VIERUNDDREIßIG
Vor einem Jahr
Ich freue mich dich wiederzusehen.
Mit gutem Gewissen schickte ich die Nachricht an Valerie ab. Ich strich über die Stelle, wo ihre Lippen mich berührten.
Sie zähmte meine Angst nicht, aber für den kurzen Augenblick machte sie mich glücklich. Ein Schwarm von Schmetterlingen scheuchte sie in mir auf, als meine Nachricht als gelesen angezeigt wurde.
Meine Mundwinkel verzogen sich zu einem breiten Grinsen. Valerie hegte an mir Interesse. Dass ich ihr begegnete konnte ich mir damals nur träumen. Nein ich kam, um Remi zu verarbeiten, ich blieb für Valerie.
Das Wochenende ging dahin, die Zeit verschwamm vor unseren Augen. Trotz meines prophezeiten Todes suchte ich nach Hoffnung in mir. Mit Sicherheit trafen Valeries herbeigeredeten Ereignisse nicht ein.
Fragen schwirrten durch meinen Kopf. Valerie antwortete mir nicht, fand Auswege, um mein wiederholtes Nachfragen zu umgehen. Womöglich schützte sie mich vor meiner anbahnenden Angst vor der Zukunft.
Sie beschrieb nicht die Täter oder wer es in Kraft setzte. Sie verschwieg vieles von mir. Eigentlich erhoffte ich mehr von ihr, sie öffnete sich meiner Sicherheit nicht, schenkte mir keine wertvollen Informationen.
Woher wusste Valerie von dem Kuvert? Ich habe sie vor unserem Treffen noch nie gesehen, aber sie kannte mich bereits.
Vielleicht las sie die Dokumente und Informationen, die bei den Unterlagen beilagen durch. Wenn sie von meiner Existenz wusste und ich nicht von ihrer, dann hatte ich gutes recht ihr zu misstrauen. Jedoch konnte ich es nicht weiter aufrechterhalten.
Meine verinnerlichte Venusfliegenfalle schnappte zu, Valerie von mir gehen zu lassen, hinterließ einen ungefüllten Platz zurück. Die Falle brauchte viel Zeit, um sich wieder zu öffnen.
Warum wurde sie mir so wichtig? Ich nahm mir fest vor, dass sie für mich kaum von Bedeutung war. Ihre plötzliche Existenz und der Wille sich um mich zu sorgen, ließ mich aufkeuchen. Fürsorge einer solchen Art spürte ich vor ihr nie.
Ein leises melodisches Klingeln unterbrach die Stille in meinem Zimmer.
Ich saß auf dem Boden vor meinem Spiegel. Mit zitternder Hand zog ich schwarze Linien an meinen Augen.
Ich wendete mein Telefon. Valeries Name bildete sich auf dem Bildschirm ab. Ich nahm ihren Anruf an und stellte meinen Lautsprecher laut, damit ich mich in der gleichen Zeit Make-up auflegen konnte.
Mein Unterricht startete bald, in Wirklichkeit nahm ich mir morgens für Telefonate keine Zeit, dafür fiel sie mir zu gering aus.
Nach kurzem Smalltalk entstand ein Knistern in der Leitung. Anscheinend hatte sie mir nichts mehr zu sagen.
,,Die Vernichtung der Umschläge hat sowohl positive Aspekte als auch negative, verstehst du? Ich würde gerne mehr über meinen geplanten Mord erfahren, damit ich es umgehend vermeiden kann." Meine Stimme klang rau vom Aufstehen. Tiefe Augenringe deckte ich ab und die Stresspickel, die sich bildeten, versteckte ich unter meinem Abdeckstift.
,,Ich kann verstehen, was du meinst. Es ist das einzige Beweismaterial für deinen Tod. Du hättest ihn auch zur Polizei bringen können, damit sie sich darum kümmern."
Ihre Aussage klang wie ein Vorwurf in meinen Ohren. Hatte ich in ihren Augen doch etwas falsch gemacht oder war sie eingeschnappt, weil wir so früh abreisen mussten. Egal, welchen Grund sie hatte. Mich traf an meinem eigenen Tod keine Schuld. Ich war das Opfer.
,,Wenigstens besitze ich nichts mehr, was mich psychisch belasten könnte. Eine Zeit lang machte mich der Umschlag ziemlich kaputt.", pflichtete ich bei.
Bildlich sah ich das tote Gesicht meiner Tante vor mir.
Ich setzte Puzzleteile zusammen, fand eine Antwort. Das Bild entstand nicht an der Beerdigung. Die Bilder schoss man für den Obduktionsbericht, nicht für irgendeine Gehirnwäsche. Niemand hinterhältiges in meiner Verwandtschaft tat dies meiner Tante an.
Ich verrutschte fast mit meiner Wimperntusche, als ich diesen Fakt realisierte. Roisine würdigte man bis in den Tod, niemand in meiner Familie heuchelte mir etwas vor.
Die Bilder meiner Tante machte man nicht für mich, nein sie richteten sich an von Tod besessene Mörder.
