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𝐓𝐡𝐞 𝐅𝐨𝐫𝐠𝐨𝐭𝐭𝐞𝐧 𝐖𝐚𝐫𝐫𝐢𝐨𝐫

Die Mittagssonne knallte unerbittlich auf das Atrium. Dank der flirrenden Hitze hatten sich die meisten Leute in ihre Häuser verkrochen und auf dem Platz war eine friedliche Stimmung eingekehrt. Ein Schwarm kleiner Vögel trällerte ein Liedchen, als das Klirren von Schwertern sie schlagartig aufscheuchte.

Eisen krachte gegen Eisen, dass die Funken nur so stoben. Ich liebte den Gesang der Klinge, die knapp neben meinem Ohr die Luft zerschnitt. Das Gefühl des kostbar geschmiedeten Hefts in meinen Händen übertraf alle meine Vorstellungen bei weitem und kaum, dass ich einmal in diesen Genuss gekommen war, erahnte ich schon, wie schwer es mir fallen würde, diese sprühende Eleganz wieder gegen einen plumpen Holzstock zu tauschen.

"Kannst du mithalten?"

Ich schnaubte. Was so ein bisschen roter Flaum am Kinn nicht alles mit dem Selbstbewusstsein eines Jungen anstellen konnte. Von großen Klappen ließ ich mich allerdings ebenso wenig beeindrucken wie von großen Klingen. Nicht umsonst hatte ich so lange trainiert - die Fertigkeiten beherrschte ich mühelos im Schlaf.
Trotzdem erwischte mich die Wucht des nächsten Hiebs unvorbereitet. Nur meiner gut koordinierten Beinarbeit war es zu verdanken, dass ich es noch schaffte, mich in der Luft abzufangen. Ich knirschte mit den Zähnen, verärgert darüber, wie unsauber meine Konter ausfielen: Mal holte ich zu schwungvoll aus, mal wandte ich viel zu wenig Kraft auf. Kleine Unregelmäßigkeiten, die im Ernstfall über Leben und Tod entschieden. Vielleicht war ich tatsächlich zu überzeugt von mir selbst gewesen.
Verbissen schlug ich auf meinen Rivalen ein. Er schlug zurück. Ich parierte - er blockte. So ging es in zermürbendem Tempo hin und her und hin und her und hin und her.
Indes versetzte ich ihm einen Stoß und schickte sogleich einen Präventivschlag hinterher, jede Möglichkeit zum Gegenangriff im Keim erstickend. Dieses Mal hatte ich ein wenig besser kalkuliert und landete einen recht gut platzierten Treffer mit dem flachen Klingenblatt. Wirkungsvoll genug, um mir ein paar bitter nötige Sekunden zu verschaffen. Meine Lungen brannten bereits. Ich zwang mich dazu, meinen Geist freizubekommen.
Um den Fluss des Kampfes kontrollieren zu können, musste ich ihn zuerst finden und gänzlich darin eintauchen.
Zeit. Ich brauchte mehr Zeit.
Noch beherrschte die tänzelnde Waffe in meiner Hand, von Knauf bis Ort so vollendet ausbalanciert, mehr mich als umgekehrt. Ich wusste sehr gut, wie man ein Schwert schwang, doch dieses Prachtstück hier führte ein Eigenleben, mit dem ich mich erst vertraut machen musste.
Konzentration.
Ein tiefer Atemzug. Vereinzelte Sandkörner knirschten unter meinen Sohlen, die über den staubtrockenen Boden glitten, bedacht darauf, die Balance zu wahren. Irgendwann vergaß ich, was genau ich tat, blendete alles aus bis auf mein Zielobjekt.
Die Schneiden wetzten wieder und wieder gegeneinander und ließen ihr Lied erklingen.
Mein Herzschlag pochte in meinen Ohren.
Ich parierte. Links. Oben. Links. Rechts. Oben. Unten.
Die Muster, in die mein Gegenüber verfiel, waren nun wirklich nicht schwer zu durchschauen.
Er deutete einen Stoß auf meine rechte Schulter an, doch hatte er einmal zu viel in die genau entgegengesetzte Richtung gelinst.
Nicht ohne Genugtuung blockte ich gezielt linksseitig ab.
Langsam wurde ich Herr über die Situation und mit einem Mal hatte sich auch die Natürlichkeit wieder in meinen Bewegungen eingefunden.
Das unstete Pumpen meines Herzens pendelte sich ein und mit ihm fand ich in den Rhythmus des Gefechts.
Das Schwert agierte wie ein Teil von mir. Ich agierte wie ein Teil von ihm.
Und mein kühnes Lächeln blitzte mit der gleichen Schärfe der Klinge.
Es war keineswegs durchscheinende Arroganz. Nichts war tödlicher als Arroganz.
Doch es war nun einmal so, dass ich ein sehr klares Bild über meine Fähigkeiten besaß. Ich wusste durchaus, wann es besser war, Bedingungen für die Kapitulation zu verhandeln. Und, wem wollte ich etwas vormachen, jetzt war das nicht der Fall.
Behände setzte ich all die Kniffe um, die ich so oft heimlich von den besten Kriegern auf den Trainingsplätzen abgeschaut und im fahlen Licht des Mondes in meinem Zimmer nachgeahmt hatte.
Links parieren. Einen Schlag abblocken. Kontern. An der unsichtbaren Linie der Defensive kitzeln, sie fürwitzig durchbrechen. Das Gegenüber umkreisen, wie ein Raubvogel auf der Jagd nach leichter Beute. Es hatte etwas von einem Reigentanz. Mit ein paar wesentlichen Unterschieden.

