Kapitel 22
Eine Woche später
Wir waren zurückgekehrt zu meinem leiblichen Vater, nachdem wir uns alle gestritten hatten um das Schicksal meines Bruders. Zu Kail konnte auch niemand durchdringen. Selbst ich nicht. Denn auch meine Gabe kam an seine Grenzen und diese Grenzen sorgten für noch mehr Angst in mir. Hätten wir Nótt nicht in ein künstliches Koma gesetzt, dann hätte ich ihn nicht unter Kontrolle bringen können.
Was auch immer in ihm war, wurde stärker in seinem Wachzustand. Selbst jetzt breitete es sich aus und machte mir nur noch mehr bewusst, wie knapp es um sein Schicksal erging. Mir ging es zunehmend schlecht. Selbst Calen konnte mir nicht helfen, weshalb ich mich auch von ihm distanziert hatte. Ohne meine Gabe. Ohne meinen Bruder. Was sollte ich tun?
Ich fühlte mich nutzlos.
Ich fühlte mich so unglaublich alleine.
Aus purer Verzweiflung ging ich durch die Forschungsabteilung des Gebäudes, (welches weitaus weniger Mitarbeiter hatte, als an dem Ort in dem ich aufgewachsen war) und gelangte so durch eine Stahltür zu einer verglasten Zelle. Darin hockte Kail und starrte mir direkt in die Augen. Seine grünen Augen waren nicht mehr so Stolz. Sein blondes Haar schien platt. Und auch die Brandnarbe an seinem Gesicht wollte nicht gänzlich heilen.
>>Bist du hier um dich an meinem Anblick zu ergötzen?<< fragte er mich mit belegter Stimme. Innerlich halb tot, setzte ich mich einfach auf den Boden und lehnte meinen Kopf gegen die Wand hinter mir. Der Raum war kalt, durch die Betonwände. Ich war mir sicher, dass er frieren musste, da ich deutlich sehen konnte, wie eine Atemwolke seine Lippen verlassen hatte.
>>Was auch immer du erwartest, ich habe keine Antworten für dich.<< presste er hervor.
>>Du bist wütend und vorwurfsvoll Kail. Sollte ich das nicht eher sein? Immerhin wolltest du mich fast vergewaltigen und hast für einen Mann gearbeitet, der meinen Freunden schaden wollte und zu verantworten hat, dass mein Bruder sich in ein Monster verwandelt.<< erwiderte ich kalt und klar.
Er lachte auf.
>>Ich brauche keine Frau vergewaltigen, um zu bekommen, was ich will. Ob du mir glaubst oder nicht, weiter wäre ich nie gegangen. Mehr als deine Gabe hervorlocken, hatte ich nicht im Sinne. Dich zu brechen war meine letzte Intention.<< drang es dieses mal sanfter aus seinem Mund.
>>Tatsächlich fällt es mir ziemlich schwer dir zu glauben. Immerhin sprechen die Umstände wirklich gegen dich Kail.<<
Bedauern lag in seinen Augen, als er abermals zu sprechen begann.
>>Wir sind im Krieg Aurora. Nur weil du auf der anderen Seite der Front stehst, bedeutet es nicht, dass deine Wahrheit die einzige ist. Das mit deinem Bruder tut mir Leid. Aber ich habe nicht mehr dazu beigetragen, als mein Versuch zu überleben.<<
>>Du tust so, als hättest du keine Wahl gehabt. Doch jeder hat eine Wahl.<< warf ich ihm nun doch wütend vor. Kail jedoch schüttelte bloß den Kopf.
>>Wollen wir weiter so tun, als wüsstest du nicht, was in meinem Kopf abgeht? Du bist dort aufgewachsen und willst trotzdem meine Gründe leugnen? Dir mögen meine Methoden nicht gefallen. Dir mag meine Ignoranz nicht gefallen. Doch seien wir einmal ehrlich Aurora. Was hättest du mit dem Wissen gemacht, das ich besessen habe? Was hättest du getan, wenn er tatsächlich dein Vater gewesen wäre. Wenn er dich tatsächlich behandelt hätte wie sein eigenes Kind. Wenn die Ideologie, die er dir vorgelebt hätte, einen Sinn ergeben würde?<<
>>Woher..?<< fragte ich verwirrt und verstand augenblicklich. Nicht nur ich hatte Einblick in Kails Gedanken bekommen. Auch Kail war in meinem Kopf gewesen. Er wusste genauso viel von mir, wie ich von ihm. Doch machte es das besser?