Sie setzten sich in meine Vergangenheit, schnüffelten in ihr herum.
,,Was bringt den Mördern meine Vergangenheit?" Ich trug fettigen Gloss auf meinen Lippen auf. Meine Haare band ich zu einem Zopf zusammen.
Das Rauschen in der Leitung war unüberhörbar. Es spielte keine Rolle, wie sehr ich Valerie mochte, aber es zeugte mir von Respektlosigkeit, wenn sie auf keiner meiner Fragen ihre Lösung kund gab.
Ein Bild von den Geschehnissen machte ich mir, sie baute sie zu einer unüberwindbaren Hürde auf.
Mit lauten Schritten, dass die Decke meiner Mitbewohner unter mir wackelte, trampelte ich durch mein Zimmer. Der Teppich unter meinen Füßen verrutschte.
Meine Hände zitterten, als ich eines von Eloises Büchern öffnete. Mein Blick rauschte über die Seiten. Ich brauchte Ablenkung. Wenn es nach mir ginge, wollte ich nicht mehr mit Valerie telefonieren.
Trotz dessen, dass sie eine große Hilfe sein konnte, verschloss sie sich nach jeder Frage mehr zu mir. Anfangs glaubte ich, dass sie mich mochte, dass sie sich uns beide vorstellte.
Demnach sei es wohl nicht so, wenn sie sich von mir abschottete.
,,Wir sehen uns sicher irgendwann wieder.", verabschiedete ich mich.
Ich wartete auf keine Antwort. Ich wollte nicht ein leeres Versprechen von ihr hören. Sie benutzte mich, wrang mich aus und warf mich zu ihren Kollektionen. Und ich fand noch etwas an ihr. Ich wollte sie noch bei mir haben.
Seit der Begegnung im Schlossgarten fürchtete ich mich ein klein wenig vor ihr. Meinen Tod, den sie mir selbstsicher prophezeite, suchte mich heim. Er fraß sich in meine Gedanken, ging meine Handlungen durch. Die Furcht wuchs wie Efeu durch mich, klammerte sich an alles, das sie finden konnte.
Es verschluckte meine Freude, Eloise ging unter. Kirk schrieb ich seit Tagen nicht mehr zurück. Mitschüler warteten auf Nachrichten, jedoch fühlte ich mich nicht in der Lage ihnen zu antworten.
Mich von dem Rest der Welt abzukapseln, verlockte mich.
Ein Mörder suchte mich dort draußen, sein Auftrag war mein Sterben. Niemand schützte mich, keine Menschenseele suchte mich auf, um mir den Halt zu geben, den ich brauchte. Die Beweise für meinen Tod zerstörte ich selbständig.
Mein Leben kam mir inszeniert vor, die Vorstellung davon, dass ich einen endlosen Traum durchlebte.
Und in all den Feldern des Efeus zog mich eine Fremde heraus? Sie wollte das Beet jäten und mich daraus befreien? Wie konnte ich ihr vertrauen?
Meine Augen wanderten durch den Raum, schauten Ausschau nach meinem Rucksack. Ich warf ihn mir über eine Schulter, dann rannte ich zum Unterricht.
Wüste Gedanken plagten mich, jagten mich durch die Gänge. Der Tod lief mir gemächlich hinterher, wartete darauf, bis ich meine Ausdauer verlor.
+++
Remi durfte mir nicht zu nahe kommen, zumal Valerie nun in meinem Leben war.
Valerie wendete nicht nur das Blatt, nein sie zerknüllte Remi und warf ihn in Vergessenheit für die kurzen Augenblicke, die ich mit ihr verbrachte.
Trotzdem schaffte sie ihn mir nicht so aus der Welt. Remi existierte für mich. Er und ich führten noch eine Beziehung.
Meine Lippen hatten seine seit meiner Ankunft nicht mehr berührt, an den darauffolgenden Tagen verspürte ich den Drang. Weit reichende Zuneigung schenkte er mir,auch wenn ich ihn nicht danach bat. Ja, man könnte meinen, dass er mich liebte, dass er mich in seinem Leben behalten wollte.
Jedes einzelne Mal, als er sich mir zuwandte, um mich zu liebkosen, drehte ich mich weg, ignorierte seine Anwesenheit. In diesen Tagen ging ich den falschen Weg, hinterging ihn. Bei jedem noch so kurzen Augenkontakt drehte ich mich weg. Die geladenen Emotionen, die einen Wechseltanz zwischen uns ausführten, brachten mich von meinem Weg ab. Werde ich das Richtige tun?
Am dritten Tag meiner Ignoranz gegenüber meines Freundes eilte ich in mein Wohnhauszimmer. Ich klappte meinen Ordner zu, achtete nicht auf die Ordnung und rannte aus dem Klassenzimmer.
Ich achtete darauf, dass ich Remi nicht auf den Gängen begegnete, ihn wieder und wieder abzuweisen, schmerzte. Für uns beide wird es das Richtige sein, wenn wir kein paar mehr waren, dann können wir beide unsere eigenen Wege gehen, meine Gefühle für Valerie musste ich nicht unterdrücken.