Der Schweiß rann mir inzwischen in Strömen hinunter.
Ich umfasste den Griff noch ein Stückchen fester.
Früher oder später würden auch meine Reserven erschöpft sein.
Wenn abends bei Met und Braten von Duellen erzählt wurde, tendierten die Leute dazu, in ihren Geschichten üppig aufzutragen. Im Feuerschein tanzten Schatten zwischen den knisternden Holzscheiten, trugen dich fort in fantastische Welten; Silhouetten von großen Kriegern befehdeten ihre Widersacher und die langatmigen Scharmützel erstarben nicht einmal mit den letzten versiegenden Sonnenstrahlen, zogen sich durch die Nacht, bis der Held, entwaffnet und ausgeliefert, sich noch einmal aufbäumte, den Feind endlich bezwang und ohne irgendein Zeichen von Erschöpfung den Triumphzug in die Heimat antrat.
Ich lauschte auch heute noch gebannt den Erzählungen, konnte aber nur darüber schmunzeln, wie wenig sie der Wirklichkeit entsprachen.
Mit keinem Wort erwähnten die Barden in ihren Liedern jemals, wie anstrengend das ganze Prozedere war.
Nächtelange Gefechte? Nicht einmal mit übermenschlicher Stärke konnte man so lange durchhalten. Je länger sich ein Kampf hinzog, desto mehr zeigte sich lediglich die Unerfahrenheit der Beteiligten, hätte sich doch ein bewährter Krieger erst gar nicht auf ein derart zweckloses, kräftezehrendes Muskelspiel eingelassen. Wollte man siegen, dann indem man dem Ganzen gezielt und vor allem zügig ein Ende bereitete.
Auch wenn es mir in den Fingern juckte, zwang ich mich, meine Energie nicht für spektakuläre akrobatische Verrenkungen zu verschwenden, wie ich sie mir damals so gerne am Feuer ausgemalt hatte.
Die würden gut aussehen, doch das war es auch schon.

Ich wischte mir rasch mit dem Unterarm den Schweiß von der Stirn, damit das beißende Sekret nicht bis in meine Augen vordrang. Die pralle Sonne war schier unerträglich und das Schwert lag immer schwerer in meiner Hand.
Nichtsdestotrotz, es gab kein besseres Gefühl als-
Ich krümmte mich zusammen. Der Schlag hatte gesessen. Das hatte ich nun von meinen Träumereien. Ich konnte noch von Glück sagen, dass mich nur die stumpfe Seite getroffen hatte, sonst würde das mehr als ein paar blaue Flecken geben. Stur wie ich war hatte ich natürlich vorab nichts von Schutzbekleidung aus gehärtetem Leder wissen wollen. Aber es war ja auch egal, mein Körper heilte ohnehin schnell.
Ich schluckte, das Brennen in meiner staubtrockenen Kehle ignorierend; hielt meinen Unterarm wie einen Schild vor mich. Die Kraft wich mit jedem Stoß aus meinen Gliedern.
Ich biss die Zähne zusammen. Erwiderte den Angriff. Ich...würde...beweisen - Vorsicht links! - würde...es...allen...zeigen - rechts parieren - allen...die...es...mir...nicht...zutrauten-

"Hiyaah!"
"Gmpf-"
Jetzt war also die Phase des Kampfes erreicht, in der alle Beteiligten animalische Laute von sich gaben.

Ich fing einen weiteren Hieb aus der Luft ab, doch dieses Mal hatte mein Gegner nicht vor, mich so einfach davonkommen zu lassen. Felsenfest stand er dort und stemmte mit aller Kraft seine Klinge gegen meine, nur darauf wartend, dass ich unter dem Gewicht nachgab. Gequält hielt ich dagegen, versuchte, das Schwert weg von meinem Körper zu drücken.
Ich ächzte. Meine Muskeln zitterten bereits vor Anstrengung.
Mit einem Mal konnte ich nicht mehr standhalten und rettete mich gerade noch mit einem flinken Ausfallschritt auf die Seite.
Intuitiv streckte ich meine freie Hand nach einer Säule in unmittelbarer Nähe aus, stieß mich daran ab und landete auf dem efeubewachsenen Rand des Wasserbeckens. Mein Blick wanderte unruhig hin und her.
Ein gleißender Sonnenstrahl brach sich in der spiegelglatten Klinge.
Geblendet kniff ich meine Augen zusammen und es durchfuhr mich blitzartig.
Meine Mundwinkel zuckten siegesgewiss. Ich wusste, was ich zu tun hatte. Der letzte Streich würde mir vorbehalten sein.
Mit neuem Mut sprang ich von der Stufe hinab und stellte mich meinem Gegner.

Der Hüne spuckte betont dramatisch auf den sandigen Boden. Ich legte herausfordernd den Kopf schief. Dann preschte eine ziemlich grimmige, hungrige Welle aus kupferrotem, verfilztem Haar auf mich zu. Bevor es aber zu einem Aufprall kommen konnte, manövrierte ich mich geschickt um ihn herum, darauf bedacht, die Sonne in meinem Rücken zu halten. Ich attackierte ihn von der Seite, zwang ihn dazu, dieses Spiel nach meinen Regeln zu spielen. Und mein Plan schien aufzugehen. Er wandte sich mir zu, bereit, die Verfolgungsjagd aufzunehmen. Doch die unerwartete Helligkeit reizte seine Augen und so war er gezwungen, sie mit einer Hand vor der Sonne abzuschirmen. Manche dachten so stur geradeaus, dass man sie mit Waffen schlagen konnte, von denen sie gar nicht wussten, dass sie existierten.
Der kurze Moment, in dem mein Gegner orientierungslos umherwankte reichte aus, einen Wimpernschlag später hatte ich ihm schon sein Schwert aus der Hand geschlagen. Es fiel scheppernd zu Boden. Sein Besitzer gesellte sich flugs dazu auf seinen Hosenboden.

Eine berauschende Ausgelassenheit durchflutete mich. Ich hatte es geschafft. Ich hatte es wirklich geschafft. Ich riss die Arme in die Höhe und führte einen kleinen Siegestanz auf.

"Ha! Habt ihr das gesehen? Ich hab gewonnen, gewonnen!"

Vergnügt hüpfte ich umher und wirbelte das Schwert herum. Dieses Gefühl würde mir nie wieder jemand nehmen können.
Ich half dem Rotschopf versöhnlich auf, dann nahm ich mir Thor vor, der das Geschehen kritisch von der Seite verfolgt hatte und dem jetzt die Augen fast aus dem Kopf fielen. Ich verneigte mich spöttisch. "Will der hohe Herr auch noch sein Glück versuchen?", fragte ich neckisch, während ich mit dem Schwert vor seinem Gesicht herumfuchtelte.
Ein Blick zu Volstagg, der sich stöhnend sein Hinterteil rieb, genügte ihm.