>>Ich weiß, dass meine Ideologie falsch war. Ich weiß, dass dein Hass berechtigt ist. Denn glaub mir. Ich beginne mich selbst zu hassen. In diesen letzten Tagen hatte ich genug Zeit durch all eure Gedanken zu dringen. Ihr glaubt zwar, diese Scheibe würde mich davon abbringen, aber das tut sie nicht. Der einzige Grund, warum ich nicht schon lange weg bin ist...dass ich verloren bin Aurora. Genauso wie du dich gerade verloren fühlst. Auch ich höre deinen Bruder. Auch ich sehe, was er ihm angetan hat. Er hat gesagt es würde funktionieren. Er hat gesagt er würde so werden wie ich und uns in diesem Krieg helfen. Auch ich sehe die Lüge.<< drang es frustriert aus ihm heraus.
>>Ich glaube dir nicht Kail.<<
Er nickte. Schien zu akzeptieren.
>>Ich weiß. Doch ich wollte trotzdem, dass du die Fakten kennst. Zumindest, bis deine Gabe wieder funktioniert und du selbst in meinen Kopf dringen kannst.<<
Er nickte, als er meinen verwirrten Blick sah.
>>Ich bin nicht dumm Aurora. Du hättest meinen Schädel schon längst zu Brei geschlagen, wenn du es könntest. Du hättest jeden Winkel durchforstet, um ihm zu helfen. So lange bis du akzeptiert hättest, dass auch ich nichts weiß.<< erklärte er sich mir. Er hatte recht. Das war so offensichtlich gewesen.
Es war dumm mich ihm anzuvertrauen. Dumm, weil ich ihm nicht traute und er mich vermutlich anlügen konnte. Obwohl. Er hatte gesagt, dass er gehen könnte. Vielleicht...
>>Beweis es mir. Beweis mir, dass du tatsächlich verschwinden könntest.<< verlangte ich und holte augenblicklich Luft, als ich nicht mehr außerhalb seiner Zelle saß, sondern vor ihm. Seine Grünen Augen funkelten mich intensiv an, während ich versuchte zu verstehen, dass er nicht gelogen hatte. So schnell ich in der Zelle war, so schnell war ich auch wieder draußen. Saß noch immer an dem selben Punkt, während er sich zu seiner vollen Größe aufrichtete und zur Scheibe lief. Kail legte seine flache Hand auf diese und nickte mir zu.
>>Glaubst du mir jetzt? Rennst du jetzt zu ihnen und bittest sie darum mich besser wegzusperren? Denn helfen werde ich dir nicht können Aurora. Ich war in dem Kopf deines Bruders. Auch ich konnte nichts als diese Dunkelheit vorfinden. Ich bin genauso verloren wie du. Denn die Ironie des Schicksals ist es doch, dass wir die gleiche Seite der Münze sind, verdammt auf zwei Fronten gegeneinander anzukämpfen. Hast du dich je gefragt, warum unsere Gabe sich so ähnlich ist? Hast du dich in den letzten Tagen nicht auch die Frage gestellt, ob er wusste was du wirklich bist und dir deswegen nur etwas vorgespielt hat? Uns etwas vorgespielt hat? Denn ich tue es. Seit Tagen frage ich mich, was das zu bedeuten hat. Doch ich komme nicht darauf. Es frisst mich fast innerlich auf es nicht zu verstehen. Es frisst mich auf das erste mal in meinem Leben rein gar nichts zu wissen als die Tatsache, dass ich all diese Jahre nur ein verdammter Sklave war.<< beichtete er. Und ich. Ich glaubte ihm.
Vielleicht war es dumm. Vielleicht war es mein verderben. Denn er hätte mich in dem Augenblick, in dem ich einen Fuß in diesen Raum gesetzt habe, manipulieren können.
>>Warum kannst du in meinen Kopf? Als wir dort waren bist du zu mir gehetzt. Warum hast du deine Gabe nicht direkt eingesetzt und mich daran gehindert zu fliehen? Ich kann meine auch nur mit einer Berührung anwenden.<< stellte ich verwirrt fest. Ich musste verstehen, wie das funktionierte. Ich musste mehr von all dem wissen, um vertrauen zu können. Denn momentan war alles nicht viel mehr als purer Chaos. Kail schien es zu verstehen und setzte sich wieder auf seine dünne Matratze auf dem Boden.
>>Hättest du den vollen Ausmaß deiner Gabe, dann könnte ich ohne eine Berührung nicht in deinen Kopf. Ich bräuchte ein Verbindungsstück von dir. Zu Beginn hatte ich das bei jedem gebraucht, so wie du. Doch mit der Zeit wurde ich geübter. Bei Menschen ohne jeglichen Fähigkeiten ist es am einfachsten. Bei dir war es, als hätte man mich komplett zurückgesetzt. Gerade bist du fast so einfach wie ein gewöhnlicher Mensch. Aber das wird sich in einigen Tagen legen. Versuch zu schlafen und zu meditieren. Du brauchst Zeit zum regenerieren.<< erklärte er, bevor er sich hinlegte und seine Schläfen massierte.
>>Dein Freund kommt. Und er ist wütend, weil du hier bist.<< fügte er hinzu, bevor die Tür mit einem lauten Knall aufgestoßen wurde.
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