𝟏𝟗: 𝐇𝐄𝐑𝐄 𝐂𝐎𝐌𝐄𝐒 𝐓𝐇𝐄 𝐒𝐔𝐍

𝐄𝐃𝐃𝐈𝐄 𝐒𝐓𝐀𝐍𝐃 𝐁𝐄𝐑𝐄𝐈𝐓𝐒 𝐔𝐍𝐆𝐄𝐃𝐔𝐋𝐃𝐈𝐆 𝐀𝐍 𝐒𝐄𝐈𝐍𝐄𝐌 𝐆𝐄𝐒𝐓𝐀𝐑𝐓𝐄𝐓𝐄𝐍 𝐕𝐀𝐍.
Der Motor brummte besorgniserregend laut und wenn man richtig hinhörte erkannte man, dass es eigentlich nur noch eine Frage der Zeit war, bis er endlich das Zeitliche segnete.
Hinter seinen Ohren steckte eine Zigarette, bei der ich mir diesmal wirklich sicher sein konnte, dass es nur eine Zigarette war.
Zu meiner Überraschung hat er mir eindrücklich bewiesen, dass ihm dieser Ferienjob etwas bedeutete.
Und es war schön zu sehen, dass er für etwas brannte.
Sein Zeigefinger wanderte immer wieder ungläubig über den Schmutz am Heck des Wagens.

»Ist doch echt nicht wahr. Al. Sieh dir das an! Ich hab als Kind wenigstens mein eigenes Auto beschmiert und nicht das von Fremden.«, beschwerte er sich.
»Wo ist da der Unterschied? Es ist jetzt auch dein Wagen der beschmutzt ist.«, sagte ich und hatte Mühe unschuldig zu wirken.
Ich war schrecklich im Lügen.
Und noch schrecklicher im Schauspielern.
Man konnte es mir also gar nicht übel nehmen, wenn ich mal wieder an die Decke ging.
Ich war einfach zu ehrlich und emotional.
Bei näherer Betrachtung war das Hauptproblem meine Emotionalität.

»Ich erkläre dir den Unterschied.«, äußerte er und nahm etwas von dem Matsch auf.
Dann ging er auf mich zu, umfasste mein Handgelenk und benetzte meinen Zeigefinger ebenfalls mit dem dreckigen geschmolzenen Schnee.
Mithilfe seiner anderen Hand drückte er mit den Zeigefinger ins Gesicht, sodass ich mir selbst damit ein Mal auf die Wange auftrug.
»Ziemlich beschissen, hm?« trug er vor.
Dann zeichnete er auf die andere Wange selbstständig einen weiteren Streifen aus kaltem Matsch.
»Und das ist trotzdem beschissener, oder?«, stellte er in Frage und grinste frech.
Ich, die bislang in einem Trancezustand vor ihm gestanden hatte, holte nun tief Luft.
»Ich kann nicht glauben, dass du das wirklich gemacht hast. Wir müssen zur Arbeit.«, kritisierte ich ihn und verzog angewidert das Gesicht.

»Ist doch nichts dabei. Das macht ihr doch auch manchmal, hast du erzählt.«, konterte er und reichte mir ein Taschentuch, das allem Anschein schon einmal benutzt worden war.
Seufzend ergab ich mich und wischte mir die Kennzeichnungen von der Wange.
»Das macht man einen Tag vor der Hochzeit, Ed. Und das ist eine Paste aus Kurkuma und kein Erdklumpen, auf den vielleicht ein Hund gekackt hat.« , beschwerte ich mich.
Selbst wenn das Gefühl des Schlamms ekelhaft war, genoss ich Eddie's Necken.
Es fühlte sich fast so an, als hätten wir die Vergangenheit zurückholen können.
Mit dem kleinen Unterschied, dass neben meiner gespielten Wut noch etwas anderes zu meinem ständigen Begleiter wurde.
Mein klopfendes Herz, wann immer er mich berührte.

