• A N T O N •
Wir saßen ungefähr drei Stunden im Café, haben über die dümmsten Dinge geredet und irgendwann angefangen, zu lernen.
Trotz des Trubels um uns herum, sind wir gut vorangekommen. Die Prüfungen sind wirklich nicht ohne, sie halten uns ziemlich auf Trab.
Ich kann mich nicht einmal daran erinnern, wann ich das letzte Mal wirklich ausgeschlafen habe. Und dabei hat die Prüfungsphase gerade erstmal angefangen. Und trotzdem bin ich komplett kaputt.
Mein Hirn ist Brei...
An einer roten Ampel klingelt mein Handy, wonach ich seufzend suche. Eine Hand am Lenkrad, kramt die andere in meinem Rucksack nach meinem Smartphone. Als ich es schließlich finde, ziehe ich überrascht die Augenbrauen hoch.
"Lady Bishop, wie komme ich zu diesem Vergnügen?" An der anderen Leitung höre ich meine Freundin leise schluchzen, was mich aufhorchen lässt. "Was ist passiert?" "E-es tu-tut mir leid, dass i-ich dich damit belästigen muss. A-aber...ich weiß einfach nicht wei-weiter", weint sie. Am liebsten würde ich sie gerade in den Arm nehmen.
"Süße, beruhige dich erstmal und rede dann mit mir." "Es geht um Lenny."
Offensichtlich. Aber warum ist sie so aufgelöst?
Die Ampel schaltet auf Grün, ich trete aufs Gas, konzentriere mich aber weiterhin auf das Telefonat. "Hast du ihn gefunden?" "N-nein. Wir haben am Telefon gestritten und dann hat er seines einfach ausgeschaltet. Es war so schlimm, was er mir an den Kopf geworfen hat", sagt sie traurig, "Aber er ist noch immer nicht aufgetaucht. Ich mache mir Sorgen um diesen Idioten." "Verständlich, er ist immerhin dein Bruder...Nur verstehe ich nicht ganz, warum du mich anrufst", erwidere ich ehrlich verwundert.
"Ich habe überall nach ihm gesucht, er war aber nirgends aufzufinden. Wenn es nicht so dringend wäre, würde ich dich nicht darum bitten, aber, ähm, könntest du mir vielleicht verraten, wo ihr beide immer wart?"
Das sollte doch keine alten Wunden aufreißen. Es könnte Ava helfen, diesen Schwachkopf zu finden. Nur daran sollte ich denken. Nicht an jegliche Erinnerungen, welche mit den einzelnen Orten verbunden sind.
"Ich texte sie dir." "Du bist der beste! Danke, wirklich. Ich kann mir nur zu gut vorstellen, dass du nichts mit all dem zu tun haben möchtest-" "Das habe ich auch nicht. Ich helfe lediglich einer Freundin. Rufe mich später nochmal an, wenn es etwas Neues gibt." Ich höre Dankbarkeit in ihrer Stimme, als sie sagt: "Das werde ich definitiv tun! Danke."
Nachdem ich aufgelegt und mein Handy weggelegt habe, biege ich schnell nach links ab, bevor ich die Straße verpasse. Der hinter mir hupt, als hätte ich eine Naturkatastrophe damit verursacht.
Idiot.
Auf dem Weg nach Hause wandern meine Gedankengänge zu Valentin. Obwohl ich es nicht an mich heranlassen wollte, mache ich mir Sorgen um ihn, wo er stecken könnte.
Mir ist es natürlich nicht entgangen, dass er verdammt abgerutscht ist. Es scheint, als würde er auch niemanden an sich herankommen lassen. Nicht einmal seine eigene Schwester. Sogar sie verletzt er mit seinen Worten.
Zähneknirschend fahre ich anstatt nach rechts geradeaus. Mein Ziel ist das Boxstudio, in welchem Valentin trainiert. Zwar wird Ava dieses bestimmt auch schon in Betracht gezogen haben, aber ich kann mir gut vorstellen, dass er sich abreagieren muss. Und das kann er dort am besten.
Wenn er dort nicht ist, fahre ich nach Hause und mische mich in die Angelegenheit nicht weiter ein. Das hier tue ich nur Ava zuliebe.
Es dauert nicht lange, dann parke ich mein Auto vor dem Gebäude, in dem das Studio ist. Wenn ich alleine an den Geruch nach Schweiß denke, wird mir augenblicklich schlecht.
Eigentlich will ich da wirklich nicht rein!
Wenig entschlossen nehme ich mein Smartphone und steige aus. Sein Auto ist nirgends zu sehen. Als ich zum Eingang laufe, schreibe ich Ava einige Plätze auf, an denen ihr Bruder sein könnte.
Es gibt nicht viele, an denen wir uns zurückgezogen hatten. Größtenteils waren wir bei mir gewesen, weil meine Familie uns in Ruhe ließ und unsere Beziehung akzeptierte.