"SIF!!! Bei Yggdrasil, hier steckst du also!!"

Ganz außer sich kam meine Mutter herbeigerannt. Ich biss mir vor Schreck auf die Lippe. Das konnte ja wohl nicht wahr sein.
Entsetzt erkannte sie die geschliffene Klinge, die noch immer um Haaresbreite unter Thors Nase schwebte.

"Du liebe Güte, Kind, du hättest dich ernsthaft verletzen können. Oder noch schlimmer, den Prinzen."

Sie strich mir energisch ein paar widerspenstige Haarsträhnen aus der Stirn und rubbelte mit angefeuchteten Fingern an meiner Backe. Peinlich berührt ließ ich es über mich ergehen. Den Versuch, mich sauber zu bekommen, hätte sie sich gleich sparen können. Ich hörte ganz genau, wie Thor sich das Lachen verkneifen musste, tat aber geflissentlich so, als würde ich nichts bemerken.

"Wie oft habe ich gesagt, du sollst dir eine deiner Stellung angemessene Beschäftigung suchen? Und überhaupt, wie siehst du denn aus?"

Ich schielte an mir herunter. Das blaue Seidenkleid hatte ich mir kurzerhand in eine viel bequemere und praktikablere Leinenhose gesteckt. Die Kleidung klebte mir am Körper und auch Staub und Schmutz blieben auf dem Schweiß umso leichter haften. Meine entblößten Arme zierte eine ganze Schar blauer Flecken und meine Haare hatten sich in ein Vogelnest verwandelt. Alles in allem sah ich wohl so undamenhaft aus wie nur überhaupt möglich. Ich hatte noch nie irgendwelchen Erwartungen entsprochen. Mädchen kämpften nicht mit Schwertern, schon gar nicht Neunjährige. Wie auf Kommando zeterte Mutter weiter.
"Das hier ist kein Ort für eine junge Dame. Nicht auszudenken, was alles passieren kann. Ich mache mir doch nur Sorgen, Kind."

Bekümmert sah sie mich an und strich mir über die Wange. Es tat weh, wenn sie meinetwegen niedergeschlagen war, doch ich konnte einfach nicht anders.

"Es wäre einmal an der Zeit, dass du lernst, an deine Pflichten zu denken. So wie all die anderen Mädchen in deinem Alter. Eine Lady hat sittsam und anmutig zu sein, etwas, woran du zweifelsohne noch zu feilen hast. Dieses... Verhalten... ziemt sich nicht für dich. Überdies möchte ich nicht, dass du die Herrschaften weiter belästigst."

Ich sah hilfesuchend zu meinen Freunden, doch die waren damit beschäftigt, sich - mal wieder - spielerisch zu prügeln, nachdem Thor sich darüber lustig gemacht hatte, dass Volstagg sich tatsächlich von einem Mädchen hatte besiegen lassen... So gern ich sie hatte, von diesen unreifen Idioten war keine Unterstützung zu erwarten.

Ein wuchtiger Ledereinband klappte mit einem lauten Knall zu.

"Oh, sie belästigt hier niemanden."

Mutters Augen weiteten sich und sie vollführte einen so ausladenden Knicks, dass sie fast in den prächtigen Stoffbahnen ihrer Röcke versank, vielmalige Entschuldigungen und Ehrerbietungen murmelnd.

Loki, der Junge mit der Zunge aus Gold, kam mir zur Rettung.

Es war nicht nur die Tatsache, dass er der Prinz war, vielmehr strahlte er eine für sein Alter ungewöhnliche Erhabenheit aus. Seine Aura zog jeden in den Bann, wie er so beiläufig würdevoll einherschritt, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.

"Präzise gesagt ist sie sogar auf ausdrücklichen Wunsch Seiner Hoheit hier. Gewiss hatte niemand die Absicht, Sie in Sorge zu versetzen. Es ist jedoch von höchster Priorität für Prinz Thor, das junge Talent Ihrer Tochter zu fördern. Er bat sie eigens, ihm eine Kostprobe ihrer Fähigkeiten zu geben."

Worte waren Lokis Schwert und er beherrschte seine Kunst so gut, dass Lügen aus seinem Mund zu einem Feuer der Wahrheit wurden. Mutter setzte zu einer Entgegnung an, doch Loki nahm seinen perfekt gesponnenen Faden wieder auf.

"Ich versichere Ihnen, Ihre Tochter ist hier in besten Händen. Seien Sie unbesorgt, Sie können getrost zu Ihrer Mittagsruhe zurückkehren."

Er schenkte ihr ein gewinnendes Lächeln.

"Gewiss, Hoheit, Verzeihung." Nach einem letzten Knicks ließ Mutter dankenswerterweise von uns ab und verzog sich wieder.

Für einen Moment waren nur noch das Gegröle der Jungen und das Klacken ihrer Holzschwerter zu vernehmen, ganz wie früher, als wir gerade laufen konnten und schon erste, ungelenke Versuche anstellten, die Heldentaten aus den Sagen nachzuspielen. Die echten Schwerter lagen nun auf der Seite und reflektierten die Mittagssonne, erschufen ein Lichtspektakel nur für uns, eine Bühne für die zukünftigen Legenden.
In meinem Kopf geisterten noch immer die Worte Lokis, honigsüße Lügen, hinter deren Schleier ich meinen ebenso trügerischen Hoffnungen nachgehen konnte, jemand zu sein, der ich nicht sein durfte.
"Danke", sagte ich schließlich an ihn gewandt, "wenn du nicht so schnell zur Stelle gewesen wärst, hätte ich vermutlich die nächsten hundert Jahre in meinem Zimmer versauern dürfen."
Er winkte nur ab.
Jetzt erst merkte ich wieder, wie durstig ich war. Das Wasser, das in erfrischenden Fontänen aus dem Brunnen in die Höhe schoss, wirkte verlockend und ich bewegte mich unwillkürlich darauf zu. Behutsam legte ich das Schwert neben das dicke Buch auf den Rand des Springbrunnens.
Meine Finger tauchten ein in das kühle Nass und ich spritzte es mir großzügig ins Gesicht, benetzte die glühende Stirn damit. Ich schloss die Augen, streckte meine Arme aus und stellte mich genießerisch in den Sprühregen.

