu kommunizieren, hat Dad es schließlich aufgegeben und verließ schweigend mein Zimmer.
Jetzt konnte ich endlich loslassen. Und ich gab nach. Ich ließ meinen Tränen freien Lauf.
***
Es musste am Abend gewesen sein, als ich meine Augen aufschlug. Meine Lider waren völlig verklebt von den Tränen, weshalb ich mir die Augen rieb.
Anscheinend war ich irgendwann eingeschlafen.
Was für eine traurige Vorstellung, sich in den Schlaf zu weinen. Und doch gab es so viele Menschen auf dieser Welt, die es tun.
Ich drehte mich zur Seite, um auf den Wecker zu schauen, der auf meinem Nachttisch platziert war.
Es war kurz vor acht.
Habe ich wirklich so lange geschlafen?
Wie schnell die Zeit doch vergehen konnte, wenn man einmal eingeschlafen war.
Allerdings bedeutet das, dass ich diese Nacht wohl kaum ein Auge zumachen werde.
Was erwartete man auch, wenn man fünf Stunden am helllichten Tag schlief?
Ich stand auf und wollte ins Badezimmer gehen, um mir das Gesicht zu waschen.
Wenn ich schon wach war, dann sollte ich die Zeit auch irgendwie nutzen.
Gerade als ich auf dem Weg war das Zimmer zu verlassen musste ich feststellen, dass Dad mir anscheinend Essen gebracht hat.
Auf meinem Schreibtisch lag ein Teller mit Nudeln, die wir von gestern noch übrig hatten und eine Flasche Kürbissaft.
Doch hinter dem Kürbissaft war noch etwas.
Neugierig zog ich es hervor.
Es war ein Schokofrosch.
Dad wusste, wie sehr ich Schokofrösche liebte.
Ob in dem Schokofrosch auch noch was anderes war?
Und tatsächlich. In der Schachtel lag noch ein zusammengefaltetes Stück Pergament, welches ich öffnete.
Manchmal braucht es Hindernisse im Leben, um voranzukommen.
Es war nur eine Satz und dennoch rief er so viel in mir hervor. Dieser Spruch war unverkennbar von Dad.
Dad und ich haben vor Jahren eingeführt, dass immer wenn er mir Schokofrösche holt, er mir ein selbstgeschriebenes Zitat hineinpackt. Es war zu einer Art Tradition von uns geworden.
Jedes Zitat bewahrte ich in einer Schachtel auf. Viele würden es als schwachsinnig bezeichnen, doch ich lernte aus ihnen. Dad hatte es nicht so mit großen Worten, eher schrieb er es auf, so blieben die Worte für immer, wie er immer sagte.
Mit dem heutigen Zitat wollte er mir also sagen, dass es mein Hinderniss war eine Todesserin zu werden. Ein schweres Hinderniss, aber dennoch gaben diese Worte mir Kraft.
Ich wollte diese Kraft spüren, wie sie durch meinen Körper floss. Und das schaffte jetzt nur Mithilfe einer Sache: Musik.
Leise verließ ich mein Zimmer und lief den Flur entlang, bis ich schließlich vor einer Tür stand.
Dad hatte mir verboten diesen Raum zu betreten, aber dennoch verspürte ich den Drang diesen jetzt zu betreten.
Vorsichtig drückte ich die Klinke runter und kniff die Augen zusammen, als die Tür beim öffnen knarzte.
Da war er; Mums alter Flügel.
Ich hatte ihn damals mit sechs Jahren gefunden und versucht darauf zu spielen.
Einmal hat Dad mich dabei erwischt und mir danach verboten, diesen Flügel zu benutzen. Aber trotzdem bin ich immer, wenn er gerade nicht da war in den Raum gegangen und habe gespielt.
Vor vier Jahren habe ich dann eine Kiste gefunden, die voller loser Blätter war.
Es waren Noten zu Stücken, die Mum anscheinend selber komponiert hat. Seitdem war ich fast täglich hierher gekommen, um sie zu spielen. Manche von ihnen waren traurig, andere ziemlich fröhlich.
Je nach Stimmung spielte ich immer ein anderes Stück.
Als ich mich heute an den Flügel setzte verspürte ich den Drang, etwas ruhiges und langsames zu spielen, mit einem Hauch von Traurigkeit.