Im Studio empfängt mich der gewöhnliche stickige Geruch, der meinen Magen umdrehen lässt. Den Anblick halbnackter Typen lasse ich mir trotzdem nicht entgehen. Während ich mich nach meinem Ex umsehe, erblicke ich zwischendurch einen heißen Boxer, der leicht meine untere Region zum Leben erwecken könnte.
"Du schon wieder, Welpe."
Überrascht drehe ich meinen Kopf zur Seite, um die Hand auf meiner Schulter anzusehen. Mir steigt der Geruch von Zigaretten in die Nase, so wird mir auch schnell klar, wer hinter mir steht.
Die Besitzerin mustert mich wenig begeistert, mich hier zu sehen. "Danny, richtig?" Sie nickt. "Was willst du, Kleiner?" "Ich wissen, wen ich suche." "Tja, meine Antwort ist wie damals dieselbe." "Dann können wir uns das Theater ja sparen, da er dann garantiert hier ist." Als ich weitergehen will, packt sie mich am Arm. "Moment mal, wer hat dir erlaubt, weiterzugehen? Hör mal, ich habe es bereits seiner Schwester gesagt, als sie hier vorhin aufgetaucht ist. Er ist nicht hier."
Sie hat mich damals schon aufgeregt. Schön und gut, dass das hier ihr Boxstudio ist, aber das gibt ihr nicht das Recht, so mit mir zu reden.
"Hören Sie, Danny", ich nähere mich ihr, bis ich den Rauch ihrer Zigarette rieche, "womöglich verstehen Sie nicht, dass es Menschen gibt, die sich um Ihren Sprössling sorgen. Valentin kann ja gerne in Ihrem Familienkreis, der hier herrscht, gehören, aber trotzdem hat er auch Leute um sich herum, die ihn lieben und Angst um ihn haben, dass er sich etwas antun könnte", meine Gedanken schweifen zu Ava über, "Also bitte, vergessen Sie einmal Ihre Brüderlichkeit zwischeneinander und helfen Sie. Sonst muss ich wohl leider dieses Gebäude abfackeln..."
Ihre Augen weiten sich, sie scheint überrascht über meine Worte, doch dann ändert sich etwas in ihren Augen. Schließlich deutet sie seufzend hinter mich. "Er sollte in der Umkleide sein." "Dank-" "Welpe, damit wir uns verstehen. Mir sind meine Jungs wichtig, und Valentin vor allem. Er soll in keinen Scheiß reingezogen werden." Ich nicke zur Bestätigung. "Das sehe ich genauso, Danny. Danke für Ihre Hilfe."
Sie winkt ab und verschwindet dann. Ich sehe ihr kurz hinterher, wie sie auf ein Mädchen zugeht, das auf einen der Boxsäcke einprügelt als wäre es ihr Exfreund.
Schwester, ich fühle mit dir...
Ich lasse mich nicht länger davon abhalten und gehe zu den Umkleiden, wo ich hoffentlich Valentin finde. Als ich allerdings sehe, wer bei ihm vor der Tür steht, gefriert mir das Blut in den Adern.
Was zur Hölle tut Noel Moore hier? Trainiert er hier etwa auch?
Meine Kinnlade klappt herunter, als ich das Gesicht meines Exfreundes betrachte. Seine rechte Wange scheint geschwollen zu sein. Und alles ist voller Blut.
Verdammt, was ist mit ihm passiert?
Ich halte mich bedeckt, beobachte die beiden aus sicherer Entfernung. Sie wirken sehr vertraut miteinander, als wären sie Freunde. In der Schule sieht man die beiden aber nicht zusammen.
Während Valentin noch in seinen Sportklamotten ist, scheint Noel gleich aufbrechen zu wollen. Über seine Schulter geworfen seine Sporttasche, steht er in seiner Lederjacke vor ihm und redet auf ihn ein. Über was sie da auch reden, es kann nichts gutes sein.
Warum unterhält er sich mit ihm? Seit wann stehen sie sich überhaupt so nahe, dass sie miteinander trainieren? Noel Moore bedeutet Ärger, verdammt! Wie oft habe ich es ihm schon gesagt?!
Erleichtert bemerke ich, wie der Bösewicht sich von Valentin verabschiedet und Richtung Ausgang verschwindet. Als er außer Reichweite ist, jogge ich auf den Lockenkopf zu.
Dieser bemerkt mich erst, als ich ihn in den Umkleideraum dränge. "W-was...Anton? Was tust du hier?" "Das könnte ich dich genauso fragen, du Idiot! Warum gibst du dich mit Noel Moore ab, wenn wir dir doch immer gesagt haben, er sei ein schlechter Einfluss?!" "Was kümmert es dich?", brummt er und wendet sich zu seinem Spind um.