"Gut gekämpft", ertönte Lokis Stimme von hinten.

"Ich bezweifle zwar, dass du das so gut beurteilen kannst, du Frühlingszwiebel, aber danke."

Den Kommentar quittierte Loki mit einem säuerlichen Blick.
"Unterschätz' mich besser nicht", zischelte er und für den Bruchteil einer Sekunde fuhr eine gespaltene Schlangenzunge zwischen seinen Zähnen hervor. Das war mir zugegebenermaßen nicht geheuer. Doch noch bevor ich länger darüber argwöhnen konnte, hatte der unheimliche Loki wieder der unheimlich einnehmenden Version seiner selbst Platz gemacht.
Ich trank einen großen Schluck Wasser aus meinen gewölbten Handflächen, dann setzte ich mich auf den Stein und griff vorsichtig nach der edlen Waffe.

"Danke. Dafür, dass ich dein Schwert ausprobieren durfte. Es war... unglaublich."

Ich wollte es ihm reichen, er aber machte keine Anstalten, es entgegenzunehmen.

"Eigentlich", er drehte den Kopf und hielt inne, den Mund leicht geöffnet und die Brauen zusammengezogen, "kannst du es behalten."

Ich starrte den Jungen entgeistert an.

"Aber- Aber der Allvater hat es dir geschenkt!"

"Das ist korrekt, und dieses Buch hier habe ich von Mutter."
Er tippte mit dem Zeigefinger auf den kostbar gefassten Einband, der gespickt mit Schmucksteinen war.
"Es ist doch nur schade um das gute Stück, ich weiß ohnehin nichts damit anzufangen."

Beim Anblick meines perplexen Gesichts hallte Lokis raues, doch klares Lachen durch die Säulengänge. Ein Lachen, das den Neun Welten viel zu oft vorenthalten blieb. Er nickte mir aufmunternd zu.

"Na komm schon, es gehört dir. Jedenfalls solange, bis die Zwerge deine Ausrüstung maßgeschmiedet anfertigen."

Ich fasste mich wieder, fuhr beinahe ehrfürchtig mit dem Finger über das aufwendig verzierte Eisen, das ich von nun an mein Eigen nennen sollte. Argwöhnisch musterte ich den Jungen, doch da war nicht eine Spur von Spott zu erkennen.
"Und warum genau sollten die Zwerge die Glut ihrer Schmiede verschwenden? Für mich, ein Mädchen?", fragte ich wenig überzeugt, "Auf Niðavellir bedient man eindeutig bedeutsamere Auftraggeber."

"Thor wird das selbstverständlich arrangieren. Nach dem, was er heute gesehen hat, hast du mit ziemlicher Sicherheit seine unsterbliche Bewunderung am Hals. Ob das was Gutes ist, kannst du selbst entscheiden. Man müsste jedenfalls mit Blindheit geschlagen sein, um nicht zu erkennen, dass du besonders bist." Er warf mir einen unergründlichen Blick zu.

"Loki, das ist ja alles sehr lieb von dir, aber ich weiß es besser. Man würde es mir niemals erlauben. Das Zeitalter der Walküren ist längst vorbei. Die Erinnerungen an sie liegen so weit zurück, dass sie für die meisten zu Legenden geworden sind. Alle lieben die Geschichten, aber das ist auch schon alles, was sie für sie sind: Geschichten über kriegerische Frauen, zu fantastisch, um noch wahr zu sein. Selbst wenn ich eine Walküre werden wollte, oder einfach jede Art von Krieger im Allgemeinen, es gibt sie nicht mehr und damit wäre jeder Versuch, in ihre Fußstapfen zu treten, lächerlich... Nicht mal Thor kann eine Walküre werden, egal wie sehr er das früher wollte." Ich schmunzelte jedes Mal allein bei der Vorstellung. "Und wenn einem Prinzen Steine in den Weg gelegt werden, mit welchen Felsbrocken hätte dann ich zu rechnen? Nein, ein Krieger kann ich nur im Herzen bleiben, und hier, mit euch."

"Ich sage dir was, du wirst sogar nicht nur irgendeine Kriegerin, sondern die stärkste und mächtigste in ganz Asgard, wenn nicht in allen Neun Welten. Und alle werden Respekt vor dir haben. Die Tore, die man dir vor der Nase zugeschlagen hat, wirst du für andere Mädchen öffnen. Würde mich nicht wundern, wenn du noch Geschichte schreibst. Ich kann schon beinahe die Lieder hören, die sie über dich singen werden."

Skeptisch beäugte ich den Jungen. "Gehört Hellsehen jetzt auch zu deinen Fähigkeiten?"

Meine Zweifel verfingen sich im tiefen Grün seiner Augen. Er sah mich ernst an und fuhr unbeirrt fort. "Oh bitte, dazu muss man wirklich nicht hellsehen können. Was natürlich nicht heißt, dass es nicht auch eine meiner vielen Kompetenzen ist", fügte er mit einem schalkhaften Funkeln in den Augen hinzu. Dann war er wieder ernst. "Der Punkt ist, du hast eine glorreiche Zukunft vor dir, Sif. Deine Begabung ist außergewöhnlich. Und die Leute brauchen jemanden wie dich. Eine wie sie, eine zu der sie aufsehen können, die aber nicht auf sie herabsieht. Du kannst ihnen ebenso gut das Gefühl von Sicherheit geben wie jeder andere der Einherjar. Ist es nicht langsam an der Zeit, dass die alten Ketten gesprengt werden? Elitekrieger, schön und gut, aber Elitekriegerin von Asgard, na, wie klingt das?" Er ließ sich den Titel auf der Zunge zergehen. "Ernsthaft, du hast das Zeug dazu. Du musst dir nur erlauben, an dich selbst zu glauben. So wie wir es tun. Dann kannst du alles erreichen."

Eigentlich glaubte ich ja an mich. Doch wenn kaum jemand sonst das tat, war es ein Leichtes, sich selbst zu verlieren.