Ich suchte nach den richtigen Noten und fuhr mit meinen Händen über die Tasten. Sofort spürte ich dieses befreiende Gefühl in mir. Es war fast so, als wäre Mum hier in diesem Raum.
Die leisen, beruhigenden Klänge der Musik drangen in mein Ohr und in mein Herz.
Ich fühlte mich frei.
»Dieses Stück war ihr Lieblingsstück gewesen.«, ertönte plötzlich eine leise Stimme hinter mir.
Augenblicklich stoppte ich das Spielen und hielt inne in meiner Bewegung.
Dad stand an der Tür und sah mich an. Allerdings hatte sein Blick nichts wütendes an sich. Ganz im Gegenteil, sein Blick hatte etwas erleichterndes.
»Das Stück zählt auch zu meinen Lieblingsstücken.«, gab ich zu.
»Spiel es ruhig noch zu Ende. Ich würde es gerne nochmal hören.«, sagte Dad und setzte sich auf einen Stuhl neben mich hin.
Ich war etwas verwirrt darüber, dass Dad mir erlaubte weiter zu spielen, kam dann aber seiner Bitte nach.
Es gab nicht wirklich ein passendes Wort, dass die Stimmung zwischen uns gerade beschreiben konnte.
Angespannt war sie nicht mehr, aber auch nicht wirklich glücklich. Es war eher etwas dazwischen.
»Ich wusste gar nicht, dass du so gut Klavier spielen kannst.«, sagte Dad, nachdem ich zu Ende gespielt habe.
»Ich habe geübt.«, erwiderte ich und sah wie seine Lippen sich zu einem schmalen Lächeln formten.
»Das Talent hast du aber eindeutig von deiner Mutter geerbt. Ich bin ziemlich unmusikalisch, wie du sicher schon bemerkt hast.«
Es kam selten vor, dass Dad über Mum sprach. Eigentlich tat er es nie. Das er jetzt über sie sprach, veränderte die Situation doch etwas.
»Sie hat die Musik wirklich geliebt, am meisten klassische. Immer, wenn sie sich zurückziehen wollte, ist sie hierher gekommen und hat angefangen zu spielen.«, erzählte er und seine Augen nahmen einen eigenartigen Glanz an.
»Du hast mehr von deiner Mutter, als du denkst, Isabelle. Und sie wäre stolz auf dich.«, fuhr er fort.
»Stolz darauf, dass ich eine Todesserin werde?«, fragte ich leise.
»Du bist nicht böse. Du hast keine Wahl, aber dennoch sehe ich, wie du kämpfst. Vielleicht ist das jetzt alles ein ziemlicher Schock für dich, aber ich verspreche dir, dass ich immer für dich da bin. Ich lasse dich das nicht alleine durchstehen.«, sagte er und sah mich an.
Ich bin nicht böse. Das wollte ich auch gar nicht sein. Und Dad wusste das. Er würde für mich da sein. Allein dieser Gedanke machte mir mehr Mut, als ich mich gerade fühlte.
»Tut mir leid, dass ich vorhin so mit dir geredet habe. Es war...einfach zu viel für mich.«, entschuldigte ich mich bei ihm.
»Das weiß ich doch. Es ist meine Schuld, dass du damit so konfrontiert wurdest. Doch lass uns all das erstmal vergessen, okay? Die nächsten Tage werden ohnehin nicht so ruhig, also lass uns das Hier und Jetzt genießen.«
»Danke, Dad.«, erwiderte ich und umarmte ihn.
»Ich lasse dich nicht allein, versprochen.«, versprach er erneut.
Mein Vater war für mich da.
Er würde immer da sein, egal wann und wo.
»Was meinst du, kannst du nochmal etwas für mich spielen?«, fragte er lächelnd und deutete auf den Flügel.
»Natürlich, was für ein Stück?«, fragte ich ihn.
»Such du dir eins aus.«, bot er mir an.
Ich musste nicht lange überlegen und wusste schon, welches ich spielen würde.
»Das hier. Es bedeutet für mich, dass alles gut wird, ganz egal, wie schwer es gerade ist.«, erwiderte ich und zeigte ihm das Stück.
»Das ist genau das Richtige.«, lächelte er zufrieden und ich begann zu spielen.
Denn manchmal waren es die kleinen Momente, die die Verbundenheit zwischen Menschen stärkte.
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