Eloise und ich saßen in unserem Zimmer. Ich hörte Eloise ihren Tee schlürfen und das Knabbern von Nüssen.
Ich konzentrierte mich voll und ganz auf die Arbeit, die vor mir lag. Meine Konzentration wuchs, mein Verständnis für Dinge nahm zu. Nach vielen zähen Wochen der Selbstzweifel zog ich Oxford ernsthaft in Erwägung.
Wenn ich alles daran setzte, dann werde ich meine Ziele auch schaffen. Ich werde nach Oxford gehen.
Bildlich sah ich vor mir, wie ich über den Campus lief, eine Tasche unter meinem Arm eingeklemmt auf dem Weg zu meiner eigenen Wohnung. Ich studierte, umgab mich mit Menschen, die mich glücklich machten und freute mich über meinen Alltag.
Ohne anzuklopfen, stürmte jemand in unser Zimmer. Anfangs drehte ich mich nicht um. Mein prophezeiter Tod könnte in diesem Moment wahr werden, meine letzte Stunde schlug an und ich saß in meinem Zimmer und lernte.
Und als Letztes werde ich in Eloises flehende Augen sehen. Sie wird weinen, das Blut ihrer Seele auf meinen sterbenden Körper verteilen.
Langsam drehte ich mich zum lauten Poltern um. Mein Freund stand vor mir. Seine matschbraunen Haare fielen ihm ungepflegt ins Gesicht, seine blauen Augen fokussierten mich, drückten mich tiefer in den Stuhl.
,,Warum ignorierst du mich derart?", mit leiser bebender Stimme drohte er mir.
Er gab mir keine Zeit zu antworten. ,,Vielleicht habe ich dir in vergangener Zeit nicht besonders viel Aufmerksamkeit geschenkt, aber das rechtfertigt nicht deine Ignoranz mir gegenüber."
Eloise saß wie ein aufgeschrockenes Kaninchen vor ihrem Blatt, ignorierte die Szene, die er macht. Doch ich wusste, dass sie genau zuhörte.
,,Vielleicht bin ich auch einfach nicht der-"
,,Du solltest lieber mal einen Schritt zurücktreten. Ich habe gerade keine Zeit für diese Diskussion und ehrlich gesagt, sehe ich keinen Grund, mit dir zu argumentieren.", unterbrach ich ihn.
,,Was willst du mir damit sagen? Bin ich dir keine Priorität mehr?"
,,Ich sage nur, dass ich nicht genug Energie für einen Streit habe, gerade kann ich das nicht."
,,Und wie lange soll ich warten? Du hast nie die Energie für irgendetwas. Entweder du redest mit mir jetzt oder es ist aus mit uns." Seine Stimme schwoll zu einem Brüllen an.
,,Wenn du es so unbedingt willst. " Ich atmete tief ein. ,,Remi, ich habe lange darüber nachgedacht und ich will, dass es mit uns endet. Ich sehe keinen Sinn mehr in unserer Beziehung, such dir eine Neue, mach etwas mit deinem Leben. Ich will dich nicht mehr in meinem!"
Ich schrie. Tränen liefen über meine Wangen. Mein Mund stand weit offen, ich bekam keine Luft mehr, Remis Anwesenheit schnürte sie mir zu.
Ein kribbelndes Gefühl übermannte mich. Stolz belebte jede Faser meines Körpers. Das Erwachen meines Geistes und die Realisation, dass wir beide ein Ende fanden.
Die Wut meines Ex-Freundes wich der Erkenntnis. Ich meinte es ernst. Trauer verschleierte sich hinter seinen Augen. Er hatte bis zum Ende an uns geglaubt, er wollte uns beide in der Zukunft sehen.
,,Ich wollte dich nie einengen, wenn es das war, das dich störte." Seine Stimme glich dem Pfeifen des Windes. Seine Worte nahm ich kaum wahr, erst als die Worte über seine Zunge schlüpften, verstand ich, was er sagte.
,,Du hast keinen Fehler gemacht. Für die Zeit, in der wir zusammen waren, warst du perfekt." Ich lächelte unter meinen Tränen hervor.
,,Warum muss es jetzt enden?"
,,Weil ich dich nicht mehr liebe."
Ich erleichtere mich den Phrasen, die seit Wochen in meinem Gedankenkarussell mitfuhren.
,,Wer ist es? Durch wen hast du mich ersetzt?" Seine Stimme brach, er bettelte nach einer Antwort.
Valerie. Valerie. Valerie.
Ein Mädchen, dessen Nachnamen ich nicht einmal kannte.
,,Sie tut mir gut, macht mich glücklich." Viel mehr als du es je könntest.
,,Ich will sie kennenlernen. Sie hat dich nicht verdient. Ich sollte an ihrer Stelle stehen."
Sein gefangener Neid, erkämpfte sich seine Freiheit, suchte mich auf. Remi lauerte mir auf, er würde Valerie brechen, wenn sie sich kennenlernten.
,,Es ist nicht meine Aufgabe mich um dein aufgekratztes fragiles Ego zu kümmern."
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