"Also, Mylady, gewöhnen Sie sich besser an den Gedanken, dass Sie nicht in der Mediokrität verenden werden." Er deutete eine alberne Verbeugung an. Ich schnaubte. Loki war wirklich unmöglich, doch er setzte noch eins drauf. "Ach, und der herzallerliebste Thor wird früher oder später um deine Hand anhalten und du wirst an seiner Seite zur Königin von Asgard und Herrscherin über die Neun Welten. Nicht, dass du ihn bräuchtest, um eine der mächtigsten Frauen im Universum zu sein, aber es ist einfach die 'wahre Liebe' oder so ähnlich. Und wenn sie nicht gestorben sind, bla bla... Und ich werde aus den Schatten zusehen und flüstern, ha, ich habe es doch von Anfang an gesagt. So geht für gewöhnlich jede Geschichte zu Ende."

Ich erwischte mich dabei, wie ich verstohlen zu Lokis Bruder blickte und eine zarte Röte meine Wangen überzog. Sollte Loki womöglich recht haben? War das meine Zukunft, er?

"Und was, wenn ich darauf überhaupt keine Lust habe?", meinte ich entschieden und verschränkte die Arme.

Ich spürte Lokis Blick auf mir ruhen, sah das leise Lächeln, das um seine Lippen spielte. Der kleine Funken verweilte nicht lange auf seinem Gesicht, ebenso schnell wie er erschienen war verschloss sich seine Miene wieder, als hätte sich ein Wolkenfetzen vor die Sonne geschoben.

"Ein Phänomen. Ich sage dir, sie ist ein Phänomen, Bruder!"

Thor und Volstagg waren zu uns gestoßen. Thor knuffte mir anerkennend in die Seite und nahm Loki in den Schwitzkasten. Während er ihm liebevoll durch sein ebenholzfarbenes Haar wuschelte, würgte jener hervor: "Ja, ja. Das ist sie." Er versuchte vergeblich, sich aus der festen Umarmung zu winden und verdrehte seine Augen so sehr, dass er jedem Chamäleon Konkurrenz gemacht hätte.

"Ich meine, Siffie, keine falsche Bescheidenheit! Du hast Volstagg besiegt. Und das muss was heißen, selbst ich habe damit meistens meine Schwierigkeiten."

Der rieb sich verlegen den Nacken und war ganz klein geworden, ziemlich ironisch angesichts seiner mächtigen Gestalt. "Ich schätze, Streitäxte liegen mir doch etwas besser", meinte er.

"Das war einfach bemerkenswert!", fuhr Thor lebhaft fort. "Wer hätte gedacht, was so alles in dir steckt! Also, das klingt jetzt so, als hätte ich es dir nicht zugetraut. Habe ich nämlich sehr wohl. Quasi schon immer. Klar, du bist zwar ein Mädchen, aber du bist eben Sif... damit will ich nicht sagen, dass ihr Mädchen so was nicht könnt. Ich habe definitiv keine Vorurteile. Überhaupt glaube ich, dass Mädchen auch gute Krieger abgeben, sogar besonders schöne Krieger. Welch graziöser letzter Anblick, so stirbt es sich gut in einer ruhmreichen Schlacht! Aber ich schweife ab, jedenfalls, ich muss unbedingt dafür sorgen, dass du ordentlich ausgebildet wirst. Die meisten Schirmmeister werden dir zwar nicht mehr viel beibringen können, aber schaden kann es ja nicht. Unser Volk soll dein Talent kennenlernen und wenn sie es nicht zu schätzen wissen, bekommen sie mein Schwert zu spüren. Naja, natürlich erhebe ich keine Waffen gegen meine eigenen Untertanen, aber du weißt, was ich meine."

"Metapher, man nennt es Metapher", brummte Loki, der es inzwischen aufgegeben hatte, sich gegen Thors festen Griff zu wehren, kaum hörbar.

"Tatsache ist, ich habe selten jemanden mit deinem Feuer kämpfen sehen. Du bist gut. Wirklich gut. Unglaublich, für deine neun Jahre. Ist ja noch nicht so lange her, dass ich selbst so alt war. Und da war ich noch nicht so fähig mit dem Schwert. Du hättest mich glatt schlagen können- wenn auch nur ganz knapp... Heute solltest du es natürlich nicht drauf ankommen lassen... Nein, vergiss das, noch einmal von vorne: Ich gebe ja zu, du bist die Beste entlang des Bifrösts."

Ich war etwas überfordert mit all den unbeholfenen Komplimenten und schüttelte nur belustigt und angetan zugleich den Kopf. Loki hingegen mimte eine plötzlich auftretende Übelkeit.

Ein lautes Magenknurren übertönte Thors euphorische Ansprache.

"Ah, der große Krieger hat Hunger!", lachte er und rempelte Volstagg scherzhaft an.

"Was denn, das Frühstück ist schon wieder Stunden her...", grummelte er.

"Meinst du das erste oder das fünfte? Oder hast du schon aufgehört, zu zählen?"

"Sehr witzig."

"Wenigstens vernascht er nicht jede Diplomatentochter, die ihren Fuß in den Palast setzt", bemerkte Loki trocken.

"Das- gar nicht wahr... so wie du es sagst, klingt es falsch." Thor verschluckte sich beinahe an seiner eigenen Spucke und suchte räuspernd nach einem anderen Thema.

"Also, meine Freunde, lasst uns zu den Speisen schreiten! Ein guter Tag wie dieser verlangt nach einem ordentlichen Festmahl!", rief er schließlich.

"Kann sie denn auch trinken, essen und feiern wie ein Krieger?" Volstagg blickte mich etwas skeptisch an, doch scheinbar hatte er gelernt, mich nicht zu unterschätzen.

"Oh, sie kann", sagte ich keck.

So machten wir uns alle auf den Weg, diese bizarre, kleine Truppe. Volstagg, mit einem seligen Lächeln angesichts der Leckereien, die ihn erwarteten. Thor und Loki, die sich ständig in den Haaren lagen und doch irgendwie unzertrennlich waren. Und ich. Wenn sie wie Tag und Nacht waren, dann steckte ich irgendwo in der Dämmerung fest. Wie wir so zwischen den Säulen schlenderten, überkam mich Frieden und Unruhe zugleich.

