[06]
Jisung PoV
Mit den Gedanken bei Minho lief ich die fast leeren Treppen hinunter. Nur noch einzelne Schüler liefen gleichzeitig mit mir runter und so war es einfach für mich, Abstand von ihnen zu halten.
Draußen konnte ich eine Silhouette an meinem Standardplatz erkennen, doch sie war zu klein um Minho zu sein. Stattdessen stand dort der Fünftklässler von gestern und sah ungeduldig um sich.
Enttäuschung machte sich in mir breit und ich ging augenblicklich ein Stück langsamer.
"Spielst du heute mit uns Fußball?", fragte der Junge aufgeregt, als ich beim Baum ankam.
"Tut mir leid. Heute auch nicht. Ich warte auf jemanden. Falls er überhaupt noch kommt.", antwortete ich ein wenig deprimiert. Ich hatte ehrlich gedacht, dass Minho schon auf mich wartete, wenn ich hier ankam, einfach weil ich immer erst so spät in die Pause ging und die meisten Schüler dann schon draußen waren.
"Meinst du so einen Jungen mit orangenen Haaren? Vielleicht ein kleines Stück größer als du? Sieht ein bisschen aus wie eine Katze?"
"Ja! Genau den suche ich. Wo ist er?"
Minho hatte mich anscheinend doch nicht versetzt. Auch wenn versetzt vielleicht das falsche Wort war. Schließlich war es nur eine Pause und kein Date oder so.
"Er wird gerade da drüben von den anderen verhört."
"Er wird was? Ist er jetzt zum Verbrecher geworden?"
Ich musste kurz auflachen und sah in die Richtung, in der Minho stand. Mit erhobenen Armen und umkreist von Fünftklässlern. Der Anblick sah zu witzig aus.
"Ich schwöre hoch und heilig, dass ich ihm nichts getan habe! Er ist unversehrt und ich hab ihn nicht gegessen.", meinte Minho, doch irgendwie schien er nicht besonders überzeugend gewesen zu sein, denn die Meute sah ihn immer noch zweifelnd an.
"Dann versuche ich mal meinen Freund zu retten.", meinte ich zu mir selbst, so seltsam es auch war ihn als Freund zu bezeichnen, und ging zu Minho, der nun weiter verhört wurde.
"Ach ja? Und wo ist dann das Opfer?"
Gerade setzte Minho zu einer Antwort an, doch ich unterbrach ihn einfach.
"Sooo die Befragung ist vorbei. Den Verdächtigen nehme ich mit in Untersuchungshaft.", meinte ich und nahm Minho an der Hand mit zurück zum Baum, wobei uns die Meute folgte.
"Du kommst genau richtig, Jisung. Die wollen mir nicht glauben, dass ich dich nicht entführt, ermordet und gegessen habe. In der Reihenfolge. Vielleicht hab ich dich auch noch ausgeraubt und vergewaltigt."
"Tja, ich bin noch da, also braucht sich da niemand Sorgen drum zu machen. Aber du solltest dir Sorgen machen, um den ersten Eindruck, den du hinterlässt. Vergewaltiger, Mörder und dann auch noch Kannibale. Tztztz... Lee Minho. Ich hätte nicht erwartet, dass du so viel kriminelle Energie hast."
Dass ich immer noch Minho's Hand hielt, ignorierte er weitestgehend oder es schien ihn einfach nicht zu stören.
"Sehr ihr? Er lebt noch. Es ist alles in Ordnung, also könnt ihr Fußball spielen, ohne, dass ihr euch Gedanken um Jisung machen müsst. Also könnt ihr wieder Fußball spielen gehen. Ich passe schon auf euren Jisung auf."
"Wir wollen aber, dass er mitspielt...", schmollte einer von den Fünftklässlern.
"Tut mir leid, aber ich hatte ihn heute zuerst.", meinte Minho und es kam mir irgendwie seltsam vor, dass gerade tatsächlich zwei Leute um mich stritten. Normalerweise würde eher gestritten, weil man mich nicht dabei haben wollte, sodass ich am Ende über blieb.