Ach, jetzt zeigt der werte Herr mir auch noch die kalte Schulter. Ich glaube, es geht wohl los!
"Du interessierst mich nicht, Arschloch", schnauze ich ihn an, "Aber Ava ist mir wichtig. Und sie sucht nach dir-" "Ist mir egal. Darum habe ich sie nicht gebet..." Er zischt schmerzvoll, als ich ihm eine Ohrfeige gebe. Direkt auf seine geschwollene Wange.
In Moment ist es mir vollkommen egal, dass er Schmerzen hat.
"Rede nie wieder abfällig gegenüber deine Schwester in meiner Gegenwart. Sie ist die einzige, die sich noch um dich sorgt, der du wichtig bist. Und was tust du?", ich hole nochmals aus, sein Gesicht schnellt zur Seite, "Behandelst sie wie Dreck, obwohl du nur noch sie hast. Was bist du nur für ein Drecksack?"
Es ist das erste Mal seit sechs Monaten, dass wir voreinander stehen und uns in die Augen sehen. Es löst in mir ein totales Gefühlschaos aus, mit welchem ich nicht wirklich zurechtkomme.
Der Plan war, ihm aus dem Weg zu gehen, ihn zu vergessen. Mein Leben weiterzuführen. Und jetzt stehe ich hier vor ihm und würde augenblicklich alles über Bord werfen.
"Du bist also nur wegen Ava hier?", fragt er. Mir kommt es vor, als hätte sich seine Stimmlage verändert. Ich trete an ihn heran, bis ich seinen Atem auf meiner Haut spüren kann. "Geh duschen, du stinkst bestialisch", sage ich knallhart und wende mich dann von ihm ab.
Hinter mir höre ich, wie er laut aufschnaubt und die Schranktür zuschlägt. Ich beiße mir auf die Lippe, um nicht zu reagieren. Stattdessen krame ich mein Handy aus meiner Hosentasche heraus und rufe Ava an. Sie geht nach dem vierten Klingeln ran.
"Levi, ich habe Lenny noch nicht gefu-" "Er ist im Boxstudio", falle ich ihr ins Wort, "Ihm geht es einigermaßen gut. Holst du ihn bitte ab?" "Ja, ja! Aber Moment, ich war doch dort und da hat Danny-" "Vergiss sie. Wir sehen uns gleich." "Danke, Levi", bedankt sie sich und legt dann auf.
Seufzend sehe ich mich um und entdecke einen Erste-Hilfe-Koffer an der Wand. Während Valentin duscht, durchsuche ich diesen nach Utensilien, mit denen ich seine Verletzungen behandeln kann.
Nach etwa weiteren fünf Minuten betritt er nur mit einem Handtuch umhüllt die Umkleide. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, als ich seinen nackten Körper sehe, lasse es mir aber hoffentlich nicht anmerken.
"Setz dich." "Anton-" "Wage es nicht, mit mir zu diskutieren. Ich bin gerade nicht in der Stimmung, zu albern", brumme ich und klopfe neben mich auf die Bank. Er sieht nicht begeistert aus, kommt meiner Forderung allerdings nach.
Vorsichtig tupfe ich mit einem Wattebausch Creme auf seine Wunden. Er zischt anfangs aus, zuckt dann immer wieder zusammen. Es spornt mich regelrecht dazu an, weiterzumachen. Dass er einen solchen Schmerz fühlt, den er mir durch unsere Trennung bereitet hat.
Konzentriert versorge ich ihn notdürftig, so gut es der Koffer hergibt. Als ich schließlich an seinem Mund ankomme, stockt mir der Atem. An seiner Reaktion darauf, weiß ich, dass er es bemerkt hat. Sein nacktes Knie berührt meines - das macht mich wahnsinnig.
Sehnsüchtig starre ich auf diese vollen Lippen, die jeden einzelnen Zentimeter meines Körpers verwöhnt haben. Wie gerne würde ich sie spüren wollen. Eine kurze Berührung unserer Münder.
Zu Sinnen kommend drücke ich etwas zu fest auf die Verletzung an seiner Unterlippe, sodass er schmerzvoll zurückweicht.
"Du solltest dich jetzt anziehen. Sonst erkältest du dich womöglich noch", meine ich, während ich alles wieder im Koffer verstaue und zurückbringe. "Machst du dir Sorgen um mich?" "Davon träumst du wohl", erwidere ich gereizt und wende mich ihm zu, "Beeile dich. Ava wartet auf dich draußen." "Du hast sie angerufen?" In seinem Blick liegt etwas unergründliches. "Wie gesagt, das hier tue ich für deine Schwester", sage ich, gehe zur Tür und lasse ihn alleine.
Anton wird schwach...
Die Unterhaltung schien ziemlich kühl. Währenddessen tobte in ihm ein Sturm der Leidenschaft. Seine Gefühle hält er aber für sich.
Wie lange wird das noch gut gehen?
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