Ich versuchte, schlau zu werden aus den ungleichen Brüdern. Hielt mich fest an den Worten des einen, die mein Schicksal zaghaft mit dem anderen verbanden. Spürte das Schwert an meiner Seite. Es glänzte verheißungsvoll im güldenen Licht der Sonne.

Und mit einem Mal schien jene glorreiche Zukunft zum Greifen nahe.

An all das dachte ich, als ich mich viele, viele Jahre später stolz erhobenen Hauptes am Fuße der ausladenden Treppenstufen im königlichen Thronsaal wiederfand.

Getöse erhob sich wie ein Sommersturm, als Jubelrufe und Applaus aus dem Volk aufbrandeten. Alle jauchzten sie Thor zu, der nun den Mittelgang der Festhalle durchschritt. Ein Beifallsorkan zu Ehren des Donnergottes, wie passend. An Thors breitem Grinsen war deutlich zu erkennen, wie er es genoss, in Ruhm gebadet zu werden. Er schleuderte Mjölnir großspurig in die Luft, fing ihn wieder auf und ließ dabei seine göttlichen Muskeln spielen, als lägen ihm nicht längst alle Damen aus den Neun Welten zu Füßen. Fast alle.
"Oh, bitte." Ich verdrehte amüsiert die Augen. Mich konnte er mit seinen lächerlichen Kunststückchen nicht beeindrucken. Ich war ihm mehr als ebenbürtig. Es juckte mir schon in den Fingern, nach der Zeremonie - und den zweifelsohne ausschweifenden Feierlichkeiten - die Erste zu sein, die sich mit unserem neuen König messen würde.
Wie ungewohnt dieser Titel klang. Noch war Thor der übermütige Kronprinz, stürmisch, arrogant und ein wahrer Lebemann, doch am Ende jenes Gangs, wo sein Vater thronte, wartete ein neues Schicksal auf ihn und es würde nicht nur sein Leben, sondern die Geschicke von jedem Wesen in den Neun Welten auf ewig verändern.

Thor hatte das Spalier der königlichen Garde nun durchquert und die Stufen, die zum Thron hinaufführten, erreicht. Dort kniete er nieder, nahm seinen geflügelten Helm ab und zwinkerte seiner Mutter verschmitzt zu. Sie bedachte ihn kurz mit einem tadelnden Blick, doch ihr Stolz war unverkennbar.

Meine Augen wanderten zu meinen Freunden, die die besondere Ehre mit mir teilten, hier auf den Stufen zu Füßen des Allvaters platziert zu sein. Da war Hogun aus Vanaheim, den wir bei einem unserer vielen Abenteuer kennengelernt hatten. In der Mitte Fandral, der edle Ritter unter uns, weithin bekannt für seinen Charme. Mir gegenüber stand schließlich Volstagg, der rotbärtige Riese mit einem ebenso riesigen Herzen. Die Tatsache, dass ich mich nun auf Augenhöhe mit Berühmtheiten wie ihnen befand, war berauschend.

Ja, ich hatte all jene Lügen gestraft, die gelacht hatten beim Gedanken, ein Mädchen könnte zu mehr als einer holden Maid heranwachsen. So oft hatte man mich daran erinnert, wie lächerlich mein Wunsch, eine Kriegerin zu werden, doch war. So oft hatte man mich auf meinen Platz verwiesen, mich in eine Ecke gedrängt, die durch irgendein ungeschriebenes Gesetz für mich vorherbestimmt worden war. So oft hatte ich die bittere Einsamkeit gespürt. Es war ermüdend, stets für sich allein gegen all die Zyniker zu kämpfen. Doch trotz alledem hatte ich meine Schlachten erfolgreich geschlagen. Ich hatte weitergekämpft und Tag für Tag Tapferkeit und Heldenmut bewiesen. Es war ein langer Weg gewesen, doch endlich war ich dort, wo ich hingehörte. Ich hatte mir meinen Platz in den Reihen der größten Krieger Asgards redlich verdient.

Ich konnte nicht umhin, zu lächeln. Dann besann ich mich wieder darauf, dass es heute nicht um mich ging, also wandte ich meine Aufmerksamkeit dem Allvater zu, der soeben zu einer feierlichen Rede ansetzte.

"Thor Odinson, mein Erbe. Mein Erstgeborener. So lange schon der Hüter des mächtigen Hammers Mjölnir, im Kern eines sterbenden Sterns geschmiedet, dessen Kraft seinesgleichen sucht, als Waffe der Zerstörung und als Werkzeug des Aufbauens. Ein passender Gefährte für einen König."

Nur durch Zufall fing ich aus dem Augenwinkel Lokis Blick auf, kaum zu bemerken, wenn man nicht genauer hinter die perfektionierte stoische Fassade sah.
Doch ich war eine der Wenigen, die den Meister der Worte auch ohne Worte verstand.
Und mit einem Mal begriff ich, was er damals gemeint hatte.

"Und ich werde aus den Schatten zusehen..."

Ich dachte an alles, was ich erreicht hatte seit jenem Tag, an dem ich in dem kleinen Atrium mit seinem Schwert in der Hand begonnen hatte, mir Respekt einzufordern, und an Loki, der dazu verdammt war, auf ewig im Schatten seines Bruders zu sein. Der weise Worte aus der Dunkelheit flüsterte, die niemand jemals wahrnahm. Der selbst kaum wahrgenommen wurde.

Mit einem Mal blieb mir meine Euphorie im Halse stecken. Ich freute mich wirklich sehr für Thor und war unglaublich stolz auf ihn, doch Lokis Schmerz stach mir mitten ins Herz. Der Junge, der immer für mich dagewesen war und es wie keiner sonst vermochte, mir neue Hoffnung zu schenken, verdiente mehr, als zeitlebens die zweite Wahl zu sein. Ich musste ihn wissen lassen, dass ich ihn verstand. Dass er nicht alleine war. Dass ich uns beide für ein unschlagbares Team hielt, auch wenn ich ihn manchmal aus den Augen verlor.
Wie auf Kommando irrte mein Blick zu Thor. Oh, wenn er nur sehen könnte, was in seinem Bruder vorging. Aber er konnte ja auch nichts dafür. Das Schicksal trieb nun einmal gerne seine Spielchen.