Ja, weil du ein dreckiger Nichtsnutz bist. Die Fünftklässler wollen doch auch nur mit dir spielen, weil sie dich auslachen wollen, wenn du versagt. Und Minho? Der braucht dich auch nicht. Er braucht nur jemanden, der ihn ablenkt. Das hätte jeder sein können. Du bist nichts besonderes, Jisung. Du bist nicht begehrenswert.
Langsam ließ ich Minho's Hand los. Warum hatte ich sie überhaupt noch gehalten? Es musste unangenehm für ihn gewesen sein, so mit mir gesehen zu werden. Er hätte die Hand von jemand besserem halten müssen.
"Ich spiele ein anderes Mal bei euch mit, okay? Aber wenn ihr jetzt nicht anfangt zu spielen, habt ihr nicht mehr viel Zeit dafür. Außerdem bin ich ja heute nicht alleine, sondern hab Minho dabei, also bin ich nicht einsam und kann mich mit ihm amüsieren."
"Okay, aber irgendwann musst du mitspielen! Du kommst uns nicht ewig davon."
"Mach ich. Versprochen."
Dann verschwanden die Fünftklässler auf dem Fußballfeld und begannen mit ihrem Spiel. Minho und ich setzten uns nebeinander ins Gras.
"Ich wusste gar nicht, dass deine besten Freunde Fünftklässler sind.", lachte Minho und ich begann das Gras vor mir raus zu rupfen.
Super, Jisung. Jetzt denkt er du wärst noch total das Kleinkind und findest deshalb keine Freunde in deinem Alter.
"Das sind nicht meine Freunde. Sowas hab ich nicht. Und was ist mit dir?"
Also sind wir jetzt lieber ein einsamer Loser als ein Kleinkind?
"Was meinst du mit 'was ist mit dir?'?"
"Naja... Du hast doch bestimmt viele Freunde. Du bist einfach die Art Person, die man mag."
Im Gegensatz zu mir. Mich hasst man.
"Siehst du nicht, wie mir die ganzen Jungen und Mädchen quasi hinterher rennen und ich alle im Umkreis von 10 Metern zum kreischen bringe?", fragte er ironisch. "Ich hab ein paar Freunde, aber die meisten gehen auf eine andere Schule. Nur mein einer Freund geht mit mir in eine Klasse."
Warum ist er dann nicht bei ihm sondern bei mir? Vielleicht ist sein Freund ja krank und jetzt bin ich nur sein Ersatz.
"Wie hast du deine Freunde kennengelernt, wenn sie nicht mit dir auf eine Schule gehen? Man trifft ja nicht immer zufällig auf nette Leute."
"Ich gehe mit einigen von ihnen tanzen und hab dann irgendwann auch noch die anderen kennengelernt, als wir uns alle getroffen haben."
"Du gehst tanzen?", fragte ich überrascht. Irgendwie hatte ich das von jemandem wie Minho nicht erwartet. Auch wenn das erklärte, wieso er so eine gute Figur hatte.
"Das ist irgendwie zu klischeehaft-gay oder?", fragte er nervös und kratzte sich verlegen am Hinterkopf.
"Was? Nein, auf keinen Fall. Du musst doch nicht schwul sein, nur weil du tanzt. Und selbst wenn, wen stört das schon? Ich bin der Letzte, der jemanden verurteilt." Dafür hab ich doch selbst zu viel Angst, dass mich jemand verurteilt.
"Du hast damit kein Problem?"
"Wieso sollte ich? Wenn du tanzen willst, dann tanzt du."
"Ich meinte nicht das Tanzen, Ji."
"Mit deiner Sexualität hab ich auch kein Problem. Es macht für mich keinen Unterschied. Außerdem steh ich selbst auf Jungen." Ich setzte ein kleines Lächeln auf. "Und mit dem Spitznamen hab ich übrigens auch kein Problem."
"Bekomm ich auch einen?", fragte Minho und sah mich herausfordernd an. Dieser Junge war unglaublich...
"Hm... MinMin."
"Wäre Minnie nicht offensichtlicher?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Das ist zu niedlich für dich. Außerdem denkt da jeder andere sofort dran. Meine Name soll zumindest ein bisschen etwas besonderes sein."
Wenn ich schon nichts besonderes bin...
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