_____

Die Fahrt zur Arbeit verlief wie eine der vielen früheren Fahrten, die wir zusammen gemacht hatten.
Ein ständiger Kampf um die Musik, die wir hörten.
Eddie bestand darauf entscheiden zu dürfen, weil es schließlich sein Wagen war und ich drängte aus genau diesem Grund darauf, Queen hören zu dürfen.
Nur selten stahl sich der Gedanke an die unaussprechlichen Dinge, die sie hier dring getan hatten, in mein Bewusstsein.
Oft genug, damit ich betrübt aus dem Fenster starrte, aber zu selten um meine Laune verderben zu lassen.

Unser Arbeitstag bestand wie die vielen anderen Tage aus dem Kontrollieren der Wareneingänge und dem Verräumen der Ware.
Weil ich bei dem Gedanken an die Ankunft meiner Cousine so gute Laune bekam, opferte ich mich sogar dazu, die neue Platte von Megadeth zu hören.
Das zweite Mal an diesem Tag, dass ich körperlich angegriffen wurde.
Den ganzen Tag über konnte ich es kaum glauben, dass es zwischen mir und Eddie wieder so leicht geworden war.
Und das nur, weil ich verbarg was mir Judy anvertraut hatte.
Weil es ohnehin keinen Unterschied gemacht hätte.
Wie furchtbar ich mich fühlte, weil ich wusste, dass sie sich so nahe gekommen waren, sollte keinen Einfluss auf unsere Freundschaft haben.

Auf dem Rückweg bat ich Eddie darum, mich an der Bushaltestelle abzusetzen, damit ich den Bus in Richtung Flughafen nehmen konnte.
Er bestand aber darauf mich zu fahren und mit mir gemeinsam Maya abzuholen.
Und ich war ihm dankbar dafür.
Die Busfahrt bis zum Flughafen war sogar länger als die Fahrt zu Nancy und die kam mir schon unendlich vor.
Als wir ausstiegen und auf den Eingang des Flughafens zuliefern, sprintete ich immer wieder ein paar Meter nach vorne und dann zurück zu Eddie.
Dort angekommen trampelte ich aufgeregt vor ihm auf der Stelle, weil er so unfassbar langsam schlenderte.
Er verdrehte daraufhin grinsend die Augen und schlug mir jedes Mal, nachdem ich mich wieder umdrehte um weiterzulaufen, auf den Hinterkopf.

»𝐎𝐇 𝐌𝐄𝐈𝐍 𝐆𝐎𝐓𝐓, 𝐄𝐃𝐃𝐈𝐄! 𝐃𝐀 𝐈𝐒𝐓 𝐒𝐈𝐄! 𝐈𝐂𝐇 𝐊𝐀𝐍𝐍 𝐒𝐈𝐄 𝐒𝐄𝐇𝐄𝐍!«, kreischte ich aufgeregt und zerrte an dem Ärmel seiner Lederjacke.
»Das hast du die letzten drei Male auch gesagt. Findest du es nicht bedenklich, dass du jede halbwegs Rothaarige als Schottin ansiehst? Das ist kulturell nicht ganz korrekt.«, zog er mich auf.
Ich antworte ihm, indem ich schmunzelnd meine Augen verdrehte.
Wenn Maya eines nicht war, dann eine typische Schottin.

Ihre Haare waren fast nie Rot.
Eher Türkis, Ultraviolett oder Weißblond mit neonblauem Pony.
Maya war die verdammt coolste Person, die mir je untergekommen war.
Und obwohl ich mich klein und unbedeutend neben ihr fühlte, liebte ich es abgöttisch mit ihr Zeit zu verbringen.
Sie war die Person, die ich mir wünschte zu sein.

Locker im Umgang mit jedermann, charismatisch und abgedreht.
Und trotzdem liebevoll und einfühlsam.
Und als ob das nicht genug wäre, eine wirkliche Schönheit.
Ihre Sommersprossen umrahmten ihr Gesicht wie ein Gemälde.
Um ihre Nase herum waren sie dunkler und machten sie dadurch unglaublich interessant.
Sie hatte ein Gesicht, dass man nicht so schnell vergaß.
Und wenn man erst hinter ihre Fassade geblickt hatte, dann erkannte man eine Persönlichkeit, die man niemals vergessen konnte.
Egal wie sehr man es wollte.