Ich seufzte innerlich. Ich wollte sie doch beide glücklich sehen.

Und ich war fest davon überzeugt, dass dies möglich war. Ich musste es ja wissen, immerhin hatte ich mich gegen das Schicksal gestellt und es kurzerhand umgeschrieben, hatte mir meinen Platz in den Geschichtsbüchern erkämpft.

Ich sah Thor lange an. Er hatte das gleiche übermütige Leuchten in den Augen wie bei all unseren Abenteuern und wilden Gelagen und sein breites Grinsen verriet, dass er diesen Teil seines Lebens noch lange nicht hinter sich lassen würde. Und was sollte ich sagen, ich hatte nicht minder Lust, noch mehr heldenhafte Episoden zu sammeln, die wir bei Banketten zum Besten geben konnten.

Die Worte Odins drangen nicht mehr bis zu meinen Ohren vor. Zu sehr tosten all die Gedanken in meinem Kopf, all die Freude und all das Bedauern.

Thors Augen, wie zwei Fixsterne in meinem Universum, zerflossen vor meinem inneren Auge.

Ich blinzelte und atmete schwer aus. Richtig. Das hier war nicht Asgard, sondern Tønsberg.

Statt in einem prunkvollen Thronsaal waren wir in der behelfsmäßig eingerichteten Stadthalle.

Ein anderer Ort, eine andere Zeit, doch man hatte sich aus demselben Anlass versammelt. Asgard würde seinen neuen König krönen.

Die Gestalt, die nun von Licht umkleidet durch die weit geöffneten Flügeltüren des Gebäudes trat, war majestätisch und füllte jede Ritze mit erwartungsvoller Spannung. Es war wie ein Déjà-vu und doch war nichts wie zuvor.

"Brunnhilde! Brunnhilde!"

In den aufgeregten Stimmen der Asen konnte man beinahe die tiefe Müdigkeit überhören. Doch die Blicke sprachen Bände. Es war lange her, dass ein Lächeln hinter den in Trauer verschleierten Gesichtern hervorgeblitzt war.

Brunnhilde trug ihre ärmellose Steppjacke über dem Festgewand und lief lässig auf das provisorische Podest zu - oh, und wie sie die Dinge verändern würde. Das hatte sie ja schon durch die bloße Tatsache, dass sie zu unserem neuen König auserkoren worden war. Die Walküren waren seit jeher im Gefolge Odins, des Allvaters, gewesen und nun sollte eine von ihnen plötzlich an der Spitze stehen. Es war einfach grotesk.

Doch Thor selbst hatte es so bestimmt, also musste ich mich damit abfinden.

Wenn ich mir mein Volk ansah, wusste ich, warum er so entschieden hatte. Ich verstand es wirklich. Die Bürger von Neu-Asgard waren so zerbrechlich. Was sie in ihrem Leben dringender als alles andere brauchten, war eine Perspektive. Und nichts verhieß so viel Hoffnung wie die Rückkehr der letzten Walküre. Als wären die alten Legenden wieder zum Leben erwacht.

Und dennoch...

Ich war diejenige gewesen, die Asgard all die Jahre mit bedingungsloser Treue gedient hatte. Ich war diejenige gewesen, die seit Äonen an Thors Seite für unsere Heimat gekämpft hatte. Ich hatte oft genug mein Leben für ihn und meine Freunde aufs Spiel gesetzt, wäre ohne Zögern mit ihnen bis in den Tod gegangen. Was auch immer man von mir gefordert hätte, ich hätte es für sie getan. Und ich war mir immer so sicher gewesen, dass all das auf Gegenseitigkeit beruht hatte.

Aber dann schleppte er plötzlich eine Alkoholikerin von einem fernen Planeten an und legte ihr die Neun Welten zu Füßen. Nur weil sie die letzte Walküre war.

Als sich Ragnarok angebahnt hatte, war sie zweifellos die Heldin der Stunde gewesen. Auch ihre Taten im Kampf gegen Thanos hatten ein Zeichen für Asgards unbezwingbare Stärke gesetzt. Fernab des Schlachtfelds hatte sie geholfen, Asgard wieder aufzubauen.

Doch wo war sie gewesen, als es galt, die Midgardianer in Puente Antiguo vor den Flammen des Destroyers zu bewahren? Wo war sie gewesen, als in Vanaheim Krieg tobte? Wo war sie gewesen, als die Dunkelelfen in Asgard einfielen?

Sie hatte sich verkrochen und seit dem großen Krieg keine Loyalität zu ihrem Volk gezeigt. Sie hatte das Exil gewählt und ebendiesen Thron im Stich gelassen, den zu verteidigen sie geschworen hatte. Sie war vor ihren Problemen davongelaufen. Wer konnte sicher sein, dass sie es nicht angesichts der ungeheuerlichen Verantwortung, die vor ihr lag, wieder tun würde?

Ich schluckte, als mir die Tragweite meiner eigenen Gedanken bewusst wurde. Wann war ich so kalt geworden? Man konnte die Dinge nicht so einseitig betrachten. Sie hatte in dieser Zeit ihre ganz eigenen Schlachten schlagen müssen. Die furchtbare Niederlage gegen Hela musste traumatisch für sie gewesen sein. Sie hatte Nachsicht und eine zweite Chance verdient. Und es war ja nicht so, als wäre sie ein Bösewicht, der sich erst rehabilitieren musste. Sie war eine Walküre. Selbst ich musste zugeben, dass wir sie brauchten.

Ich fühlte, wie der Neid langsam meine Sinne vergiftete. Ich erkannte mich selbst kaum wieder. Dabei ging es mir überhaupt nicht um den Thron, darauf war ich nicht einmal sonderlich erpicht. Doch das ganze Spektakel um die zurückgekehrte Walküre schürte die Gewissheit in mir, dass ich niemals genug sein würde.

Ihr Auftauchen machte mit einem Schlag alles zunichte. Alles, was ich in der Vergangenheit geopfert hatte, hatte plötzlich keinen Wert mehr, denn ich war Sif.