»Al?«, Eddie griff mich an beiden Armen und sah mich eindringlich an.
»Tief Luft holen. Da ist sie wirklich.«, raunte er mit entgegen und wirbelte mich dann herum.
Mein wachsamer Blick wanderte umher und versuchte meine Cousine ausfindig zu machen.
Und da war sie.
Schwarz. Ihre Haare waren Schwarz.
Das Haupthaar zumindest. Die untere Haarpartie schimmerte Orange durch die dunklen Strähnen hindurch.
»Oh mein Gott.«, stammelte ich und streckte die Arme nach ihr aus.
Sie warf sich grinsend in meine Arme, knuddelte mich wild und hauchte mir Küsse auf die Wange.
»Maya reicht, Al-the-bell.«, flüsterte sie in mein Haar.

Freudig streichelte über ihren Rücken und somit über ihre durchlöcherten Jeansjacke.
Dann lösten wir uns langsam voneinander und lächelten uns an.
»Du siehst unglaublich aus. Diese Haare.«, bewunderte ich sie und mimte einen Italiener, der einen chef's kiss darbot.
Maya lachte melodisch auf und verdrehte dabei die Augen.
»Das sagst du jedes Mal. Und jedes Mal biete ich dir an, sie auch zu färben.«, sagte sie und tapste dann die wenigen Schritte, die sie und Eddie trennten auf ihn zu.

»Hi Freak.«, lachte sie liebevoll und stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben.
Eddie reckte sich ihr entgegen, um es ihr einfacher zu machen und strich ihr flüchtig über die Schulter.
»Hi Freakqueen.«, murmelte er grinsend und fischte seine Autoschlüssel aus seiner Jeansweste.

»Was stellen wir heute an? Milchshakewetttrinken bis Aly kotzt? Oder hey, ihr backt mir die Zimtschnecken, die Al mir versprochen hat, die sie aber nie zustande gebracht hat, weil sie mein Auto mit Bleiche zerstören wollte. Warum auch immer.«, zog er mich auf.
Maya blickte irritiert zu mir, auf ihren Lippen ein fasziniertes Grinsen.
»Will ich's wissen?«, formte sie mit ihren Lippen, ohne wirklich etwas zu sagen.
Ich schüttelte vehement mit dem Kopf und hakte mich bei ihr unter.
»Zimtschnecken klingen fantastisch. Aber heute steht alles im Sinne von Aufräumen für das Lichterfest.«, erklärte ich Eddie und ging mit Maya vor.

Maya stöhnte entnervt und kickte eine leere Coladose vor sich her.
»Ich hasse aufräumen.«, murmelte sie unzufrieden.
»Hey wieso wurde ich noch nicht eingeladen? Ich erinnere mich an letztes Jahr, als eine gewisse beste Freundin ne Rakete durch mein Fenster gejagt hat mit ner Einladung.«, beschwerte Eddie sich und trabte neben uns her.
Ich blieb stehen, was Maya dazu veranlasste nach vorne zu stolpern.
Entschuldigend lächelnd fuhr ich mir durch die dunklen Locken.
Bisher hatte ich es vermieden ihn einzuladen, weil ich nicht damit gerechnet hätte, dass sich unser Zerwürfnis bis dahin geklärt hatte.

»Die Rakete war nicht einmal angezündet. Nicht so wirklich. Du weißt, dass ich Schiss davor habe-«
»Du hast sogar Angst vor Knallerbsen.«, unterbrach er mich nuschelnd.
»Die sind ja auch scheiße gruselig. Mal explodieren sie, mal nicht. Und dann gehst du nichtsahnend am nächsten Morgen durch die Straßen und plötzlich trittst du auf eines dieser Dinger und...was ich damit sagen will-«
»Sie lädt dich herzlich ein. Du darfst am zweiten Tag kommen. Also morgen. Bring Blumen mit, Freak.«, bestimmte Maya und zwinkerte mir zu.
Ich machte gar nichts, ich lauschte lediglich Eddie's leisem Lachen.