Keine Jane, keine Brunnhilde, niemand den man lieben oder bewundern konnte. Ich war schlichtweg die, die immer dagewesen war, und das war scheinbar nicht genug.

Ich fühlte mich einfach so fehl am Platz. Mit gesenktem Blick stand ich hier und sah mein eigenes Gesicht, wie es sich im stumpfen Brustharnisch meiner Rüstung spiegelte und verzerrte.

Fast alle, die mir je etwas bedeutet hatten, waren tot und Thor war fort.

Das war also der Ort, an den mich all die Träume meines alten Ichs geführt hatten. Ein unscheinbarer, gottverdammter Flecken Land auf der Erde zusammen mit dem Häufchen Elend, das nach der Götterdämmerung und dem wahnsinnigen Titanen noch übrig war. Und ich, eine gescheiterte, aussortierte Legende, bereits dem Vergessen geweiht. Lokis fixe Idee einer glorreichen Zukunft wirkte nun nahezu jämmerlich. Es schien, als hätte am Ende nicht er recht behalten, sondern ausgerechnet Lorelei.

"So viele Jahre und du bist immer noch dieselbe. Tust, was man dir sagt. Blickst unterwürfig zu denen auf, die dir Befehle erteilen. Bekommst nie das, was du gern hättest. Weder Haldor... noch Thor..., der Mann, der in dir eher ein Haustier sieht als eine Frau."

Jene Worte hatte ich nie vergessen können. Damals hatte mich Loreleis Gerede kaltgelassen. Dachte ich. Ein Teil von mir hatte aber immer gefürchtet, dass hinter der Boshaftigkeit etwas Wahres stecken könnte. Vielleicht war es genau das, was ich war. Unterwürfig. Gewöhnlich. Zweitrangig. So unendlich naiv.

Ich dachte zurück an Puente Antiguo, als die Lage im Kampf gegen den Destroyer so aussichtslos gewirkt hatte. Ich war bereit gewesen, mich zu opfern, doch Thor hatte mir befohlen, zu überleben und die Geschichten über jenen Tag selbst zu erzählen.

Wenn ich damals einen Heldentod gestorben wäre, würde man sich vielleicht an mich erinnern. Doch ich war am Leben und mein Dasein drängte sich immer weiter in den Schatten. Niemals die Nummer eins. Genau wie Loki.

Ich fragte mich, was er mir sagen würde, wenn er heute hier wäre. Ein dumpfes Stechen machte sich in meinem Herzen breit. Die zwischenzeitlichen Abgründe seiner Vergangenheit waren jetzt so irrelevant. Ich vermisste seine Worte. Ich vermisste ihn.

Was, wenn die Geschichte einen anderen Verlauf genommen hätte und sie alle noch an meiner Seite wären? Zu groß war die Verlockung, diesen Gedanken weiterzuspinnen. Doch ich zwang mich, damit aufzuhören. Am Ende des Tages würde es ja doch zu nichts führen außer noch mehr Schmerz.

Etwas matt konzentrierte ich mich wieder auf das Geschehen um Brunnhilde. Ich glaubte, in ihrem Blick einen Funken Unsicherheit zu erkennen.

Seufzend gestand ich mir ein, dass wir gar nicht so verschieden waren - zwei Frauen, die sich in von Männern für Männer gemachten Welten behaupten hatten müssen.

Vermutlich waren wir beide aber vor allen Dingen einsam. Wir hatten auf unserem Weg zu viel verloren. Ihre Walküren-Gefährtinnen waren tot, ebenso wie alle, die in meinem Leben einst eine wichtige Rolle gespielt hatten. Und nun blieb uns nichts anderes übrig, als stark zu bleiben. Das war schon immer die einzige Überlebensstrategie von Frauen wie uns gewesen. Wir mussten weiterkämpfen, zurückgelassen in einer Welt, die nicht mehr wiederzuerkennen war. Und vor allem durften wir nicht an der Bürde, die uns auferlegt war, zerbrechen.

Der Wunsch, irgendetwas daran ändern zu können, war groß. Meine Machtlosigkeit gegenüber dem Schicksal brachte mich an den Rand der Verzweiflung. Und auch wenn es so, so wehtat, wusste ich, dass ich genau dort war, wo man mich brauchte.

Wer konnte schon sagen, ob ich wirklich glücklicher wäre, wenn alles anders gekommen wäre.

Ich knebelte meine Gedanken und rief mir in Erinnerung, mit welcher Überzeugung ich mich entschieden hatte, zu dienen.

Und seltsamerweise bereute ich nichts.

Es war richtig so, wie es war. Schatten und Licht brauchten einander. Das eine konnte ohne das andere nicht existieren. Wenn hier mein Platz war, wollte ich mich bereitwillig von den Schatten umhüllen lassen, die mich vor dem zeitweilig blendenden und versengenden Licht der Königsbürde bewahrten.

Aus dem Augenwinkel sah ich ein kleines Mädchen in der Menge. Sie hatte ihr Kleid in die Hose gesteckt und trug darüber eine bunte Steppjacke. Mit strahlenden Augen deutete sie auf Brunnhilde, dann traf ihr Blick meinen. Ihre Mundwinkel wanderten noch ein Stück nach oben.

Da musste auch ich lächeln.

Vielleicht waren alle, die mir etwas bedeutet hatten, nicht mehr unter uns. Vielleicht war Thor ohne ein Wort zu mir in ferne Galaxien aufgebrochen. Vielleicht hatte er mich nicht für fähig genug befunden, um Asgard in meine Hände zu legen. Vielleicht hatte er mir diese schwere Aufgabe auch einfach nicht antun wollen. Vielleicht hatten die meisten mich vergessen.

Doch eigentlich war ich diejenige, die etwas vergessen hatte: Die glorreiche Zukunft war immer zum Greifen nahe. Man musste nur genau hinsehen.

So lange ich lebte, würde ich kämpfen und dienen. Ich, Lady Sif, Göttin des Krieges, geschmiedet und gestählt im Feuer der Zeit unter Schweiß und Tränen. Ich würde unbeugsam ausharren. Und irgendwo würde auch mich ein Sonnenaufgang erwarten.

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